Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht vom 19. August 1971 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Ersatz der vollen Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung.

Der Facharzt für Kieferorthopädie Dr. Sch. stellte bei der am 9. März 1953 geborenen Tochter Susanne des bei der beklagten Ortskrankenkasse versicherten Klägers eine „Kieferkompression mit frontaler Enge, Kreuzbiß 5±, mandibuläre Mittenabweichung und Tiefbiß rechts distal” fest. In dem am 3. März 1970 aufgestellten kieferorthopädischen Behandlungs- und Gebührenplan hielt er eine „Erweiterung, Behebung des Kreuzbisses, Bißhebung und Platten” für erforderlich, um parodontale Erkrankungen im Frontzahngebiet zu vermeiden. Die Gesamtkosten der Behandlung wurden auf 850 DM veranschlagt.

Der Kläger reichte den kieferorthopädischen Behandlungs- und Gebührenplan am 5. März 1970 bei der Beklagten ein. Der zur Überprüfung gutachtlich gehörte Zahnarzt Dr. St. stufte den Fall in die Dringlichkeitsstufe I ein und befürwortete einen Zuschuß.

Mit Bescheid vom 19. März 1970 erklärte sich die Beklagte bereit, zu den Behandlungskosten für die Dauer von 18 Monaten einen monatlichen Zuschuß von 23,61 DM zu übernehmen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus: Es handele sich bei der kieferorthopädischen Behandlung seiner Tochter nicht um Maßnahmen zur Verhütung von Erkrankungen nach § 187 Nr. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 der Satzung, sondern um eine notwendige Maßnahme der Krankenhilfe i. S. des § 182 Abs. 1 RVO. Der Widerspruch blieb erfolglos.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Vernehmung des Facharztes für Kieferorthopädie Dr. M. als Sachverständigen den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die gesamten Kosten der kieferorthopädischen Behandlung in Höhe von 850 DM zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der vom Gericht als Sachverständige gehörte Zahnarzt und Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten Dr. Dr. v. O. Schleswig, habe erklärt, bei der Tochter des Klägers hätten zur Zeit des Beginns ihrer zahnärztlichen Behandlung folgende Zahnstellungsanomalien vorgelegen: Kieferkompression, frontale Enge, Kreuzbiß 5±, mandibuläre Mittenabweichung, Tiefbiß rechts distal. Kaufunktionsstörungen seien bei Beginn der Behandlung bereits vorhanden gewesen und wären bei Nichtbehandlung noch vergrößert worden. Andere Zahn-, Mund- oder Kiefererkrankungen hätten dagegen bei Beginn der Behandlung nicht vorgelegen und seien auch nicht als medizinische Folgekrankheiten im Zusammenhang mit der Kiefer- und Zahnstellungsanomalie festzustellen gewesen. Die genannten Kiefer- und Zahnstellungsanomalien stellten – der neuen Rechtsprechung des Senats folgend – eine Krankheit dar, nämlich einen regelwidrigen Körper- und Geisteszustand. Zwar verursache diese Krankheit noch keine Schmerzen und Beschwerden. Auch seien keine akuten Erkrankungen anderer Organe aufgetreten; aber durch eine ärztliche Frühbehandlung hätte eine wesentliche Besserung oder gar Beseitigung des Leidens erzielt und einer Parodontose vorgebeugt werden können. Durch die Gutachten der zahnmedizinischen Sachverständigen sei die Notwendigkeit von kieferorthopädischen Heilbehandlungen anerkannt worden. Das Maß des Notwendigen sei bei der kieferorthopädischen Behandlung – unstreitig – nicht überschritten worden. Daher sei der Anspruch des Klägers begründet.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, bei der Tochter des Klägers hätten lediglich Fehlbildungen des Gebisses vorgelegen, jedoch kein krankhafter Befund. Deswegen sei nur § 187 Nr. 4 RVO anwendbar. Für den Fall, daß die Kieferanomalie als Krankheit angesehen und der Kostenanspruch des Klägers im Prinzip für begründet gehalten werde, sei die Beklagte nicht die richtige Adressatin für einen solchen Anspruch. Die den Krankenkassen nach § 182 RVO obliegende kassenzahnärztliche Versorgung hätten die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen nach § 368 n Abs. 1 RVO sicherzustellen. Es sei bisher ungeklärt, ob die Kassenzahnärzte oder sonstige zur kassenzahnärztlichen Versorgung berechtigte Ärzte in Kiel überhaupt bereit gewesen wären, eine Kieferanomalie auf Krankenschein zu behandeln. Es läge deswegen ein Notstand vor, so daß die Vorschriften über die Notfallbehandlung entsprechend anwendbar seien. Die Kosten für eine solche Behandlung würden aber mit der Zahlung der Gesamtvergütung mit für die Krankenkasse befreiender Wirkung abgegolten. Demgemäß könne ein Versicherter seinen Anspruch auf Ersatz der für die Behandlung aufgewendeten Kosten nicht gegenüber der Krankenkasse, sondern nur gegenüber der für die Sicherstellung der kassenzahnärztlichen Versorgung zuständigen Kassenzahnärztlichen Vereinigung geltend machen.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 19. August 1971 sowie das Urteil des SG Kiel vom 21. Oktober 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise,

