Entscheidungsstichwort (Thema)

Veranlagung zu Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung

 

Beteiligte

… Klägerin und Revisionsbeklagte

Verwaltungs-Berufsgenossenschaft,Hamburg 1, Mönckebergstraße 7, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Klägerin für die Jahre 1984 bis 1989 zu ihren Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung von der Beklagten rechtmäßig veranlagt worden ist.

Die Klägerin betreibt seit Anfang 1982 ein Unternehmen zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung mit dem Schwerpunkt: Verleih von Arbeitnehmern für Sekretariats- und Schreibtätigkeiten sowie für die allgemeine kaufmännische Sachbearbeitung, Buchhaltung und Datenverarbeitung.

Mit dem am 1. Januar 1984 in Kraft getretenen Gefahrtarif stellte die Beklagte von einem nach Tätigkeiten gegliederten Gefahrtarif auf ein gewerbezweigbezogenes System um. In diesem von der Vertreterversammlung der Beklagten am 28. Juni 1983 beschlossenen Gefahrtarif sind die Unternehmen zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung in zwei Gruppen unterteilt: Unternehmen, die überwiegend Personal im büromäßigen Bereich verleihen, sind zur Gefahrtarifstelle 5.9 mit der Gefahrklasse 3,5 zu veranlagen; Unternehmen, die überwiegend Personal verleihen, die nicht in den büromäßigen Bereich fallen, sind der Gefahrtarifstelle 5.10 mit der Gefahrklasse 16 zuzuordnen. Diesen in den Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10 verwendeten Begriff "überwiegend" legte die Beklagte in der Praxis dahingehend aus, daß zur Gefahrtarifstelle 5.9 alle bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) versicherten Arbeitnehmer (Büropersonal) und zur Gefahrtarifstelle 5.10 alle bei einer Landesversicherungsanstalt (LVA) versicherten Arbeitnehmer (gewerbsmäßiges Personal) nachzuweisen und die Unternehmen ggf zu beiden Gefahrtarifstellen zu veranlagen sind. Auf Wunsch veranlagte die Beklagte Unternehmen auch nur zu einer der beiden Gefahrtarifstellen.

Mit Bescheid vom 26. November 1984 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß ab 1. Januar 1984 für die Berechnung der Beiträge ein neuer Gefahrtarif maßgebend sei und daß sie als ein Unternehmen zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach Gefahrtarifstelle 5.9 "(überwiegend Büro)" mit der Gefahrklasse 3,5 und nach Gefahrtarifstelle 5.10 "(nicht überwiegend Büro)" mit der Gefahrklasse 16 veranlagt werde. Sodann setzte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Juni 1985 idF des Bescheides vom 16. Dezember 1988 für das Jahr 1984 und mit Bescheid vom 25. April 1986 für das Jahr 1985 einen Gesamtbeitrag unter Zugrundelegung einer ausschließlich zur Gefahrklasse 3,5 veranlagten Lohnsumme fest. Die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 25. Juni 1985 und vom 25. April 1986, mit denen sie sich insbesondere gegen die "Anhebung der Gefahrklassen" wandte, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. März 1987).

