Entscheidungsstichwort (Thema)

Streichung von Stunden aus Arbeitszeitkonto bei arbeitsunfähiger Erkrankung des Arbeitnehmers im Rahmen einer billigem Ermessen entsprechenden Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Anspruch auf Arbeitszeitausgleich wird bereits durch die Freistellung von der Arbeitspflicht erfüllt; der Arbeitnehmer ist in diesem Fall nicht mehr verpflichtet, im Freistellungszeitraum die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, sondern kann über diesen Zeitraum frei verfügen, ohne dass die Pflicht der Arbeitgeberin zur Zahlung der entsprechenden Vergütung entfällt.

2. Eine nachträglich eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Freistellungszeitraum macht die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig.

3. Das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können, trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer; die Arbeitgeberin ist nicht zur Nachgewährung der durch Krankheit "verlorenen" Überstunden verpflichtet.

4. Haben die Arbeitsvertragsparteien ein Arbeitszeitkonto vereinbart, ist die Arbeitgeberin berechtigt, die auf dem Arbeitszeitkonto angesammelten Stunden durch bezahlte Freizeit auszugleichen; die Festlegung des Freizeitausgleichs kann mit Zustimmung des Arbeitnehmers erfolgen oder von der Arbeitgeberin im Rahmen ihres Weisungsrechts auch einseitig angeordnet werden.

5. Im Rahmen einer Weisung zur Verteilung der Arbeitszeit im Sinne des § 106 Satz 1 GewO kann mit der Bestimmung der Zeit der Arbeitsleistung zugleich auch die Zeit bestimmt werden, während derer ein Arbeitnehmer keine Arbeit zu leisten hat; beide Festlegungen unterliegen dem Weisungsrecht der Arbeitgeberin nach § 106 Satz 1 GewO, so dass die Arbeitgeberin die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht im Einzelnen nach Zeit, Art und Ort nach billigem Ermessen im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB bestimmen kann.

6. Die Grenzen billigen Ermessens nach § 106 Satz 1 GewO und § 315 Abs. 3 BGB sind gewahrt, wenn die Arbeitgeberin nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein berechtigtes Interesse daran hat, die auf dem Arbeitszeitkonto angesammelten Überstunden des Arbeitnehmers durch bezahlte Freistellung auszugleichen, und diesem Interesse am Abbau des Zeitguthabens lediglich das Interesse des Arbeitnehmers an der Vergütung von insgesamt 472 Überstunden gegenübersteht, obwohl er in der Zeit vom 10.09. bis 05.12.2014 bezahlt freigestellt worden ist und darüber hinausgehende Umstände oder schutzwürdige Belange nicht dargelegt hat.

 

Normenkette

BGB § 315 Abs. 3, § 611; GeWO § 106; BGB § 611 Abs. 1; GewO § 106 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Trier (Entscheidung vom 10.06.2015; Aktenzeichen 5 Ca 1273/14)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 10. Juni 2015, Az. 5 Ca 1273/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Berechtigung der Beklagten, in ein Arbeitszeitkonto eingestellte Stunden zu streichen, obwohl der Kläger arbeitsunfähig erkrankt war.

Der 1962 geborene Kläger ist seit 01.12.2007 bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, als Industriemechaniker im zu einem Bruttomonatslohn von € 1.400,00 in Teilzeit angestellt. Seine monatliche Arbeitszeit beträgt 90 Stunden. Im schriftlichen Arbeitsvertrag ist ua. folgendes geregelt:

"§ 9 Auflösung des Arbeitsverhältnisses

1. ...

2. Das Arbeitsverhältnis kann mit einer Frist von 6 Wochen zum Quartalsende gekündigt werden.

3. ...

4. Nach Zugang der Kündigung ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeitnehmer unter Fortzahlung seiner Vergütung mit sofortiger Wirkung von der Arbeit freizustellen."

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10.09. ordentlich zum 31.12.2014. Der Kläger erhob am 01.10.2014 eine Kündigungsschutzklage, außerdem verlangte er Überstundenvergütung für 472 Überstunden. Nachdem sich eine gütliche Einigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erzielen ließ, nahm die Beklagte die Kündigung mit Schriftsatz vom 04.12.2014 zurück und erklärte, dass sie aus ihr keine Rechte mehr herleite. Gleichzeitig forderte sie den Kläger auf, seine Arbeit umgehend wieder aufzunehmen. Der Kläger behielt sich mit Schriftsatz vom 29.12.2014 zunächst vor, einen Auflösungsantrag zu stellen, nahm die Kündigungsschutzklage jedoch im Kammertermin vom 21.01.2015 zurück. Der Kläger ist seit 13.11.2014 ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Die Beklagte stellte den Kläger unmittelbar nach Übergabe des Kündigungsschreibens am 10.09.2014 unter Fortzahlung seiner Vergütung, jedoch unter Anrechnung der Guthabenstunden auf seinem Arbeitszeitkonto und seines Urlaubs frei. Mit Schreiben vom 13.11.2014 stellte sie vorsorglich nochmals klar, dass der Kläger unter Anrechnung seiner Guthabenstunden auf dem Arbeitszeitk...

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