Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.11.1995; Aktenzeichen L 3 U 115/92)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. November 1995 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

In dem Rechtsstreit um die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen streiten die Beteiligten, ob der akute Herztod des Versicherten auf seine Tätigkeit als Feuerwehrmann am Todestag zurückzuführen ist.

Der im Jahre 1954 geborene Ehemann/Vater der Kläger (Versicherter) war als Oberfeuerwehrmann Mitglied der freiwilligen Feuerwehr M. …. Am 8. Juni 1988 arbeitete er bis ca 17.00 Uhr in seinem Beruf als Maschinenbaumeister. Um ca 19.40 Uhr wurde er durch eine Sirene zu einer Feuerwehrübung gerufen. Dabei handelte es sich um die erste, unvermutete Alarmübung seit Jahren. Er fuhr mit dem Fahrrad von seiner Wohnung zum ca 600 bis 700 m entfernten Geräteschuppen der Feuerwehr. Dort zogen die Übungsteilnehmer die Motorspritze TS 8/8 aus dem Gerätehaus und kuppelten sie an ein Zugfahrzeug an. Nachdem sie Helme und Jacken angezogen hatten, begaben sie sich nach kurzer Fahrtdauer zum ca 400 bis 500 m entfernten Übungsort, wo eine Schlauchleitung zu einem angenommenen Brandort gelegt werden sollte. Der Versicherte trug – zusammen mit drei weiteren Feuerwehrleuten – die ca 180 kg schwere Motorspritze ca 5 bis 6 m zu einem Hydranten. Zum Anwerfen des Motors der Spritze drehte er die Kurbel mit ca 5 bis 6 Umdrehungen durch, ohne daß der Motor ansprang. Nach dem Aufklappen der Motorhaube zur Behebung eines etwaigen Defekts am Vergaser oder im Luftfilter und vermutlich zwei weiteren Umdrehungen mit der Kurbel fiel der Versicherte plötzlich rückwärts um. Er war im Gesicht blau angelaufen und bewußtlos. Trotz sofortiger Wiederbelebungsversuche konnte im Krankenhaus nur noch sein Tod festgestellt werden.

Der Versicherte hatte sich bereits am 10. Mai 1988 wegen retrosternaler Beschwerden im linken Thoraxbereich bei Belastung in die Behandlung des Internisten Dr. H. (S. …) begeben. Dieser hatte für den Versicherten deswegen eine ambulante Untersuchung im Krankenhaus der Barmerherzigen Brüder in T. … am 18. Mai 1988 veranlaßt. Nach dem Untersuchungsbericht von Prof. Dr. H. … /Dr. H. … von dieser Klinik hatte sich kein Anhalt für eine koronare Herzerkrankung finden lassen; der Befund wurde iS einer latenten pulmonalen Hypertonie interpretiert. Am 7. Juni 1988 hatte der Versicherte wegen des schon bei geringen Anstrengungen auftretenden Beschwerdebildes nochmals Dr. H. aufgesucht. Die erneute EKG-Untersuchung erbrachte keinen krankhaften Befund.

Der Pathologe Prof. Dr. M. … kam nach der Obduktion der Leiche im Gutachten vom 1. September 1988 zu dem Ergebnis, daß als wesentliche krankhafte Veränderung ein subtotaler Verschluß des absteigenden Astes der linken Herzkranzarterie vorgelegen habe. Dieser habe sich besonders ungünstig ausgewirkt, weil beim Versicherten als biologische Variante die linke Herzkranzarterie den weit überwiegenden Teil des linken Ventrikels versorgt habe. Diese Veränderungen seien für den frühen Herztod des Versicherten infolge einer ventrikulären elektrischen Instabilität verantwortlich gewesen. Der Belastung bei der Feuerwehrübung komme nur die Bedeutung einer rechtlich unwesentlichen Gelegenheitsursache zu.

Der Beklagte lehnte es daraufhin ab, Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, weil der Tod des Versicherten nicht Folge eines Arbeitsunfalls gewesen sei. Die Anstrengungen beim Ankurbeln der Motorspritze hätten sich als körperliche Belastung im üblichen Rahmen gehalten. Die Feuerwehrübung sei nicht geeignet gewesen, den Tod des Versicherten wesentlich (mit-)zuverursachen (Bescheid vom 26. September 1988 idF des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1989).