Die Klägerin beantragte im Mai 1986, nach Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs die Gefahrklasse, zu der sie veranlagt wurde, für die Jahre 1984 und 1985 um 50 vH herabzusetzen, weil in ihrem nahezu ausschließlich im kaufmännischen Bereich und im Bankbereich tätigen Unternehmen eine nur geringe Unfallgefahr bestehe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Juli 1987 idF des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1988 ab.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 29. August 1989 die Bescheide aufgehoben und festgestellt, daß die Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10 des ab 1. Januar 1984 geltenden Gefahrtarifs rechtswidrig seien. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 25. April 1990 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das LSG hat ferner die weiteren während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangenen Beitragsbescheide für die Jahre 1986 (vom 27. April 1987 und 16. Dezember 1988), 1987 (vom 27. April 1988 und 16. Dezember 1988) und 1988 (vom 26. April 1989) auf die Anschlußberufung der Klägerin aufgehoben. Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß der Veranlagungsbescheid vom 26. November 1984 und die darauf beruhenden Beitragsbescheide für die Jahre 1984 bis 1988 auf einer Veranlagung der Klägerin nach einem insoweit rechtswidrigen Gefahrtarif beruhten. Eine an der Art des Gewerbezweiges - gewerbsmäßige Überlassung von Arbeitnehmern - anknüpfende, in der Handhabung nicht so komplizierte Tarifstellen- und Gefahrklassenbildung, wie bisher praktiziert, müsse zumindest in größerem Rahmen den Besonderheiten der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung und den unterschiedlichen Strukturen der darunter zusammengefaßten Unternehmen unter dem maßgebenden Gesichtspunkt der Unfallgefährdung Rechnung tragen und mögliche Untergliederungen oder Aufspaltungen anhand typischer Schwerpunkte derartiger Unternehmen vornehmen. Das hätte die Vertreterversammlung der Beklagten bei der Aufstellung des Gefahrtarifs vom 28. Juni 1983 auch gesehen und zunächst zwischen dem büromäßigen und dem nicht büromäßigen Bereich unterschieden. Die mit dieser Unterteilung offensichtlich beabsichtigte tiefere Risikoabstufung nach annähernd gleichartigen Unfallrisiken werde im Gefahrtarif im Ergebnis jedoch nicht oder nur völlig unzureichend erreicht, da die ohnehin schon sehr grobe Differenzierung - büromäßig/nicht büromäßig - durch das Merkmal "überwiegend" und die daraus resultierende Mischgefahrklasse wieder weitgehend zunichte gemacht werde. Die Zuordnung der Unternehmen entweder zur Gefahrklasse 3,5 oder 16 anhand des Kriteriums, ob überwiegend in den büromäßigen Bereich fallende Leiharbeitnehmer tätig seien oder nicht, führe zu sachwidrigen Ergebnissen und groben Ungerechtigkeiten. So würden Unternehmen mit einem Anteil an nicht büromäßig bzw gewerblich tätigen Arbeitnehmern von 0 bis nahezu 50 vH unterschiedslos mit der Gefahrklasse 3,5 belastet, deren Höhe wiederum maßgebend durch die Risiken von Unternehmen mitbestimmt werde, bei denen der gewerbliche Bereich schon nach der Anzahl der Arbeitnehmer gegenüber dem nichtgewerblichen Bereich durchaus nicht nur von untergeordneter oder gar unwesentlicher Bedeutung sei. Der ebenfalls angefochtene Bescheid vom 30. Juli 1987 idF des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1988 über die abgelehnte Herabsetzung der Gefahrklasse nach Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs sei praktisch gegenstandslos geworden, da es zur Zeit an der Voraussetzung für eine Herabsetzung fehle, daß die Klägerin einer bestimmten Gefahrklasse nach Teil I des Gefahrtarifs unterliege. Zur Vermeidung von Unklarheiten sei auch dieser Bescheid aufzuheben.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Auffassung des LSG, der Gefahrtarif vom 28. Juni 1983 komme als Rechtsgrundlage für den Veranlagungsbescheid nicht in Betracht, verletze § 730 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Bei der in dieser Bestimmung geregelten Befugnis der Vertreterversammlung, Gefahrklassen zu bilden, sei es ihrer Entscheidung überlassen, welche Gewerbezweige zu einer Gefahrklasse zusammengefaßt und wie diese Gewerbezweige voneinander abgegrenzt werden sollten. Sie - die Beklagte - habe zutreffend die Zeitarbeitsunternehmen als einen gesonderten Gewerbezweig angesehen, der eine ausreichend große Risikogemeinschaft bilde. Die Vertreterversammlung sei auch befugt gewesen, für diesen Unternehmenszweig zwei Gefahrtarifstellen zu schaffen. Von der "gewerbetypischen Gefahr" ausgehend habe sie dabei Risikogemeinschaften gebildet, und zwar einerseits für Zeitarbeitsunternehmen, in denen überwiegend Personen, die in den büromäßigen Bereich fielen, und andererseits für Unternehmen, in denen überwiegend Personen, die in den nicht büromäßigen Bereich fielen, tätig seien. Die "Überwiegend-Regelung" knüpfe an die Tarifstellenbildung herkömmlicher Art an: Entscheidend sei die "gewerbetypische" Unfallgefahr. Diese Unterscheidung habe immer zur Folge, daß einzelne Unternehmen, die gerade nicht "typisch" für den Gewerbezweig seien, durch die Zuordnung zu der für sie geltenden Gefahrtarifstelle stärker belastet würden als andere. Dies entspreche einerseits dem Versicherungssystem. Andererseits ermögliche Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs gerade in solchen Fällen Korrekturen. Soweit das LSG den Bescheid vom 30. Juli 1987 idF des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1988 aufgehoben habe, entbehre die Entscheidung einer gesetzlichen Grundlage. Selbst wenn die Ausführungen des LSG zur Rechtswidrigkeit der Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10 zuträfen, ändere dies nichts an der durchaus "üblichen Betriebsweise" des klägerischen Unternehmens iS des Teils II Nr 2 des Gefahrtarifs und damit an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides. Insoweit werde auch eine Verletzung des § 128 Abs 2 SGG gerügt, weil das LSG die Aufhebung des Bescheides auf Annahmen stütze, zu denen sich die Beteiligten nicht hätten äußern können. Im übrigen gelte ab 1. Januar 1990 ein neuer Gefahrtarif, in dem jedes Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung zu den Gefahrtarifstellen 6.1 und 6.2 veranlagt würde, und zwar bei der BfA rentenversicherungspflichtige Beschäftigte zur Gefahrklasse 5,0 und bei den LVAen versicherte Beschäftigte zur Gefahrklasse 12,8.

