Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 20.08.1993; Aktenzeichen L 10 Ar 15/93)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 20. August 1993 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die „vorläufige Einstellung der Rentenzahlung” an die Erblasserin der Kläger mit Ablauf des Monats Februar 1989.

Die Kläger sind die Kinder der am 11. April 1907 geborenen und am 22. Mai 1994 verstorbenen K. … M. … S. … (S.). Diese lebte als deutsche Staatsangehörige in der „Socieda Benefactora y Educacional Dignidad” (der sog Colonia Dignidad, im folgenden: CD) in der Gemeinde Parral in Chile. Sie bezog von der Beklagten seit 1. Mai 1945 eine Witwenrente (Bescheid vom 18. Januar 1947). Nachdem sie im Jahre 1962 nach Chile übergesiedelt war, ließ sie sich die Rente auf ein bei der Kreissparkasse Siegburg eingerichtetes Ausländer-DM-Konto überweisen und übersandte die von der Beklagten jährlich erbetenen, mit einem Legalisierungsvermerk der Deutschen Botschaft versehenen Lebens- und Staatsangehörigkeitsbescheinigungen.

Im September 1987 übersandte S. die Bescheinigung ohne den erforderlichen Legalisierungsvermerk einer deutschen Auslandsvertretung mit dem Hinweis, die Deutsche Botschaft in Santiago de Chile habe die von der örtlichen Polizeibehörde erteilte Bescheinigung, die ihr zur Legalisierung übersandt worden sei, ohne den Legalisierungsvermerk zurückgesandt und sich dabei auf eine ihr (S.) nicht bekannte „Mitteilung des Versorgungsamtes Bremen” bezogen. Sie könne mit ihren 80 Jahren nicht mehr bei der 400 km entfernt liegenden Botschaft persönlich vorsprechen.

Am 22. Februar 1988 führte der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages, Unterausschuß für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, eine öffentliche Anhörung zu dem Thema durch, ob sich deutsche Staatsangehörige unfreiwillig und unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen in der CD in Chile befänden. Diese Frage wurde von der überwiegenden Zahl der vom Unterausschuß gehörten Auskunftspersonen bejaht, von dem Arzt Dr. H., der die CD vertrat, aber bestritten. Nach dem Ergebnis dieser öffentlichen Anhörung ergab sich der Verdacht, bei S. könne – wie bei anderen Einwohnern der CD – infolge von physischer und psychischer Zwangseinwirkung ein die Geschäftsfähigkeit iS von § 104 Nr 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berührender Zustand der Fremdbeherrschung erreicht und nicht mehr sichergestellt sein, daß ihr die Rente wirklich zufließe.

Mit Schreiben vom 8. September 1988, in der CD am 15. September 1988 eingegangen, wies die Beklagte S. ua auf die Ergebnisse der Anhörung im vorgenannten Unterausschuß sowie auf ihre Zweifel daran hin, ob ihr die Rente auch tatsächlich zufließe bzw ob sie ihre Rente wirksam abgetreten habe. Sie, die Beklagte, sei gehalten, ua dem Verdacht einer unzulässigen Umgehung der Abtretungsregelungen nachzugehen. § 53 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) erlaube eine Abtretung im Interesse des Berechtigten nur bis zur Höhe eines bestimmten Betrages; keinesfalls dürfe dem Berechtigten die Rente, soweit sie der Sicherung des Existenzminimums diene, entzogen werden. Die Klärung der vorgenannten Fragen sei angesichts der Verdachtsmomente nur in einem persönlichen Gespräche mit ihr möglich. Zu dieser Mitwirkung sei sie nach § 61 SGB I verpflichtet. Danach habe der Rentner auf Verlangen des Leistungsträgers persönlich zu erscheinen, sofern es um die Klärung von Zweifelsfragen über das Vorliegen der Voraussetzungen für den weiteren Rentenbezug gehe. S. werde gebeten, am 23. November 1988 ab 9.00 Uhr im Hotel Isabel Riquelme in Chillan vorzusprechen. Die Fahrtkosten würden erstattet. Sollte sie zu diesem persönlichen Gespräch nicht erscheinen, sehe sie, die Beklagte, sich gezwungen, die Rentenzahlung vorläufig einzustellen. Insoweit verweise sie auf § 66 SGB I. Danach könne der Leistungsträger, sofern der Rentner seiner Mitwirkungspflicht nach § 61 SGB I nicht nachkomme, die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ohne weitere Ermittlungen ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Sollte S. aus gesundheitlichen Gründen verhindert sein, nach Chillan zu reisen, werde um Mitteilung und Erlaubnis zu einem Hausbesuch gebeten.

Am 26. September 1988 ging bei der Beklagten eine weitere Lebensbescheinigung von S. vom 23. August 1988 ohne Legalisierungsvermerk ein, die durch chilenische Ministerien und das Chilenische Konsulat in Bonn am 5. September 1988 bestätigt worden war. Mit Schreiben vom 7. November 1988 lehnte ein chilenischer Rechtsanwalt die Teilnahme von S. an einem Gespräch mit der Beklagten ab und bestritt die im Anhörungstermin des og Unterausschusses des Bundestages erhobenen Anschuldigungen gegen die CD. Dem Schreiben war ua eine von S. vor einem chilenischen Notar abgegebene eidesstattliche Erklärung beigefügt, in der es ua heißt, sie erhalte ihre Rente auf ihr deutsches Ausländerkonto und verfüge frei darüber; sie habe ihre Rente niemals ganz oder auch nur teilweise abgetreten.

Nachdem die Vertreter der Beklagten am 23. November 1988 in Chillan vergeblich auf das Erscheinen von S. gewartet hatten, stellte die Beklagte durch Bescheid vom 24. Januar 1989 die Rentenzahlung an S. mit Ablauf des Monats Februar 1989 vorläufig mit der Begründung ein, die Zahlung werde unverzüglich wieder aufgenommen und die Nachzahlungsbeträge würden angewiesen, sobald die Berechtigung zum Weiterbezug der Rente in einem persönlichen Kontaktgespräch mit der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden könne. Die Botschaft sei zu diesem Zweck auch jederzeit bereit, sie, S., selbst aufzusuchen.

Der von S. hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1989 zurückgewiesen: Eine für den Weiterbezug der Rente geeignete Lebensbescheinigung liege nicht vor. Nach den bestehenden Vorschriften könne bei deutschen Staatsangehörigen, wenn die Bescheinigung durch eine ausländische Stelle ausgestellt worden sei, die Legalisierung durch eine deutsche Auslandsvertretung verlangt werden. Die im übrigen aufgrund der genannten Zeugenerklärungen aufgetretenen Zweifel bestünden zu Recht. Die daraus folgende Mitwirkungspflicht stehe auch in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Leistung. Es gehe um die Erfüllung gesetzlicher Pflichten. Durch das Angebot eines Hausbesuchs sei der Aufwand für S. zudem zumutbar. Schließlich sei die Einstellung der Rentenzahlung auch nicht ermessensmißbräuchlich. Ein milderes Mittel, S. zur Erfüllung ihrer rechtlichen Verpflichtungen zu bewegen, habe trotz sorgfältiger Prüfung nicht zur Verfügung gestanden.

