Rz. 71

Nach § 75 Abs. 2 BetrVG sind Arbeitgeber und Betriebsrat zum Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers verpflichtet. Diese Verpflichtung stellt eine Schranke sowohl für ihre Regelungsbefugnis als auch für den Inhalt der von ihnen getroffenen Regelungen, z. B. in Betriebsvereinbarungen, dar (so BAG, Urteil v. 25.4.2017, 1 ABR 46/15). Die in § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG normierte Schutzpflicht verpflichtet die Betriebsparteien, rechtswidrige Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer zu verhindern und Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte nur vorzunehmen, soweit dies aufgrund berechtigter betrieblicher Interessen, insbesondere auch im Interesse der anderen Arbeitnehmer und eines ungestörten Arbeitsablaufs erforderlich ist.[1] Das BAG hat bereits 2004 in seiner Entscheidung zur Videoüberwachung (BAG, Urteil v. 29.6.2004, 1 ABR 21/03) Grundsätze aufgestellt, die bei der Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu beachten sind. Danach muss der Eingriff, sofern er nicht durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist, durch schutzwürdige Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Kollidieren beide Rechtspositionen miteinander, hat eine umfassende Güterabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu erfolgen. Dabei bestimmt sich das zulässige Maß des Eingriffs nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BAG, Urteil v. 25.4.2017, 1 ABR 46/15). Diese Grundsätze sind auch bei der Ausübung von Mitbestimmungsrechten zu beachten. Eine Betriebsvereinbarung, die gegen diesen Grundsatz verstößt und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer verletzt, ist deshalb unwirksam und darf nicht angewendet werden (LAG Köln, Beschluss v. 18.8.2010 3 TaBV 15/10).

Nachfolgend seien einige Beispiele für eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte bzw. für Maßnahmen, die nicht zu einer solchen Verletzung führen, genannt.

 

Rz. 72

Verdeckte Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Arbeitnehmern, z. B. im Rahmen von sog. Social Engineering Audits, bei denen vom Arbeitgeber beauftragte externe Dienstleister testen sollen, ob (IT-)Sicherheitsanweisungen von den Arbeitnehmern befolgt werden, sind nur unter engen Voraussetzungen zulässig und nur im Ausnahmefall einer Notwehrsituation des Arbeitgebers gerechtfertigt. Eine solche Notwehrsituation liegt vor, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht, sich dieser Verdacht gegen einen räumlich und funktional begrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richtet, die weniger einschneidenden Mittel zur Aufklärung ergebnislos ausgeschöpft sind und die verdeckte Überprüfung de facto das einzige verbleibende, insgesamt nicht unverhältnismäßige Mittel ist (vgl. BAG, Urteil v. 27.7.2017, 2 AZR 681/16).

 

Rz. 73

Bei einem Facebook-Profil, das ein Unternehmen unterhält und das eine Bewertung der Arbeitnehmer ermöglicht, führt schon die bloße Möglichkeit, zum Gegenstand einer öffentlichen Bewertung und Anprangerung zu werden, dazu, dass die Arbeitnehmer psychischem Druck ausgesetzt werden, vor dem sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG schützen soll (so BAG, Urteil v. 25.4.2017, 1 ABR 46/15). Ein solches Facebook-Profil ist daher i. d. R. nicht mit § 75 Abs. 2 BetrVG vereinbar.

 

Rz. 74

Durch die zunehmende Digitalisierung von Unternehmen (Arbeit 4.0) wird es möglich, Arbeit aus dem Betrieb ins Homeoffice und Mobile Office zu verlagern oder agile Teams zu bilden. Will der Arbeitgeber den damit verbundenen Kontrollverlust bezüglich der Arbeitsleistung durch verdeckte Überwachung, z. B. mittels Ortung des Handys oder direktem Zugriff auf Smartphone, Tablet etc. ausgleichen, kann dies einen massiven Eingriff in das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung und eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts darstellen.[2]

 

Rz. 75

Die heimliche Installation eines sog. "Keyloggers" (Tastenprotokollierers) auf dem Computer, der alle Tastatureingaben eines Arbeitnehmers protokolliert und ihn dadurch überwacht, ist ein Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und mit einer verdeckten Videoüberwachung vergleichbar. Entsprechend ist diese Maßnahme nur dann erlaubt, wenn gegen den betroffenen Arbeitnehmer ein durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht (Anfangsverdacht) einer Straftat oder einer anderen schweren Pflichtverletzung besteht (s. dazu BAG, Urteil v. 27.7.2017, 2 AZR 681/16). Ergreift der Arbeitgeber eine solche Maßnahme dagegen "ins Blaue hinein", ist sie nicht verhältnismäßig und daher unzulässig.

 

Rz. 76

Das Abhören von Telefongesprächen des Arbeitnehmers stellt einen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht dar und ist unzulässig. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um private oder dienstlich veranlasste Gespräche handelt (BVerfG, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; BAG, Urteil/Beschluss v. 1.3.1973, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht).

 

Rz. 77

Die Erfassung von Telefondaten (z. B. Datum, Uhrzeit, Zielnummer, Dauer, Kosten) ist...

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