Das Sozialgericht (SG) hat ein internistisches Gutachten mit ergänzender Stellungnahme von Prof. Dr. G. … /Dr. B. … vom 29. April 1990/11. Juli 1990 sowie ein technisches Gutachten vom Dipl. Ing. H. … (TÜV Rheinland) hinsichtlich des zum Ankurbeln des Motors der Spritze erforderlichen Kraftaufwands sowie ein arbeitsmedizinisches Gutachten mit ergänzender Stellungnahme von Dr. Str. … (TÜV Rheinland) zur Untersuchung des beim Anwerfen der Motorspritze erforderlichen Leistungsaufwands mit Hilfe von sechs Feuerwehrleuten als Versuchspersonen vom 18. Januar 1991/30. April 1991/19. Mai 1992 eingeholt.

Das SG hat den Beklagten verurteilt, den Klägern Hinterbliebenenleistungen aus Anlaß des Todes des Versicherten zu gewähren (Urteil vom 10. September 1992): Die äußeren Einwirkungen bei der Feuerwehrübung müßten im Hinblick auf die Untersuchungsergebnisse als wesentliche Mitursache des Herztodes des Versicherten qualifiziert werden. Die bei der Feuerwehrübung zu berücksichtigenden Faktoren hätten in ihrer Gesamtheit eine für den Versicherten weit über die alltäglichen Anstrengungen hinausgehende Belastung ergeben. Bei Berücksichtigung aller Umstände könne der schädigenden Tätigkeit für die freiwillige Feuerwehr nicht der Stellenwert einer rechtlich unwesentlichen Gelegenheitsursache für den Tod des Versicherten beigemessen werden.

Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens mit ergänzender Stellungnahme von dem Ltd. MedDir. Dr. E. … vom 2. März 1993/3. September 1993, eines kardiologischen Gutachtens von Dr. H. … vom 14. April 1994 sowie eines weiteren kardiologischen Gutachtens mit ergänzender Stellungnahme von Prof. Dr. Sch. … /Dr. C. … vom 3. Juli 1995/31. Oktober 1995 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 11. November 1995): Der Versicherte sei aufgrund eines Arbeitsunfalls verstorben. Die Tätigkeit des Versicherten für die freiwillige Feuerwehr am 8. Juni 1988 habe eine besondere physische und psychische Anspannung und dadurch eine Streßreaktion hervorgerufen, weil es sich um die erste unvermutete Alarmübung seit Jahren gehandelt habe und die plötzliche Alarmierung in einem hinsichtlich des endogen-autonomen Biorhythmus äußerst ungünstigen Zeitpunkt in den Feierabendstunden erfolgt sei. Als weitere Belastungen seien die Fahrradfahrt, das Herausziehen der Tragkraftspritze aus dem Gerätehaus sowie das rasche Umkleiden zu beachten. Erschwerend sei ferner das Tragen der Schutzkleidung gewesen. Entscheidend aber komme hinzu, daß der Versuch, die Tragkraftspritze anzukurbeln, mit einer ganz erheblichen körperlichen Anstrengung verbunden gewesen sei. Das Nichtanspringen der Pumpe habe den Leistungsdruck noch gesteigert. Neben der haftungsbegründenden Kausalität sei auch die haftungsausfüllende Kausalität zwischen diesen schädigenden Einwirkungen und dem Tod des Versicherten erfüllt. Sie seien auch die Ursache des Todes in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne gewesen. Denn ohne sie hätte sich mit Wahrscheinlichkeit nicht zum selben Zeitpunkt der Schadenseintritt eines akuten Herzkreislaufstillstandes infolge eines ischämiegetriggerten Kammerflimmerns eingestellt.