Die von S. erhobene Klage ist abgewiesen worden (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Berlin vom 26. April 1991); ihre dagegen eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 20. August 1993). Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die vorläufige Renteneinstellung sei rechtmäßig. Die in § 66 Abs 1 und 3 SGB I genannten Voraussetzungen für die vorläufige Einstellung „Einziehung”) der Witwenrente seien zZ des Erlasses der angefochtenen Bescheide erfüllt gewesen. Die Leistungsvoraussetzungen seien nicht nachgewiesen gewesen. Dazu gehörten nicht nur die – hier keinem Zweifel unterliegenden – Anspruchsvoraussetzungen, sondern alle Voraussetzungen, die für die Erbringung der Leistung von Bedeutung seien, dh bei Rentnern mit dauerndem Aufenthalt im Ausland auch die Vorlage einer ordnungsgemäßen Lebensbescheinigung. Daran habe es seinerzeit gefehlt. Die Beklagte habe S. mit dem Schreiben vom 8. September 1988 auch konkret auf die zu gewärtigenden Folgen fehlender Mitwirkung hingewiesen und ihr zur Nachholung der Mitwirkung den – geräumigen – Termin am 23. November 1988 gesetzt. Anläßlich dessen hätte sich die Beklagte anstelle einer legalisierten Lebensbescheinigung durch persönliche Begegnung mit der – sich durch ihre Papiere ausweisenden – S. davon überzeugen können, daß diese noch lebe und weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Da S. diesen Termin nicht wahrgenommen habe, sei die Klage allein schon wegen des fehlenden Nachweises, daß S. noch lebe, zu Recht abgewiesen worden (sog isolierte Anfechtungsklage). Doch auch mit ihrem Hilfsantrag auf Aufhebung der Bescheiden gleichkommenden Schreiben vom 12. Dezember 1991 und 18. August 1992 (jeweils Einladung zum persönlichen Gespräch mit Hinweis auf die Folgen der Nichtwahrnehmung) und Wiederanweisung der Witwenrente vermöge S. nicht durchzudringen. Dieser Antrag sei zwar zulässig. Denn die Bescheide vom 12. Dezember 1991 und 18. August 1992 seien entsprechend §§ 96, 153 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden, so daß S. dagegen im Berufungsverfahren mit der Klage vorgehen könne. Der Antrag sei aber unbegründet. Zutreffend habe die Beklagte nach der Nachholung der Mitwirkung hinsichtlich des Lebensnachweises die Mitwirkungspflichten von S. insgesamt noch nicht als erfüllt und die Leistungsvoraussetzungen noch nicht als voll nachgewiesen angesehen sowie die Wiederanweisung der Rente mit den Bescheiden vom 12. Dezember 1991 und 18. August 1992 – entsprechend dem Ausgangsschreiben vom 8. September 1988 – vom Zustandekommen eines persönlichen Gespräches mit S. abhängig gemacht. Nach § 61 SGB I solle, wer Sozialleistungen beantrage oder erhalte, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers zur mündlichen Erörterung des Antrags oder zur Vornahme anderer für die Entscheidung über die Leistung notwendiger Maßnahmen persönlich erscheinen. Die Beklagte habe die Notwendigkeit eines persönlichen Gesprächs mit S. damit begründet, daß sie ihr die Rente erst dann weiter bzw wieder anweisen könne, wenn sie sich durch dieses Gespräch vergewissert habe, daß ihr die Rente tatsächlich zufließe bzw sie die Rente wirksam abgetreten habe. Diese Begründung sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe S. in Ausübung ihres Ermessens einen denkbar wenig beeinträchtigenden Weg gewiesen, an der Ausräumung des bestehenden Verdachtes mitzuwirken: durch ein Gespräch (erforderlichenfalls auch) bei ihr (S.) zu Hause. Welche Ermessenserwägungen die Beklagte darüber hinaus hätte anstellen sollen, sei nicht ersichtlich. In der öffentlichen Anhörung vor dem og Unterausschuß des Bundestages sei die Frage: „Befinden sich deutsche Staatsangehörige unfreiwillig und unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen in der Colonia Dignidad in Chile?” von der überwiegenden Zahl der Auskunftspersonen ausdrücklich oder sinngemäß bejaht worden. Danach habe ein hinreichender Verdacht bestanden, daß bei Überweisung der Rente an S. dieser die Rente gleichwohl nicht zufließe, ohne daß eine – von S. bis zuletzt selbst nicht behauptete – wirksame Abtretung vorliege. Ein Nichtzufließen im Rechtssinne sei dann gegeben, wenn S. durch die Überweisung nicht in den Stand gesetzt werde, über die Rente zu verfügen. Dies könnte sich aus einer Beeinträchtigung der Freiheit ihrer Willensentschließung ergeben. Die Aussagen der Auskunftspersonen begründeten den Verdacht, daß S. in dieser Freiheit beeinträchtigt sei. Zwar sei die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung etwa durch Täuschung „heiliger Vater”) oder Drohung (vgl § 123 BGB) noch nicht geeignet, die Fähigkeit, über die Rente zu verfügen, aufzuheben. So verfüge S. auch dann noch ihrem Willen zurechenbar über ihre Rente, wenn sie aus Angst vor Repressalien von einem Widerruf der bzgl ihres Rentenkontos einmal erteilten Vollmacht absehe. Sie möge ferner selbst dann noch ihrem Willen zurechenbar über ihre Rente verfügen, wenn sie in unbegrenztem Vertrauen in die „Heiligkeit” des „Geistlichen” der CD P. S. … nicht daran denke, die einmal erteilte Vollmacht zu widerrufen. Hier mögen die auf den Willen einwirkenden äußeren Einflüsse noch in normaler Weise als Motive wirken. Dies wäre dann lediglich Ausdruck einer – die rechtlichen Beziehungen der Beklagten zu S. noch nicht berührenden – schicksalsmäßigen Verflechtung, und es könnte deshalb – insoweit – nicht Sache der Beklagten sein,

