Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 17.03.1992; Aktenzeichen L 2 An 49/89)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. März 1992 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der 1949 geborene und seit dem Jahre 1980 in Österreich lebende Kläger deutscher Staatsangehörigkeit begehrt eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU).

Der Kläger legte in der Zeit von 1963 bis 1979 in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 60 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung zurück. In Österreich war der Kläger nach dem von der Pensionsversicherungsanstalt für Angestellte erstellten Versicherungsverlauf von April 1980 bis Dezember 1986 versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und der Arbeitslosigkeit.

Auf seinen Antrag vom 14. Oktober 1987 bewilligte die österreichische Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten dem Kläger eine „zeitlich begrenzte Berufsunfähigkeitspension” ab 1. November 1987.

Die Beklagte lehnte eine Rente wegen EU bzw BU mit Bescheid vom 24. Februar 1988 ab und führte aus: Der Kläger sei zwar seit 22. Dezember 1986 erwerbs-bzw berufsunfähig; er erfülle jedoch nicht die weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 7. Juni 1988 mit folgender Begründung zurück: Die Voraussetzungen der §§ 23, 24 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) lägen nicht vor. In den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der EU bzw BU, also in der Zeit vom 1. Dezember 1981 bis 30. November 1986, seien nicht 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung belegt. Der Zeitraum von 60 Kalendermonaten erweitere sich auch nicht um die in §§ 24 Abs 2a, 23 Abs 2a Satz 2 AVG genannten Aufschubzeiten. Die Zeiten der Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit in Österreich seien nicht zu berücksichtigen, weil nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich (DÖSVA) vom 22. Dezember 1966 (BGBl II 1969, 1235) diese Zeiten den Beitragszeiten nicht gleichgestellt seien. Aus demselben Grund könne der Kläger seine Anspruchsberechtigung auch nicht aus der Überleitungsvorschrift des Art 2 § 7b Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) herleiten.

Denn die Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls sei nicht mit Beiträgen belegt.

Das Sozialgericht Berlin (SG) hat durch Urteil vom 7. April 1989 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 17. März 1992) und im wesentlichen ausgeführt: Zweifelhaft sei, ob der Kläger erwerbs- oder berufsunfähig sei. Selbst wenn man jedoch unterstelle, daß im Dezember 1986 EU bzw BU eingetreten sei, stehe ihm kein Anspruch auf eine Rente nach §§ 23, 24 AVG zu. Denn er habe innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt des Versicherungsfalls auch im Hinblick auf die nach dem DÖSVA zu berücksichtigenden Beiträge nur 28 Monate und nicht 36 Kalendermonate mit Beiträgen zur österreichischen Rentenversicherung belegt; er sei auch nicht aufgrund eines in Deutschland erlittenen Arbeitsunfalls erwerbs- bzw berufsunfähig geworden. Die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosen- und Krankengeld in Österreich könnten als Aufschubzeiten iS von §§ 23 Abs 2a, 24 Abs 2a AVG nicht berücksichtigt werden und führten mithin nicht zur Zurückverlegung des maßgebenden Fünfjahreszeitraums; infolgedessen könnten weitere, in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegte Pflichtbeitragszeiten nicht miteinbezogen werden. Eine Anspruchsberechtigung ergebe sich auch nicht aus der Übergangsregelung des Art 2 § 7b AnVNG, da nicht jeder Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls mit Beiträgen oder den in § 23 Abs 2a AVG genannten Aufschubzeiten belegt sei. Die Regelung verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine willkürliche Ungleichbehandlung könne nicht darin gesehen werden, daß ausländische Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit im Gegensatz zu den entsprechenden inländischen Zeiten nicht den Charakter von Ausfall- bzw Aufschubzeiten hätten. Auch die durch das Sechste Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit Wirkung vom 1. Januar 1992 eingetretenen Gesetzesänderungen führten nicht zu einer für den Kläger günstigeren Beurteilung. Denn auch die §§ 43 Abs 1 Nr 2, 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI setzten voraus, daß der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU oder BU drei Jahre mit Pflichtbeiträgen belegt habe; dieser Zeitraum verlängere sich zwar um bestimmte Zeiten; zu diesen zählten jedoch nicht die im Ausland zurückgelegten Zeiten des Bezugs von Krankengeld oder Arbeitslosengeld.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Art 14 Abs 1, 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), Art 26 DÖSVA, §§ 23 Abs 2a, 24 Abs 2a, 29 und 36 AVG sowie von Art 2 § 7b AnVNG und trägt vor:

