Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Streitig ist der Anspruch des 1910 geborenen Klägers auf Entschädigung wegen eines Unfalls, den er während einer stationären Behandlung erlitten hat.

Der Kläger ist als Rentner Mitglied der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Bielefeld, die ihm vom 27. September 1976 an wegen Verdachts auf Herzinfarkt stationäre Behandlung in der Medizinischen Klinik der Krankenanstalten "Sarepta" in Bethel gewährte. Dort verunglückte er am 6. Oktober 1976 morgens um 6.30 Uhr in seinem Krankenzimmer, nachdem er einen Fuß zum Waschen in ein hoch angebrachtes Waschbecken gestellt hatte; er glitt aus, fiel zu Boden und zog sich dadurch einen Stauchungsbruch des 1. Lendenwirbelkörpers zu.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 14. Juni 1977 eine Entschädigung ab, weil die körperliche Reinigung einem Bedürfnis zur allgemeinen Hygiene entspreche und deshalb ausschließlich dem unversicherten privaten Lebensbereich zuzurechnen sei; es fehle deshalb an dem ursächlichen Zusammenhang mit der stationären Behandlung (§ 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a der Reichsversicherungsordnung -RVO-).

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat den Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. Oktober 1976 Entschädigung zu gewähren. In den Entscheidungsgründen ist u.a. ausgeführt: Ein Arbeitsunfall i.S. des § 548 RVO i.V.m. § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO liege vor, obwohl die unfallbringende Tätigkeit - das Waschen der Füße - grundsätzlich nicht typisch oder wesentlich für eine stationäre Behandlung sei. Denn hier habe sich beim Waschen der Füße im Waschbecken des Krankenzimmers ein besonderes Gefahrenmoment des Klinikaufenthalts verwirklicht und den Unfall wesentlich mitverursacht (Urteil vom 6. April 1978).

Die Beklagte hat die vom SG im Urteil zugelassene Sprungrevision eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Das angefochtene Urteil sei schon deshalb aufzuheben, weil das SG es unterlassen habe, die AOK Bielefeld als Kostenträgerin des stationären Aufenhalts des Klägers zum Verfahren beizuladen. Im übrigen habe das SG den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO zu Unrecht bejaht. Versicherte Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift sei allein die Mitwirkung des Patienten an seiner medizinischen Rehabilitation. nicht dagegen eine rein private sog. eigenwirtschaftliche Verrichtung während des stationären Aufenthaltes. Es komme entgegen der Auffassung des SG nicht darauf an, inwieweit etwa besondere Gefahrenmomente des Krankenhausaufenthalts neben der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des Versicherten mit zum Unfall geführt hätten. Solche Gefahren unterfielen nicht dem Versicherungsschutz.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, hilfsweise Zurückverweisung an die Vorinstanz oder die zweite Instanz,

Der Kläger ist im Revisionsverfahren, nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das SG die AOK Bielefeld nicht beiladen müssen. Nach § 75 Abs. 2 Alternative 1 SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Eine Beiladung ist in dem angeführten Sinn notwendig, wenn die in dem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (ständige Rechtsprechung, s BSG SozR 1500 § 75 Nr. 8 m.N.; S. auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 9. Aufl. S. 234 w VI m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits ist der Anspruch des Klägers - des Verletzten - gegen die Beklagte auf Entschädigung aus der Unfallversicherung. Die Beklagte kann zwar, soweit sie Leistungen wegen der Verletzung des Klägers gewährt hat, von der AOK Bielefeld als zuständiger Krankenkasse in bestimmtem Umfang Ersatz verlangen, wenn sich nachträglich herausstellt, "daß die Krankheit nicht Folge eines Arbeitsunfalls ist" (§ 1509a RVO). Ein solcher Anspruch ist jedoch nicht Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits, so daß auch nach Beiladung der AOK weder diese noch die Beklagte hinsichtlich des Anspruchs nach § 1509a RVO an das Urteil im anhängigen Prozeß gebunden wären (s § 141 Abs. 1 SGG). Die nur als Vorfrage für beide Ansprüche u.a. erforderliche Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls gegeben sind, kann im Verfahren über einen Anspruch nach § 1509a RVO anders entschieden werden als im anhängigen Rechtsstreit. Die im Streit über den Anspruch des Verletzten zu erwartende Entscheidung greift somit nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der Krankenkasse ein (vgl. u.a. BSGE 24, 155, 156; 46, 232, 233; 47 25, 26; BSG SozR Nr. 2 zu § 1509a RVO a.F.; Urteil vom 25. November 1977 - 2 RU 95/76 - USK 77244 und vom 1. Februar 1979 - 2 RU 63/77 - SozSich 1979, 211, insoweit nicht abgedruckt in SozR 2200 § 539 Nr. 53; Brackmann a.a.O. S. 234 w VI, 967 m.w.N.). Die AOK Bielefeld war auch nicht nach § 75 Abs. 2 Alternative 2 SGG beizuladen, da sie als Trägerin der Krankenversicherung bei der Ablehnung des vom Kläger gegen die Beklagte erhobenen Anspruchs auf Unfallentschädigung nicht als leistungspflichtiger Unfallversicherungsträger in Betracht kommt.

