Entscheidungsstichwort (Thema)

Parkhausbetriebe. Gefahrtarif. Bestimmung der Gefahrenklasse. Belastungsziffer. Unternehmensteile

 

Orientierungssatz

1. Für die Zuordnung des Kassierens in einem Parkhausbetrieb zu dem mit einem geringeren Unfallrisiko behafteten kaufmännischen Teil kommt es nicht darauf an, ob die Kassierer eher eine kaufmännische Tätigkeit ausüben, bei der sie mit dem fließenden oder ruhenden Verkehr nicht in Berührung kommen, sondern darauf, ob sie im kaufmännischen Teil des Unternehmens tätig sind.

2. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind befugt und verpflichtet, zu prüfen, ob der Gefahrtarif der Berufsgenossenschaft mit den in den §§ 725 Abs 1, 730 RVO zum Ausdruck gekommenen Zielvorstellungen des Gesetzgebers vereinbar ist. Dem steht nicht entgegen, daß der Gefahrtarif autonomes Recht der Berufsgenossenschaft und vom Bundesversicherungsamt genehmigt ist (vgl BSG vom 22.3.1983 2 RU 27/81 = BSGE 55, 26, 27).

3. Hat die Berufsgenossenschaft die Unfallrisiken unrichtig eingeschätzt oder macht ein Mitgliedsunternehmen begründet geltend, die Zuteilung einer bestimmten Art von Unternehmen zu einer im Gefahrtarif festgesetzten Gefahrklasse entspreche nicht dem Grad der durch sie zum Ausdruck gebrachten Unfallgefährdung, so muß die Berufsgenossenschaft im Gefahrtarif für diese Unternehmensart die Gefahrklasse anders, nämlich nach dem individuell gegebenen Grad der Unfallgefahr bestimmen (vgl BSG vom 14.12.1967 2 RU 60/65 = BSGE 27, 237, 241).

 

Normenkette

RVO § 725 Abs 1, §§ 730, 734

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.11.1987; Aktenzeichen L 5 U 14/85)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.11.1984; Aktenzeichen S 16 U 303/81)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Beiträge, die die Klägerin für die bei ihr beschäftigten Kassierer für die Jahre 1979 und 1980 an die Beklagte zu entrichten hat.

Die Klägerin ist eine Parkhausbetriebsgesellschaft und betreibt ein Parkhaus in D.        . Die bei ihr beschäftigten Kassierer sitzen in einem Blechhäuschen und nehmen die Parkgebühren beim Herausfahren der Kraftfahrzeuge ein; sie verrichten keine Arbeiten, bei denen sie in unmittelbaren Kontakt zum ruhenden oder fließenden Verkehr kommen. Auf der Grundlage des für die Jahre 1979 und 1980 maßgebend gewesenen 17. Gefahrtarifs der Beklagten wurde das Unternehmen der Klägerin mit Bescheid vom 10. Dezember 1979 zur Tarifstelle 1/Gefahrklasse 1 ("Kaufmännischer Teil") und zur Tarifstelle 4/Gefahrklasse 6 ("Garage, Autohof, Bootshaus" - Schlüsselzahl 670-) veranlagt. Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch und beantragte unter Hinweis auf Teil II, Ziffer 2 des Gefahrtarifs eine Herabsetzung der Gefahrklasse, da ihre Kassierer ausschließlich in einem geschlossenen Kassenhaus tätig seien. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 22. Juni 1981 erhob die Klägerin erneut Widerspruch und machte geltend, ihre Kassierer seien dem kaufmännischen Teil (Gefahrklasse 1) zuzuordnen. In ihrem Widerspruchsbescheid vom 12. November 1981 vertrat die Beklagte demgegenüber die Ansicht, die generell für Parkhäuser geltende Gefahrklasse 6 sei ohne Rücksicht auf die spezielle Unfallgefährlichkeit des einzelnen Unternehmens anzuwenden; im übrigen sei die Kassierertätigkeit dem technischen Bereich des Parkhauses zuzurechnen. Während des Widerspruchs- und des anschließenden Klageverfahrens erließ die Beklagte die Beitragsbescheide vom 14. April 1980 und 13. April 1981 sowie den Bescheid vom 26. Oktober 1983, mit denen sie die Kassierer für die Umlagejahre 1979 und 1980 in der Gefahrklasse 6 erfaßte.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Beklagte vorgetragen, die gefahrtarifliche Veranlagung von Parkhäusern unter dem Gewerbezweig 670 (Garage, Autohof, Bootshaus) sei zu Recht erfolgt. Die Bedeutung der Autohöfe und der Bootshäuser habe in der Vergangenheit stark abgenommen. Der Gewerbezweig 670 umfasse ganz überwiegend Parkhäuser. Nach praxisbezogener Schätzung erfahrener Mitarbeiter seien 90 bis 95 % der im Jahre 1983 unter diesem Gewerbezweig erfaßten Betriebe Parkhäuser gewesen. Genaue Zahlenangaben seien wegen des unzumutbaren verwaltungstechnischen Aufwandes allerdings nicht möglich. Für den Beobachtungszeitraum 1973 bis 1977 habe sich für die Unternehmen des Gewerbezweigs 670 rechnerisch eine Gefahrklasse von 7,937 ergeben. Die Klägerin hat diese auf Schätzungen beruhenden Angaben bestritten.