Die Beklagte beantragt,die Urteile des Hessischen LSG vom 25. April 1990 sowie des SG Frankfurt am Main vom 29. August 1989 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie meint, die Beklagte hätte zumindest für die rein kaufmännischen Zeitarbeitsunternehmen eine separate Gefahrklasse bilden müssen, weil diese nur so entsprechend dem Grad ihrer Unfallgefahr veranlagt werden könnten. Diese Unternehmen könnten durchaus etwa der Gefahrtarifstelle 5.5 (ua Adressen-, Schreib-, Übersetzungs- und Anzeigenbüros) mit der Gefahrklasse 1,5 zugeordnet werden. Davon abgesehen habe die Beklagte - wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren gerügt - die Gefahrklassen 3,5 und 16 fehlerhaft berechnet.

Die Klägerin hat dem Senat in der mündlichen Verhandlung am 21. August 1991 den ihr zugestellten Bescheid vom 16. Dezember 1988 überreicht, mit dem die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25. Juni 1985 für das Jahr 1984 die Klägerin nunmehr ausschließlich zur Gefahrtarifstelle 5.9 mit Gefahrklasse 3,5 veranlagt hat. Auf diesen Bescheid haben die Beteiligten Bezug genommen.

II

Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

1. Grundlage der als Verwaltungsakt anfechtbaren Veranlagung der Klägerin zur Gefahrklasse (BSGE 55, 26, 27) und der nachfolgenden Beitragsbescheide ist der von der Vertreterversammlung der Beklagten beschlossene Gefahrtarif vom 28. Juni 1983. Er ist objektives revisibles Recht, da er sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 SGG; BSGE aaO; BSGE 27, 237, 240; 43, 289, 292; s auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 542e).

Nach § 725 Abs 1 RVO richtet sich die Höhe der Beiträge nach dem Entgelt der Versicherten und dem Grad der Unfallgefahr in dem Unternehmen. Die Berufsgenossenschaften haben gemäß § 730 RVO zur Abstufung der Beiträge nach dem Grad der Unfallgefahr durch einen Gefahrtarif Gefahrklassen zu bilden. Bei der Erfüllung dieser Verpflichtung verbleibt der Vertreterversammlung ein größerer Regelungsspielraum, der durch die in den §§ 725 Abs 1, 730 RVO zum Ausdruck gekommenen Zielvorstellungen des Gesetzgebers begrenzt ist (BSGE 55, 26, 27; BSG Urteil vom 22. September 1988 - 2 RU 2/88 -) und nicht in Widerspruch zu den tragenden Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts stehen darf (BSG SozR 2200 § 731 Nr 2 mwN). Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind befugt und verpflichtet, die Übereinstimmung des Gefahrtarifs mit diesen Grundentscheidungen des Gesetzgebers zu überprüfen. Dem steht nicht entgegen, daß der Gefahrtarif autonomes Recht der Berufsgenossenschaft und vom Bundesversicherungsamt genehmigt ist (BSGE 55, 26, 27 mwN). Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen spielen dabei aber keine Rolle (BSG aaO).

