
In vielen Unternehmen, etwa Supermärkten oder Produktionsbetrieben, ist der Waren- bzw. Materialschwund beachtlich. Wann und wie darf ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter kontrollieren, um Straftaten zu verhindern oder aufzuklären? Was ist als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte im Interesse des Unternehmens zulässig, was geht zu weit? Welche Rolle hat der Betriebsrat?
Kontrollen im Unternehmen sind immer auch ein Grundrechtseingriff, oft sind sie trotzdem zulässig. Der Kontrollbefugnis des Arbeitgebers sind allerdings vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung enge Grenzen gesetzt. Zu beachten sind hierbei insbesondere die individuellen Rechte der Arbeitnehmer, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sowie datenschutzrechtliche Gesichtspunkte.
Mitarbeiterkontrollen sind grundsätzlich nur mit Einwilligung des Arbeitnehmers zulässig
Selbst wer ein blütenweises Gewissen hat, wird nicht gerne kontrolliert oder verdächtigt. Doch viele Unternehmen greifen wegen großem Schwund bei Waren oder Materialien zu Überwachungs- und Kontrollaktionen. Manchmal besteht auch ein Einzelfallverdacht, den ein Unternehmen aufklären will oder muss, um sich zu schützen oder einen verdächtigen Mitarbeiter zu überführen, um weitere Straftaten zu verhindern. Was ist hier rechtlich tolerabel?
Grundrecht des Arbeitnehmers aus Art. 2 Abs. 2 GG ist bei Kontrollen zu beachten
Wegen des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Person und Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sind, neben einer generell als zulässig anzusehenden Ausweiskontrolle,
- äußerliche Kontrollen des Arbeitnehmers
- und der von ihm mitgeführten Gegenstände (z. B. durch Öffnen der Tasche)
- grundsätzlich nur mit Einwilligung des Arbeitnehmers zulässig.
Ausnahme: Die Kontrolle ist gesetzlich vorgeschrieben.
Betriebsvereinbarung kann Einwilligung der Arbeitnehmer in Kontrollen ersetzen
Die Einwilligung des einzelnen Arbeitnehmers in eine Kontrolle kann der Betriebsrat durch eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber in Form einer Betriebsvereinbarung ersetzen.
Recht des Arbeitgebers auf Kontrolle
Das Recht des Arbeitgebers auf Kontrollen unter bestimmten Voraussetzungen ergibt sich aus seinem schutzwürdigen Interesse zu prüfen, ob Arbeitnehmer die vertraglichen Haupt- und Nebenpflichten ordnungsgemäß erfüllen. Noch stärker wiegt sein Recht, Angriffe auf seine rechtlich geschützten Güter und Interessen abzuwehren, insbesondere auf sein Eigentum, aber auch im Hinblick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.
Im Rahmen der Güterabwägung mit den, durch die Verfassung geschützten Rechten der Arbeitnehmer muss ein substantiierbares Gegeninteresse des Arbeitgebers vorliegen, d.h. es müssen sich schwerwiegende Diebstähle, andere strafrechtlich relevante Sachverhalte bzw. arbeitsrechtliche Pflichtenverletzungen ereignet haben, die bisher nicht aufgeklärt werden konnten. Dies dürfte etwa im Einzelhandel allerdings branchenüblich fast immer der Fall sein.
Mitarbeiterkontrolle: Präventiv oder anlassbezogen?
Für die Zulässigkeit von Taschenkontrollen und weitergehenden persönlichen Durchsuchungen (Leibesvisitationen) der Mitarbeiter ist zwischen präventiven (systematischen) Kontrollen und anlassbezogenen Einzelkontrollen im Verdachtsfall zu unterscheiden. Nach herrschender Meinung sind umfassende präventive Personenkontrollen regelmäßig unzulässig.
Zulässig sind lediglich Taschenkontrollen und u. U. das Abtasten der Oberbekleidung am Eingang/Ausgang des Unternehmens – sog. Werkstorkontrolle. Nach anderer restriktiverer Ansicht soll eine präventive Überwachung der Arbeitnehmer dagegen sogar allgemein unzulässig sein und die Kontrolle stets eines konkreten Anlasses bedürfen. Laut LAG 10.8.2011 (8 Sa 1945/10) kann eine Betriebsvereinbarung kann eine Pflicht zur
Duldung einer Taschenkontrolle auch außerhalb der Arbeitszeit begründen.
