Rz. 9

Unter Krankheit ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, dessen Eintritt – Beginn des Versicherungsfalls – entweder die Notwendigkeit einer Heilbehandlung des Versicherten oder aber seine Arbeitsunfähigkeit oder beides zugleich zur Folge hat (vgl. BSG, Urteil v. 28.2.2008, B 1 KR 19/07 R Rz. 10 m. w. N. aus Rechtsprechung und Literatur). Der Begriff der Krankheit i. S. d. Krankenversicherung lässt die medizinische Krankheitsursache in den Hintergrund treten und legt das Schwergewicht auf die Notwendigkeit einer Heilbehandlung oder das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit. Es kommt stets darauf an, dass zwischen der Krankheit und der Behandlungsbedürftigkeit bzw. der Arbeitsunfähigkeit ein Kausalzusammenhang besteht, die Krankheit also die Ursache der Behandlungsbedürftigkeit oder der Arbeitsunfähigkeit sein muss. Dabei gilt der Grundsatz der "wesentlichen Bedingung". Eine Bedingung ist als ursächlich oder mitursächlich anzusehen, wenn sie im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg dessen Eintritt wesentlich mitbewirkt hat (vgl. BSGE 33, 202, 204).

 

Rz. 10

Auszugehen ist vom Leitbild des gesunden Menschen, der zur Ausübung normaler körperlicher und geistiger Funktionen in der Lage ist (BSG, Urteil v. 20.10.1972, 3 RK 93/71; Urteil v. 12.11.1985, 3 RK 48/83). Die Abweichung muss erheblich sein. Abweichungen von Durchschnittswerten anderer Menschen, wie z. B. im Hinblick auf Begabung, Intelligenz oder Lernstörungen, z. B. Legasthenie, sind keine Krankheiten. Grenzfälle treten insbesondere dann auf, wenn der natürlich fortschreitende Alterungsprozess zu Beschwerden führt. Allerdings können auch Altersgebrechen zur Krankheit i. S. d. Gesetzes werden. Voraussetzung ist aber in jedem Falle, dass die Krankenbehandlung zur Heilung, zum Aufhalten oder Verlangsamen des Krankheitsprozesses oder zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit führt (vgl. dazu auch BSG, Urteil v. 2.3.1961, 4 RJ 198/59).

 

Rz. 11

Eine Behinderung indiziert nicht zwangsläufig das Bestehen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung. Dies gilt umso mehr, als der durch Art. 1 UN-BRK geprägte Behinderungsbegriff in der seit dem 1.1.2018 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 SGB IX von einer Wechselwirkung von gesundheitlicher Störung und sozialem Hinderungsgrund ausgeht und eine Behinderung in erster Linie als gesellschaftlich verursachtes Problem eingeordnet wird (Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 2 Rz. 59). Demgegenüber stehen bei einer Krankheit die Kriterien der Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit im Vordergrund. Bei einer Behinderung besteht allerdings bereits eine Krankheit, auch wenn keine besonderen Beschwerden auftreten, sofern durch die Heilbehandlung eine Besserung, Linderung oder Verhütung der Verschlimmerung des Dauerzustandes möglich ist. Es genügt, dass sich das Gebrechen unbehandelt wahrscheinlich verschlimmern würde und solcher Verschlimmerung am besten durch eine möglichst frühzeitige Behandlung entgegengewirkt werden kann (vgl. u. a. BSGE 30, 151).

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