Mit dem Bescheid vom 24. Februar 1988 habe die Beklagte bindend festgestellt, daß er zumindest berufsunfähig sei. Er erfülle auch die weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente. Zwar habe er vor Eintritt der EU/BU insgesamt nur 28 Kalendermonate anstatt der erforderlichen 36 Monate mit Pflichtbeiträgen zur österreichischen Rentenversicherung belegt. Die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosen- und Krankengeld in Österreich seien jedoch zumindest im Hinblick auf die Gleichstellungsregelung des Art 26 DÖSVA als Aufschubzeiten mitzuberücksichtigen. Darüber hinaus sei er durch den in Österreich erlittenen Arbeitsunfall berufsunfähig geworden, so daß auch die Voraussetzungen nach § 23 Abs 2a Satz 1 Nr 2 AVG vorliegen würden. Schließlich verstoße die Übergangsregelung des Art 2 § 7b AnVNG – sollte ihm ein Anspruch auf Rente versagt werden – gegen das GG. Ein Entzug der auf erheblichen Rentenanwartschaften beruhenden Invaliditätssicherung sei nicht zumutbar. Die Rentenanwartschaft könne er nicht mehr aufrechterhalten, da eine Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nicht mehr in Betracht komme; die Möglichkeit einer derartigen Nachentrichtung hätte in der Übergangsregelung vorgesehen werden müssen. Die Nichtberücksichtigung von in Österreich zurückgelegten Arbeitsunfähigkeits- und Arbeitslosenzeiten verstoße ebenfalls gegen Art 3 Abs 1 GG. Denn er werde durch diese Regelung gegenüber anderen deutschen Staatsangehörigen im europäischen Ausland ungleich behandelt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 9. November 1992 (Bl 43 ff dA) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 17. März 1992 und des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 7. April 1989 sowie unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 24. Februar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 1988 die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren,

hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der ihm zugrundeliegenden Feststellungen die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Berlin zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und trägt im übrigen vor:

Grundsätzlich stehe nach Art 26 Abs 1 DÖSVA nur eine nach österreichischen Rechtsvorschriften zurückgelegte oder als zurückgelegt geltende rentenversicherungspflichtige Beschäftigung, für die Pflichtbeiträge entrichtet worden seien, einer entsprechenden Beschäftigung oder Tätigkeit im Bundesgebiet gleich. Die Zusammenrechnungsvorschrift des Abkommens beziehe sich allein auf versicherungspflichtige Beschäftigungen und nicht auf Ausfallzeittatbestände iS von §§ 24 Abs 2a, 23 Abs 2a AVG. Wäre dies beabsichtigt gewesen, so hätte es einer dem Art 9a der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGVO) vom 14. Juni 1971 (ABl Nr L 149/2), eingefügt mit Wirkung vom 1. Januar 1984 durch VO (EWG) Nr 2332/89 vom 18. Juli 1989 (ABl Nr L 224/1), entsprechenden Vorschrift in dem Abkommen bedurft. Dies gelte auch für einen Anspruchserwerb nach § 23 Abs 2a Satz 2 Nr 6 AVG. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes sei nicht erkennbar. Es bestehe ein sachlicher Differenzierungsgrund für die Regelung im EG-Recht und im DÖSVA.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger hat nach dem hier maßgebenden innerstaatlichen Recht keinen Anspruch auf eine EU- oder BU-Rente, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung österreichischer Versicherungszeiten.

Rechtsgrundlage für diesen Anspruch auf Rente ist für die Zeit bis 31. Dezember 1991 gemäß Art 85 Abs 1 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 ≪RRG 1992≫), Art 1 § 300 Abs 1 und 2 SGB VI vom 18. Dezember 1989, BGBl I, 2261, § 23 bzw § 24 AVG in der ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung des Art 2 Nrn 9 und 10 Haushaltsbegleitgesetz für 1984 vom 22. Dezember 1983, BGBl I, 1532. Nach diesen Vorschriften erhält Rente wegen EU oder BU der Versicherte, der erwerbs- oder berufsunfähig ist, die Wartezeit erfüllt hat und zuletzt vor Eintritt der EU oder BU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, sofern er in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt dieser EU bzw BU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt hat (sog 3/5 Belegung; §§ 24 Abs 2a, 23 Abs 2a Satz 1 Nr 1 AVG) oder sofern der Versicherte aufgrund eines Arbeitsunfalls erwerbs-bzw berufsunfähig geworden ist (§ 23 Abs 2a Satz 1 Nr 2 iVm § 29 Abs 1 Nr 1 AVG). Bei der Ermittlung der 60 Kalendermonate werden bestimmte Zeiten (zB Ersatzzeiten, Ausfallzeiten, Rentenbezugszeiten und andere) zugunsten des Versicherten nicht mitgezählt; diese verlängern den Rahmenzeitraum, innerhalb dessen er für 36 Monate Pflichtbeiträge entrichtet haben muß (§§ 24 Abs 2a, 23 Abs 2a Satz 2 AVG).

Allein aufgrund der in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten deutschen Versicherungszeiten hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente gemäß §§ 23, 24 AVG. Der Senat hat zwar im Hinblick auf die vom LSG festgestellten Tatsachen, gegen die begründete Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind, davon auszugehen, daß der Versicherungfall am 22. Dezember 1986 eingetreten ist. Der Kläger hat auch mit seinen in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1963 bis 1979 geleisteten Pflichtbeiträgen die Wartezeit, dh 60 Kalendermonate, erfüllt (§§ 23 Abs 3, 24 Abs 4 AVG). Die weitere versicherungsrechtliche Voraussetzung, die sog 3/5 Belegung, liegt jedoch nicht vor. Denn die in Österreich zurückgelegten Zeiten können nur auf Grund zwischenstaatlichen Rechts berücksichtigt werden (vgl hierzu entsprechend BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 1). Infolgedessen hat der Kläger in der Zeit vom 1. Dezember 1981 bis 30. November 1986 keine 36 Kalendermonate mit deutschen Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt (§ 23 Abs 2a Satz 1 Nr 1 AVG). Seine vom LSG unterstellte EU bzw BU ist auch nicht aufgrund eines Arbeitsunfalls eingetreten, bei dem er unter dem Schutz der deutschen Unfallversicherung stand (§ 23 Abs 2a Satz 1 Nr 2; vgl hierzu entsprechend BSGE 7, 159, 161). Wegen seiner Eingliederung in das österreichische soziale Sicherungssystem kommen die darin zurückgelegten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und der Arbeitslosigkeit auch nicht als den Rahmenzeitraum verlängernde Aufschubzeiten nach § 23 Abs 2a Satz 2 AVG in Betracht. Denn Ausfallzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit (§ 23 Abs 2a Satz 2 Nr 2 iVm § 36 Abs 1 Nr 1 AVG) erfordern die Unterbrechung einer deutschen versicherungspflichtigen Beschäftigung (vgl hierzu BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 1; BSGE 56, 36 ff = SozR 2200 § 1259 Nr 80); Rentenbezugszeiten setzen den Bezug einer deutschen Rente voraus (§ 23 Abs 2a Satz 2 Nr 3 AVG); im Falle von § 23 Abs 2a Satz 2 Nr 6 AVG muß ein deutscher Pflichtbeitrag in den letzten sechs Monaten vor Beginn der Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit entrichtet worden sein.

Der Kläger kann einen Anspruch auf Rente auch nicht auf Art 2 § 7b AnVNG stützen. Denn auch insoweit hat er die Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1985, dem Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls, weder mit Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung belegt, noch kommen ihm – wie ausgeführt – für diesen Zeitraum die sog Aufschubzeiten des § 23 Abs 2a Satz 2 AVG zugute.

Der Kläger ist durch Verschärfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf EU- bzw BU-Rente durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 und die durch dieses Gesetz eingeführten Übergangsvorschriften nicht in seinen Grundrechten verletzt worden, da er nach Erfüllung der Wartezeit bei Inkrafttreten der Änderungen gemäß § 10 Abs 1 Satz 2 AVG als Deutscher zur Entrichtung freiwilliger Beiträge berechtigt war. Hinsichtlich dieses Personenkreises hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits mit Beschluß vom 8. April 1987 (1 BvR 564/84 = BVerfGE 75, 78 = SozR 2200 § 1246 Nr 142) entschieden, die Regelungen, die die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der EU bzw BU erschwerten, seien mit Art 14 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG vereinbar, soweit Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Monaten zurückgelegt hätten, ihre Anwartschaft durch Weiterzahlung von Beiträgen aufrechterhalten könnten; Art 14 GG sei nicht verletzt, weil die Anwartschaft auf die Rente nicht total entzogen, sondern – nur – von erneuten weiteren Beitragsleistungen abhängig gemacht worden sei und die Regelungsziele – Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung in den Jahren ab 1984, Stärkung des Lohnersatzcharakters der EU- bzw BU-Rente, Stärkung der Solidarität der in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten – im öffentlichen Interesse liegen würden; Art 3 Abs 1 GG sei ebenfalls nicht verletzt, da die Stichtagsregelung zum 31. Dezember 1983 und damit verbundene Ungleichheiten hingenommen werden müßten; die Einführung des Stichtags und die Wahl des Zeitpunktes, orientiert am gegebenen Sachverhalt, seien notwendig gewesen.

Ein Anspruch auf Rente steht dem Kläger auch nicht unter Berücksichtigung österreichischer Versicherungszeiten gemäß § 26 Abs 1 DÖSVA idF des Zweiten Zusatzabkommens vom 29. März 1974 (BGBl II 1975, 254) iVm dem Schlußprotokoll zum Zusatzabkommen vom 22. Dezember 1966 (BGBl II 1969, 1247) zu Art 26 DÖSVA, der im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit des in Österreich lebenden Klägers nach Art 3a DÖSVA eingreift, bestimmt für die Rentenversicherung, daß für den Erwerb eines Leistungsanspruchs die nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten zusammenzurechnen sind, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen; in welchem Ausmaß Versicherungszeiten zurückgelegt sind und für welche der genannten Tatsachen sie zusammenzurechnen sind, richtet sich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Versicherung diese Zeiten zurückgelegt sind. Art 26 DÖSVA koordiniert lediglich die rentenrechtlichen Regelungen der Vertragsstaaten; der Anspruch selbst entsteht ausschließlich nach dem Recht des Staates, dessen Leistungsträger zur Zahlung der Rente verpflichtet ist (vgl hierzu BSG SozR 6675 Art 26 Nr 2).

Fraglich ist, ob österreichische Versicherungszeiten iS von § 26 Abs 1 iVm Art 1 Nr 12 DÖSVA zur Erfüllung der durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingefügten weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer EU- und BU-Rente iS von §§ 24 Abs 2a, 23 Abs 2a Satz 1 Nr 1 und Satz 2 AVG herangezogen werden können. Denn insoweit wurden die deutschen Vorschriften nach Abschluß des Abkommens 1966 sowie nach Abschluß der Zusatzabkommen von 1974 (aaO) und vom 29. August 1980 (BGBl II 1982, 415) geändert. Bis 1984 war Voraussetzung für den Rentenanspruch außer dem Eintritt des Versicherungsfalls und Stellung des Antrags nämlich allein die Erfüllung der Wartezeit. Die 3/5 Belegung konnte bei Abschluß des Abkommens sowie der Zusatzabkommen mithin noch nicht vor den Augen der Vertragsschließenden gestanden haben.