Das SG hat die gegen die Bescheide vom 10. Dezember 1979, 22. Juni 1981 und 12. November 1981 gerichtete Klage mit Urteil vom 22. November 1984 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe das Unternehmen der Klägerin zutreffend unter der Schlüsselzahl 670 veranlagt. Denn nach dem glaubhaften Vortrag der Beklagten habe die Belastungsziffer der Parkhausunternehmen die wesentliche Basis für die Bildung der Gefahrklasse 6 abgegeben; die übrigen Unternehmen des Gewerbezweigs 670 hätten daran keinen wesentlichen Anteil gehabt. Dem kaufmännischen Teil des Unternehmens könnten die Kassierer nicht zugerechnet werden, weil deren Tätigkeit untrennbarer Bestandteil der entgeltlichen Bereitstellung von Unterstellplätzen für Kraftfahrzeuge sei. Eine Herabsetzung der Gefahrklasse nach Teil II, Ziffer 2 des Gefahrtarifs komme ebenfalls nicht in Betracht, da sich das Unternehmen der Klägerin nicht wesentlich von denjenigen unterscheide, deren abstraktes Unfallrisiko die Grundlage für die Gefahrtarifstelle bilde.

Im Berufungsverfahren hat sich die Klägerin insbesondere dagegen gewendet, daß das SG dem Vortrag der Beklagten ohne eigene Ermittlungen gefolgt sei. Es gäbe noch eine Vielzahl von Garagen herkömmlichen Stils, denen Service, Handel und Reparatur angeschlossen seien. Auch werde eine große Zahl von Parkhäusern in Verbindung mit Tankstellen und Serviceeinrichtungen betrieben, weshalb Parkhäuser der von ihr betriebenen Art, bei denen das Personal mit den Kraftfahrzeugen nicht in Berührung komme, hinsichtlich des von ihnen ausgehenden Unfallrisikos nicht vergleichbar seien. In Anwendung des § 730 der Reichsversicherungsordnung (RVO) müsse die Beklagte für derartige Unternehmen deshalb eine eigene Gefahrklasse schaffen. Jedenfalls sei die Beklagte verpflichtet, die Kassierer dem kaufmännischen Teil zuzuordnen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 14. April 1980, 13. April 1981 und 26. Oktober 1983 verurteilt, bei der Neuberechnung der Beiträge die bei der Klägerin tätigen Kassierer der Gefahrklasse 1 zuzuordnen (Urteil vom 10. November 1987). Da sich die Klägerin mit ihrem im Berufungsverfahren gestellten Hauptantrag nur noch gegen die Beitragsbescheide gewandt habe und dieser Antrag begründet sei, bedurfte es keiner Entscheidung über den Hilfsantrag, der auf die Abänderung des Veranlagungsbescheides gerichtet gewesen sei. Dieser enthalte im übrigen nur die Feststellung, daß der gewerbliche Teil der Gefahrklasse 6 und der kaufmännische Teil der Gefahrklasse 1 zuzuordnen sei; dagegen enthalte er keine Bestimmung zur Abgrenzung des kaufmännischen Teils von dem gewerblichen Teil des Unternehmens. Diese Entscheidung habe die Beklagte erst in den Beitragsbescheiden getroffen. Dabei habe sie die Kassierer zu Unrecht dem gewerblichen Teil zugeordnet. Denn die mit der Einnahme von Parkgebühren verbundenen Tätigkeiten seien kaufmännischer Art. Sie seien der erbrachten Leistung nachgeschaltet und dienten der Realisierung des unternehmerischen Erfolges. Sie seien damit inhaltlich und zeitlich von den gewerblichen Leistungen abgrenzbar. Diese - mangels irgendwelcher Bestimmungen in der Satzung oder im Gefahrtarif selbst - vorzunehmende Interpretation des 17. Gefahrtarifs entspreche auch den Zielvorstellungen der §§ 725 Abs 1, 730 RVO, wonach der Grad der Unfallgefahr für die Bildung des Gefahrtarifs maßgeblich sei. Da die Kassierer nur dem bei kaufmännischen Tätigkeiten anfallenden niedrigeren Unfallrisiko ausgesetzt seien, sei deren Einstufung in die Gefahrklasse 1 auch aus dieser Sicht angezeigt.