Die vorbestehende Herzerkrankung stelle ebenfalls eine Ursache der zum Tode führenden Herzattacke im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne dar. Denn zum einen habe eine koronare Eingefäßerkrankung mit hochgradiger proximaler LAD-Stenose, deren Entwicklung sich über Jahre hin erstreckt haben müsse, und zum anderen eine konzentrische linksventrikuläre Hypertrophie bei essentieller arterieller Hypertonie vorgelegen. Beide Faktoren hätten sich in ihrem Effekt verstärkend ausgewirkt. Bei zutreffender Würdigung müßten die beiden Belastungs-EKGs vom 10. und 18. Mai 1988 als pathologisch gedeutet werden. Daher sei die Möglichkeit eines koronaren Vasospasmus, etwa aufgrund einer Streßsituation, im Stenosegebiet mit der Gefahr eines passageren vollkommenen Gefäßverschlusses und kurzfristiger akuter Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr gegeben gewesen. Entscheidend sei deshalb, ob den Betätigungen des Versicherten für die freiwillige Feuerwehr am Todestag der Stellenwert einer wesentlichen Mitursache für den tödlichen Herzanfall beizumessen sei. Wenn davon auszugehen sei, daß es unwahrscheinlich war, das alltäglich vorkommende Ereignisse in absehbarer Zeit zum Tode des Versicherten geführt hätten, so sei die unfallunabhängig vorbestehende Erkrankung noch nicht so schwer gewesen, daß ihr allein die wesentliche Bedeutung für den Eintritt des Todes beizumessen sei. Zwar wäre es nach den Ausführungen von Prof. Dr. Sch. …, rückschauend betrachtet, geboten gewesen, den Versicherten in eine sofortige stationäre Behandlung einzuweisen und nach einer Koronarangiographie mit einem anschließenden PTCA (perkutane transluminale Coronarangioplastie; Ballondilatation), ggf mit Implantation eines koronaren Stents zur Rezidivprophylaxe bzw alternativ einen koronarchirurgischen revaskulierenden Eingriff durchzuführen. Solange dies nicht erfolgt war, sei dem Versicherten zwar auch eine leichte Berufstätigkeit nicht zumutbar gewesen. Es müßten aber alle Umstände berücksichtigt werden. Dabei komme der ergometrischen Belastbarkeit eine entscheidende Bedeutung zu. Danach lag im Zeitpunkt unmittelbar vor dem Tode des Versicherten noch eine erhebliche kardiologische Belastbarkeit vor. Bei Vergleich damit hätten die Einwirkungen im Zusammenhang mit der Feuerwehrübung die Belastungsgrenze des Versicherten erheblich überschritten. Daraus sei zu schließen, daß den Einflüssen durch die versicherte Tätigkeit die Bedeutung einer wesentlichen Mitursache des Todes zukomme.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Beklagte, das LSG habe gegen die Grundsätze der Kausallehre in der Unfallversicherung verstoßen. Das LSG meine, der Tod des Versicherten sei durch den Einsatz der freiwilligen Feuerwehr am 8. Juni 1988 wesentlich verursacht worden. Es meine zudem, daß die vorbestehende Herzkrankheit zwar jegliche, auch noch so leichte Berufstätigkeit vor dem Unfall ausgeschlossen habe, daß diese vorbestehende Herzkrankheit aber gleichwohl nichts daran ändere, daß dem Einsatz bei der freiwilligen Feuerwehr die Bedeutung einer wesentlichen Bedingung iS der gesetzlichen Unfallversicherung zukomme. Das LSG ergänze insoweit die Rechtsprechung des Senats, wie sie insbesondere im Urteil vom 4. Dezember 1991 – 2 RU 14/91 – dahingehend zum Ausdruck gebracht worden sei, daß auch dann, wenn vor dem Unfallereignis eine Belastbarkeit wegen einer Vorschädigung nicht mehr gegeben gewesen war, das Ereignis im vorliegenden Fall die Belastungsgrenze des Verstorbenen so erheblich überschritten habe, daß den Einflüssen durch die versicherte Tätigkeit die Bedeutung einer wesentlichen Mitursache des Todes zukomme. Damit verstoße das LSG gegen die Grundsätze der wesentlichen Bedingung. Nach der Entscheidung des erkennenden Senats vom 4. Dezember 1991 sei bei der Konkurrenz zweier Kausalverläufe auf die Belastbarkeit des Versicherten abzustellen. Prof. Dr. Sch. … habe eindeutig festgestellt, daß der Versicherte im Unfallzeitpunkt keinerlei berufliche Tätigkeit mehr habe ausüben dürfen, auch nicht eine ganz leichte Tätigkeit. Diese Sachverständigenwertung habe das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Dennoch meine es aber dem Unfallereignis die Qualität einer wesentlichen Bedingung für den Tod einräumen zu können, nehme also eine Wertung vor, die sowohl nach Auffassung des Sachverständigen im vorliegenden Fall, als auch nach den allgemeinen Erkenntnissen, wie sie der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 4. Dezember 1991 zugrunde liege, ausgeschlossen sei, nämlich eine Wertung der Intensität der Belastung durch das Unfallereignis selbst. Das LSG meine nämlich, zu der tödlichen Arhythmie sei es in diesem Zeitpunkt nur deshalb gekommen, weil der Verstorbene einer Belastung von etwa 225 Watt ausgesetzt gewesen sei, einschließlich einer starken psychischen Belastung. Diese Belastung sei so stark, daß in etwa dem gleichen Zeitpunkt nicht mit einem plötzlichen Herztod im Rahmen einer alltäglichen Tätigkeit zu rechnen gewesen sei. Einer ähnlichen Belastung im Todeszeitpunkt sei aber auch der Versicherte im Revisionsverfahren vom 4. Dezember 1991 ausgesetzt gewesen.

