Rz. 6

Die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist in § 50 Abs. 1 BetrVG geregelt. Der Gesamtbetriebsrat ist danach zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Das Gesetz geht von der Primärzuständigkeit des Betriebsrats aus (BAG, Beschluss v. 18.10.1994, 1 ABR 17/94[1]), der Gesamtbetriebsrat ist nur unter den in Absatz 1 genannten Voraussetzungen zuständig. Die Zuständigkeit für eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit kann nur einheitlich beim Gesamtbetriebsrat oder Betriebsrat liegen. Eine Aufspaltung – etwa in eine Rahmenkompetenz des Gesamtbetriebsrats und eine Zuständigkeit der Betriebsräte für die nähere Ausgestaltung einer Regelung – ist innerhalb eines Mitbestimmungstatbestands nicht möglich, da eine rechtssichere und rechtsklare Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten nicht möglich ist (BAG, Beschluss v. 14.11.2006, 1 ABR 4/06[2]).

Allerdings ist die Regelungszuständigkeit für jeden Mitbestimmungstatbestand gesondert zu prüfen, wobei geringfügige Überschneidungen unschädlich sind. Daher kann der örtliche Betriebsrat trotz Bestehens einer vom Gesamtbetriebsrat in seiner originären Zuständigkeit erlassenen Gesamtbetriebsvereinbarung zu einer unternehmensweiten Kleiderordnung im Rahmen des Gesundheitsschutzes personenbezogene Lockerungen bezüglich des Tragens von Krawatten bei hohen Temperaturen regeln (LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 21.10.2015, 4 TaBV 2/15[3] )

 

Rz. 7

Die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 BetrVG ist daher nur unter 2 Voraussetzungen gegeben:

  • Die Angelegenheit muss das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen (s. Rz. 9), und
  • diese Angelegenheit kann nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. (s. Rz. 10).

Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.[4]

 

Rz. 8

Fehlt dem Gesamtbetriebsrat die Zuständigkeit nach § 50 Abs. 1 BetrVG (und liegt auch eine Ermächtigung nach § 50 Abs. 2 BetrVG nicht vor), so sind die gleichwohl ergangenen Beschlüsse des Gesamtbetriebsrats und die mit dem Arbeitgeber abgeschlossenen Vereinbarungen unwirksam. Umstritten ist, ob sie von dem eigentlich zuständigen Betriebsrat rückwirkend genehmigt werden können.[5] Da der einzelne Betriebsrat den Gesamtbetriebsrat auch nach § 50 Abs. 2 BetrVG hätte beauftragen können, ist es auch aus Gründen der Praktikabilität geboten, eine Genehmigungsmöglichkeit des Betriebsrats anzunehmen.[6] Hierzu ist analog § 50 Abs. 2 Satz1 BetrVG ein mit absoluter Mehrheit gefasster Beschluss des örtlichen Betriebsrats erforderlich.

[1] NZA1995 S. 390; Richardi/Annuß, § 50 BetrVG Rz. 3.
[2] NZA 2007 S. 399, 402 f.
[3] BeckRS 2015, 72523.
[4] Salamon, RdA 2008, S. 24, 26.
[5] Ablehnend Richardi/Annuß, § 50 BetrVG Rz. 6, der einen Neuabschluss für erforderlich hält.
[6] So auch Fitting, § 50 BetrVG, Rz. 19.

2.1 Überbetrieblicher Bezug

 

Rz. 9

Voraussetzung für die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist, dass die Angelegenheit einen überbetrieblichen Bezug hat. Dies ist der Fall, wenn entweder das Gesamtunternehmen, also alle Betriebe des Unternehmens, oder aber mindestens 2 Betriebe berührt sind (BAG, Beschluss v. 3.5.2006, 1 ABR 15/05[1]. Wird nur ein Betrieb betroffen, ist nur der jeweilige örtliche Betriebsrat zuständig. In diesem Fall kommt nur eine Beauftragung des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 2 BetrVG durch den Betriebsrat in Betracht.

[1] NZA 2007 S. 1245.

2.2 Fehlende Regelungsmöglichkeiten durch Betriebsräte

 

Rz. 10

Erforderlich für die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist des Weiteren, dass die Angelegenheit nicht durch die einzelnen Betriebsräte auf Betriebsebene geregelt werden kann. Dieses "Nichtregelnkönnen" liegt nicht nur vor, wenn eine Regelung durch Betriebsräte objektiv unmöglich ist. Ausreichend ist vielmehr, dass ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht (BAG, Beschluss v. 11.11.1998, 7 ABR 47/97[1]; BAG, Beschluss v. 3. 5. 2006, 1 ABR 15/05[2]). Dieses Erfordernis kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Dagegen genügen allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, sein Kosten- und Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des Unternehmens und der einzelnen Betriebe (BAG, Beschluss v. 19.6.2012, 1 ABR 19/11[3]; BAG, Beschluss v. 14.11.2006, 1 ABR 4/06[4]; BAG, Urteil v. 19.6.2007, 1 AZR 454/06[5]; BAG, Beschluss v. 9.12.2003, 1 ABR 49/02[6]; BAG, Beschluss v. 15.1.2002, 1 ABR 10/01[7]).

 

Rz. 11

Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats besteht auch bei subjektiver Unmöglichkeit einzelbetrieblicher Regelungen. Eine solche liegt vor, wenn der Arbeitgeber im Bereich der freiwilligen Leistungen zu einer Regelung oder Lei...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge