Entscheidungsstichwort (Thema)

Räumlich weite Entfernung i. S. des § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Betriebsstätte räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist (§ 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG), ist neben den konkreten Verkehrsverhältnissen und der Zahl der in dem Betriebsteil tätigen Arbeitnehmer (vgl. LAG Köln Beschluß v. 28.06.1988 – 2 TaBV 42/88 – LAGE § 4 BetrVG 1972 Nr. 4; a. A. BAG Beschluß v. 29.03.1977 – 1 ABR 31/76 – AuR 1978, 254) auch zu berücksichtigen, ob zwischen den Mitarbeitern des Hauptbetriebes und denen in dem räumlich entfernten Betriebsteil eine echte Betriebsgemeinschaft besteht bzw. erwartet werden kann (vgl. BAG Beschluß v. 24.02.1976 – 1 ABR 62/75 – EzA § 4 BetrVG 1972 Nr. 1). Ist dieses nicht der Fall, bleibt der räumlich entfernte Betriebsteil betriebsratsfähig, weil er dann weit entfernt ist im Sinne des § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 4 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Oberhausen (Beschluss vom 19.01.1995; Aktenzeichen 10 BV 53/94)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 19.01.1995 – 1 BV 53/94 – abgeändert und der Antrag des Arbeitgebers zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

A

Die Antragstellerin (nachfolgend: Arbeitgeber) ist ein Unternehmen auf dem Gebiet der Kraftwerkstechnik mit Sitz in O.. Der Geschäftsbereich umfaßt den Kraftwerks- und Anlagenbau von der Projektierung bis zur Inbetriebnahme.

Im Betrieb O. beschäftigt der Arbeitgeber heute etwa 2.430 Mitarbeiter; es existiert ein Betriebsrat.

Antragsgegner ist der im Werk F. des Arbeitgebers gewählte Betriebsrat (nachfolgend: Betriebsrat).

Mit dem vorliegenden Beschlußverfahren verfolgt der Arbeitgeber die Feststellung, daß ihr Werk in F-. ein unselbständiger Betriebsteil des Werkes in O. ist.

Bis vor sechs Jahren war das Werk in F. die größte Fertigungsstätte der D. B. W. AG und der größte Hersteller von Kraftwerksanlagen in Europa. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation wurde das Werk F. in den letzen Jahren stark verkleinert. Ab Frühjahr 1994 wurde der Maschinen- und Aggregatebau einschließlich des Mühlenbaus von F. nach O. verlagert und die Belegschaft in F. erheblich reduziert. Im Werk F. findet zur Zeit nur noch die sog. Druckteilfertigung statt, die organisatorisch dem Geschäftsbereich „Dampferzeuger” in O. zugeordnet ist. Die Bedeutung des Standortes F. ist erheblich gesunken. Der Personalbestand sank von 875 Mitarbeitern am 01.08.1992 auf 282 Mitarbeiter am 01.01.1995.

Mit Wirkung zum 01.10.1994 ist das Personalwesen für das Werk F. nach O. verlegt worden. Um schneller und kostengünstiger zu werden, hat der Arbeitgeber ein Auftragszentrum in O. geschaffen, in dem alle Bereiche, die mit einem Projekt zu tun haben, beginnend mit der Projektierung, über Konstruktion, Materialwirtschaft, Fertigung, Montage bis zum kaufmännischen Service in einem Geschäftsfeld zusammengefaßt werden.

In vielfältiger Weise haben in der Vergangenheit Mitarbeiter des Werkes F. mit Arbeitnehmern des Werkes O. zusammengearbeitet. So wurden seit 1993 40 F. Mitarbeiter von O. angefordert, damit diese zusammen mit O. Mitarbeitern Aufträge auf verschiedenen Baustellen im Ausland im Bereich des Kraftwerksbaus ausführen konnten (sog. Expediting). Als noch der Mühlenbau vom Werk F. aus erfolgte, wurden seit Anfang 1994 über 40 gewerbliche Mitarbeiter des Werkes O. für Zeiträume von einigen Tagen bis zu drei Monaten im Betrieb F. eingesetzt. Darüber hinaus wurden und werden auch heute noch im Werk F. vor der Einstellung von Leiharbeitnehmern Mitarbeiter z. B. des Betriebes O. ausgeliehen, wobei sich die Zahl auf ständig fünf bis acht Mitarbeiter beschränkt.

In den Bereichen Qualitätswesen, bei der Planung von Prüfeinsätzen und in verschiedenen anderen Bereichen wurden und werden einzelne Mitarbeiter des Werkes O. zeitweise in F. eingesetzt.

Schlosser- und Schweißerlehrgänge werden sowohl im Betrieb O. als auch im Werk F. durchgeführt. Andere Lehrgänge wie z. B. PC-Kurse werden zum Teil in O., andere wiederum durch externe Anbieter durchgeführt. Der Arbeitgeber behauptet, an diesen externen Weiterbildungsmaßnahmen würden ausschließlich ihre Mitarbeiter teilnehmen; demgegenüber trägt der Betriebsrat vor, auch Mitarbeiter anderer Unternehmen würden diese Seminare besuchen.

In der Zeit vom 01.01.1994 bis zum 01.07.1995 gab es bei dem Arbeitgeber zwischen 129 und 270 Auszubildende. Die ursprünglich in F. vorhandene Ausbildungswerkstatt wurde im August 1993 aufgelöst. Die Ausbildung der gewerblichen Mitarbeiter ist seit diesem Zeitpunkt in O. zentralisiert, wobei sie regelmäßig abschnittsweise in F. ausgebildet werden. In F. werden noch technische Zeichner ausgebildet. Seit 1995 gibt es keine kaufmännischen Auszubildenden mehr in F..

Für die Betreuung der F. Mitarbeiter erfolgen regelmäßig Besuche von Mitarbeitern des Personalwesens in F.. Darüber hinaus sind zur Durchführung der Aufträge ständige Abstimmungsgespräche zwisch...

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