Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtraucherschutz durch einstweilige Verfügung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Arbeitgeber ist aufgrund seiner Organisations- und Fürsorgepflicht nicht nur gehalten, die Arbeitsräume und Arbeitsgeräte in zumutbarem Rahmen gesundheitsverträglich zu gestalten. Er muß aufgrund seiner Schutzpflicht gegenüber seinen Mitarbeitern in zumutbarem Rahmen auch dafür Sorge tragen, daß die Arbeitnehmer des Betriebs gegen von anderen Mitarbeitern ausgehende oder doch ernsthaft zu besorgende Gefahren für Leib und Gesundheit geschützt werden. Zu den danach u.U. gebotenen Schutzmaßnahmen kann auch ein zur Abwendung nennenswerter Gesundheitsgefahren gebotener Schutz gegen "Passivrauchen" gehören.

2. Eine Pflicht zur Abhilfe durch geeignete Maßnahmen kann weiter auch gegenüber bloß belästigenden Einflüssen von Tabakrauch dadurch begründet werden, daß der Arbeitgeber eine Beschwerde des Arbeitnehmers gemäß § 84 Abs 2 BetrVG als berechtigt anerkennt oder die Einigungsstelle gemäß § 85 Abs 2 BetrVG auf Antrag des Betriebsrats eine solche Beschwerde für berechtigt erachtet hat.

3. Beruht die grundsätzliche Beeinträchtigung durch "Passivrauchen" allein auf einer außergewöhnlichen, im persönlichen Lebens- und Risikobereich des Arbeitnehmers liegenden Überempfindlichkeit gegen Einflüsse von Rauch, Staub und dergleichen, so kann zwar auch insoweit eine gesteigerte Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers in Betracht kommen, der Arbeitgeber ist jedoch regelmäßig nicht gehalten, über die üblichen und bei normalem Gesundheitszustand ausreichenden Schutzmaßnahmen hinaus den Arbeitsplatz durch aufwendige bauliche oder sonstige kostspielige technische Einrichtungen an die reduzierten Fähigkeiten eines einzelnen Arbeitnehmers anzupassen.

4. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit von außergewöhnlichen Schutzmaßnahmen kann auch von Bedeutung sein, ob die gesundheitliche Beeinträchtigung auf betrieblichen Ursachen beruht oder vorwiegend oder ausschließlich auf Umständen im privaten Lebensbereich, etwa starkem früheren Nikotingenuß und der Gesundheit abträglicher privater Lebensgestaltung.

5. Soweit der Erlaß eines Rauchverbots nicht ausnahmsweise eine arbeitsnotwendige Maßnahme darstellt, ist der Arbeitgeber in Betrieben, für die ein Betriebsrat errichtet ist, nicht berechtigt, einseitig ein Verbot normalen Tabakrauchens während der Arbeitszeit aus Gründen des Schutzes für Nichtraucher ohne Einwilligung des Betriebsrats anzuordnen.

6. Jeder Arbeitnehmer muß im Rahmen einer betrieblichen Gemeinschaft normale und übliche Beeinträchtigungen, wie sie das Zusammenleben und die Zusammenarbeit einer größeren Anzahl von Menschen unterschiedlicher Art mehr oder minder unvermeidlich mit sich bringen, hinnehmen. Es ist Aufgabe der betriebsverfassungsrechtlichen Organe, einen angemessenen Ausgleich unterschiedlicher Wünsche und Belange innerhalb der Belegschaft durch kollektive Regelungen zu gewährleisten. Übertriebene Rechthaberei und Intoleranz haben dabei gegenüber dem Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit zurückzutreten, das auch im Verhältnis der Mitarbeiter untereinander gilt.

7. Ist ein Arbeitnehmer aufgrund einer außergewöhnlichen gesundheitlichen Beeinträchtigung und Indisposition außerstande, die vertraglich übernommenen Arbeiten trotz normalen Anforderungen entsprechender Gestaltung des Arbeitsplatzes auf Dauer nicht ohne nennenswerte Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu verrichten, so liegt kein Annahmeverzug des Arbeitgebers vor, sondern ein Fall der dauernden Unmöglichkeit der Vertragserfüllung, der - falls schonendere Maßnahmen ausscheiden - zur Lösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung berechtigt. Ein Anspruch auf Lohnfortzahlung unter dem Gesichtspunkt des Arbeitgebers kommt nicht in Betracht.

 

Orientierungssatz

Hauptsacheverfahren: ArbG München, 22 Ca 13047/89, Berufung beim LArbG München unter 6 Sa 88/90.

 

Normenkette

BGB § 618; ZPO § 940; BetrVG §§ 23, 84 Abs. 1, § 85 Abs. 2, § 84 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 29.06.1990; Aktenzeichen 7 Ca 90/90)

 

Tenor

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München – AZ.: 7 Ga 90/90 – vom 29. Juni 1990 wird auf Kosten des Verfügungsklägers zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Der Verfügungskläger und nunmehrige Berufungskläger will mit seinem Antrag und nun – nach den Verfügungsantrag zurückweisendem Ersturteil – mit seiner Berufung bis zu einer abschliessenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren im Wege der einstweiligen Verfügung erreichen, daß

die Verfügungsbeklagte und nunmehrige Beklagte des Rechtsmittelverfahrens ihn unter Fortzahlung des Gehalts von seiner Arbeit im Arbeitsraum … freistellt, soweit sie pro Arbeitstag über 4 Stunden hinausgeht,

a) bis zur Rechtskraft eines Urteils erster Instanz bzw. bis zur Verkündung eines Urteils des Berufungsgerichts im Hauptsacheverfahren (22 Ca 13047/89),

b) längstens jedoch bis

aa) im Arbeitsraum … durch ein Rauchverbot oder durch technische oder organisatorische Maßnahmen sichergestellt...

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