darauf durch Vorenthaltung der Rente korrigierend einzuwirken. Indes könnten die Grenzen hin zu dem Zustand, in dem die genannten Einflüsse eine andere – rechtlich entscheidende – Qualität gewinnen, auch bereits überschritten sein. Es sei in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem anerkannt, daß die freie Willensbestimmung durch den Einfluß anderer Personen nicht nur bis zu einem gewissen Grade beeinträchtigt, sondern auch ganz aufgehoben sein könne. Dies werde dann festzustellen sein, wenn an die Stelle der normalen Bestimmbarkeit der Person durch vernünftige Erwägungen eine krankhaft erscheinende übermäßige (übermächtige) Beherrschung durch den Einfluß anderer Personen getreten ist. Es lasse sich nicht von der Hand weisen, daß nach dem Ergebnis der öffentlichen Anhörung bei der betagten, seit Jahrzehnten dem Einfluß des P. S. … in der Isolation der CD ausgesetzten S. ein solcher, die Geschäftsfähigkeit berührender (vgl § 104 Nr 2 BGB) Zustand der Fremdherrschung erreicht sein könne. Es genüge insoweit ein Verdacht, der sich auf das Zeugnis von glaubwürdig erscheinenden Personen stütze, die in der CD gelebt oder sie besucht hätten, wie es bei den angehörten Auskunftspersonen der Fall sei. Vor diesem Hintergrund, auf den die Beklagte von Anfang an ausdrücklich hingewiesen habe (vgl ihr Schreiben vom 8. September 1988), leuchte es ein, daß nur ein persönliches Gespräch geeignet sei, die bestehenden Zweifel am „Zufließen” der Rente auszuräumen, und es weder um Ausforschung Dritter noch um eine „unzulässige verdeckte” medizinische Überprüfung gehe. Zu den „anderen” für die Entscheidung über die Leistung notwendigen, ein persönliches Erscheinen erfordernden Maßnahmen iS des § 61 SGB I gehörten anerkanntermaßen auch der Augenschein und die Beobachtung des Gesundheitszustandes. S. sei ihrer Mitwirkungspflicht, deren Erfüllung ihr angesichts des ihr angebotenen Hausbesuches jedenfalls zumutbar gewesen sei (vgl § 65 Abs 1 Nr 2 SGB I), nicht nachgekommen. Die Behauptung von S., es habe nicht an ihr gelegen, sei nicht nachvollziehbar. Das LSG könne sich vielmehr des Eindrucks nicht erwehren, daß S. mit allen Mitteln – die Behauptung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Beklagten, die Geltendmachung formaler Bedenken gegen vom anwesenden Vollmachtgeber für weitere Gesprächsteilnehmer mündlich erteilte Vollmachten und die Veranlassung einstweiliger Verfügungen – das Zustandekommen eines persönlichen Gesprächs vereitelt habe. Es bestehe kein Zweifel, daß das von der Beklagten für erforderlich gehaltene persönliche Gespräch längst stattgefunden hätte, wenn S. es nur gewollt hätte. Gerade dieses Verhalten von S. bestätige nur den Verdacht der Beklagten, daß sie über ihre Rente nicht zu verfügen vermöge. Denn wenn sie es könnte, müßte ihr daran gelegen sein, das geforderte Gespräch alsbald stattfinden zu lassen, um wieder in den Genuß der Rente zu gelangen. Tatsächlich erwecke das Verhalten von S. den Eindruck, ihr sei mehr daran gelegen, das Gespräch nicht stattfinden zu lassen, als die Rente wieder angewiesen zu bekommen. Dies müsse den Verdacht einer die freie Willensbestimmung ausschließenden Fremdbestimmtheit eher noch verstärken. S. habe ihrer Mitwirkungspflicht schließlich auch nicht auf andere Weise entsprochen. Die von ihr im Verlaufe des Verwaltungs- und Streitverfahrens vorgelegten eigenhändig unterschriebenen Erklärungen vom 7. November 1988, 27. November 1990, 30. Dezember 1991 und 5. Oktober 1992 seien nicht geeignet, den bestehenden Verdacht des Nichtverfügenkönnens auszuräumen. Auch wenn kein hinreichender Anhalt bestehe, die Echtheit der Unterschriften von S. in Zweifel zu ziehen, so könnten die Erklärungen – was keiner weiteren Erläuterung mehr bedürfe – doch nicht die bestehenden Zweifel an der Richtigkeit ihres Inhalts, soweit er hier von entscheidender Bedeutung sei, beseitigen. Wenn es in der letzten Erklärung von S. vom 5. Oktober 1992 heiße, sie habe ihre Rente in Chile immer selbst in Empfang genommen und für ihre Zwecke ausgegeben, so stehe dies in bemerkenswertem Gegensatz zu der Aussage eines langjährigen und führenden Mitgliedes der CD, wonach niemand von den Rentenempfängern, seit er in Chile sei, seine Rente je gesehen oder bekommen habe. Die Art der bestehenden Zweifel schließe es auch – als milderes Mittel – aus, die Rente an den Bevollmächtigten von S. zu überweisen. Denn die Zweifel berührten zugleich das bestehende Vollmachtsverhältnis. Schließlich lasse sich der Verdacht der Beklagten nicht durch einen etwa positiven Eindruck des Prozeßbevollmächtigten von der Fähigkeit von S., ihren Willen frei zu bestimmen, ausräumen. Diesem Eindruck ständen die Tatsachen entgegen, die zur Begründung des Verdachts der Beklagten geführt hätten und letztlich das Verhalten von S. in diesem Verfahren selbst.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügen die Kläger, die den Rechtsstreit als Erben von S. fortsetzen, die Verletzung der §§ 60, 61, 65, 66 und 67 SGB I durch das Berufungsgericht und machen geltend: Die streitigen Verwaltungsentscheidungen seien ermessensfehlerhaft ergangen, weil eine Abwägung der besonderen Verhältnisse der S. sowie die Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles und anderer Ermittlungsmöglichkeiten fehle. Es sei aber schon der Tatbestand des § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I nicht erfüllt. Denn unzweifelhaft lägen bei S. die Voraussetzungen für den Bezug der Witwenrente vor. Die Frage, ob S. die Rentenleistung auch zugeflossen sei, betreffe keine Voraussetzung für die Leistung. Deshalb könne es auch nicht an einer Mitwirkungspflicht fehlen. Darüber hinaus habe S. angeboten, daß die Rente an ihren Prozeßbevollmächtigten überwiesen werde. Ferner habe sie ordnungsgemäß mitgewirkt; denn sie habe durchgängig notariell beglaubigte Lebensbescheinigungen und eidesstattliche Versicherungen übersandt, wodurch die Fragen der Beklagten beantwortet worden seien. Daß die Deutsche Botschaft in Chile 1988 und 1989 den Legalisierungsvermerk verweigert habe, sei ihr nicht anzulasten. Da also mildere Mittel zur Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung gestanden hätten, habe die Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht erfolgen dürfen. Das Bestehen auf einem persönlichen Gespräch sei bei dieser Sachlage rechtsmißbräuchlich gewesen. Außerdem habe S. die Hausbesuche bzw die persönlichen Gespräche nicht verweigert. Diese seien vielmehr – wie die am 15. Januar 1991 (gemeint wohl: 1992) und 6. November (gemeint wohl: Oktober) 1992 geplanten Treffen – aus von der Beklagten zu vertretenden Gründen nicht zustande gekommen. Mindestens seit dem 5. Oktober 1992 sei jedoch die Nachholung der Mitwirkung erfolgt. Insbesondere durch die Einreichung der legalisierten Lebensbescheinigungen vom 23. Oktober 1990 und vom 14. August 1991, durch die persönliche Erklärung vom 5. Oktober 1992, daß S. sich die Rentenzahlungen bis zur Einstellung von ihrem Konto bei der Kreissparkasse Siegburg habe schicken lassen und das Geld – ohne Abtretung -für ihre Zwecke verbraucht habe, sowie das Angebot, die Rentenzahlungen an ihren Prozeßbevollmächtigten vorzunehmen, habe für die Beklagte kein Klärungsbedarf mehr bestanden. Ermessensfehlerhaft sei also eine Entscheidung nach § 67 SGB I unterblieben. Schließlich hätten die Vorinstanzen es verfahrensfehlerhaft unterlassen aufzuklären, ob die von der Beklagten in Chile durchgeführten Handlungen völkerrechtlich zulässig gewesen seien; ein Sozialversicherungsabkommen (SVA) zwischen Deutschland und Chile sei erst seit dem 1. Januar 1994 in Kraft. Wegen des weiteren Vorbringens der Kläger wird auf den Schriftsatz vom 29. Dezember 1993 (Bl 34 bis 37 der Akten des Bundessozialgerichts ≪BSG-Akten≫) Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 20. August 1993 und des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 1991 sowie den Bescheid vom 24. Januar 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Witwenrente – einschließlich der Nachzahlungsbeträge – für die Zeit vom 1. März 1989 bis 31. Mai 1994 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wegen ihres weiteren Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 17. Februar 1994 (Bl 72 bis 81 der BSG-Akten) Bezug genommen.