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von Bundesrecht, insbesondere der §§ 725, 730, 734, 746 RVO iVm der Satzung und dem 17. Gefahrtarif. Das LSG habe verkannt, daß es für die Erhebung der Beiträge iS von § 725 Abs 1 RVO nicht auf die Unfallgefahr eines einzelnen Arbeitsplatzes, sondern auf die generelle, durchschnittliche Unfallgefahr im Unternehmen ankomme. Nach § 730 RVO sei der Gefahrtarif nicht für einzelne Betriebe, sondern für ganze Gewerbezweige aufzustellen. Hierbei sei eine gewisse Pauschalierung und Typisierung hinzunehmen. Daran habe sich die Beklagte bei der Einstufung von Parkhausunternehmen gehalten. Lediglich der kaufmännische Teil sämtlicher vom 17. Gefahrtarif erfaßten Gewerbezweige sei der Gefahrklasse 1 zugeordnet. Dies bedeute ebenfalls, daß die Abgrenzung nicht nach der von einzelnen Beschäftigten ausgeübten Tätigkeit vorzunehmen sei; es komme vielmehr darauf an, in welchem "Teil" des Unternehmens der Versicherte tätig sei. Die Abgrenzung könne deshalb nur nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Unternehmensstruktur erfolgen. Hier könne keine Rede davon sein, daß die Kassierer in dem verwaltenden Büroteil des Unternehmens beschäftigt seien. Sie erfüllten vielmehr eine mit der Gewerbeausübung unmittelbar verbundene Funktion, die heute weitgehend durch Automaten ersetzt sei. Die Klägerin könne auch keine Rechte aus Teil II, Ziffer 2 des Gefahrtarifs ableiten, da sich ihr Unternehmen hinsichtlich des abstrakten Risikos nicht erheblich von den Betrieben unterscheide, deren Gesamtheit die Grundlage für die Schlüsselzahl 670 bilde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. November 1987 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22. November 1984 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält die vom LSG vertretene Interpretation des 17. Gefahrtarifs für zutreffend und weist darauf hin, daß die Beklagte bereits in vergleichbaren Fällen eine Zuordnung zur Gefahrklasse 1 vorgenommen habe. Bereits aus der Struktur der Parkhausbetriebe heutigen Standards folge die Notwendigkeit, die Kassierertätigkeit dem kaufmännischen Bereich zuzuordnen. Der Mietvertrag zwischen Parkhausbetreiber und Dritten erschöpfe sich nämlich in der Zurverfügungstellung des Stellplatzes und in der Entgegennahme der Parkgebühr durch den Kassierer (im völlig abgetrennten Raum) oder durch Automaten. Folglich sei die Tätigkeit des Kassierers Ausfluß des kaufmännischen Teils des Betriebes, seine Tätigkeit komme als Folge der kaufmännischen Zielsetzung als krönendes Erfolgselement zum Tragen. Wenn die Beklagte dieser Ansicht nicht folgen wolle, so sei ihr Gefahrtarif jedenfalls nicht auf das Unternehmen der Klägerin anwendbar. Die Beklagte habe in den Vorinstanzen nicht unter Beweis stellen können, daß unter der Schlüsselzahl 670 Unternehmen zusammengefaßt seien, die dem geringen Risiko moderner Parkhausunternehmen entsprächen. Zumindest aber sei der Anspruch auf Herabsetzung der Gefahrklasse begründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Das LSG hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob der angefochtene Veranlagungsbescheid vom 10. Dezember 1979 und der Folgebescheid vom 22. Juni 1981 (beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 1981) rechtmäßig sind, weil es die hierauf beruhenden Beitragsbescheide für fehlerhaft gehalten und demgemäß dem Hauptantrag des Klägers auf Einstufung der Kassierer in die Gefahrklasse 1 entsprochen hat. Das LSG hat hierbei jedoch verkannt, daß die Gefahrtarifstelle 1 mit der Gefahrklasse 1 des 17. Gefahrtarifs ausschließlich auf den kaufmännischen Teil des Unternehmens und daher nicht auf die im Parkhaus tätigen Kassierer anzuwenden ist. Es hätte deshalb dem Hilfsantrag der Klägerin entsprechend die Rechtmäßigkeit des 17. Gefahrtarifs und des darauf beruhenden Veranlagungsbescheides überprüfen müssen. Diese rechtliche Überprüfung kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend vornehmen.