    den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO i.V.m. § 205 RVO haben Versicherte für bestimmte unterhaltsberechtigte Angehörige Anspruch auf Krankenpflege, die u. a. ärztliche und zahnärztliche Behandlung umfaßt, vom Beginn der Krankheit an. Voraussetzung für den Anspruch auf Krankenpflege ist mithin eine Krankheit. Die RVO selbst enthält keine Legaldefinition dieses Rechtsbegriffs.

Im zahnmedizinischen Bereich ist nach § 1 Abs. 2 des Zahnheilkundegesetzes (ZHG) vom 31. März 1952 (BGBl I 221) Krankheit jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen. Wie der Senat jedoch in BSG 11, 102, 111 f ausgeführt hat, verfolgt diese Vorschrift einen anderen Zweck als die Bestimmungen der RVO. Diese weite Fassung des ZHG kann mithin nicht auf den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung übertragen werden. Es ist vielmehr von dem Krankheitsbegriff der RVO auszugehen.

Im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts – RVA – (AN 1916, 341; 1920, 319; 1937, IV 265), die der des Preußischen Oberverwaltungsgerichts entspricht (PreußVerwBl Jahrgang 23, 602), hat der Senat als Krankheit einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand angesehen, der ärztlicher Behandlung bedarf oder – zugleich oder ausschließlich – Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (BSG 13, 134; 26, 240; 30, 151). Als regelwidrig hat der Senat einen Körperzustand beurteilt, der von der durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägten Norm abweicht (BSG 26, 240, 242). Der seinerseits nicht leicht zu umschreibende Begriff der „Gesundheit” ist dabei für die Rechtspraxis ausreichend mit dem Zustand gleichzusetzen, der dem Einzelnen die Ausübung der körperlichen Funktionen ermöglicht (vgl. BSG 30, 151, 153).

Von der Funktionstauglichkeit her ist daher auch der Krankheitswert von Kiefer- und Zahnanomalien zu beurteilen. Nicht jede Abweichung von der morphologischen Idealnorm des Gebisses der Kiefer sowie des Mundes und Rachenraumes stellt schon eine „Regelwidrigkeit” im Sinne des aufgezeigten Krankheitsbegriffs dar. Kann jedoch der Kiefer eine seiner wesentlichen Funktionen, nämlich das Beißen, Kauen und Artikulieren der Sprache nicht in befriedigendem Umfang erfüllen, liegen also Funktionsstörungen vor, dann ist ein regelwidriger Körperzustand gegeben.

Eine Krankheit im Rechtssinn (so RVA u. a. in AN 1936, GE 4992, S. IV 332, 1937, GE 5115 S. IV 265) oder eine Krankheit im Sinne der Krankenversicherung (so RVA in AN 1920, 320) liegt allerdings nur vor, wenn der regelwidrige Körperzustand einer Behandlung bedarf. Diese Behandlungsbedürftigkeit hat der Senat dann bejaht, wenn ein regelwidriger Körperzustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, mindestens aber gebessert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern (BSG 13, 134; 26, 240, 243; 28, 114, 115).

Hiernach entfällt das Bedürfnis nach Behandlung, wenn begründete Aussicht besteht, daß die gestörte Körperfunktion sich auch ohne ärztliche Hilfe normalisiert. Eine Kiefer- oder Zahnstellungsanomalie ist somit nicht behandlungsbedürftig, wenn eine Selbstregulierung der Fehlstellung der Zähne hinreichend wahrscheinlich ist.

Besteht diese begründete Aussicht aber nicht, so erfordert die Anomalie zahnärztliche Behandlung schon dann, wenn auf diese Weise die Beeinträchtigung einer oder mehrerer der genannten Funktionen des Kiefer- und Zahnsystems ganz oder teilweise behoben werden kann. Das Ziel der Herstellung oder Wiederherstellung der Funktionstauglichkeit rechtfertigt bereits für sich allein das Behandlungsbedürfnis.