Demgemäß war in dem Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik vom 13. Mai 1969 festgehalten, das Abkommen regele auf der Grundlage der Gegenseitigkeit die Beziehungen zwischen beiden Staaten, in bezug ua auf die Rentenversicherung vor allem die Zusammenrechnung der in den Versicherungen beider Staaten zurückgelegten Versicherungszeiten für die Wartezeit (vgl hierzu BT-Drucks V/4195 und V/4196 S 2). Im Einklang mit der Rechtslage 1966 und dem erkennbaren Willen der Vertragsschließenden steht auch der Wortlaut des Art 26 Abs 1 DÖSVA, dem bei der Interpretation zwischenstaatlicher Sozialversicherungsabkommen besondere Bedeutung zukommt (vgl BSG SozR 6675 Art 26 Nr 2; 6580 Art 5 Nr 1; SozR 3-6480 Art 22 Nr 1). Denn danach sind die Versicherungszeiten allein für den Erwerb eines Leistungsanspruchs zusammenzurechnen. Da der in § 23 Abs 2a Nr 1 AVG – neu – festgelegte Rahmenzeitraum als Überbrückungstatbestand zu den vorausgehenden Pflichtbeitragszeiten jedoch der „Aufrechterhaltung” des Leistungsanspruchs dient (vgl hierzu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 4; Anwartschaftserhaltung iS von § 240 Abs 2 SGB VI) und nicht – unmittelbar – dem Leistungserwerb, könnte fraglich sein, ob nach Art 26 DÖSVA österreichische Versicherungszeiten auch für diese Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft nach §§ 24 Abs 2a, 23 Abs 2a Satz 1 AVG herangezogen werden können, zumal in internationalen Sozialversicherungsabkommen grundsätzlich zwischen Erwerb, Aufrechterhaltung und Wiederaufleben des Leistungsanspruchs bei den jeweils zu berücksichtigenden Versicherungszeiten unterschieden wird, wie Art 45 Abs 1 EWGVO 1408/71 zeigt. Die Frage kann hier jedoch letztlich offenbleiben. Denn der Kläger hätte, selbst wenn Art 26 DÖSVA auch für den Fall der Aufrechterhaltung eines Anspruchs angewandt würde, keine 36 Kalendermonate, sondern nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) nur 28 Monate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in Österreich belegt.

Eine darüber hinausgehende Anwendung des Abkommens auch auf die Aufschubzeiten iS von § 23 Abs 2a Satz 2 AVG zur Verlängerung des Rahmenzeitraums kommt allerdings nicht in Betracht. Denn durch das Abkommen werden Ausfall-und Aufschubzeiten nicht gegenseitig anerkannt, wie sich aus dem Wortlaut des Art 26 Abs 1 und 2 DÖSVA iVm Art 1 Nr 12 DÖSVA ergibt. Denn nach Art 26 Abs 1 DÖSVA sind lediglich Versicherungszeiten zusammenrechenbar. Versicherungszeiten iS von § 26 Abs 1 DÖSVA sind jedoch nach Art 1 Nr 12 DÖSVA allein Beitragszeiten, also Zeiten, für die Beiträge entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten (Art 1 Nr 10 DÖSVA) sowie gleichgestellte Zeiten; solche sind nach Art 3d des Schlußprotokolls im wesentlichen Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft sowie diesen gleichgehaltene Zeiten. § 224 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes von Österreich (ASVG) vom 9. September 1955 (BGBl Nr 189 idF vom 18. März 1991, BGBl Nr 751/1991) kann hier zur Auslegung nicht herangezogen werden. Der dort verwandte Begriff „Versicherungszeit” mit den Untergliederungen Beitrags- und Ersatzzeiten ist nicht identisch mit dem des Art 1 Nr 12 des Abkommens. Art 3d des Schlußprotokolls enthält insoweit eine Klarstellung. Darin sind, worauf hingewiesen, als gleichgestellte Zeiten allein die og Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft sowie diesen gleichgehaltene Zeiten aufgeführt, während die anderen in § 227 ASVG genannten Ersatzzeiten, wie etwa Zeiten des Bezugs einer Geldleistung wegen Arbeitslosigkeit und Krankheit, nicht erwähnt sind. Im Einklang damit steht, daß Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges in der Bundesrepublik Deutschland in der österreichischen Pensionsversicherung bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ebenfalls nicht berücksichtigt werden (vgl hierzu Scherff, Komm zum ASVG, S 527). Der Senat konnte in diesem Zusammenhang eigene Feststellungen zum österreichischen Recht treffen, weil das Berufungsgericht diese Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (vgl hierzu BSG SozR 5050 § 15 Nrn 33 und 40).

