Rz. 656

Arbeitsverträge oder Tarifverträge können das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausschließen. Meist wird dies bei einem höheren Alter des Arbeitnehmers und einer bestimmten Mindestbeschäftigungszeit im Betrieb oder Unternehmen der Fall sein. Da die Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung aber nicht wirksam ausgeschlossen werden kann (§ 314 BGB), ist in diesen Fällen unter besonderen Voraussetzungen auch eine außerordentliche personenbedingte Kündigung möglich, die i. d. R. mit einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist verbunden werden muss. Die außerordentliche Kündigung ist bei ordentlicher Unkündbarkeit nur dann zulässig, wenn das Arbeitsverhältnis ohne die Beendigung inhaltsleer würde, weil der Arbeitnehmer etwa auf Dauer außer Stande ist, eine Arbeitsleistung zu erbringen. Ohne eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit wäre ein Arbeitgeber sonst gezwungen, über Jahre hinweg ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis fortzusetzen, bei dem er sein Direktionsrecht nicht mehr ausüben könnte. So kommt z. B. bei einer haftbedingten Arbeitsverhinderung eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers mit einer der – fiktiven – ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist in Betracht. Ein "an sich" wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB für eine solche Kündigung besteht jedenfalls dann, wenn die vorübergehende Unmöglichkeit der Arbeitsleistung i. S. v. § 275 Abs. 1 BGB mit einer "endgültigen" Unmöglichkeit gleichzusetzen ist (BAG, Urteil v. 22.10.2015, 2 AZR 381/14[1]).

 

Rz. 657

Bei einer solchen Sachlage handelt es sich um einen Dauertatbestand, sodass die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht bereits mit dem Anfang der Nichterbringung der Arbeitsleistung beginnt (BAG, Urteil v. 22.10.2015, 2 AZR 381/14[2]). Der Kündigungsgrund aktualisiert sich mit jedem Tag der Nichtleistung erneut (BAG, Urteil v. 21.3.1996, 2 AZR 455/95[3]). Auch häufige Kurzerkrankungen können ein Dauertatbestand sein. Dann wird der Lauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ständig neu in Gang gesetzt, sobald und solange diese den Schluss auf eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit zulassen und damit eine negative Gesundheitsprognose begründen (BAG, Urteil v. 23.1.2014, 2 AZR 582/13[4]).

 

Rz. 658

Bei der Interessenabwägung im ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnis ist nicht auf die fiktive Frist für die ordentliche Kündigung abzustellen, sondern auf die tatsächliche künftige Dauer der Vertragsbindung zwischen den Parteien (BAG, Urteil v. 21.4.2016, 2 AZR 609/15[5]).

 

Rz. 659

Bei einem unkündbaren Arbeitnehmer kommt der Verpflichtung des Arbeitgebers, die Kündigung möglichst durch andere Maßnahmen zu vermeiden, besondere Bedeutung zu. Der Arbeitgeber muss zur Abwendung der Kündigung alle in Betracht kommenden Einsatzmöglichkeiten von sich aus umfassend prüfen und eingehend sondieren. Sein Vortrag im Kündigungsschutzprozess muss insbesondere erkennen lassen, dass er alles Zumutbare zur Vermeidung einer Kündigung unternommen hat. Dies kann im Einzelfall auch die Pflicht zum Freikündigen eines gleichwertigen Arbeitsplatzes umfassen (BAG, Urteil v. 28.10.2010, 2 AZR 688/09[6]; BAG, Urteil v. 26.11.2009, 2 AZR 272/08[7]).

[1] AP BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 12.
[2] AP BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 12.
[3] AP BGB § 626 Krankheit Nr. 8.
[4] AP BGB § 626 Krankheit Nr. 16.
[5] AP BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 14.
[6] AP KSchG 1969 § 2 Nr. 148.
[7] NZA 2010, 628.

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