Mitarbeiterkontrolle bei Diebstahlshäufung
Nur in Ausnahmefällen soll die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers ( aus § 241 Abs. 2 BGB) gegenüber den Interessen des Arbeitgebers überwiegen.
- Bei sich häufenden Diebstählen kann der Arbeitnehmer im Einzelfall zur Duldung einer Kontrolle verpflichtet sein.
- Die Kontrolle selbst darf den Arbeitnehmer insbesondere nach Dauer und Intensität nicht übermäßig belasten oder den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss beachtet werden
Die Durchführung muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen (§ 315 Abs. 1 BGB) und entsprechend erforderlich und angemessen sein. Das ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dies gilt auch für solche Maßnahmen, die auf Grund einer Einwilligung im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung erfolgen.
Unterwirft sich der Arbeitnehmer in einem Formulararbeitsvertrag im Voraus einer Kontrollmöglichkeit durch den Arbeitgeber, müssen zudem Umfang und Ausmaß der Kontrollen transparent geregelt sein (§ 307 BGB).
Ausnahmsweise Leibesvisitationen? Im Zweifel: Hände weg!
Je intensiver in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen wird, um so höhere Anforderungen ergeben sich für den Anlass und die Durchführung der Kontrollmaßnahme aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. So kann die körperliche Untersuchung eines Arbeitnehmers grundsätzlich nur bei schwerwiegenden Verdachtsmomenten gerechtfertigt sein.
Nach anderer Rechtsansicht ist sie auch bei schwerwiegenden Verdachtsmomenten nur durch die Polizei zulässig. Teilweise soll ein "berechtigtes Interesse des Arbeitgebers" genügen und konkret das Abtasten der Oberbekleidung noch zulässig sein, jedoch keine weitergehende körperliche Durchsuchung in Form einer Leibesvisitation (BGH Urteil v. 3.11.1993, VIII ZR 106/93).
Mitarbeiter kontrollieren bei einem massiven Verdachtsfall?
Ein konkreter Verdacht ist nur dann gegeben, wenn ein Einsteckvorgang beobachtet wurde. Auch Anzeichen für einen vollendeten Diebstahl, Diebesgut sichtbar, können einen hinreichenden Verdacht begründen. Immer ist das Herbeirufen der Polizei Eigenmaßnehmen vorzuziehen, denn Festhalten oder Durchsuchen ohne Einwilligung ohne konkreten Tatverdacht durch betriebliche/private Sicherheitskräfte erfüllt schnell den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) oder in schweren Fällen der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB).
Datenschutz und Kontrolle mit elektronischen Mitteln
Maßnahmen zur Mitarbeiterkontrolle mit elektronischen Mitteln, wie das Erfassen von Telefonaten, die Videoüberwachung, Kontrollen des E-Mail-Verkehrs und der Internetnutzung oder Aufzeichnung von Bewegungsdaten durch Handy-Ortung oder GPS (→ Überwachung durch GPS-Ortungssysteme in Dienstfahrzeugen verletzt die DSGVO) können nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzen. Sie können auch ein Verstoß gegen den Datenschutz sein.
Nach § 26 Abs. 1 BDSG ist die Verarbeitung mittel solcher Ortungssysteme erhobener personenbezogener Daten nur zulässig, sofern dies für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist. Daneben kann Art. 6 Abs.1 Satz 1 Buchstabe f der DSGVO als Grundlage in Betracht kommen, wonach die Datenverarbeitung zulässig ist, sofern sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, und nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten des Arbeitnehmers überwiegen.
Mitbestimmung beachten
Der Betriebsrat sollte, falls vorhanden, mit von der Partie sein, er hat bei Taschen- und Torkontrollen ein Mitbestimmungsrecht (BAG, Urteil v. 26. 5. 1988, 1 ABR 9/87). Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sind Kontrollmaßnahmen, die die betriebliche Ordnung und das Ordnungsverhalten betreffen, mitbestimmungspflichtig.
Auch der Einsatz von Ortungsgeräten unterliegt gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG der Mitbestimmung , soweit damit die Möglichkeit eröffnet ist, die Leistung und das Verhalten von Beschäftigten zu überwachen.
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