Das SG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger einen gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a, § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.

Der Kläger gehörte im Zeitpunkt des Unfalls zu den nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO versicherten Personen, da ihm die AOK Bielefeld als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung stationäre Behandlung in einem Krankenhaus gewährte. Der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift ist nicht auf "Behinderte" beschränkt. An dieser zuletzt in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 30. September 1980 - 2 RU 13/80 - in Auseinandersetzung mit der Gegenmeinung eingehend dargelegten Auffassung hält der Senat fest (s auch Urteile vom 31. Oktober 1978 - 2 RU 70/78 - USK 78132 und SozR 2200 § 539 Nr. 56; Brackmann a.a.O. S. 475 e, f m.w.N., auch für die Gegenmeinung).

Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539e 540 und 543 bis 545 RVO angeführten Tätigkeit erleidet (s § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO). Voraussetzung ist demnach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einer dieser Tätigkeiten (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.- 9. Aufl., S. 480 b I). Das SG hat deshalb zutreffend zum Ausdruck gebracht, daß ein Versicherungsschutz des Klägers nach § 548 RVO somit nicht schlechthin während der gesamten Dauer der stationären Behandlung im Krankenhaus bestanden hat. Ein nur zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen der stationären Behandlung und dem Unfall genügt nicht, vielmehr wird auch hier ein innerer ursächlicher Zusammenhang vorausgesetzt (s BSG SozR 2200 § 548 Nr-17; Brackmann a.a.O. S 480 g II). Ob ein Ursachenzusammenhang zwischen der stationären Behandlung und dem Unfall gegeben ist, entscheidet sich für die nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO versicherten Personen ebenfalls nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung maßgebenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Im Rahmen der hiernach in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind die besonderen Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalles maßgebend (vgl. Brackmann a.a.O. S. 480 e ff, 480 i).

Entgegen der Auffassung der Revision besteht Versicherungsschutz für die nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO versicherten Personen nicht nur bei Verrichtungen zur Durchführung von "medizinischen Maßnahmen" (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 48; Urteil vom 31. Oktober 1978 - 2 RU 50/78 -). Der Gesetzeswortlaut enthält keine Anhaltspunkte für eine derartige Beschränkung des Versicherungsschutzes, zumal da das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes ist (s BSGE 46, 283; , SozR 2200 § 539, Nr. 56; Urteile vom 31. Oktober 1978 - 2 RU 50/78 - und 2 RU 70/78 USK 78132 - sowie vom 31. Januar 1980 - 8a RU 92/78 -; Brackmann a.a.O. S. 475 g ff. m.w.N., auch für die Gegenmeinung). Für diese Auffassung ist auch die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift anzuführen. Sinn und Zweck des Versicherungsschutzes bei einer stationären Behandlung sprechen ebenfalls nicht dafür, abweichend von dem allgemeinen Grundsatz, daß Versicherungsschutz bei allen Verrichtungen besteht, die in ursächlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit - hier der stationären Behandlung - stehen, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nur auf bestimmte Verrichtungen zu beschränken. Bei Tätigkeiten, die wesentlich allein von der stationären Behandlung unabhängigen privaten Interessen des Versicherten dienen, besteht demnach allerdings wie auch im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) kein Versicherungsschutz (s Urteil des Senats vom 31. Oktober 1978 - 2 RU 50/78 - mit den dort angeführten Beispielfällen, daß der Versicherte einen Theaterabend oder eine sonstige kulturelle Veranstaltung besucht oder einen Ausflug unternimmt, um sich in rein zeitlichem Zusammenhang mit einer Kur die Umgebung anzusehen; s ferner Urteil des Senats vom 12 , Juli 1979 - 2 BU 27/79 -, Schreiben eines Briefes im Krankenzimmer während einer stationären Behandlung).