Dem Versicherten seien vor seinem Tod – jedenfalls aus nachträglicher Sicht – sämtliche auch ganz leichte Tätigkeiten verboten gewesen, um eine Verschlimmerung bzw einen plötzlichen Herzinfarkt zu vermeiden. Das bedeute, daß der Versicherte vor seinem Tode sich noch nicht einmal Belastungen mit weit unter 100 Watt hätte aussetzen dürfen. Er hätte lediglich kurze langsame Spaziergänge unternehmen dürfen und sich von jeder Aufregung fernhalten müssen bis die erforderliche kardiologische Heilbehandlung durchgeführt worden war. Wenn die Auffassung des LSG zutreffend wäre, hätte auch ein Ereignis mit einer Belastung von 50 Watt, zB das Treppensteigen bis zu einem Stockwerk oder ein Spaziergang von drei bis vier Kilometern die Qualität einer wesentlichen Mitursache für den Tod haben können. Gerade weil diese Abgrenzung weder aus sozialrechtlicher, noch aus sozialmedizinischer Sicht einen Sinn mache, habe der erkennende Senat in der Entscheidung vom 4. Dezember 1991 die Frage der Belastbarkeit vor dem Ereignis auch dann als entscheidend herausgestellt, wenn der Versicherte einer extremen Belastung ausgesetzt gewesen sei. Wenn das LSG meine, der Versicherte hätte vor seinem Tode noch leichte Tätigkeiten ohne die Möglichkeit des Auftretens plötzlicher nicht vorhersehbarer Situationen, zB besondere psychische Anspannungsbelastungen verrichten können, worauf auch der Umstand hindeute, daß er vor seinem Tode im Beruf stand und aktiver Fußballspieler war, so besage dies für die Frage der Belastbarkeit aus objektiv medizinischer Sicht, dh aus rückschauender Sicht, gar nichts. Soweit das LSG meine, der Versicherte hätte gleichwohl noch eine leichte Arbeitstätigkeit verrichten können, wenn damit nur keine plötzlichen Situationen verbunden gewesen wären, so verstoße diese Argumentation gegen die §§ 103, 106 und 128 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Denn auch bei leichten Tätigkeiten, zB Pförtner oder Archivar, komme es zu Kontakten mit Menschen und damit zu Situationen, die nicht vorausplanbar oder voraussehbar seien. Im Berufsleben sei es faktisch nicht möglich, eine herzkranke Person vor Aufregungen zu schützen. Zu dieser Frage hätte das LSG eine berufskundliche Anfrage einholen können. Im Grunde reiche es aber schon aus, dazu Lehrbücher zur Sozialmedizin heranzuziehen. Die Behauptung des LSG, der Verstorbene hätte eine ganz leichte Berufstätigkeit vor seinem Tode trotz der Herzkrankheit ausüben können, stehe im Widerspruch zu dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. …. Diese Ansicht des LSG sei vor der Entscheidung den Beteiligten nicht zur Kenntnis gebracht worden, so daß es dem Beklagten nicht möglich gewesen sei, zu diesem Punkt einen ergänzenden Beweisantrag etwa auf Einholung eines berufskundlichen Gutachtens zu stellen. Insoweit habe das LSG auch das Recht des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt. Nach den vom LSG eingeholten Gutachten hätte es bei seiner Entscheidung davon ausgehen müssen, daß der verstorbene Versicherte vor dem Unfallereignis keine noch so leichte berufliche Tätigkeit mehr ausüben konnte. Dies habe zur Folge, daß die versicherte Tätigkeit, nämlich der Feuerwehreinsatz am 8. Juni 1988 nicht die rechtliche Qualität einer wesentlichen Ursache oder wesentlichen Mitursache iS der gesetzlichen Unfallversicherung für den Tod gehabt habe. Die Entscheidung des LSG beruhe somit auf einem Verstoß gegen die §§ 548 und 589 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm der Kausalitätslehre sowie auf einem Verstoß gegen die §§ 106 und 103 SGG sowie dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. November 1995 sowie das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 10. Juni 1992 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 26. September 1988 idF des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1989 abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

