Einem schwerbehinderten Beschäftigten steht nach § 208 SGB IX ein gesetzlicher Zusatzurlaub zu. Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht bei einem Grad der Behinderung von wenigstens 50, schwerbehinderten Menschen Gleichgestellte (§ 151 Abs. 3 SGB IX) erhalten keinen Zusatzurlaub.

Der Zusatzurlaub beträgt bei einer 5-Tage-Woche 5 Urlaubstage. Bei einer Abweichung von der 5-Tage-Woche ist der Urlaubsanspruch entsprechend zu erhöhen oder zu kürzen (z. B. 4-Tage-Woche = 4 Urlaubstage). Bei Bruchteilen ist keine Rundung vorzunehmen, es sei denn, § 5 BUrlG – die Regelung zur Zwölftelung des Urlaubs bei Beginn oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Laufe eines Kalenderjahres – ist anwendbar.[1] Insbesondere findet die in § 208 Abs. 2 SGB IX enthaltene Bruchteilsregelung keine Anwendung, da sie sich lediglich auf den Fall bezieht, dass die Schwerbehinderung nicht während des ganzen Jahrs vorliegt.[2] Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht mit dem in der Bescheinigung der Schwerbehinderung angegebenen Zeitpunkt. Ist der Zusatzurlaub rückwirkend anerkannt worden, greifen hinsichtlich der Übertragung gemäß § 208 Abs. 3 SGB IX die Übertragungsregelungen des TVöD bzw. des BUrlG.

Nach bisher vertretener Auffassung der Rechtsprechung verfällt der Zusatzurlaub bei rückwirkender Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft mit Ablauf des Kalenderjahres, wenn nicht die Übertragungsvoraussetzungen vorliegen. Die Ungewissheit über die Anerkennung der Schwerbehinderung ist kein in der Person des Arbeitnehmers liegender Übertragungsgrund.

Diese Grundsätze müssen nun im Lichte der Rechtsprechung des EuGH[3] und des BAG[4] zur Mitwirkungsobliegenheit, mithin der Hinweispflicht zum Urlaubsverfall, neu eingeordnet werden.

Nach der genannten Rechtsprechung verfällt Urlaub nur dann am Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist (im Einzelnen siehe Gliederungsziffer 7.4).

Es stellt sich damit die Frage, ob auch in dem Fall eine Hinweispflicht besteht, in welchem der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hat (und diese auch nicht offensichtlich ist). Gleiches gilt für den Fall einer über das Kalenderjahr rückwirkenden Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft.

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts sind nunmehr unterschiedliche Fallgestaltungen zu unterscheiden:

  • Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung und auch keine Kenntnis von einem Antrag auf Erkennung der Schwerbehinderteneigenschaft, so verfällt der Zusatzurlaubsanspruch am Ende des Kalenderjahres auch ohne einen Hinweis des Arbeitgebers[5]

    Der Arbeitgeber hat in diesem Fall keinen Anlass, vorsorglich auf einen etwaigen Zusatzurlaub hinzuweisen.

  • Hat der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderung, entsteht schon nach bisheriger Rechtsprechung der Urlaubsanspruch bei objektiv vorliegender Schwerbehinderung[6]

    In diesem Fall verfällt der Zusatzurlaub nur, wenn der Arbeitgeber seine Hinweisobliegenheit auch ordnungsgemäß erfüllt[7]

  • Hat der Arbeitgeber Kenntnis vom Antrag des Arbeitnehmers auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft oder von der beabsichtigten Einlegung von Rechtsmitteln gegen einen ablehnenden Bescheid, so verfällt der Anspruch auf den Zusatzurlaub nicht am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen ist.[8]
 
Praxis-Beispiel

Beispiel 1

Der Beschäftigte A hat im Oktober 0000 einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch eingereicht. Er informiert seinen Arbeitgeber nicht über den Umstand, einen Antrag gestellt zu haben. Dem Antrag wird Anfang März 0001 rückwirkend stattgegeben. Der anteilige Anspruch auf Zusatzurlaub für das Jahr 0000 ist mangels Vorliegens eines Übertragungstatbestands, z. B. Erkrankung, verfallen. Allein die Ungewissheit über das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft ist kein Übertragungsgrund.[9] Der Arbeitgeber hatte mangels Kenntnis keine Pflicht zum (vorsorglichen) Hinweis im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheit.

Beispiel 2

Der Beschäftigte aus Beispiel 1 informiert seinen Arbeitgeber im Jahr 0000 über dem Umstand, dass er einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt hat.

Der Arbeitgeber befindet sich nun in einem Dilemma: Wenn er seiner Mitwirkungsobliegenheit nachkommt, wird der Arbeitnehmer den Urlaub auch nehmen wollen.Er verlangt also vom Arbeitgeber die Gewährung des Zusatzurlaubs. Der Arbeitgeber müsste diesen Zusatzurlaub also gewähren, ohne zu wissen, ob die Schwerbehinderteneigenschaft (rückwirkend) überhaupt anerkannt wird. Würde der Arbeitgeber den Urlaub trotz des Hinweises nicht gewähren, wäre dies ein widersprüchliches Verhalten. Der Arbeitgeber würde den Arbeitnehmer daran hindern, den Urlaub zu nehmen, weshalb dieser nicht verfallen würde.

Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheiten hin, so verfällt der Urlaub nicht am Ende des Urlaubsjahres.

Der gesetzliche Zusatzurlaub für schwerbeh...

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