Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 17.02.1993; Aktenzeichen L 6 An 25/92)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. Februar 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß sie während des Bezuges von Erziehungsgeld bzw während des Erziehungsurlaubs familienversichert gewesen ist.

Der Ehemann der Klägerin ist versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der beklagten Betriebskrankenkasse. Die Klägerin war ebenfalls berufstätig, zuletzt aber wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht krankenversicherungspflichtig und privat für den Fall der Krankheit versichert. Nach der Geburt eines Sohnes im August 1989 übte die Klägerin ihre Berufstätigkeit nicht mehr aus. Sie bezog Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) und nahm nach Ablauf des Mutterschutzes Erziehungsurlaub.

Am 16. Januar 1990 beantragte der Ehemann der Klägerin, sie in die Familienversicherung aufzunehmen. Dies lehnte die Beklagte mit einem an ihn gerichteten Bescheid vom 22. Januar 1990 ab. Hiergegen erhob der jetzige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin in ihrem und im Namen ihres Ehemannes Widerspruch und fügte eine von beiden unterschriebene Vollmacht bei, die auch zur Prozeßführung ermächtigte. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 1990, der dem Bevollmächtigten zugestellt wurde, wies die Beklagte den Widerspruch, soweit ihn der Ehemann der Klägerin eingelegt hatte, zurück. Nachdem der Ehemann Klage erhoben hatte, ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) die Klage dahingehend geändert worden, daß an seiner Stelle nunmehr seine bis dahin am Rechtsstreit nicht beteiligte Ehefrau Klägerin geworden ist. Während des Klageverfahrens hat am 10. November 1990 der Erziehungsurlaub der Klägerin geendet. Sie hat zum darauffolgenden Tag ihr Arbeitsverhältnis gekündigt und ist ab 12. November 1990 bei der Beklagten familienversichert.

Das SG hat durch Urteil vom 27. September 1991 der Klage stattgegeben und festgestellt, daß die Klägerin auch von August 1989 bis November 1990 familienversichert gewesen ist. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 17. Februar 1993 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, daß die Klägerin nach Sinn und Zweck des § 10 Abs 1 Nr 3 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) von der Familienversicherung ausgeschlossen sei.

Gegen das Urteil des LSG richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine Verletzung des § 10 SGB V und des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫) rügt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 17. Februar 1993 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 27. September 1991 zurückzuweisen, hilfsweise festzustellen, daß die Familienversicherung jedenfalls vom 7. Oktober 1989 bis zum 10. November 1990 bestanden hat.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß. Es ist zunächst ein Vorverfahren nachzuholen.

Vor dem SG ist die bis dahin am Rechtsstreit nicht beteiligte Klägerin an die Stelle ihres ursprünglich klagenden Ehemanns getreten. Darin lag ein Beteiligtenwechsel, der eine Klageänderung iS des § 99 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darstellt. Die Klageänderung ist zulässig. Der Prozeßbevollmächtigte der Eheleute hat sie in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vorgenommen und das SG sie für sachdienlich gehalten (§ 99 Abs 1 SGG). Im übrigen hat auch die Beklagte eingewilligt, indem sie sich auf die abgeänderte Klage widerspruchslos eingelassen hat (§ 99 Abs 1, 2 SGG).

Auch für die geänderte Klage müssen jedoch die Prozeßvoraussetzungen erfüllt sein (Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl 1993, § 99 RdNr 13 mwN). Daran fehlt es hier.