Während des Revisionsverfahrens hat am 19. Oktober 1994 in Chillan, Chile, ein Rentensprechtag stattgefunden, an dem ua mehrere in der CD wohnende Rentenberechtigte (S. war vorher verstorben), der Prozeßbevollmächtigte der Kläger sowie Vertreter der Beklagten teilgenommen haben. Daraufhin hat die Beklagte durch einen am 6. Februar 1995 beim BSG eingegangenen Schriftsatz mitgeteilt, sie halte sich aufgrund des Ergebnisses des Rentensprechtages – unabhängig von der Rechtmäßigkeit des streitigen Entziehungsbescheides – für verpflichtet, über eine Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Februar (gemeint wohl: März) 1989 bis 31. Mai 1994 (Sterbemonat) zu befinden. Allerdings müsse sie unter Beachtung von Art 23 des deutsch-chilenischen SVA, welches die Einbehaltung von Nachzahlungen zum Zwecke der Befriedigung ersatzberechtigter chilenischer Fürsorgeträger gebiete, vorab klären, ob und welche Stellen in Chile nach dem 31. Dezember 1993 Sozialleistungen für S. erbracht hätten. Zu diesem Zwecke werde sie den Klägern umgehend ein entsprechendes Schreiben übersenden. Die Entscheidung über eine Nachzahlung von Renten für den genannten Zeitraum stehe gemäß § 67 SGB I im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. Sie werde, sobald ihr eine Rückantwort der Kläger im Zusammenhang mit ersatzberechtigten Stellen vorliege, über diese Nachzahlung einen gesonderten Bescheid erteilen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Kläger ist zulässig. Zwar sind sie mit ihrem Revisionsantrag, die Beklagte zu verurteilen, die Witwenrente für die Zeit vom 1. März 1989 bis 31. Mai 1994 auszuzahlen, über den beim LSG von S. gestellten Hauptantrag, die streitigen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben, hinausgegangen. Darin liegt aber keine im Revisionsverfahren gemäß § 168 Satz 1 SGG unzulässige Klageänderung. Nach § 123 SGG entscheidet nämlich das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Das wirkliche Begehren der Rechtsvorgängerin der Kläger war aber von vornherein und durchgängig in allen Instanzen darauf gerichtet, auch eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der seit März 1989 einbehaltenen Rentenbeträge zu erlangen, wie sich aus dem im Berufungsverfahren (allerdings auf andere Bescheide bezogenen) Hilfsantrag ergibt. S. hat also im gesamten Sozialgerichtsprozeß nicht nur einen Anspruch auf Aufhebung der streitigen Verwaltungsentscheidungen durch das Gericht, sondern auch einen Leistungsanspruch geltend gemacht. Daher liegt lediglich eine Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache vor, die nach § 99 Abs 3 Nr 2 SGG nicht als Änderung der Klage anzusehen ist.

Die Revision ist (vgl auch das gleichgelagerte, zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom heutigen Tage, 4 RA 44/94) unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Rechtsvorgängerin der Kläger im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, weil das SG die Klage zutreffend abgewiesen hat.

Richtige Rechtsschutzform gegen die streitigen Verwaltungsentscheidungen ist die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Regelung 1 SGG; BSG SozR 1200 § 66 Nr 13). Denn die im Bescheid vom 24. Januar 1989 verfügte „vorläufige Renteneinstellung” ist ein Verwaltungsakt (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫). Sein Regelungsgehalt besteht darin, für die Dauer seiner eigenen Wirksamkeit den im bindenden Bescheid vom 30. April 1979 zuerkannten Rechtsanspruch auf monatliche Zahlung bestimmter Rentenbeträge zu vernichten.

Mit ihrer Anfechtungsklage hat S. in gesetzlich gestatteter Klagehäufung (§ 56 SGG) zulässigerweise eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG verbunden. Zwar ist dem 7. Senat des BSG (SozR 1200 § 66 Nr 13 S 13 mwN) darin beizupflichten, daß die auf § 66 SGB I gestützte Versagung einer Leistung mit der isolierten Anfechtungsklage angegriffen werden muß, also grundsätzlich mit einer Leistungsklage nicht verbunden werden kann; denn die Anfechtung der Ablehnung eines Leistungsantrages (= Versagung; dazu BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 2) wegen fehlender Mitwirkung führt nur zur gerichtlichen Überprüfung der Ablehnungsvoraussetzungen iS von § 66 SGB I, mangels einer Sachentscheidung der Verwaltung über das Leistungsbegehren jedoch noch nicht zu einer Prüfung der materiell-rechtlichen Leistungsvoraussetzungen durch das Gericht. Grundsätzlich anders liegen aber die Umstände dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine bindende Bewilligung eines Leistungsanspruchs vorliegt und die darin verbürgte Rechtsposition durch eine Entziehung wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I teilweise vernichtet wird. Da die isolierte Anfechtungsklage gegen den Entziehungsbescheid nur zu einem Gestaltungsurteil führen kann, wird die durch das Verhalten der Verwaltung bewirkte Erschütterung des Vertrauens des Berechtigten in die Durchsetzbarkeit der ihm bindend zuerkannten Rechtsposition durch die Aufhebung der Entziehung nicht ausreichend beseitigt; denn dem Leistungsberechtigten bliebe weiterhin ein gegen die Verwaltung unmittelbar vollstreckbarer Titel versagt. Effektiven Rechtsschutz iS von Art 19 Abs 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) kann derjenige, in dessen bindend zuerkannten Leistungsanspruch die Verwaltung bei gleichzeitiger Leistungseinstellung eingegriffen hat, in der Regel erst dadurch erlangen, daß er nicht nur den Rechtseingriff abwehren, sondern auch einen vollstreckbaren Leistungstitel erlangen kann. Wenn also – wie hier -ein den Rentenanspruch, also den „Zahlungsanspruch” (§ 194 Abs 1 BGB) bewilligender Verwaltungsakt (Bescheid vom 18. Januar 1947) vorliegt, der nicht aufgehoben worden, dem die Beklagte aber nicht nachgekommen ist, kann der Berechtigte seine isolierte Anfechtungsklage gegen die Entziehung mit der allgemeinen Leistungsklage auf Verurteilung zur Zahlung verbinden (vgl BSG USK 87161).

Die zulässigen Klagen sind aber nicht begründet, weil die angefochtene Verwaltungsentscheidung vom 24. Januar 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1989 rechtmäßig erlassen worden und wirksam geblieben ist.

Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff ist § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I. Danach kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise (versagen oder) entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung erhält, seinen Mitwirkungspflichten ua nach § 61 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert wird. Darüber hinaus dürfen nach § 66 Abs 3 SGB I Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur (versagt oder) entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

Der streitige Verwaltungsakt ist eine Leistungsentziehung iS der vorgenannten Vorschriften. Zwar lautet der Verfügungssatz des Bescheides vom 24. Januar 1989, die Rentenzahlung werde ab 1. März 1989 vorläufig eingestellt. Dies könnte auf den Erlaß eines einstweiligen Verwaltungsaktes (dazu stellv BSG SozR 3-1300 § 32 Nrn 2 und 4 mwN) ebenso hindeuten, wie die Zusage der Beklagten, die Rentenzahlung unverzüglich wiederaufzunehmen und die Nachzahlungsbeträge anzuweisen, sobald das persönliche Gespräch stattgefunden habe und die Rentenberechtigung festgestellt sei. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob die Geschäftsführung der Beklagten als Ausgangsbehörde derartige Regelungen, die in den §§ 66, 67 SGB I nicht vorgesehen sind, hat treffen wollen. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist nämlich gemäß § 95 SGG der ursprüngliche Verwaltungsakt vom 24. Januar 1989 nur in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1989. Darin ist aber die vorgenannte Zusage nicht wiederholt, sondern auf das Hinweisschreiben vom 8. September 1988 abgestellt worden, in dem eine Regelung nach § 66 SGB I in Aussicht gestellt worden war. Demgemäß sind die streitigen Verwaltungsentscheidungen so zu verstehen, daß die in § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I vorgesehene Rechtsfolge gesetzt werden sollte, nämlich „die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung zu entziehen”.