Mit der Regelung in § 725 Abs 1, § 730 RVO, die Beiträge nach dem Entgelt der Versicherten im Unternehmen und nach dem Grad der Unfallgefahr zu bestimmen, hat sich der Gesetzgeber für ein System entschieden, bei dem die Lasten der Berufsgenossenschaften auf die einzelnen Mitglieder nicht nur entsprechend der Größe ihrer Unternehmen umgelegt, sondern bei dem engere Gefahrengemeinschaften der unterschiedlich gefährdeten Gewerbezweige gebildet werden, die das auf sie entfallende Risiko tragen (BSG SozR Nr 4 zu § 725 RVO; BSGE 55, 26, 27). Soweit die Beiträge sich nach dem Grad der Unfallgefahr richten, ist hierfür indes nicht die Gefahr des jeweiligen Arbeitsplatzes oder bestimmter Verrichtungen und Arbeitsvorgänge innerhalb eines Unternehmens maßgebend. Eine derartig weitgehende Differenzierung der Unfallgefahr verlangt das Gesetz nicht. Vielmehr ist das Ziel einer individuellen Beitragsgerechtigkeit durch die Untergliederung der Gefahrklassen nur begrenzt erreichbar. Dementsprechend ist die Vertreterversammlung im Hinblick auf die Gestaltungsfreiheit bei der Aufstellung der Gefahrtarife nicht gehindert, durch Typisierungen den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung zu tragen. Dabei auftretende Härten in Einzelfällen sind bei einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und hinzunehmen (BVerfG SozR 2200 § 734 Nr 2 mwN).

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist nicht zu beanstanden, daß die Beklagte den für Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung geltenden, nach Tätigkeiten gegliederten Tarif zum 1. Januar 1984 auf ein gewerbebezogenes, gemischtes System umstellte, diese Unternehmen als einen gesonderten Gewerbezweig mit einer ausreichend großen Gefahrengemeinschaft angesehen und für Unternehmen dieser Art die gesonderten Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10 eingerichtet hat. Der Senat ist angesichts der geschilderten eingeschränkten Überprüfungsbefugnis zu dem Ergebnis gekommen, daß die Einstufung der Klägerin für die Jahre 1984 bis 1989 in die Gefahrtarifstelle 5.9 rechtlich nicht zu beanstanden war.

Als Tarifarten kommen der Tätigkeitstarif und der Gewerbezweigtarif in Betracht. Beim Gewerbezweigtarif sind die Tarifstellen nach Gewerbezweigen gebildet (KassKomm-Ricke, 1990, § 730 RVO RdNr 8); es bestehen auch gemischte Tarife (KassKomm-Ricke aaO RdNr 9). Entgegen der Auffassung des LSG sind die Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung von ihrem Betriebsgegenstand her durchaus durch eine gemeinsame gewerbetypische Unfallgefahr gekennzeichnet. Denn Arbeitnehmer dieser Unternehmen werden, wie die Revision zu Recht darauf hinweist, zu verschiedenen Arbeiten herangezogen und an verschiedene Arbeitsplätze "verliehen". Allein der häufige Wechsel des Arbeitsplatzes mit der Folge, sich in eine neue Arbeitsumwelt eingewöhnen zu müssen, und die damit verbundenen Wegeunfallgefahren rechtfertigen es, bei den Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung von einer gewerbetypischen Unfallgefährdung auszugehen. Gerade weil die sich aus den verschiedenen Betätigungen dieser Unternehmen ergebenden Unfallgefahren so vielfältig sind und ihr Auftreten in unterschiedlichen Kombinationen möglich ist, war die Beklagte im Rahmen ihrer weiten Gestaltungsfreiheit berechtigt, für diesen Unternehmenszweig gesonderte Gefahrtarifstellen zu schaffen.