Die Kläger haben Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes/Vaters, weil er infolge eines Arbeitsunfalls iS des § 548 RVO verstorben ist (§§ 589 Abs 1, 590, 595 RVO). Dies hat das LSG nach Aufklärung des Sachverhalts ohne Rechtsirrtum und in rechtlich nicht zu beanstandender Würdigung der Beweismittel festgestellt.

Der Anspruch der Kläger richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da der von den Klägern geltend gemachte Arbeitsunfall ihres Ehemannes/Vaters vor dem Inkrafttreten des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes ≪UVEG≫, § 212 SGB VII).

Der Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen besteht gemäß § 589 Abs 1 RVO „bei” Tod durch Arbeitsunfall. Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist, und daß die Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (BSGE 61, 127, 128). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77; 61, 127, 128).

Davon ausgehend, hat das LSG zutreffend zunächst entschieden, daß der Versicherte, der unstreitig am 8. Juni 1988 bei seiner Tätigkeit anläßlich der Alarmübung für die freiwillige Feuerwehr gemäß § 539 Abs 1 Nr 8 RVO gegen Arbeitsunfall versichert war, auch während dieses Einsatzes einen Unfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO erlitten hat. Der Begriff des Unfalls ist in der RVO nicht bestimmt. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem und im wesentlichen einhellig vertretenen Auffassung ist Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis (s ua BSGE 23, 139, 141; 46, 283; BSG SozR 2200 § 548 Nr 56; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 479; Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, Unfallversicherungsrecht, 1996, § 28 RdNr 1 jeweils mwN). Soweit daneben zum Teil auch gefordert wird, das Ereignis müsse „von außen” auf den Menschen einwirken (s auch § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII), soll damit lediglich ausgedrückt werden, daß ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (s BSG SozR aaO; Brackmann, aaO, S 479b; Schulin, aaO, § 28 RdNr 5). Wesentlich für den Begriff des Unfalls sind hiernach ein „äußeres”) Ereignis als Ursache und eine Körperschädigung als Wirkung. Die Körperschädigung kann verursacht sein durch körperlich gegenständliche Einwirkungen (zB Verletzung beim Aufschlag nach Sturz), aber auch durch geistig-seelische Einwirkungen in einem eng begrenzten Zeitraum (BSGE 18, 173, 175; KassKomm-Ricke, § 548 RVO RdNr 6; Lauterbach/Watermann, Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 3, S 202; s auch BSGE 61, 113, 116).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das LSG, von der Revision nicht angegriffen, festgestellt, daß der Versicherte bei der Feuerwehrübung schädigenden Einwirkungen ausgesetzt war. Denn der Alarmeinsatz des Versicherten für die freiwillige Feuerwehr war mit einer besonderen physischen und psychischen Anspannung sowie einer dadurch bedingten Streßsituation verbunden. Dabei war, insbesondere in ihrem Zusammenwirken von Bedeutung, daß es sich um die erste unvermutete Alarmübung seit Jahren gehandelt hatte und die Alarmübung in einem hinsichtlich des Biorhythmus ungünstigen Zeitpunkt in den Feierabendstunden erfolgte. Hinzukommen die Belastungen durch die Fahrt mit dem Fahrrad zum Feuerwehrgerätehaus, das Herausziehen der Motorspritze aus dem Gerätehaus sowie das rasche Umkleiden. Als erschwerender Faktor ist das Tragen der Schutzkleidung und der schweren Motorspritze zu berücksichtigen. Entscheidend aber war der Versuch, die Motorspritze anzukurbeln, was mit einer ganz erheblichen Kraftanstrengung verbunden war. Der Leistungsdruck bei der Alarmübung wurde noch durch das Nichtanspringen des Motors der Pumpe gesteigert.