Ausgehend von dem für die Zeit ab 1. Januar 1979 gültigen 17. Gefahrtarif der Beklagten sind die Beitragsbescheide vom 14. April 1980, 13. April 1981 und 26. Oktober 1983 nicht zu beanstanden. Danach ist der Gesamtbetrieb der Klägerin unter dem Gewerbezweig "Garage, Autohof und Bootshaus" in der Gefahrtarifstelle 4 und der Gefahrklasse 6 eingestuft. Eine günstigere Einstufung, nämlich in der Gefahrtarifstelle 1 und der Gefahrklasse 1, ist nur für den kaufmännischen Teil der jeweiligen Unternehmen vorgesehen. Das hierauf gerichtete Begehren der Klägerin ist unbegründet.

Das LSG und die Klägerin vertreten insofern die Ansicht, das Kassieren gehöre deshalb zu dem im Gefahrtarif ausgegliederten kaufmännischen Teil des Unternehmens, weil es der gewerblichen Leistung nachgeschaltet sei und der Realisierung des gewerblichen Erfolges diene. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Zuordnung zu dem mit einem geringeren Unfallrisiko behafteten kaufmännischen Teil setzt nämlich das Vorhandensein eines solchen Unternehmensteils voraus, dh einer betrieblichen Abteilung, die von dem gewerblichen Teil in einer Weise abgrenzbar ist, daß die gewerbetypischen Unfallgefahren generell nicht auftreten werden, wie zB bei der räumlichen und organisatorischen Trennung von Produktionsstätten und Verwaltungszentren. Dies folgt aus dem für die Bildung von Gefahrklassen festgelegten Grundsatz, daß es nicht auf die Unfallgefahr an bestimmten Arbeitsplätzen eines Unternehmens ankommt, sondern auf die gewerbespezifische Unfallgefahr des Gesamtbetriebes (vgl BSGE 55, 26, 28 = SozR 2200 § 734 Nr 3), der es den Berufsgenossenschaften gestattet, auch solche Personen oder Personengruppen, die gegenüber der typischen Gewerbegefahr objektiv geringer gefährliche Arbeiten verrichten, dem für den Gewerbezweig allgemein geltenden Gefahrtarif zuzuordnen (vgl BSG aaO; BSG SozR 2200 § 734 Nr 1 Schulz, Gefahrtarif und Risikoausgleich gewerblicher Berufsgenossenschaften, 1981 S 79 ff). Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Kassierer eher eine kaufmännische Tätigkeit ausüben, bei der sie mit dem fließenden oder ruhenden Verkehr nicht in Berührung kommen, sondern darauf, ob sie im kaufmännischen Teil des klägerischen Unternehmens tätig sind. Davon kann nach den Feststellungen des LSG nicht gesprochen werden. Im Gegenteil: Das angefochtene Urteil enthält keine ausdrücklichen Feststellungen zu der Frage, ob das klägerische Unternehmen aus verschiedenen Abteilungen besteht. Lediglich aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Betriebsakten der Beklagten ist zu entnehmen, daß die Parkhausbetriebsgesellschaft ein Parkhaus in D.  , K.  -A.    -P.    (oder G.   -G.   -Straße, vgl Bl 24 und 27 der Betriebsakte) betreibt und sich die Geschäftsleitung seit dem 1. Mai 1979 in der R.        befindet (Bl 33). Hieraus und aus der Feststellung, daß die Kassierer in einem Blechhäuschen sitzen und die Parkgebühren beim Herausfahren der Kraftfahrzeuge einnehmen - eine Tätigkeit, die heute weitgehend von Automaten ersetzt wird - geht vielmehr hervor, daß die Kassierer dem technischen Bereich des Parkhausbetriebes angehören. Insofern ist das Begehren der Klägerin auf Zuordnung zur Gefahrklasse 1 unbegründet.

Der von der Klägerin ursprünglich und im Berufungsverfahren hilfsweise geltend gemachte Anspruch richtete sich aber nicht nur auf die Zuordnung zum kaufmännischen Teil, sondern auch auf die Schaffung einer eigenen, dem geringeren Risiko der Parkhausunternehmen angepaßten Gefahrklasse; zumindest aber sei die Beklagte verpflichtet, die Gefahrklasse im vorliegenden Einzelfall gemäß Teil II, Ziffer 2 des Gefahrtarifs herabzusetzen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Beklagte habe das erheblich geringere Unfallrisiko in Parkhäusern der von ihr betriebenen Art unter Verstoß gegen die Grundsätze des § 730 RVO nicht beachtet. Die Zuordnung von Parkhausunternehmen zu dem gemeinsamen Gewerbezweig 670 sei rechtswidrig, weil in den modernen Parkhäusern keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt würden, die mit dem Autoverkehr in Berührung kämen oder mit der Wartung und Reparatur von Kraftfahrzeugen bzw entsprechender technischer Anlagen beschäftigt würden. Insbesondere sei die Behauptung der Beklagten, die Parkhausunternehmen bildeten die wesentliche Basis für die Belastungsziffer des Gewerbezweiges 670, durch keinen Beleg untermauert.

Streitgegenstand war deshalb auch der angefochtene Veranlagungsbescheid und die Frage, ob die umstrittene Regelung in dem 17. Gefahrtarif der Beklagten anderem, dem autonomen Recht der Beklagten übergeordneten Recht widerspricht. Daß es sich bei der Veranlagung um einen anfechtbaren Verwaltungsakt und bei dem Gefahrtarif um objektives und - weil über den Bezirk des Berufungsgerichts hinausgehendes - revisibles Recht handelt (§ 162 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach entschieden (vgl BSGE 27, 237, 240 = SozR Nr 1 zu § 730 RVO; BSGE 43, 289, 292 = SozR 2200 § 731 Nr 1; BSGE 55, 26, 27; s auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 542 e). Zur dieser Prüfung sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit befugt und verpflichtet, insbesondere zu der Prüfung, ob der Gefahrtarif der Beklagten mit den in den §§ 725 Abs 1, 730 RVO zum Ausdruck gekommenen Zielvorstellungen des Gesetzgebers vereinbar ist. Dem steht nicht entgegen, daß der Gefahrtarif autonomes Recht der Berufsgenossenschaft und vom Bundesversicherungsamt genehmigt ist (vgl BSGE 55, 26, 27 mwN).

