Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 02.10.1991; Aktenzeichen L 6 Kg 1095/90)

SG Fulda (Urteil vom 18.10.1990)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. Oktober 1991 insgesamt und das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 18. Oktober 1990 insoweit aufgehoben, als darin die Bescheide der Beklagten vom 24. Mai 1989 und vom 1. August 1989 abgeändert bzw aufgehoben werden und die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin vom 1. Januar 1985 bis zum 30. September 1988 Kindergeld zu zahlen. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs Kindergeld über die zeitliche Grenze des § 9 Abs 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) hinaus rückwirkend für die Zeit von Januar 1985 bis September 1988 für ihre Tochter Jutta zu gewähren, weil sie es aufgrund eines Beratungsfehlers des Amtes für Ausbildungsförderung des Landkreises Fulda unterlassen hatte, rechtzeitig einen Antrag auf Kindergeld bei der Beklagten zu stellen.

Die Klägerin erfüllte ab August 1984 während des streitbefangenen Zeitraums die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld wegen eines Schulbesuches und einer anschließenden Fachhochschulausbildung ihrer Tochter. Das Kindergeld wäre auch nicht auf die der Tochter der Klägerin für den gleichen Zeitraum von dem Amt für Ausbildungsförderung gewährten Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) angerechnet worden, obwohl die Förderung der Ausbildung von dem Einkommen der Eltern abhängig war (§ 11 Abs 2 BAföG), weil das Einkommen der Klägerin einschließlich des gemäß § 21 Abs 3 Nr 3 BAföG anzurechnenden Kindergeldes den Freibetrag des § 25 BAföG nicht überstieg. Gleichwohl erhielt die Klägerin von einem Beamten des Amtes für Ausbildungsförderung im Jahre 1984 die Auskunft, es habe wenig Zweck, neben den Leistungen nach dem BAföG auch noch Kindergeld für ihre Tochter zu beantragen, weil dieses auf die Leistungen angerechnet werde.

Im April 1989 beantragte die Klägerin Kindergeld ab August 1984. Die Beklagte bewilligte daraufhin Kindergeld ab Oktober 1988 und lehnte einen weitergehenden Anspruch für die Vergangenheit unter Hinweis auf § 9 Abs 2 BKGG ab (Bescheid vom 24. Mai 1989, Widerspruchsbescheid vom 1. August 1989). Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin erstmals geltend, sie sei 1984 von einem Beamten des Amtes für Ausbildungsförderung bei der Beantragung von Leistungen nach dem BAföG für ihre Tochter unrichtig beraten worden und habe deshalb von der rechtzeitigen Stellung eines Antrages auf Kindergeld abgesehen.

Auf die gegen die Bescheide der Beklagten gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) den Widerspruchsbescheid vom 1. August 1989 aufgehoben, den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1989 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Kindergeld für die Zeit vom 1. Januar 1985 bis zum 30. September 1988 zu zahlen. Im übrigen (Zeitraum vom 1. August 1984 bis zum 31. Dezember 1984) hat es die Klage wegen des Verjährungseintritts gemäß § 45 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I) abgewiesen (Urteil des SG vom 18. Oktober 1990).

Die vom SG gemäß §§ 150 Nr 1, 151 (Sozialgerichtsgesetz) SGG zugelassene und von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil des LSG vom 2. Oktober 1991).

Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Kindergeld für den streitigen Zeitraum unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Die Klägerin habe die rechtzeitige Stellung eines Antrags auf Kindergeld aufgrund der unrichtigen Auskunft des Amtes für Ausbildungsförderung unterlassen. Dieses fehlerhafte Verhalten müsse sich die Beklagte auch zurechnen lassen. Es sei anerkannt, daß ein Beratungsfehler eines anderen Sozialleistungsträgers, der nicht für die konkrete Leistung zuständig sei, zu einem Herstellungsanspruch gegenüber dem zuständigen Leistungsträger führen könne. Zwar sei das Amt für Ausbildungsförderung keine zur Mitwirkung an dem Verfahren zur Gewährung des Kindergeldes berufene Behörde und daher auch in den Verwaltungsablauf der Beklagten nicht insoweit eingeschaltet, als es sich bei der Ausbildungsförderung um das Kindergeld selbst oder eine mit dem Kindergeld nach § 8 Abs 1 BKGG konkurrierende Leistung handele, jedoch gebe es zwischen den beiden Leistungen so enge Berührungspunkte, daß diese im Einzelfall doch in einem weiteren Sinne in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen könnten. Obwohl für das Amt für Ausbildungsförderung keine Beratungspflicht in Kindergeldangelegenheiten bestanden habe, sei eine Beratung wegen der Sachnähe der beiden Leistungen gleichwohl noch von der Zuständigkeit des Amtes für Ausbildungsförderung umfaßt. Die Beklagte habe daher für den Beratungsfehler dieser Behörde einzustehen und müsse die Klägerin so behandeln, als habe sie den Kindergeldantrag für den streitigen Zeitraum rechtzeitig gestellt.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 14 SGB I. Sie macht geltend, das LSG habe ihr zu Unrecht einen Beratungsfehler des Amtes für Ausbildungsförderung zugerechnet. Einzelne Berührungspunkte zwischen dem Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG und der Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem BAföG (§§ 21 Abs 3 Satz 3, 37 BAföG) rechtfertigten nicht die Schlußfolgerung, daß das Amt für Ausbildungsförderung in den Verwaltungsablauf der Beklagten eingeschaltet sei. Das Amt für Ausbildungsförderung sei auch nicht für eine Beratung der Klägerin als Elternteil der Antragstellerin zuständig gewesen, weil eine Beratungsverpflichtung allein in Fragen der Ausbildungsförderung bestanden habe, eine Fürsorgepflicht der Behörde zudem auch ausschließlich gegenüber der Tochter der Klägerin als Antragstellerin in Betracht komme. Die Voraussetzungen für einen Herstellungsanspruch gegen die Beklagte seien daher nicht erfüllt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. Oktober 1991 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 18. Oktober 1990 abzuändern und Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, der Herstellungsanspruch gegen die Beklagte rechtfertige sich bereits aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. Der zuständige Sozialleistungsträger müsse sich das fehlerhafte Handeln des unzuständigen Sozialleistungsträgers stets wie eigenes fehlerhaftes Handeln zurechnen lassen, was bereits aus dem Grundsatz der Einheit des Sozialrechts – § 2 Abs 2 SGB I – folge.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der beklagten Bundesanstalt ist begründet.

Die Berufung gegen das Urteil des SG war zulässig, weil das SG sie zugelassen hat.

Die Revision ist in der Sache erfolgreich. Die Beklagte hat sich zu Recht auf die gesetzliche Ausschlußfrist des § 9 Abs 2 BKGG berufen. Der Klägerin steht gegen die Beklagte über diese zeitliche Grenze hinaus ein Anspruch auf Kindergeld für die Vergangenheit nicht zu.

Die Berufung der Beklagten auf § 9 Abs 2 BKGG ist nicht rechtsmißbräuchlich (vgl dazu BSGE 48, 12 mwN), weil die versäumte Frist bei der Frage der Nachzahlung von Kindergeld für einen mehrjährigen Zeitraum nicht von geringer Bedeutung ist und bei einer auf die Vergangenheit bezogenen Sozialleistung auch keine langfristig wirksamen Interessen auf dem Spiel stehen.

Das geltend gemachte Kindergeld steht der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Zwar hat nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG, an die der Senat im Revisionsverfahren gebunden ist (§ 163 SGG), die Klägerin einen Antrag auf Kindergeld nur deshalb nicht rechtzeitig gestellt, weil sie aufgrund einer unzutreffenden Auskunft des Amtes für Ausbildungsförderung aus dem Jahre 1984 davon ausging, daß das Kindergeld ohnehin auf die Ausbildungsförderung ihrer Tochter angerechnet werde. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kann ein solcher Beratungsfehler der Beklagten aber nicht im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zugerechnet werden.

Ein Herstellungsanspruch gegen die zur Entscheidung berufene Behörde aufgrund eines Beratungsfehlers einer anderen Behörde steht dem Bürger nur dann zu, wenn diese andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit arbeitsteilig in das Verwaltungsverfahren eingeschaltet ist (BSGE 51, 89, 95; BSG SozR 1200 § 14 SGB I Nrn 18, 19, 28, 29; BSG vom 29. Oktober 1991 – 13/5 RJ 38/89 –). In Kindergeldangelegenheiten ist eine andere Behörde dann in das Verwaltungsverfahren eingeschaltet, wenn die von der anderen Behörde gewährte Leistung zu dem Kindergeld in einem Konkurrenzverhältnis steht, so daß sich aus der Verknüpfung beider Leistungen für die andere Behörde eine Fürsorge- und Beratungspflicht auch hinsichtlich des Kindergeldanspruchs ergibt. Ein solches Konkurrenzverhältnis besteht zwischen dem Kindergeld und den in § 8 BKGG genannten Leistungen (BSG SozR 1200 § 14 Nr 19).