Das LSG ist ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß die Feuerwehrübung aufgrund der damit verbundenen körperlichen Anstrengungen sowie dem damit verbundenen psychischen Streß eine Bedingung für den zum Tode führenden Herzstillstand infolge Kammerflimmerns im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne gewesen ist. Denn ohne die Tätigkeit für die freiwillige Feuerwehr am Unfalltag hätte sich nach den Gutachten das tödliche Herzkammerflimmern mit Wahrscheinlichkeit nicht zum selben Zeitpunkt eingestellt. Neben der Tätigkeit für die freiwillige Feuerwehr war nach den weiteren Feststellungen des LSG auch die vorbestehende Herzerkrankung eine Ursache des Todes im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne. Denn zum einen lag nach den Feststellungen des LSG eine koronare Eingefäßerkrankung mit hochgradiger proximaler LAD-Stenose, und zum anderen eine konzentrische linksventrikuläre Hypertrophie bei essentieller arterieller Hypertonie vor. Wie das LSG überzeugend ausgeführt hat, wirken sich beide Faktoren in ihrem Effekt verstärkend aus. Angesichts der bestehenden Befunde war die Möglichkeit eines koronaren Vasospasmus gegeben.

Im Anschluß daran hat das LSG zutreffend erkannt, daß die Ansprüche der Kläger davon abhängen, ob die mit der Feuerwehrübung verbundenen schädigenden Einwirkungen das tödliche Herzkammerflimmern auch iS der gesetzlichen Unfallversicherung verursacht haben. Dazu müssen sie im Vergleich zu der vorbestandenen schweren Herzerkrankung als weitere wesentliche Mitbedingung für den Eintritt des ischämiegetriggerten Herzkammerflimmerns von wesentlicher Bedeutung gewesen sein. Daran fehlt es, wenn die Herzerkrankung bereits so schwer, dh die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, daß die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (BSGE 62, 220, 221; BSG, Urteil vom 4. Dezember 1991 – 2 RU 14/91 – HV-INFO 1992, 586 = Meso B 90/93). Diese ursächliche Bedeutung für den Eintritt des tödlichen Erfolges hat eine Krankheitsanlage zB dann, wenn die akuten Erscheinungen zu derselben Zeit auch ohne äußere Einwirkungen auftreten könnten oder auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte (BSG aaO). Entscheidend für die Beurteilung ist die Schwere der Erkrankung in der Zeit unmittelbar vor dem Unfall. Bei der Bestimmung dieses Schweregrades der vorbestehenden Erkrankung stellt die verbliebene individuelle Belastbarkeit nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG aaO) ein geeignetes, wesentliches Kriterium dar. Dazu ist eine retrospektive Wertung erforderlich. Bei dieser Wertung aller Umstände des Einzelfalls ist mit einzubeziehen, ob es aus rückschauender medizinischer Sicht bei Kenntnis aller später erhobenen Befunde nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu verantworten gewesen ist, den Versicherten den Belastungen des allgemeinen Erwerbslebens auszusetzen, oder ob sein Krankheitszustand dazu gezwungen hätte, ihn von jeder fremdbestimmten Belastung zu befreien und wenn möglich sofort eine Therapie einzuleiten, ob der Versicherte also noch wenigstens in einem geringen Umfang belastbar gewesen ist (BSG aaO).