Die Entziehungsermächtigung nach § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I erlaubt dem Leistungsträger, durch gestaltenden Verwaltungsakt einen Sozialleistungsanspruch oder ein sonstiges subjektives Leistungsrecht des Bürgers zu verändern. Dies geschieht dadurch, daß (Einzel-)Ansprüche ganz oder teilweise vernichtet werden. Die Entziehung verhindert nicht das Entstehen eines Leistungsanspruchs oder das Bestehen eines subjektiven Leistungsrechts; jedoch gehen Leistungsansprüche vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entziehungsentscheidung an, dh zukunftsgerichtet (BSG SozR 1200 § 66 Nr 10), für die Dauer der Wirksamkeit der Entziehungsentscheidung unter. Dies bedeutet für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen, daß die Entziehung ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist. Da die Entziehung nach § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I rechtmäßig nur wegen fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten, nicht aber wegen Fehlens materieller Leistungsvoraussetzungen ausgesprochen werden darf, wird dieser Verwaltungsakt rechtswidrig, sobald die Mitwirkungspflicht nachgeholt wird oder aus sonstigen Gründen entfällt. Dann ist der Entziehungsbescheid gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB X aufzuheben. Dies hat jedoch wegen der vernichtenden Wirkung der Entziehung nicht zur Folge, daß die Ansprüche, die während der Geltungszeit der Entziehungsentscheidung erloschen waren, rückwirkend wieder aufleben. Vielmehr entsteht, sobald die Mitwirkung nachgeholt wird, gemäß § 67 SGB I iVm § 39 Abs 1 SGB I ein Recht des Bürgers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (dazu BSG – 4 RA 42/94, Urteil vom 14. Dezember 1994, zur Veröffentlichung vorgesehen) über die nachträgliche Erbringung der entzogenen Sozialleistungen (im Ergebnis ebenso: Habersbrunner, Rechtsfolgen fehlender und nachgeholter Mitwirkung von Antragsteller und Leistungsempfänger im Sozialverwaltungsverfahren, 1992, S 151 ff, 158, 181, 185, 197 f, 202 f jew mwN).

Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bestehen nicht (vgl BSG USK 81110). Bei der Befugnis zur Entziehung der Leistung nach § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I geht es (anders als bei der Versagung) typischerweise darum, daß der verpflichtete Leistungsträger solche tatsächlichen Umstände ohne Mitwirkung des Berechtigten nicht aufklären kann, deren Vorliegen zur Minderung oder zum Fortfall eines Leistungsanspruchs führen oder den Schuldner zur Einstellung der Leistung berechtigen würde. Die Vorschrift trifft eine ausgewogene und verhältnismäßige Regelung. Sie schützt einerseits die Versichertengemeinschaften bzw die Allgemeinheit vor der Bewirkung von Leistungen, die dem (vermeintlich) Berechtigten nach materiellem Recht in Wirklichkeit nicht zustehen; andererseits schützt sie den (wirklich) Berechtigten, der „nur” seine Mitwirkungspflichten verletzt hat, durch den Fortbestand des subjektiven Leistungsrechts iVm dem Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch nach § 67 SGB I vor einem endgültigen Rechtsverlust. Die Regelung ist insbesondere deutlich milder, als es eine Umkehr der materiellen Beweislast zu Lasten des Leistungsempfängers gewesen wäre (vgl Hauck/Haines, SGB I, Komm, § 66 Rz 9). Vor diesem Hintergrund ist verfassungsrechtlich auch unbedenklich, daß die Entziehungsbefugnis tatbestandlich allein daran anknüpft, daß der Leistungsempfänger seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I objektiv nicht nachgekommen ist; ein Verschulden wird nicht vorausgesetzt. Gleichwohl werden die individuellen Verhältnisse des Leistungsempfängers vom Gesetz angemessen berücksichtigt. Denn sie finden schon Eingang in die Prüfung der Entstehung von Mitwirkungspflichten, deren Grenzen (§§ 60 bis 65 SGB I) sowie in die Prüfung der Zumutbarkeit der Entziehung im Rahmen der Ermessensbetätigung nach § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I.

Die Entscheidung, S. die Rente zum 1. März 1989 zu entziehen, ist nach § 66 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 SGB I gerechtfertigt.

S. ist – entgegen ihrer Ansicht – in dem Schreiben vom 8. September 1988 schriftlich, unmißverständlich und konkret (dazu BSG SozR 1200 § 66 Nr 13) darauf hingewiesen worden, die Rente werde ihr iS von § 66 SGB I entzogen werden, wenn sie zu dem angebotenen Gesprächstermin persönlich nicht erscheine oder ein ersatzweise (dh als sog Austauschmittel) zu vereinbarender Hausbesuch nicht stattfinden könne. Die Beklagte hat S. auch eine angemessene Frist zur Mitwirkung gesetzt. Diese betrug mehr als zwei Monate; denn S., die das Hinweisschreiben der Beklagten am 15. September 1988 erhalten hatte, hätte sich auf den Termin am 23. November 1988 vorbereiten, einen Ausweichtermin vorschlagen oder einen Hausbesuch vereinbaren können. Daß sie sich darauf beschränkt hat, ein persönliches Gespräch mit Vertretern der Beklagten von vornherein abzulehnen, berührt die Angemessenheit der ihr gesetzten Frist nicht.

Der Entziehungsbescheid leidet auch nicht an einem Anhörungsfehler. Gemäß § 42 Satz 1 und 2 SGB X ist zwar ein Verwaltungsakt, der – wie der streitige Entziehungsbescheid – in ein Recht eines Beteiligten, hier in die Rentenansprüche der Rechtsvorgängerin der Kläger, eingreift, allein wegen fehlender Anhörung aufzuheben, wenn die Behörde vor seinem Erlaß dem Betroffenen keine Gelegenheit gegeben hat, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, und wenn dieser Mangel bis zum Abschluß des Vorverfahrens nicht ordnungsgemäß geheilt worden ist (§§ 24, 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X). Diese Vorschriften werden jedoch für Entziehungsentscheidungen nach § 66 Abs 1 SGB I durch die Spezialvorschrift über die Hinweispflicht nach § 66 Abs 3 SGB I verdrängt. Hiernach muß die Behörde vor Erlaß eines Entziehungsbescheides wegen fehlender Mitwirkung den Betroffenen auf seine Mitwirkungspflicht hinweisen und ihm eine angemessene Frist zur ihrer Nachholung setzen. Schon dadurch wird ihm Gelegenheit gegeben, sich gegenüber dem Leistungsträger auch zur Frage des Bestehens der Mitwirkungspflicht zu äußern. Der Schutz vor Überraschungsentscheidungen und für die Mitwirkungsrechte des Bürgers im Verwaltungsverfahren, den die §§ 24, 41, 42 SGB X gewähren (stellv dazu BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 4 mwN), wird von § 66 Abs 3 SGB I zumindest in gleicher Intensität garantiert.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung liegen vor. S. war Leistungsempfängerin; sie erhielt seit Januar 1945 Witwenrente und damit eine Sozialleistung (§ 11 Satz 1 SGB I). Sie ist einer Mitwirkungspflicht nach § 61 SGB I nicht nachgekommen. Nach dieser Vorschrift soll derjenige, der Sozialleistungen erhält, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers (hier: der Beklagten) zur mündlichen Erörterung von Maßnahmen, die für die Entscheidung über die Leistung notwendig sind, persönlich erscheinen. S. ist zu dem Termin am 23. November 1988 nicht erschienen. Ein – iS von § 66 Abs 3 SGB I ordnungsgemäßes – „Verlangen des zuständigen Leistungsträgers” lag vor. Ein persönliches Gespräch zwischen S. und Vertretern der Beklagten war auch notwendig. Zutreffend hat das Berufungsgericht dargelegt, daß schriftliche Erklärungen von S. oder Stellungnahmen von Personen, die in ihrem Namen auftraten, von vornherein objektiv ungeeignet waren, die Zweifel der Beklagten auszuräumen. Es bestand nämlich der begründete Verdacht, die Rente fließe S. nicht zu, ihre Bestimmung einer Zahlungsadresse sei rechtlich unwirksam. Hierzu hat das Berufungsgericht die tatsächlichen, gemäß §§ 163, 164 Abs 2 Satz 3 SGG für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen getroffen, bei S. könne infolge von physischer und psychischer Zwangseinwirkung ein die Geschäftsfähigkeit iS von § 104 Nr 2 BGB berührender Zustand der Fremdbeherrschung erreicht und nicht mehr sichergestellt sein, daß ihr die Rente wirklich zufließe. Um einen solchen Verdacht auszuschließen, war – so zutreffend das LSG – ein persönlicher Kontakt zur Erörterung der Umstände unumgänglich; die Verdachtsmomente konnten nur in einem persönlichen Gespräch ausgeräumt werden; schriftliche Erklärungen reichten hierfür nicht aus, weil sie aufgrund von physischem oder psychischem Zwang zustande gekommen sein konnten.