Ob der 17. Gefahrtarif der Beklagten in bezug auf die Einstufung von Parkhausunternehmen rechtmäßig ist, beurteilt sich nach den §§ 725 Abs 1, 730 RVO. Danach richtet sich die Höhe der Beiträge ua nach dem Grad der Unfallgefahr (§ 725 Abs 1 RVO), dem durch die Bildung von Gefahrklassen in Gefahrtarifen Rechnung zu tragen ist (§ 730 RVO). Der Gefahrtarif wird nicht für einzelne Betriebe, sondern für ganze Gewerbezweige oder bestimmte Tätigkeiten aufgestellt, dann werden die einzelnen Betriebe nach § 734 RVO Gefahrklassen zugeteilt. Hierzu hat das BSG in der zuletzt zitierten Entscheidung ausgeführt, daß die Zusammenfassung mehrerer Gewerbezweige mit unterschiedlichen Unfallrisiken innerhalb einer Berufsgenossenschaft bei einem nach Gewerbezweigen erstellten Gefahrtarif die Schaffung enger Gefahrgemeinschaften erfordere. Demgemäß hat eine Gefahrenklasse Gewerbezweige mit annähernd gleichen Unfallrisiken zusammenzufassen. Dabei sind in erster Linie die tatsächlichen Gefahren maßgebend, dh die Unfallgefahr resultiert aus Häufigkeit, Art und Umfang der verursachten Gesundheitsschäden (vgl § 731 Abs 1 RVO; BSGE 43, 289, 290; 55, 26, 28 Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Unfallversicherung, 4. Aufl, § 730 Anm 1). Hat die Berufsgenossenschaft diese Risiken unrichtig eingeschätzt oder macht ein Mitgliedsunternehmen begründet geltend, die Zuteilung einer bestimmten Art von Unternehmen zu einer im Gefahrtarif festgesetzten Gefahrklasse entspreche nicht dem Grad der durch sie zum Ausdruck gebrachten Unfallgefährdung, so muß die Berufsgenossenschaft im Gefahrtarif für diese Unternehmensart die Gefahrklasse anders, nämlich nach dem individuell gegebenen Grad der Unfallgefahr bestimmen (vgl BSGE 27, 237, 241; 55, 26, 28; Brackmann aaO).

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist zu prüfen, ob der 17. Gefahrtarif der Beklagten und der auf diesem beruhende Veranlagungsbescheid vom 10. Dezember 1979 insoweit rechtens ist, als Parkhausunternehmen generell in die Gefahrklasse 6 eingestuft werden. Die Klägerin trägt vor, moderne, nahezu voll automatisierte Parkhäuser könnten nicht ohne weiteres mit herkömmlichen Garagen-, Autohof- und Bootshausbetrieben hinsichtlich der von ihnen ausgehenden Unfallgefahren gleichgesetzt werden. Inwieweit hier erhebliche Unterschiede bestehen, kann indessen aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht gesagt werden. Das LSG ist dieser Frage nicht nachgegangen, weil es die Beitragsbescheide aus anderen Gründen für rechtswidrig gehalten hat. Vor allem hat es nicht geprüft, ob die bestrittene Behauptung der Beklagten zutrifft, daß die Gefahrklasse 6 im wesentlichen aus der ermittelten Belastungsziffer für Parkhäuser gebildet worden sei, während die übrigen Unternehmen des Gewerbezweiges 670 hieran keinen wesentlichen Anteil gehabt hätten. Der Senat kann die hierfür erforderlichen Feststellungen nicht treffen, so daß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Sollte sich aufgrund der erneuten Ermittlungen, in deren Rahmen die Beklagte die notwendigen Beweismittel vorzulegen haben wird, ergeben, daß die Veranlagung von Parkhausunternehmen zur Gefahrklasse 6 generell deren Unfallrisiko entspricht, so wird das LSG noch zu prüfen haben, ob für das spezielle Unternehmen der Klägerin eine Herabsetzung nach Teil II, Ziffer 2 des 17. Gefahrtarifs in Betracht kommt.

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666789

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