Die nach der Gefahrklasse festzustellende Höhe der Beiträge richtet sich ua nach dem Grad der Unfallgefahr "in dem Unternehmen" (§ 725 Abs 1 RVO) und "das Unternehmen" wird zu den Gefahrklassen veranlagt (§ 734 Abs 1 RVO). Hierzu hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 2200 § 734 Nr 1) bereits entschieden, daß die Gefahrklasse nach der Art des Gewerbes eines Unternehmens zu bilden ist. Auf solche Weise werden die gewerbetypischen Gefahren im Gefahrtarif des Unfallversicherungsträgers durch Gefahrklassen erfaßt. Dabei bleibt unberücksichtigt, ob es innerhalb eines zu einem bestimmten Gewerbe gehörenden Unternehmens nicht nur ausschließlich gewerbeverbundene Arbeitsplätze und daneben auch an sich dem jeweiligen Gewerbe fremde Arbeitsplätze gibt. Es wird vielmehr grundsätzlich in solchen Fällen hingenommen, daß gewerbefremde Arbeitsplätze weniger gefährdet sein können als solche, die dem Gewerbe unmittelbar zuzuordnen sind. Daher ist ein Unfallversicherungsträger grundsätzlich nicht verpflichtet, abgrenzbare Unternehmensteile in gesonderte Gefahrtarifstellen zu veranlagen (BSG aaO); er kann allerdings je nach den risikowirksamen Gegebenheiten Untergliederungen vornehmen (s KassKomm-Ricke, aaO RdNr 8).

Der Senat ist der Auffassung, daß es für die Beklagte im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten lag, im Hinblick auf den stark expandierenden Gewerbezweig der Arbeitnehmerüberlassung mit seinen vielfältigen Unfallgefahren, sich an gewerbetypischen Gefahren zu orientieren. Die Beklagte handelte zumindest nicht rechtswidrig, als sie in dem aufgezeigten Entscheidungsrahmen und dem gerichtlichen Prüfungsumfang unter der gebotenen Beachtung aller Umstände für eine Übergangszeit in einem gemischten Tarif (s KassKomm-Ricke aaO RdNr 9) nach überwiegend anfallenden Tätigkeiten innerhalb oder außerhalb des büromäßigen Bereichs zwei Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10 festlegte. Insoweit übersieht der Senat nicht, daß sich bei der Auslegung des Begriffs "überwiegend" in den Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10 - hier nicht näher nachzuprüfende - Schwierigkeiten ergeben können. Bei der von der Beklagten beschlossenen Untergliederung sind durchaus ganz erhebliche ggf nur von wenigen Arbeitskräften abhängige unterschiedliche Belastungen einzelner Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung je nach dem Prozentsatz der Arbeitnehmer im büromäßigen einerseits und im gewerblichen Bereich andererseits möglich. Bei Unternehmen ausschließlich mit Arbeitnehmern im büromäßigen Bereich können in der Regel geringere Unfallgefahren als im gewerblichen Bereich bestehen. Deshalb hat die Beklagte auch mit Wirkung vom 1. Januar 1990 an die für Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung maßgeblichen Gefahrtarifstellen neu bezeichnet. Sie veranlagt die Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung zwar weiterhin zu zwei Gefahrtarifstellen, unterscheidet aber im Gefahrtarif nicht mehr danach, ob überwiegend Tätigkeiten innerhalb oder außerhalb des büromäßigen Bereiches anfallen, sondern veranlagt in allen Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung die Beschäftigten, die bei der BfA rentenversicherungspflichtig sind oder wären, zur Gefahrklasse 5,0 und die Beschäftigten, die bei den LVAen versichert sind oder wären, zur Gefahrklasse 12,8.