Entgegen der Revision hat das Berufungsgericht auch richtig erkannt, daß das persönliche Erscheinen von S. „für die Entscheidung über die Leistung” notwendig war. Schon der Gesetzeswortlaut beschränkt die Mitwirkungspflicht nicht auf Fragen, die nur für die Entscheidung über den Anspruch auf Leistung Bedeutung haben, sondern stellt auf jede „Entscheidung über die Leistung” ab. Hierunter ist jede Entscheidung zu verstehen, welche der verpflichtete Leistungsträger auf dem Weg bis zur Verwirklichung des Leistungszwecks treffen muß. Dazu gehören aber nicht nur die verwaltungsverfahrensrechtlichen Entscheidungen zwecks Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen und die Entscheidung über das subjektive Recht auf eine Sozialleistung oder die über das Bestehen eines Einzelanspruchs, sondern auch alle weiteren Entscheidungen über Einwendungen, Einreden und über die Art und Weise der Leistungserbringung. Gemäß § 2 Abs 2 SGB I muß der Leistungsträger nämlich „sicherstellen”, daß die sozialen Rechte möglichst weitgehend „verwirklicht” werden. Insbesondere ist er nach § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I „verpflichtet”, darauf hinzuwirken, daß jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen „erhält”. Das Gesetz legt dem Leistungsträger also eine Obhutspflicht (als Nebenpflicht) auf, ua dafür zu sorgen, daß der Berechtigte die ihm vom Gesetz zugedachte Sozialleistung wirklich erhält. Dies liegt sowohl im Interesse des Begünstigten als auch in dem der Versichertengemeinschaft bzw der Allgemeinheit, die vor dem Schaden aus fehlgeleiteten Sozialleistungen bewahrt bleiben muß. Angesichts der schweren Verdachtsmomente war die Beklagte also gesetzlich verpflichtet zu entscheiden, ob sie die zuerkannte Rente weiterhin überweisen durfte. Hierfür mußte sie notwendig klären, ob S. die Rente, die auf ein auf ihren Namen lautendes Konto bei der Kreissparkasse in Siegburg überwiesen wurde, überhaupt erhielt, ob möglicherweise eine unzulässige Abtretung vorlag und ob es ihrem freien Willen entsprach, das Geld auf das Konto bei der Kreissparkasse in Siegburg oder auf ein Konto des Prozeßbevollmächtigten zu überweisen. Zu dieser „Entscheidung über die Leistung” war deshalb ein persönlicher Kontakt mit S. notwendig.

Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, durch das Verlangen nach einem persönlichen Erscheinen von S. seien die Grenzen der Mitwirkungspflicht überschritten worden. Nach § 65 Abs 1 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten ua nach § 61 SGB I nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht (Nr 1 aaO). Gerade dann wenn – wie der Prozeßbevollmächtigte der Rechtsnachfolger von S. vorträgt – die gegen die CD gegebenen Verdachtsmomente objektiv unbegründet gewesen sein sollten, wäre ein persönliches Erscheinen beim Gesprächstermin oder im Rahmen eines Hausbesuches ein besonders mildes Mittel gewesen, den Verdacht einer die Existenzsicherung von S. gefährdenden Fehlleitung ihrer Witwenrente auszuräumen. Nach Nr 2 aaO besteht die Mitwirkungspflicht ferner nicht, soweit ihre Erfüllung den Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann. Aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts und aus dem Vorbringen von S. in allen Instanzen ergibt sich indes kein Anhalt, es könne ein wichtiger Grund dafür vorliegen, daß ihr der persönliche Kontakt mit einem Vertreter der Beklagten, uU einem von ihr beauftragten Arzt, nicht zugemutet werden konnte bzw kann. Gemäß Nr 3 aaO besteht die Mitwirkungspflicht schließlich auch dann nicht, soweit der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Die Beklagte hat aber kein milderes Mittel als den persönlichen Kontakt, die objektive Begründetheit des gegebenen Verdachtes zu überprüfen; auch der Prozeßbevollmächtigte von S. und ihrer Rechtsnachfolger hat kein anderes Mittel genannt, das gleichgeeignet und milder als die Pflicht zum persönlichen Erscheinen wäre. Insbesondere bedeutete es für die Beklagte kein geeignetes Mittel mit geringerem Aufwand, sich die notwendigen Kenntnisse über Art und Inhalt der Einwirkungen der Leitung der CD auf S. durch Ermittlungen gegen die CD zu verschaffen. Keiner Darlegung bedarf, daß das einzig in Betracht kommende Alternativmittel, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten aufgrund einer Untersuchung außerhalb des Einflußbereiches der CD, im Verhältnis zu der Pflicht zum persönlichen Erscheinen kein milderes Mittel ist. Die Beklagte hat nach den vom LSG festgestellten Tatsachen auch nichts verlangt, was zu erfüllen S. objektiv unmöglich gewesen wäre. Insbesondere hat das Alter von S. nicht entgegengestanden. Es liegt kein Anhalt dafür vor, bei einem persönlichen Kontakt mit einem von der Beklagten beauftragten Arzt habe ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können; ebensowenig ist ersichtlich, ein solcher Besuch habe für S. mit erheblichen Schmerzen verbunden sein oder einen erheblichen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit bedeuten können (§ 65 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGB I).

Nach alledem war S. gemäß § 61 SGB I verpflichtet, zu einem Gesprächstermin zu erscheinen oder einen persönlichen Kontakt auf andere Weise, etwa im Rahmen eines Hausbesuches, zu ermöglichen. Dies gilt gerade dann, falls – wie S. im Rechtsstreit behauptet hat – sie unter keiner ihre Geschäftsfähigkeit ausschließenden Fremdbeherrschung seitens Dritter gestanden hat.

S. ist dieser Pflicht iS von § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I „nicht nachgekommen”. Das Unterlassen der persönlichen Kontaktaufnahme ist ihr rechtlich zuzurechnen. Dies bedarf keiner Darlegung für den – von S. und ihren Rechtsnachfolgern behaupteten – Fall, daß sie geschäftsfähig ist; hierbei kann offenbleiben, ob die persönliche Kontaktaufnahme als solche rechtlich eine reine Tathandlung ist. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht aber auch angenommen, es komme für das Fehlen der Mitwirkung iS von § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I nur rein objektiv darauf an, ob der Leistungsempfänger die ihm obliegende Mitwirkung erbracht hat. Dies rechtfertigt sich aus der Funktion und der Struktur der Vorschrift. Besteht nach den §§ 60 bis 65 SGB I eine Mitwirkungspflicht des (Antragstellers oder) Leistungsberechtigten, kann deren Erfüllung nach dem SGB nicht erzwungen werden. Ebensowenig sieht das Gesetz bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht einen völligen Verlust des Leistungsrechts vor (so). Damit hängt es ausschließlich von Umständen in der Rechtssphäre des Leistungsberechtigten ab, ob die Mitwirkung erfolgt; es ist dem Verwaltungsträger nicht einmal eine Befugnis verliehen aufzuklären, weshalb sie ggf unterblieben ist. Vor diesem Hintergrund ist es die Funktion der §§ 66, 67 SGB I, die Versichertengemeinschaften bzw die Allgemeinheit vor Nachteilen aufgrund objektiv nicht erfolgter Mitwirkung zu schützen. Deshalb reicht es nach § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I für die objektive Zurechnung pflichtwidrig nicht erfolgter Mitwirkung aus, daß diese unterblieben ist. Persönliche Umstände, welche für die subjektive Zurechnung der fehlenden Mitwirkung erheblich sein können, sind – soweit „ohne weitere Ermittlungen” erkennbar – ggf bei der Abwägung im Rahmen der Ermessensbetätigung mit zu berücksichtigen. Die Entziehungsbefugnis nach § 66 Abs 1 SGB I ist also weder Straf- noch Schadenersatz-, sondern Präventionsrecht. Daher kommt es nicht auf ein Verschulden von S. oder auf die von ihr und ihren Rechtsnachfolgern angesprochene Frage an, wer für das Scheitern von Gesprächsterminen verantwortlich war.

