Absage diskriminiert schwerbehinderten Bewerber

Arbeitgeber müssen mit Entschädigungszahlungen gemäß § 15 AGG rechnen, wenn sie Vorschriften zum Schutz von Schwerbehinderten ignorieren. Eine neuere BAG-Entscheidung zeigt, dass es dafür ausreichen kann, dass ein abgelehnter Bewerber behauptet, der Arbeitgeber habe den Betriebsrat nicht unterrichtet.

Arbeitgeber riskieren hohe Entschädigungszahlungen gemäß § 15 AGG, wenn sie Verfahrens- oder Fördervorschriften im Umgang mit schwerbehinderten Menschen ignorieren. Das Bundesarbeitsgericht vermutet in ständiger Rechtsprechung in solchen Fällen eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Der Grund: Solche Pflichtverletzungen erweckten den Anschein, dass Arbeitgeber an der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen nicht interessiert seien. Steht aber erst einmal die Vermutung der Diskriminierung im Raum, ist es am Arbeitgeber, diese zu widerlegen. Im vorliegenden Fall führte das zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 7.500 Euro an den abgelehnten Bewerber. Was war passiert?

Der Fall: Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG

Im August 2019 bewarb sich ein studierter Wirtschaftswissenschaftler als "Scrummaster Energy" auf eine im Internet ausgeschriebene Stelle. Im Bewerbungsschreiben wies er auf seine Schwerbehinderung hin. Kurze Zeit später erhielt er per E-Mail eine Absage. Daraufhin machte er einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 AGG geltend. Der Arbeitgeber verweigerte diesen, da die Absage allein deswegen erfolgt sei, weil der Bewerber die Anforderungen der Stellenausschreibung nicht erfüllt habe. Mit Schreiben von Ende November 2019 bat der abgelehnte Bewerber den Arbeitgeber, ihm nachzuweisen, dass er im Hinblick auf seine Auswahlkriterien sämtliche Bewerber gleich behandelt habe. Als der Arbeitgeber nicht reagierte, reichte er Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro ein, weil er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei.

Vermutete Benachteiligung wegen Schwerbehinderung?

Er machte vor Gericht geltend, der Arbeitgeber habe ihn entgegen den gesetzlichen Vorgaben wegen der Schwerbehinderung benachteiligt. Der Arbeitgeber habe verschiedene Pflichten aus § 164 Abs. 1 SGB IX, unter anderem die Pflicht aus § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX verletzt, den bei ihr eingerichteten Betriebsrat über seine Bewerbung unmittelbar nach deren Eingang zu unterrichten. Diese Verstöße begründeten – jeder für sich – die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung.

Der Arbeitgeber verwies dagegen darauf, dass der Bewerber keine Indizien vorgelegt habe, die diese Behauptung unterstützten. Vielmehr habe er nur Vermutungen "ins Blaue hinein" geäußert, die er nicht erwidern müsse. Die Absage sei zurecht erfolgt, weil der Bewerber die Anforderungen an die Stelle nicht erfülle.  Er warf dem abgelehnten Bewerber zudem vor, rechtsmissbräuchlich zu handeln, da er sich nur auf die Stelle beworben habe, um bei einer Absage eine Entschädigung zu verlangen. Dafür spreche, dass er in mehreren parallel geführten Verfahren Entschädigungsansprüche wegen angeblich diskriminierender Stellenabsagen verfolge. Das systematische Vorgehen werde durch nahezu identische Bewerbungs- und Geltendmachungsschreiben belegt.

BAG: Vermutung nicht hinreichend entkräftet

Das BAG gab dem abgelehnten, schwerbehinderten Bewerber teilweise recht und entschied, dass dieser einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 7.500 Euro hat. Nach Auffassung des Gerichts wurde er unmittelbar im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Indem er vom Arbeitgeber im Stellenbesetzungsverfahren für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt wurde, habe er eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation "erfährt, erfahren hat oder erfahren würde". 

In der Begründung betonte das BAG, dass § 22 AGG eine Erleichterung der Darlegungslast vorsieht. Wenn also die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Das oberste Arbeitsgericht verwies auf seine ständige Rechtsprechung, nach der ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung begründet.

Bewerber genügt Darlegungslast

Der abgelehnte Bewerber habe behauptet, dass der Arbeitgeber versäumt habe, den Betriebsrat zu unterrichten. Dies sei keine Behauptung "ins Blaue hinein", vielmehr sei der Bewerber regelmäßig in einer Situation, in der er aus eigener Kenntnis dazu keine Angaben machen könne. Unter diesen Umständen habe er mit der vermuteten Tatsache, der Arbeitgeber habe den Betriebsrat nicht unterrichtet, seiner Darlegungslast genügt. Dieses Vorbringen war für das Gericht folglich ausreichend, die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung zu begründen.

Nun wäre es aber am Arbeitgeber gewesen, die vermutete Diskriminierung wegen Schwerbehinderung zu widerlegen. Dafür hätte er Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als die Schwerbehinderung zu der ungünstigeren Behandlung des schwerbehinderten Bewerbers geführt haben. Im Einzelfall könne der Arbeitgeber dazu vortragen, dass ein Bewerber die formalkritischen Anforderungen nicht erfüllt habe. Allerdings nur, wenn diese unverzichtbar für die Stelle seien. Dies war im vorliegenden Fall laut BAG nicht gegeben. Für eine Aufgabe als Scrummaster gebe es keine unbedingt zwingenden Anforderungen an einen Bewerber.

Kein Rechtsmissbrauch

Das BAG nahm in diesem Fall auch keinen Rechtsmissbrauch an. Es sei nicht ersichtlich, dass der Bewerber mit seinem Vorgehen ein Geschäftsmodell verfolge. 

Hinweis: BAG, Urteil vom 14. Juni 2023, Az. 8 AZR 136/22; Vorinstanz: LAG Hamburg, Urteil vom 2. Juli 2021, Az. 2 Sa 58/20 


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