Bei solchen komplexen Sachverhalten und bei einem sich sprunghaft entwickelnden und verändernden Unternehmenszweig wie hier ist im Rahmen der Beitragsgestaltung dem Satzungsgeber auch ein zeitlicher Anpassungsspielraum zuzubilligen. Angesichts des geschilderten erheblichen Regelungsspielraums, welcher den Berufsgenossenschaften bei der Abstufung nach Gefahrklassen durch einen Gefahrtarif eingeräumt ist, hat auch eine Veränderung innerhalb der Gefahrtarifstelle nicht überhastet zu erfolgen. Der Satzungsgeber muß vielmehr einen angemessenen Zeitraum zur Verfügung haben, um weitere Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln an Regelungen abzuhelfen (vgl ua BVerfGE 80, 1, 26 sowie BSG Urteil vom 24. Januar 1991 - 2 RU 62/89 -, jeweils mwN).

Es sprechen somit sachgerechte Gründe nicht nur gegen, sondern auch für die in dem bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Gefahrtarif festgelegte Untergliederung der Unternehmen zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung zu den Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10. Das Abwägen zwischen mehreren, jeweils für die eine oder die andere Regelung bei der Beitragsgestaltung wesentlichen Gesichtspunkte und die daraus folgende Entscheidung obliegt grundsätzlich der Beklagten (BSG aaO).

Die Beklagte weist schließlich zutreffend darauf hin, daß nach Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs bei erheblich abweichenden Betriebsweisen Möglichkeiten einer Korrektur in der Gefahrklasse bestehen. Diese Korrekturmöglichkeit ist ausdrücklich auf Einzelfälle begrenzt und darf nicht dazu führen, die Zuteilung einer bestimmten Art von Unternehmen zu einer im Gefahrtarif festgesetzten Gefahrklasse durch Ermäßigung der Gefahrklasse bei der Veranlagung der einzelnen Unternehmen richtig zu stellen versuchen (s BSGE 27, 237, 241). Auch ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß nach § 725 Abs 2 RVO Zuschläge zu erheben oder Nachlässe zu gewähren sind, um die Beitragslast möglichst gerecht der tatsächlichen Unfallgefahr in einem Unternehmen anzupassen (s BSG SozR 2200 § 734 Nr 1; BSGE 55, 26, 28).

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist der Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 26. November 1984 rechtmäßig. Ihm ist in Verbindung mit dem beigefügten Gefahrtarif eindeutig zu entnehmen, daß die Klägerin entweder zur Gefahrtarifstelle 5.9 oder 5.10 veranlagt werde, je nachdem sie Arbeitnehmer verleiht, die im büromäßigen oder im gewerblichen Bereich überwiegend tätig sind. Die Beklagte konnte daher die Ankündigung der Veranlagung auf beide Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10 stützen.

Soweit die Revision die Beitragsbescheide für die Jahre 1984 bis 1989 betrifft, ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Beklagte in ihrem bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Gefahrtarif die Zeitarbeitsunternehmen als gesonderte Gewerbezweige angesehen und die Gefahrtarifstellen 5.9 und 5.10 geschaffen hat. Es ist dementsprechend auch rechtens, daß sie in diesen Beitragsbescheiden die Klägerin - ausschließlich -zur Gefahrtarifstelle 5.9 veranlagt hat.

Allerdings hat das LSG - aus seiner Sicht folgerichtig -nicht geprüft, ob - wie die Klägerin bereits im vorinstanzlichen Verfahren gerügt hat - die für diese Gefahrtarifstelle 5.9 von der Vertreterversammlung der Beklagten festgelegte Gefahrklasse 3,5 zutreffend errechnet worden ist (s dazu BSG SozR 2200 § 731 Nr 2). Diese rechtliche Überprüfung kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend vornehmen.

2. Soweit sich die Revision gegen die Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 1987 idF des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1988 richtet, ist auch sie insofern begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Das LSG hat - wiederum aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob dieser Bescheid rechtmäßig ist, weil es nach seiner Rechtsauffassung an der Voraussetzung für eine Herabsetzung mangels einer gültigen Gefahrtarifklasse für die Klägerin fehle. Entsprechend dem Ergebnis der noch nachzuholenden Überprüfung der Gefahrklasse wird das LSG gemäß dem Begehren der Klägerin die Rechtmäßigkeit auch dieses Bescheides zu überprüfen haben.

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Haufe-Index 517836

NZA 1992, 335

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