S. hat die Aufklärung des Sachverhaltes dadurch erheblich erschwert, nämlich der Sache nach unmöglich gemacht, daß sie keinen persönlichen Kontakt mit Vertretern der Beklagten aufgenommen hat. Denn die Beklagte war dadurch nicht in der Lage zu klären, ob „die Voraussetzungen der Leistung” weiterhin nachgewiesen waren. Unter „Voraussetzungen der Leistung” ist (wie oben zur „Entscheidung über die Leistung” iS von § 61 SGB I ausgeführt) jede Voraussetzung zu verstehen, die nachgewiesen sein muß, damit der Leistungsträger die Sozialleistung erbringen darf. Hierzu zählen also – entgegen der Revision – nicht nur die Voraussetzungen für ein Leistungsrecht oder einen Leistungsanspruch, sondern alle Umstände, die für die Sicherstellung der Leistungsbewirkung, dh auch für den Erhalt der Leistung durch den Leistungsberechtigten, vorliegen müssen. Bei der in § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I vorgesehenen Entziehung von Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung waren – entgegen der Revision – jedenfalls nach Auffassung der Behörde, welche die Leistung zuvor bewilligt hatte, immer einmal „die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs” nachgewiesen; die Fälle anfänglich rechtswidriger Leistungsbewilligung sind nicht in § 66 SGB I, sondern in § 45 SGB X geregelt. Die Entziehung wegen fehlender Mitwirkung kommt daher grundsätzlich nur im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens in Betracht, dessen Prüfungsgegenstand die Frage ist, ob eine Entscheidung nach den §§ 45 oder 48 SGB X (oder Spezialvorschriften hierzu) ergehen oder aber geklärt werden soll, ob andere Voraussetzungen für die Leistungserbringung nachträglich entfallen sind. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lagen erhebliche Verdachtsgründe dafür vor, daß die Witwenrente nicht S., sondern Dritten zufloß, ohne daß sie rechtswirksam darin eingewilligt hätte. Damit wäre eine „Voraussetzung der Leistung” entfallen; denn die Beklagte hätte die Leistung einem Nichtberechtigten erbracht, wäre dadurch gegenüber S. von ihrer Leistungspflicht nicht frei geworden und hätte die Versichertengemeinschaft zweifach belastet.

Seitdem also der hinreichende Verdacht der objektiven Fremdbeherrschung von S. bestand, war nicht mehr nachgewiesen, daß die Berechtigte die Leistung der Beklagten erhielt; die Aufklärung der Sachlage war infolge des Fehlens eines persönlichen Kontakts mit S. „erheblich” erschwert, so daß der Versichertengemeinschaft der Schaden drohte, zu dessen Verhinderung § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I der Beklagten die Entziehungsbefugnis verliehen hat.

Zu Unrecht rügt die Revision, die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen nicht bzw fehlerhaft betätigt. Nach § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I „kann” der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise entziehen. Das Gesetz räumt den Verwaltungsträgern einen Entscheidungsspielraum ein, den die Gerichte zu achten haben. Gemäß § 54 Abs 2 Satz 2 SGG dürfen sie nur prüfen, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, mit anderen Worten, ob sie die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl § 39 Abs 1 Satz 1 SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet haben, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Liegen also – wie hier – keine sog Vorermessensfehler, die der vollen gerichtlichen Kontrolle nach § 54 Abs 2 Satz 1 SGG unterliegen, vor, beschränkt sich die gerichtliche Prüfung darauf, ob der Leistungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (falls nein: Ermessensnichtgebrauch), ob er mit dem Ergebnis seiner Ermessensbetätigung, dh mit seiner Ermessensentscheidung, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, dh eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt (ggf: Ermessensüberschreitung) und ob er von dem Ermessen (und hier liegt der Entscheidungsfreiraum der Verwaltung) in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit, Ermessensmißbrauch; zum Vorstehenden BSG – 4 RA 42/94, Urteil vom 14. Dezember 1994, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 16, jeweils mwN). Hiervon ausgehend liegt im vorliegenden Fall kein sog Ermessensfehler vor:

Die Beklagte hat ihr Ermessen betätigt. Zur Ermessensausübung ist der Leistungsträger verfahrensrechtlich verpflichtet; insoweit steht ihm kein Entscheidungsspielraum zu. Gegenstand dieser sog Eingangsprüfung hat zu sein, welche Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung im konkreten Fall eröffnet sind, den Zweck der Ermächtigungsnorm zu verwirklichen oder zu fördern. Diese Prüfung hat die Beklagte durchgeführt, wie sich aus ihrem Hinweisschreiben vom 8. September 1988, der Begründung des angefochtenen Bescheides vom 24. Januar 1989 und des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1989 ergibt. Sie hat darin erörtert, daß fraglich geworden ist, ob die Rente der Leistungsberechtigten auch tatsächlich zufließt, und erkannt, daß § 66 Abs 1 SGB I für den Fall der Unaufklärbarkeit infolge fehlender Mitwirkung den Schutz der Versichertengemeinschaft (und ggf auch des Berechtigten) bezweckt und dazu die völlige oder teilweise Entziehung der Leistung erlaubt. Die Beklagte hat also ihre rechtlichen Handlungsmöglichkeiten erkannt und sich für eine von ihnen, die völlige Entziehung der Leistung, entschieden; deshalb kann ihr nicht entgegengehalten werden, sie habe ihr Ermessen gebotswidrig nicht betätigt.

Sie hat auch nicht gegen das (keinen Entscheidungsspielraum lassende) Verbot verstoßen, eine vom Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge zu setzen (Verbot der Ermessensüberschreitung); die völlige Entziehung der Leistung „bis zur Nachholung der Mitwirkung” ist in § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I ausdrücklich vorgesehen.

Schließlich hat sie ihren Entscheidungsspielraum auch „entsprechend dem Zweck der Ermächtigung” ausgefüllt. Ermessensmißbrauch liegt schon deswegen nicht vor, weil die Beklagte ihrer Entscheidung den og gesetzlichen Zweck des § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I zugrunde gelegt hat. Es ist ihr auch kein Abwägungsdefizit vorzuwerfen. Zwar weist die Revision zutreffend darauf hin, daß der Schutzzweck der Entziehungsermächtigung gerade aufgrund des in dieser Vorschrift eingeräumten Ermessens rechtlich nicht von vornherein in jedem Fall eine (völlige oder teilweise) Entziehung der Leistung rechtfertigt; in die Abwägung zwischen dem og Interesse der Versichertengemeinschaft bzw der Allgemeinheit am Schutz vor Nachteilen einerseits und dem Interesse eines materiell Berechtigten, der nicht mitgewirkt hat, die Leistung weiterhin ungeschmälert zu beziehen, sind besondere Umstände des Einzelfalles sowie persönliche Verhältnisse des Berechtigten einzubeziehen; dies gilt aber nur, soweit sie dem Leistungsträger „ohne weitere Ermittlungen” bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens bekannt geworden sind. Jedoch ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Vorbringen von S. und ihren Rechtsnachfolgern auch im Revisionsverfahren kein Anhalt dafür, es könne der Beklagten bei Erlaß des Widerspruchsbescheides am 11. Mai 1989 ein Umstand bekannt gewesen sein, der dafür hätte sprechen können, die Rente ohne vorherige Ausräumung der Verdachtsmomente ganz oder teilweise weiterzuzahlen.