Regelmäßig wird daneben auch der Gefahr von Verschlimmerungen begegnet werden müssen, sei es, daß sich unbehandelt die Funktionsstörung immer stärker ausprägt, sei es, daß sich Folgeerkrankungen, wie Parodontose oder Störungen im Magen- und Darmtrakt einstellen. Entgegen der Meinung der Beklagten und einer auch sonst vielfach vertretenen Auffassung darf die zahnärztliche Behandlung in einem solchen Falle nicht als eine nur vorbeugende Maßnahme „zur Verhütung von Erkrankungen” im Sinne des § 187 Nr. 4 RVO angesehen werden. Vielmehr ist bei diesem Sachverhalt die Erkrankung bereits eingetreten. Die Gefahr der Verschlimmerung verstärkt nur noch das Bedürfnis nach Behandlung, das schon aus dem Gesichtspunkt der Herstellung der Funktionstauglichkeit begründet ist. Dabei muß eine Verschlimmerungsgefahr nicht in der Weise „unmittelbar” drohen, daß ohne sofortige Behandlung mit dem alsbaldigen Eintritt einer wesentlichen Verschlimmerung zu rechnen ist. Das Leiden braucht dem Betroffenen auch (noch) keine besonderen Schmerzen oder Beschwerden zu bereiten, es genügt vielmehr, daß es sich unbehandelt wahrscheinlich verschlimmern wird und daß dem Eintritt einer solchen Verschlimmerung am besten, d. h. mit der größten Aussicht auf Erfolg, durch eine möglichst frühzeitige Behandlung entgegengewirkt wird (BSG 30, 151, 153 mit weiteren Nachweisen u. a. auch Bayer. LSG in Breith. 1968, 725, wo die kieferorthopädische Frühbehandlung vor dem Eintritt von Beschwerden zur Verhinderung einer Verschlimmerung als Krankenpflege im Sinne der RVO angesehen wird).

Zur Prüfung der Wahrscheinlichkeitsprognose sind alle Umstände des Einzelfalles zu verwerten, insbesondere statistische Erkenntnisse über die Entwicklung bestimmter Anomalien, Dispositionen in der Person des Patienten, die eine Verschlimmerung begünstigen oder ihr entgegenstehen, und bedeutsame Umstände in der Familie (so zutreffend Schlüter, SGb 1971, 465, 470). Ist eine Behandlungsbedürftigkeit im oben genannten Sinne gegeben, so ist die zahnärztliche Behandlung im Sinne des § 182 Abs. 2 RVO notwendig. Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte ist die kieferorthopädische Behandlung als Sachleistung zu gewähren.

Inwieweit die „Ergänzung der Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung” vom 23. August 1971 (Bundesanzeiger 1972 Nr. 167 S. 1), die vom Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen beschlossen und vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung am 25. August 1972 bekanntgegeben wurde, den vorstehend entwickelten Rechtsgrundsätzen entspricht und insbesondere den Kreis der Kiefer- und Zahnfehlstellungen mit Krankheitswert richtig abgrenzt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Abgesehen davon, daß diese Richtlinien den vorliegenden Sachverhalt schon deswegen nicht erfassen, weil die kieferorthopädische Behandlung des Kindes des Klägers vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossen war, sind sie auch nicht in der Lage, das gesetzliche Leistungsrecht der RVO zu ändern (vgl. dazu Schlüter aaO S. 471 unter Hinweis auf Langkeit in Pharmazeutische Zeitung 1970, 1450). Den Richtlinien zur Sicherung der kassenzahnärztlichen Versorgung kommt keine normative Bedeutung zu (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt BSG 6, 252, und Urt. v. 30. September 1966 in SozR Nr. 18 zu § 35 BVG mit weiteren Nachweisen, sowie BSG in SozR Nr. 5 zu § 5 VwZG). Sie sind insofern von Bedeutung, als sich die Verwaltung dadurch selbst bindet, d. h. wenn die in den Richtlinien genannten Kieferanomalien vorliegen, ist die Kasse auf jeden Fall verpflichtet, kieferorthopädische Maßnahmen als Sachleistung gem. § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO zu gewähren.

Nach den Feststellungen des LSG, die sich auf Sachverständigengutachten stützen, lagen bei der Tochter des Klägers Kaufunktionsstörungen vor, die sich ohne Behandlung noch vergrößert hätten. Sie waren mithin behandlungsbedürftig. Daß bei der Behandlung das Maß des Notwendigen überschritten worden ist, behauptet die Beklagte selbst nicht.

Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die kieferorthopädische Behandlung seiner Tochter. Er hat sie nur deswegen selbst erbracht, weil sich die Beklagte infolge unrichtiger Beurteilung der Rechts- und Sachlage zu unrecht geweigert hat, sie von sich aus zu erbringen. Er hat also etwas geleistet, das an sich die Beklagte hätte leisten müssen.

Die Beklagte meint nun, nicht sie sei die richtige Adressatin für den Anspruch des Klägers, sondern die Kassenzahnärztliche Vereinigung: Es hätten nämlich die Voraussetzungen für eine Notfallbehandlung (§ 368 d Abs. 1 Satz 2 RVO) vorgelegen, da kein zur kassenzahnärztlichen Versorgung bereiter Zahnarzt oder Kieferorthopäde im zumutbaren Umkreis vorhanden gewesen sei. Dieser Ansicht der Beklagten vermochte der Senat nicht zu folgen.

In seinem Urteil vom 24. Mai 1972 (SozR Nr. 6 zu § 368 d RVO) hat der Senat es offen gelassen, ob der Begriff des Notfalls auf Sachverhalte auszudehnen sei, die dadurch gekennzeichnet seien, daß eine bestimmte Behandlung – etwa wegen ihrer Neuartigkeit, Aufwendigkeit oder Schwierigkeit – durch einen Kassenarzt (noch) nicht erfolgen könne, wohl aber durch einen anderen, nicht zugelassenen, möglicherweise sogar im Ausland praktizierenden Arzt. Jedenfalls läge ein Notfall dann nicht vor, wenn die fragliche Behandlung objektiv auch durch einen Kassenarzt möglich gewesen sei.

Welche Folgerungen aus der ausnahmsweisen Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Arztes für die Frage zu ziehen sind, wer die Kosten einer solchen ärztlichen Behandlung zu tragen hat, braucht hier nicht erörtert zu werden; insbesondere kann offen bleiben, ob der in BSG 19, 270, 272 ausgesprochene Grundsatz, daß sich der Anspruch des Versicherten auf Ersatz seiner Aufwendungen für eine Notfallbehandlung gegen die Kassenärztliche Vereinigung richtet, nach Umstellung der Gesamtverträge auf Berechnung der Gesamtvergütung nach Einzelleistungen nicht zugunsten einer unmittelbaren Inanspruchnahme der Krankenkasse aufgegeben werden muß. Mit der in § 368 d Abs. 1 Satz 2 RVO geregelten Notfallsituation hat der Gesetzgeber jedenfalls nicht den hier vorliegenden Sachverhalt gemeint, daß die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zur Erbringung zahnärztlicher Behandlung als Sachleistung (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO) und die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen zur Erfüllung ihres Auftrags, die zahnärztliche Versorgung sicherzustellen (§ 368 n Abs. 1 Satz 1 RVO), auf einem bestimmten Teilgebiet nur unzulänglich imstande sind, und zwar in erster Linie deswegen, weil eine Gruppe geeigneter Zahnärzte bzw. Kieferorthopäden zur Mitwirkung an der kassenzahnärztlichen Versorgung überhaupt nicht oder nur unten bestimmten Voraussetzungen bereit ist. Diese Störung betrifft nicht einen einzelnen Notfall, sondern das System der kassenzahnärztlichen Versorgung. Bis zu ihrer Behebung sind die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung dem Versicherten gegenüber jedenfalls verpflichtet, diesen mit geeigneten Maßnahmen soweit wie möglich in den Genuß der kassenzahnärztlichen Versorgung zu bringen, auf die er Anspruch hat. Abgesehen von solchen Hilfen wie Beratung und Unterrichtung der Versicherten über das Vorhandensein von Zahnärzten, die kieferorthopädische Behandlungen im Rahmen der kassenzahnärztlichen Versorgung in einer für den Versicherten zumutbaren Entfernung zu übernehmen bereit sind, gehört hierzu die Übernahme – notfalls der Ersatz – der Kosten der kieferorthopädischen Behandlung, wenn diese nach Lage des Falles nur von einem Zahnarzt, der nicht an der kassenzahnärztlichen Versorgung mitwirkt, übernommen werden kann.

Demnach war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Unterschriften

Dr. Langkeit, Spielmeyer, Schroeder-Printzen.

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 20.10.1972 durch Schäfers RegHauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 707767

BSGE, 10

NJW 1973, 582

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