Hier hat sich der Unfall während der stationären Behandlung bei der körperlichen Reinigung nach der Nachtruhe ereignet. Die körperliche Reinigung, die nicht am Arbeitsplatz oder in dessen unmittelbarer Nähe, sondern erst zu Hause vorgenommen wird, ist zwar im allgemeinen durch überwiegend private und nicht wesentlich betriebsbedingte Gründe bestimmt (s Brackmann a.a.O. S. 481 1 mN.), wie dies auch für zahlreiche andere Verrichtungen im häuslichen Bereich gilt, die der Arbeit folgen oder der Arbeitsaufnahme vorausgehen, selbst wenn sie zugleich der Erfüllung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dienen (s u.a. BSGE 7, 255, 256). Andererseits ist die körperliche Reinigung während der betrieblichen Tätigkeit oder nach Arbeitsschluß auf der Betriebsstätte oder in ihrer unmittelbaren Nähe dann der betrieblichen Tätigkeit zugeordnet worden, wenn im Einzelfall die vom Versicherten geleistete Betriebstätigkeit sein Bedürfnis nach körperlicher Reinigung während der Arbeit oder vor der Heimfahrt wesentlich mitbestimmt haben (s BSGE 16, 236, 239; BSG SozR Nr. 53 zu § 542 RVO a.F. BSG Urteil vom 8. Juli 1980 - 2 BU 25/80 -; Brackmann a.a.O. S. 481 k; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 548 Anm. 32; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 102 S. 1; Lange; BG 1956, 119; s zum Versorgungsrecht ebenso BSGE 33, 141). Es bedarf aus Anlaß des vorliegenden Falles keiner Entscheidung, ob diese zum Versicherungsschutz im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses angestellten Erwägungen es rechtfertigen, das Waschen, - Duschen oder Baden während des stationären Aufenthalts eines nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO Versicherten allgemein der stationären Behandlung zuzuordnen, weil diese Verrichtungen außerhalb des häuslichen Bereichs wesentlich auch durch den Aufenthalt im Krankenhaus bedingt sind und im allgemeinen darüber hinaus einem sinnvollen Behandlungsfortgang dienen. Denn hier ist der ursächliche Zusammenhang des Unfalls mit der stationären Behandlung schon deshalb gegeben, weil der Kläger, als er in seinem Krankenzimmer auf einem Bein stehend einen Fuß, in dem hoch angebrachten Waschbecken waschen wollte und dabei stürzte, einer mit seinem Krankenhausaufenthalt verbundenen Gefahr erlegen ist. Die mit Recht auch vom SG vertretene Auffassung, daß unter diesen Umständen die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls zu bejahen sind, entspricht dem Sinn und Zweck des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO, der dadurch begründet ist, daß der Versicherte sich in eine besondere Einrichtung begeben muß, und dort überwiegend anderen Risiken als im häuslichen Bereich ausgesetzt ist (s BSGE 46, 283, 284, 285). Insoweit bestehen gewisse Parallelen zu der Situation von Beschäftigten, die sich auf eine Dienst- oder Geschäftsreise begeben müssen und am fremden Ort zwangsläufig den damit verbundenen besonderen Gefahren der Übernachtungsstätte ausgesetzt sind. In solchen Fällen wird bei Wirksamwerden besonderer Gefahrenmomente im Bereich der Übernachtungsstätte Unfallversicherungsschutz auch angenommen, wenn die unfallbringende Tätigkeit unmittelbar nur persönlichen Bedürfnissen dient (vgl. Brackmann a.a.O. S. 481 u ff; Lauterbach a.a.O. § 548 Anm. 65, jeweils mN.).

Da das SG zu Recht einen Versicherungsschutz des Klägers bejaht hat, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1982, 383

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