Durch die Entziehung der Rente hat die Beklagte auch keine verfassungsrechtlichen Grenzen ihres Abwägungsspielraumes verletzt. Anhaltspunkte für eine willkürliche Gleich- oder Ungleichbehandlung iS von Art 3 Abs 1 GG liegen nicht vor. Das rechtsstaatliche Übermaßverbot ist beachtet worden. Es erlaubt den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht, ihre Einschätzung, welches Verhalten zweckmäßig gewesen wäre, an die Stelle der Einschätzung der Verwaltung zu setzen. Gerichtlicher Kontrolle unterliegt nur, ob ein zur Verwirklichung (bzw Förderung) des Gesetzeszwecks eindeutig ungeeignetes Mittel eingesetzt wurde, ob von mehreren gleichgeeigneten Mitteln eines nicht gewählt wurde, das den einzelnen und die Allgemeinheit eindeutig weniger belastet hätte, und ob ein mit dem gewählten Mittel verbundener Nachteil zu dem vom Gesetz verfolgten Zweck eindeutig außer Verhältnis steht. Entgegen der Ansicht der Revision liegt derartiges nicht vor. Die völlige Rentenentziehung war geeignet, die Versichertengemeinschaft vor Schäden aus fehlgeleiteten Rentenleistungen zu schützen. Ein zur Förderung dieses Zwecks gleichgeeignetes, aber weniger belastendes Mittel gab es nicht und ist auch von der Revision nicht benannt worden. Die sog Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist beachtet worden. Denn die Entziehung „bis zur Nachholung der Mitwirkung” hat S. nur solange belastet, bis sie die fehlende Mitwirkung nachholte; Dauer und Ausmaß der Belastung hingen also von ihrem Verhalten ab.

Nach alledem ist die streitige Entziehung zu Recht ausgesprochen worden. Sie ist seit ihrem Erlaß bis zum Tod der S. auch wirksam und rechtmäßig geblieben. Insbesondere hat sich – wovon die Beklagte auszugehen scheint – der Entziehungsbescheid nach § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I nicht iS von § 39 Abs 2 SGB X allein durch das Ergebnis des Rentensprechtages vom 19. Oktober 1994 (S. war vorher verstorben) erledigt. Denn der die Entziehung der Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung regelnde Verwaltungsakt ist weder kraft individueller Regelung in den streitigen Verwaltungsentscheidungen, die nur den Gesetzestext wiedergeben, noch seiner Art nach kraft Gesetzes durch die Nachholung der Mitwirkung auflösend bedingt (iS von § 32 Abs 2 Nr 2 SGB X). Mit der Formulierung „bis zur Nachholung der Mitwirkung” begrenzt das Gesetz die Entziehungsbefugnis des Leistungsträgers, dh, es richtet ihr eine materiell-rechtliche Schranke auf. Da die Ermächtigung der Prävention gegen Nachteile aus fehlender Mitwirkung dient (so), kann sie eine Leistungsentziehung materiell nur rechtfertigen, solange eine unerfüllte Mitwirkungspflicht besteht. Tritt gegenüber dem Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheides dadurch eine Änderung ein, daß die Mitwirkungspflicht nachträglich entfällt oder (was vor dem Tod von S. nicht geschehen und nicht mehr möglich ist) erfüllt wird, gerät die im Verwaltungsakt getroffene Entziehungsregelung in Widerspruch zum materiellen Recht. Abgesehen von den hier nicht einschlägigen Fällen der Nichtigkeit (§ 40 SGB X) wird ein Verwaltungsakt nicht unwirksam, wenn er nach seinem Erlaß rechtswidrig wird. Er ist vielmehr gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X für die Zukunft und nach Satz 2 (hier: Nr 1) aaO rückwirkend für Zeiten bis zum Eintritt der Änderung der Verhältnisse der neuen Sach- und Rechtslage anzupassen (vgl Seewald in: Kasseler Komm, § 66 Rz 29, 31). § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I macht also nicht die Befugnis zum Erlaß eines belastenden Verwaltungsaktes von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängig (Bedingung), sondern begrenzt die rechtfertigende Wirkung der Entziehungsermächtigung auf die Zeit „bis zur Nachholung der Mitwirkung” oder bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Versicherungsträger über die für eine Leistungsgewährung notwendigen Tatsachen auf andere Weise unterrichtet worden ist (vgl Hauck/Haines, aaO, § 66 Rz 21). Das bedeutet: Solange der Entziehungsbescheid durch einen anderen Verwaltungsakt nicht aufgehoben wird, bleibt er wirksam (§ 39 Abs 2 SGB X). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war daher auch die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu beurteilen, soweit der Streit angebliche Vorermessensfehler betrifft, die der vollen gerichtlichen Prüfung unterliegen (so). Anderes gilt nur für den eigentlichen Ermessensakt, für den es auch bei einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Rahmen einer isolierten Anfechtungsklage auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt.

Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG konnte der Senat abschließend entscheiden. Soweit die Revision meint, die Entziehung sei im Blick auf die Übersendung von beglaubigten Lebensbescheinigungen und eidesstattlichen Versicherungen sowie jedenfalls wegen der persönlichen Erklärung der Rechtsvorgängerin der Kläger vom 5. Oktober 1992, die Rentenzahlung dürfe auch an ihren Prozeßbevollmächtigten erfolgen, rechtswidrig geworden, trifft dies nicht zu. Die streitigen Verwaltungsentscheidungen sind rechtlich eigenständig (auch) auf die Verletzung der Pflicht zum persönlichen Erscheinen gestützt worden. Diese Pflicht konnte durch die Übersendung von schriftlichen Erklärungen in ihrer Bedeutung für die Ausräumung der erheblichen Verdachtsmomente der Beklagten nicht ersetzt werden. Dasselbe gilt für die Erklärung, das Konto des Prozeßbevollmächtigten könne Zahlungsadresse sein.

Im Blick auf die Mitwirkungspflicht von S. ist zwar die zwischen den Beteiligten unstreitige Tatsache, daß nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 19. Oktober 1994 ein Rentensprechtag in Parral in Chile stattgefunden hat, im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, weil hierdurch schutzwürdige Interessen der Beteiligten nicht beeinträchtigt werden (vgl Meyer-Ladewig, SGG, Komm, § 163 Rz 5). Beide Beteiligte haben aber darüber hinaus keine neuen, vom LSG noch nicht geprüften Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Anhaltspunkt dafür ergeben könnte, daß die streitigen Verwaltungsentscheidungen wegen Fortfalls von Ermessensvoraussetzungen rechtswidrig geworden sein könnten. Nach § 66 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 SGB I kommt es – wie ausgeführt – für den Ermächtigungstatbestand allein auf das objektive Fehlen der gebotenen Mitwirkung oder „Erledigung” auf andere Weise an. Hinsichtlich der Ermessensbetätigung im angefochtenen Bescheid kommt es jedoch – wie das LSG insoweit richtig erkannt hat – bei der isolierten Anfechtungsklage maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an. Daher kann offenbleiben, ob das Revisionsgericht ausnahmsweise solch neues, im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zulässiges Tatsachenvorbringen berücksichtigen dürfte. Eine die Entziehung für Zeiten vor dem Tod der S. aufhebende Verwaltungsentscheidung liegt nicht vor. Ebensowenig ist eine Entscheidung über die nachträgliche Gewährung entzogener Leistungen nach § 67 SGB I ergangen (vgl dazu BVerwGE 71, 8, 12). Ob den Klägern als Erben im Rahmen dieser Vorschrift ein Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung zusteht, falls die Beklagte die Entziehung der Rente für die Zeit bis zum Tod von S. aufhöbe, hatte der Senat nicht zu entscheiden.

Nach alledem haben die Vorinstanzen der isolierten Anfechtungsklage der Rechtsvorgängerin der Kläger gegen die Entziehungsentscheidung zutreffend nicht stattgegeben. Diese ist wirksam geblieben. Deswegen können die Kläger auch mit dem Leistungsanspruch nicht durchdringen. Daher mußte ihre Revision ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173861

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