So liegt der Fall hier jedoch nicht. Leistungen nach dem BAföG sind in § 8 BKGG nicht genannt. Sie sind den dort genannten Leistungen auch nicht vergleichbar. Nach der Ausgestaltung des Gesetzes werden Kindergeld und Ausbildungsförderung unabhängig voneinander gewährt und stehen daher gerade nicht derart in einem Konkurrenzverhältnis, daß der Bezug der einen Leistung die andere ausschließt. Aus diesem Grunde besteht auch keine Beratungspflicht für das Amt für Ausbildungsförderung hinsichtlich des Kindergeldanspruchs. Für eine Auskunftspflicht iS von § 15 SGB I ist es nicht die zuständige Stelle. Beide Leistungen entsprechen sich weder vom Zahlungsgrund her noch sind sie miteinander verknüpft. Während das Kindergeld, zumindest wenn es nicht an das Kind selbst gezahlt wird (§§ 1 Abs 2, 14 BKGG), ebenso wie der steuerliche Kinderfreibetrag dem Familienlastenausgleich dient, werden Leistungen nach dem BAföG zur Förderung einer bestimmten Ausbildung bedarfsabhängig direkt an das Kind gewährt und haben, wie die elternabhängige Förderung, bei der das Einkommen der Eltern im Rahmen der gesetzlichen Freibeträge angerechnet wird, zeigt, nicht die Entlastung der Familie zum Ziel. Die Ausbildungsförderung dient vielmehr der Verwirklichung der beruflichen Chancenfreiheit des Kindes als Ausfluß des Sozialstaatsprinzips des Art 20 Abs 1 Grundgesetz (GG). Aus der unterschiedlichen Zwecksetzung von Ausbildungsförderung und Kindergeld folgt, daß beide Leistungen nicht vom Gesetzgeber miteinander verknüpft sind und das Amt für Ausbildungsförderung daher nicht in das Verwaltungsverfahren zur Gewährung von Kindergeld arbeitsteilig eingeschaltet ist.

Eine Funktionseinheit der beteiligten Behörden kann auch nicht aus § 21 Abs 3 Satz 3 BAföG abgeleitet werden, wonach die Leistungen nach dem BKGG in Höhe der tatsächlich geleisteten Beträge als Einkommen im Sinne des BAföG angerechnet werden. Die Vorschrift stellt lediglich klar, daß das regelmäßig an die Eltern des Kindes gezahlte Kindergeld bei diesen wie jedes andere Einkommen zu behandeln ist. Nach Erreichen der Altersgrenze des § 2 Abs 2 BKGG wird das Kindergeld bei Kindern, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden deshalb weitergewährt, weil sie ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit noch nicht erreicht haben und deshalb für die Familie eine finanzielle Belastung darstellen (Wickenhagen-Krebs, BKGG, § 2 RdZiff 82). Die Eltern, die bereits eine staatliche Sozialleistung im Rahmen des Familienlastenausgleichs für die mit der Erziehung und Pflege ihres Kindes verbundenen Aufwendungen erhalten haben, sollen auch insoweit zur Unterhaltsgewährung an das Kind herangezogen werden, wie sie unter Einschluß des Kindergeldes leistungsfähig sind. Das Kind selbst ist in Höhe der Leistungsfähigkeit seiner unterhaltsverpflichteten Eltern wiederum nicht unterhaltsbedürftig im Sinne des BAföG.

Die Vorschrift des § 21 Abs 3 Satz 3 BAföG ist daher Ausdruck der Subsidiarität staatlicher Unterhaltsleistung zur Ausbildungsförderung gegenüber der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht von Verwandten des Kindes nach §§ 1603 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Kindergeld und Ausbildungsförderung sind daher keine zweckidentischen Leistungen. Eine gedankliche Einbeziehung der Ämter für Ausbildungsförderung in das Verwaltungsverfahren zur Gewährung von Kindergeld scheitert auch daran, daß beide Leistungen entsprechend ihrer unterschiedlichen Zweckbestimmung jeweils völlig andere Anspruchsvoraussetzungen haben. Sie sind der jeweils anderen Behörde nicht zwangsläufig bekannt. So kann beispielsweise das Amt für Ausbildungsförderung aufgrund der von ihm anzustellenden Ermittlungen nicht feststellen, ob der Antragsteller für sein Kind vorrangig kindergeldberechtigt iS des § 3 BKGG ist.

Der erkennende Senat hat für den insoweit vergleichbaren Fall einer Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers in Kindergeldangelegenheiten bereits entschieden (BSG SozR 1200 § 14 Nr 26), daß es zu weitgehend sei, eine Beratungspflicht auch in solchen Fällen zu bejahen, in denen die Kindergeldzahlung nicht mit einer Leistung aus der Rentenversicherung korrespondiert oder konkurriert, sondern nur neben einer Leistung aus der Rentenversicherung in Betracht kommen kann und von der Erfüllung weiterer dem Rentenversicherungsträger nicht zwangsläufig bekannter Umstände abhängt. Das Amt für Ausbildungsförderung hatte daher keinerlei Beratungspflicht hinsichtlich des Kindergeldanspruchs der Klägerin.

