Das BAG hat aufgrund der Rechtsprechung des EuGH diese oben dargestellte Auffassung korrigiert. Der Europäische Gerichtshof (EuGH)[1] hatte auf Vorlage u. a. des LAG Düsseldorf[2] darüber zu entscheiden, ob ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung hat, wenn der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Das LAG Düsseldorf hatte dem EuGH die Frage nach dem Bestand von Urlaubsansprüchen wegen Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG vorgelegt. In dem vorgelegten Fall war der schwerbehinderte Kläger seit September 2004 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Zuerkennung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung im September 2005 durchgängig infolge Krankheit arbeitsunfähig. Infolgedessen war er nicht in der Lage, vor Ende seines Arbeitsverhältnisses im Jahr 2005, seinen in den Jahren 2004 und 2005 angefallenen Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Nach seinem Ausscheiden verlangte er von seinem Arbeitgeber die Abgeltung seines Urlaubs für die Jahre 2004 und 2005, was dieser unter Verweis auf § 7 Abs. 3 BUrlG ablehnte. Der EuGH urteilte, Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG stehe dem Erlöschen des Urlaubsanspruchs am Ende des Übertragungszeitraums dann entgegen, wenn der Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses seinen Urlaubsanspruch nicht realisieren konnte.

Danach gilt:

  • Der Urlaubsanspruch entsteht auch dann im vollen Umfang, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr wegen einer Erkrankung keine Arbeitsleistung erbracht hat.
  • Ein Verfall dieses Anspruchs tritt am Ende des Kalenderjahres bzw. am 31.3. des Folgejahres nicht ein, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub wegen einer Erkrankung während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon nicht in Anspruch nehmen konnte.
  • Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht für den Arbeitnehmer auch dann ein Anspruch auf Abgeltung des (angesammelten) Urlaubs, wenn er weiter arbeitsunfähig erkrankt ist.
  • Das europäische Recht erlaubt es dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber, Regelungen zu schaffen, wonach der Urlaub auch während der Erkrankung in Anspruch genommen werden kann.

Das BAG hat sich den Vorgaben des EuGH angeschlossen und die bisherige Rechtsprechung aufgegeben.[3] In dem vom BAG entschiedenen Fall war die Klägerin von August 2005 bis 31.1.2007 als Erzieherin für den beklagten Verein tätig. Sie erlitt im Juni 2006 einen Schlaganfall und war vom 2.6.2006 über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zumindest bis August 2007 durchgehend arbeitsunfähig. Sie verlangte unter anderem Abgeltung der gesetzlichen Urlaubsansprüche aus den Jahren 2005 und 2006. Das BAG hat insoweit der Klage stattgegeben. § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG seien im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern nach den Vorgaben des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie gemeinschaftsrechtskonform fortzubilden. Ansprüche auf Abgeltung gesetzlichen Teil- oder Vollurlaubs erlöschen nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkranke und deshalb arbeitsunfähig sei.

 
Hinweis

Zusammenfassend verfällt der Erholungsurlaub also nicht mit Ablauf des Kalenderjahres bzw. der Übertragungsfrist, wenn der Arbeitnehmer diesen wegen Krankheit nicht nehmen konnte.

Dabei ist es irrelevant, ob der Arbeitnehmer das ganze Jahr krank war oder nicht. Entscheidend ist also nicht, ob er den Urlaub (vor Beginn der Krankheit) hätte nehmen können.

In dieser Entscheidung und in einer weiteren Entscheidung vom 23.3.2010 – 9 AZR 128/09 hat das BAG zumindest einige der durch die EuGH-Entscheidung aufgeworfenen Rechtsfragen für die Praxis beantwortet wie folgt:

  • Das unbefristete Fortbestehen von Urlaubsansprüchen betrifft nur den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen.

     
    Hinweis

    Die 24 Werktage Urlaub beziehen sich auf die Grundregelung aus § 3 BUrlG auf Basis der 6-Tage-Woche. Bei einer 5-Tage-Woche beträgt der gesetzliche Urlaubsanspruch 20 Tage.

  • Die Voraussetzungen für zusätzlichen Urlaub, einschließlich des Verfalls, können weiterhin durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag abweichend geregelt werden. Erfolgt die Regelung in Formulararbeitsverträgen, findet keine Inhaltskontrolle dieser Regelung gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (unangemessene Benachteiligung) statt. Allerdings wird geprüft, ob die Vereinbarung dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB standhält. Eine unterschiedliche rechtliche Behandlung von gesetzlichem und zusätzlichem Urlaub setzt voraus, dass die Regelung deutliche Anhaltspunkte für eine solche Willensrichtung der Vertragsparteien enthält. Andernfalls "teilt der Zusatzurlaub das Schicksal" des gesetzlichen Mindesturlaubs.
  • Diese Darlegungen hat das BAG in der Entscheidung vom 22.5.2012[4] für den Bereich des TVöD weiter präzisiert. Danach haben zwar die Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich zwischen dem gesetzlichen, unionsrechtlich verbürgten Mindesturlaub von 4 Wochen und dem tariflichen Mehrurlaub differenziert. Sie hab...

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