Zur Zulässigkeit einer Anfechtungsklage, wie sie von der Klägerin in erster Linie erhoben worden ist, gehören das Vorliegen eines Verwaltungsaktes (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG) sowie die Durchführung eines Vorverfahrens (§ 78 Abs 1 SGG). Hier war ein Verwaltungsakt über das Nichtbestehen der Familienversicherung ergangen. Er war zwar nicht an die Klägerin, sondern an ihren Ehemann gerichtet, der nach dem Urteil des Senats vom 29. Juni 1993 (12 RK 48/91, zur Veröffentlichung bestimmt) als Stammversicherter (ebenfalls) berechtigt war, die Feststellung der Familienversicherung zu betreiben. Ein solcher Bescheid konnte aber auch von der Klägerin mit dem Widerspruch angefochten werden, weil er ihre eigene Versicherung betraf. Seit dem 1. Januar 1989 ist die Familienversicherung nach § 10 SGB V als eigene Versicherung des Ehegatten oder Angehörigen ausgestaltet, so daß dieser eigene Leistungsansprüche erwirbt. Er ist nicht mehr wie nach früherem Recht (§ 205 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) lediglich in die Versicherung des allein anspruchsberechtigten Stammversicherten einbezogen (vgl dazu die Begründung des Entwurfs eines Gesundheits-Reformgesetzes ≪GRG≫, BT-Drucks 11/2237 und BR-Drucks 200/88, jeweils S 161 zu Art 1 § 10). Der Umstand, daß die Klägerin den Bescheid vom 22. Januar 1990 anfechten konnte, obwohl sie nicht Adressatin war, machte nicht auch das Vorverfahren ihr gegenüber entbehrlich; eine solche Rechtsfolge hätte er – was hier nicht zu entscheiden ist – allenfalls dann gehabt, wenn die Klägerin durch einen Widerspruchsbescheid erstmalig beschwert worden wäre (vgl Meyer-Ladewig, aaO § 78 RdNr 7). Die Klägerin hat den Widerspruch gegen den ihrem Ehemann erteilten Bescheid auch zusammen mit ihrem Ehemann eingelegt.

Das damit eingeleitete Vorverfahren ist jedoch nicht durch einen an die Klägerin gerichteten und ihr bekanntgemachten Widerspruchsbescheid abgeschlossen worden. Auf diesen konnte nicht deshalb verzichtet werden, weil der Ehemann der Klägerin einen Widerspruchsbescheid erhalten hat. Dabei kann dahinstehen, ob bei notwendiger Streitgenossenschaft der Eheleute (§ 62 der Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫ iVm § 74 SGG) ein an einen der Streitgenossen gerichteter Widerspruchsbescheid ausgereicht hätte (vgl Meyer-Ladewig, aaO § 78 RdNr 4 mwN); denn eine Streitgenossenschaft der Eheleute besteht nicht. Bei einem Beteiligtenwechsel wie dem vorliegenden besteht kein überzeugender Grund, auf das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren im Verhältnis der Beklagten gegenüber der Klägerin zu verzichten (vgl BVerwGE 65, 45, 49 bei Wechsel auf der Beklagtenseite; Kopp, Komm zur VwGO, 9. Aufl 1992, § 68 RdNr 28). Der gegenüber der Klägerin zu erlassende Widerspruchsbescheid kann auch nicht in der Klageerwiderung oder in der Berufungsbegründung gesehen werden (vgl BSG SozR 1500 § 78 Nr 8). Die Klageerwiderung scheidet als Ersatz für den Widerspruchsbescheid schon deshalb aus, weil sie vor der Klageänderung beim SG eingegangen ist. Ob die Berufungsbegründung einen Widerspruchsbescheid überhaupt ersetzen kann, mag dahinstehen. Voraussetzung hierfür wäre jedenfalls, daß Beklagte und Widerspruchsstelle identisch sind (BSG SozR 1500 § 78 Nr 15). Dies aber ist hier nicht der Fall, da bei der Beklagten als Trägerin der Sozialversicherung die von der Vertreterversammlung bestimmte Widerspruchsstelle für den Erlaß des Widerspruchsbescheids zuständig ist (§ 85 Abs 2 Nr 2 SGG).

Das LSG wird der Beklagten nunmehr Gelegenheit geben müssen, das Widerspruchsverfahren abzuschließen. Dazu weist der Senat auf seine Urteile vom 29. Juni 1993 (12 RK 11/91, 12 RK 48/91 und 12 RK 9/92, zur Veröffentlichung vorgesehen) hin, in denen Entscheidungen zum materiellen Recht ergangen sind. Sofern dem Widerspruch der Klägerin nicht abgeholfen, sie also nicht klaglos gestellt werden sollte, hat das LSG den Ehemann der Klägerin zum weiteren Verfahren notwendig beizuladen. Wie in dem genannten Urteil vom 29. Juni 1993 (12 RK 48/91) näher ausgeführt, ist auch der Stammversicherte befugt, das Bestehen einer Familienversicherung für ein Familienmitglied feststellen zu lassen, weil er ein Recht darauf hat, den Umfang seiner eigenen Krankenversicherung zu kennen. Dann aber ist er an dem streitigen Rechtsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter derart beteiligt, daß die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Familienversicherung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 Fall 1 SGG). Der erkennende Senat hat die Beiladung trotz der nunmehr bestehenden Befugnis dazu (§ 168 SGG nF) nicht selbst vorgenommen, weil wegen des fehlenden Vorverfahrens ohnehin zurückverwiesen werden mußte.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI797387

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