Eine Zurechnung der fehlerhaften Beratung des Amts für Ausbildungsförderung gegenüber der Beklagten kann auch nicht insoweit erfolgen, als sich das Amt für Ausbildungsförderung außerhalb seiner gesetzlichen Aufgabenzuweisung in das Verwaltungsverfahren der Beklagten zur Gewährung von Kindergeld tatsächlich eingeschaltet hat. Nach den Feststellungen des LSG hat nämlich der zuständige Beamte im Jahre 1984 der Klägerin nicht nur die von der Beratungsverpflichtung des § 41 Abs 3 BAföG gedeckte Auskunft erteilt, daß Kindergeld nach den Vorschriften des BAföG wie jedes andere Einkommen im Rahmen der gesetzlichen Freibeträge angerechnet werde, sondern darüber hinaus auch noch eine negative Empfehlung hinsichtlich der Stellung eines Kindergeldantrages abgegeben. Damit hat der Beamte die Grenzen seiner Zuständigkeit zur Beratung in Fragen der Ausbildungsförderung ohne Zweifel überschritten. Zwar erstreckt sich die Beratungspflicht nach dem BAföG auch auf Leistungs- oder Verfahrensgesetze, die das BAföG ergänzen oder unmittelbar den Gesetzesvollzug bestimmen (Rothe/ Blanke, Komm zum BAföG, 4. Aufl, Stand Juli 1989, § 41 Anm 10.1). Dies ist jedoch beim BKGG nicht der Fall. Für die Ausbildungsförderung ist das Kindergeld erst dann und nur insoweit von Interesse, als es der Kindergeldberechtigte tatsächlich bezieht.

Von einer Funktionseinheit mehrerer in den Verwaltungsablauf eingeschalteter Stellen kann dann nicht gesprochen werden, wenn sich eine Behörde außerhalb ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisung in das Verwaltungsverfahren einer anderen Behörde einschaltet und dabei einen Schaden verursacht; denn es fehlen auch dann die Voraussetzungen für die Mitwirkung am Verwaltungsverfahren (BSG vom 23. Februar 1988 – 12 RK 47/86 –, ErsK 1988, S 233 ff).

Unabhängig von der dogmatischen Begründung des Herstellungsanspruchs (als verschuldensunabhängige positive Forderungsverletzung, spezieller Folgenbeseitigungsanspruch oder materiell-rechtliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ≪vgl dazu Ladage, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, S 37, 40, 46 ff, 90 ff≫), kann ein Haftungsgrund mit Mitteln des Sozialrechts nur insoweit angenommen werden, als die zuständige Behörde selbst oder eine im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisung beteiligte andere Behörde durch ein fehlerhaftes Handeln beim Bürger einen Rechtsverlust herbeigeführt hat. Eine Ausweitung des Herstellungsanspruchs über diese Grenze hinaus würde letztlich zu einer Verzerrung der gesetzlichen Zuständigkeiten im gegliederten Sozialleistungssystem führen, mit der Folge, daß die Versichertengemeinschaft des einzelnen Sozialleistungsträgers wahllos für einen Fehler der öffentlichen Hand und umgekehrt einstehen müßte. Demgegenüber kann nicht angeführt werden, daß der letztlich im Wege des Herstellungsanspruchs zur Leistung herangezogene Sozialleistungsträger materiell-rechtlich ohnehin zur Gewährung der Sozialleistung verpflichtet gewesen wäre. Denn es ist Sache des Bürgers, seine sozialen Rechte durch eine Antragstellung bei dem zuständigen Leistungsträger geltend zu machen. Unterbleibt die für den Leistungsbezug notwendige Antragstellung, ohne daß der Leistungsträger oder eine andere eingeschaltete Behörde ihre Aufklärungs- und Beratungspflichten gegenüber dem Bürger verletzt hat, kann der Leistungsträger zu Recht davon ausgehen, daß der Berechtigte etwaige Ansprüche nicht geltend machen will. Daher ist auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit auf Seiten der Verwaltung zu berücksichtigen, die ihre Ausgaben einigermaßen verläßlich kalkulieren können muß. Die Klägerin ist daher wegen der fehlerhaften Beratung durch das Amt für Ausbildungsförderung auf den Amtshaftungsanspruch gemäß Art 34 GG, § 839 BGB zu verweisen. Hierfür ist jedoch nur der Zivilrechtsweg eröffnet.

Die verspätete Antragstellung kann hier nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiedereinsetzung überprüft werden. Durch § 9 Abs 2 BKGG hat der Gesetzgeber iS des § 27 Abs 5 SGB X die äußerste Grenze für die rückwirkende Gewährung des Kindergeldes bestimmt. Eine weitergehende Begünstigung eines Berechtigten läßt diese Norm nicht zu.

Die angefochtenen Urteile waren daher aufzuheben, soweit sie der Klage stattgegeben haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 217

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