EuGH, Urteil vom 22.6.2023, C 427/21

Die Leiharbeitsrichtlinie gilt nicht für Dauerarbeitsverhältnisse. Arbeiten Beschäftigte somit aufgrund Personalgestellung gem. § 4 Abs. 3 TVöD bei einem Dritten, liegt keine Leiharbeit vor.

Sachverhalt

Die Beklagte ist die ALB FILS Kliniken GmbH; diese betreibt eine Klinik, deren einziger Gesellschafter eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Seit April 2000 ist der Kläger dort beschäftigt.

Im Juni 2018 gliederte die Beklagte die Bereiche "Poststelle", "Archiv" und "Bibliothek" sowie die in diesen Bereichen vom Kläger wahrgenommenen Aufgaben auf eine von ihr gegründete Service-GmbH aus. Aufgrund dessen wäre grds. das zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis auf die Service-GmbH übergegangen. Allerdings hatte der Kläger von seinem Recht Gebrauch gemacht, dem Übergang dieses Arbeitsverhältnisses gem. § 613a Abs. 6 BGB zu widersprechen, s dass er weiterhin bei der Beklagten beschäftigt blieb.

Die Beklagte stellte den Kläger daraufhin gem. § 4 Abs. 3 TVöD der Service-GmbH dauerhaft zur Verfügung (Personalgestellung).

Der Kläger, der die Auffassung vertrat, dass diese Regelung gegen das Unionsrecht und insbesondere gegen die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104 verstoße, erhob Klage auf Feststellung, dass er trotz der Verlagerung seines Aufgabenbereichs nicht verpflichtet sei, seine Arbeitsleistung dauerhaft bei der Service-GmbH zu erbringen.

Während das ArbG und LAG die Klage abwiesen, setzte das BAG das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor (16.6.2021, 6 AZR 390/20).

Die Entscheidung

Der EuGH entschied, dass Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b bis e der Leiharbeitsrichtlinie nicht auf Situationen wie die vorliegende anwendbar sei, wenn die Aufgaben eines Arbeitnehmers endgültig, d. h. dauerhaft, von seinem Arbeitgeber zu einem Drittunternehmen verlagert werden und dieser Arbeitnehmer auf Verlangen des Arbeitgebers verpflichtet sein kann, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft bei dem Drittunternehmen zu erbringen.

Der EuGH begründete dies damit, dass es Voraussetzung dafür, dass ein Arbeitsverhältnis in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie fällt, sei, dass der Arbeitgeber sowohl bei Abschluss des Arbeitsvertrags als auch bei jeder der tatsächlich vorgenommenen Überlassungen die Absicht hatte, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen – nur -vorübergehend zur Verfügung zu stellen.

Im vorliegenden Fall war der Kläger jedoch ursprünglich zur Erledigung von Aufgaben des Beklagten eingestellt worden, welcher bei Abschluss des Arbeitsvertrags nicht die Absicht hatte, ihn einem entleihenden Unternehmen zur Verfügung zu stellen und auch die Überlassung nicht nur vorübergehend war.

Weiter begründete der EuGH seine Entscheidung damit, dass der vorliegende Sachverhalt nicht mit der Situation eines Leiharbeitnehmers vergleichbar sei, so dass hierauf der in der Leiharbeitsrichtlinie vorgesehene Schutz der Leiharbeitnehmer nicht anwendbar sei; denn das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers, dessen Aufgaben verlagert wurden, bestehe fort und zudem könne der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf das Drittunternehmen widersprechen, mit der Folge, dass ihm sämtliche Arbeitsbedingungen erhalten blieben, die für ihn vor der Verlagerung seiner Aufgaben galten.

Anmerkung:

Die 2. Vorlagefrage des BAG betraf die der Europarechtskonformität des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG. Hiernach ist das AÜG in weiten Teilen nicht auf die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Arbeitgebern anwendbar, wenn "auf Grundlage eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes das bisherige Arbeitsverhältnis fortbesteht, die Arbeit aber künftig bei dem anderen Arbeitgeber erbracht wird". Da die Personalgestellung jedoch nach obigem Urteil keine Leiharbeit darstellt, kam es auf die Beantwortung dieser Frage nun nicht mehr an.

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