Von diesem Wertungsgesichtspunkt ist das LSG ausgegangen. Es hat ausdrücklich auf die Entscheidung des Senats vom 4. Dezember 1991 Bezug genommen. Diese Wertungsgesichtspunkte hat das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt und nach sorgfältiger Würdigung die Wesentlichkeit des Unfallereignisses für den Tod des Versicherten bejaht. Dabei ist es von den Darlegungen von Prof. Dr. Sch. … ausgegangen, daß aus rückschauender Sicht im maßgebenden Zeitpunkt unmittelbar vor den Belastungen am Todestag eine umgehende stationäre Krankenhauseinweisung erforderlich war, um nach Durchführung einer Koronarangiographie eine PTCA bzw Ballondilatation, ggf mit Implantation eines koronaren Stents oder einen koronarchirurgischen Eingriff vorzunehmen. Allerdings hat das LSG entscheidend auf die Feststellungen von Prof. Dr. Sch. … zur ergometrischen Belastbarkeit des Versicherten vor den Einwirkungen im Zusammenhang mit der Feuerwehrübung am Todestag abgestellt. Danach hatten sich bei der Belastungs-EKG-Prüfung am 18. Mai 1988 eine ischämische Reaktion erst bei einer Belastung ab 120 Watt gezeigt. Verrichtungen des täglichen Lebens erstrecken sich nach dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. … im wesentlichen über einen Belastungsbereich von 25 bis 100 Watt. Beim Ankurbeln der Motorspritze aber hatte der Versicherte eine Leistung bis zu 225 Watt zu erbringen. Soweit das LSG aufgrund der Ausführungen von Prof. Dr. Sch. … beim Versicherten unmittelbar vor dem Tod ergometrischerseits noch eine erhebliche kardiologische Belastbarkeit annahm, wofür nach Ansicht des LSG auch sprach, daß er noch im Beruf stand und aktiver Fußballspieler war, hat es die rechtlichen Grenzen seiner ihm obliegenden freien richterlichen Beweiswürdigung nicht überschritten. Wenn demgegenüber die Revision meint, der Versicherte hätte entgegen der Ansicht des LSG im Unfallzeitpunkt keinerlei berufliche Tätigkeit mehr ausüben dürfen, auch nicht eine ganz leichte Tätigkeit, so übersieht sie, daß die Beweiswürdigung grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts steht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht bei seiner Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat (BSG, Urteil vom 27. Januar 1994 – 2 RU 3/93 – HVBG-INFO 1994, 943 = USK 9422; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, III, RdNrn 162 f sowie IX, RdNr 286; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 5. Aufl, § 128 SGG RdNr 4). Ein derartiger Verstoß ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht erkennbar. Nach der Entscheidung des Senats vom 4. Dezember 1991 ist die rückschauende Bewertung der Belastbarkeit des Versicherten nur ein Kriterium zur Beurteilung des Schweregrades der vorbestehenden Erkrankung. Es ist eine Würdigung aller Umstände erforderlich, ob und wie stark ein vorgeschädigter Versicherter noch belastbar war. Dabei hat das LSG im Rahmen seiner Beweiswürdigung die mit dem versuchten Ankurbeln der Motorspritze verbundene hohe körperliche Belastung bei einer aufzubringenden Leistung von 225 Watt in Beziehung gesetzt zur Belastungsgrenze des Versicherten, die bei 120 Watt lag. In diesem Zusammenhang hat das LSG die Ausführungen von Prof. Dr. Sch. … gewürdigt, wonach den die Belastungsgrenze überschreitenden Einwirkungen im Zusammenhang mit der Feuerwehrübung die Bedeutung einer wesentlichen Mitursache für den Tod des Versicherten zukommt. Als entscheidend hat es dabei angesehen, daß es unwahrscheinlich war, daß es allein aufgrund innerer Ursache oder bei alltäglichen Belastungen in absehbarer Zeit zum Herztod des Versicherten gekommen wäre. Dabei hat das LSG die rechtlichen Grenzen der ihm obliegenden freien richterlichen Beweiswürdigung nicht überschritten.

Entgegen der Auffassung der Revision liegt weder eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Art 103 des Grundgesetzes, § 62 SGG) vor, noch hat das LSG gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs soll verhindern, daß die Prozeßbeteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der sie sich nicht äußern konnten. Der sich hieraus ergebende Anspruch auf rechtliches Gehör und die dem entsprechenden Hinweispflichten des Gerichts beziehen sich jedoch nur auf erhebliche Tatsachen, die den Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte. Das LSG hat solche neuen Tatsachen oder neue rechtliche Gesichtspunkte, die den Betroffenen unbekannt waren, nicht in das Verfahren eingebracht. Das LSG hat die vorliegenden Gutachten lediglich anders gewürdigt, als der Beklagte dies erhofft oder erwartet hat. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt nur vor, wenn das Gericht eine Beweiserhebung nicht durchführt, obwohl es sich aus seiner Sicht dazu hätte gedrängt fühlen müssen. Es ist davon auszugehen, daß das LSG die zu dem aufzuklärenden Sachverhalt bereits eingeholten Beweise gewürdigt hat. Aus seiner Sicht brauchte sich das LSG nicht gedrängt zu fühlen, weitere Beweise zu erheben. Zur Beweiswürdigung gehört auch, mit welchen Grundlagen sich das Tatsachengericht bei seiner Entscheidung in der Sache begnügt.

Nach dem Gesamtergebnis hat das LSG damit rechtlich einwandfrei festgestellt, daß die schädigenden Einwirkungen bei der Alarmübung der freiwilligen Feuerwehr den Eintritt des Todes des Versicherten wesentlich mitbewirkt haben. Nach alledem stand der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) und 3) im Unfallzeitpunkt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

DStR 1998, 50

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