Für diese Auslegung des Abkommens spricht auch, daß sich internationale Sozialversicherungsabkommen im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen beider Vertragsstaaten nicht zwangsläufig auf die durch einen Vertragsstaat geänderten Vorschriften erstrecken. Zwar sollen durch diese Abkommen die Ansprüche der eigenen Staatsbürger gegen den Träger des anderen Staates gesichert werden, jedoch soll auch der Umfang der finanziellen Belastung durch Ansprüche der Staatsangehörigen des anderen Staates eingegrenzt werden (vgl BSG SozR 3-6858 Nr 2 Nr 1); infolgedessen kann grundsätzlich lediglich die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhandene gesetzliche Regelung der Vertragsstaaten vom Abkommen erfaßt werden. Eine im Wege der Auslegung vorgenommene Erweiterung des Abkommens um die Anerkennung der die Rahmenzeit verlängernden Aufschubtatbestände verschiedenster Ausgestaltung würde Sinn und Zweck solcher Abkommen widersprechen.

Im Einklang damit steht auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 4. Oktober 1991 (SozR 3-6030 Art 48 Nr 5).

Der EuGH hat im Hinblick auf die durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführten verschärften Voraussetzungen der EU- und BU-Rente festgehalten, die Änderungen seien eine Diskriminierung des Wanderarbeitnehmers; sie bewirkten, daß bestimmte Tatsachen und Umstände den Rahmenzeitraum nur verlängerten, wenn sie im zuständigen Mitgliedstaat eintreten würden, während sie im Recht des anderen Mitgliedstaates nicht berücksichtigt werden könnten. EWGVO 1408/71 sehe keine Regelung für diesen Fall vor. Der Verordnungsgeber hat daraufhin durch den mit Wirkung vom 1. Januar 1984 eingefügten Art 9a EWGVO 1408/71 auf die deutsche Rechtsänderung reagiert. Art 9a aaO besagt, daß der Rahmenzeitraum durch bestimmte, in einem Vertragsstaat zurückgelegte Zeiten sich auch durch die entsprechenden, in einem anderen Vertragsstaat zurückgelegte Zeiten verlängert.

Der Ansicht von Kunhardt (DAngVers 1984, 116, 119), dem Anspruchserwerb iS der internationalen Sozialversicherungsabkommen dienten nicht nur die Versicherungszeiten zur Erfüllung der Wartezeit, sondern auch die die Rahmenzeit verlängernden Aufschubtatbestände nach § 23 Abs 2a Satz 2 AVG, kann hier, im Rahmen des Art 26 DÖSVA, nicht gefolgt werden. Die Ansicht berücksichtigt nicht die für diese Sozialversicherungsabkommen üblichen Begriffsbestimmungen sowie die maßgeblichen Auslegungskriterien, wonach in erster Linie vom Wortlaut des Vertragstextes auszugehen ist (vgl BSG SozR 6480 Art 22 Nr 1).

Eine Zusammenrechnung der Versicherungszeiten nach Art 26 DÖSVA führt auch zu keiner für den Kläger günstigeren Beurteilung im Rahmen eines Anspruchs nach Art 2 § 7b AnVNG. Denn ein Rentenanspruch scheitert auch in diesem Zusammenhang, weil der Kläger den Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1985 in Österreich nicht durchgehend mit Beiträgen belegt hat und Aufschubtatbestände in Österreich zur Begründung des Anspruchs nicht herangezogen werden können.

Entgegen der Auffassung des Klägers verstoßen Auslegung und Anwendung des DÖSVA nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Das Abkommen differenziert nicht willkürlich zwischen Staatsangehörigen der EG-Mitgliedstaaten, die im EG-Ausland erwerbstätig sind, und solchen, die in den EG-Mitgliedstaaten erwerbstätig sind. Denn zwischen diesen Ländern bestehen, was die gegenseitige Anerkennung der sozialen Sicherungssysteme für die jeweiligen Staatsangehörigen anbelangt, Unterschiede von solcher Art und solchem Umfang, daß sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen (vgl hierzu BVerfGE 75, aaO; entsprechend BVerfG SozR 3-2200 § 891a Nr 2). Denn Deutsche und Angehörige der anderen EG-Mitgliedstaaten werden in den EG-Ländern hinsichtlich der rentenversicherungsrechtlich relevanten Zeiten gleichbehandelt, während Deutsche und Österreicher, die jeweils in dem anderen Vertragsstaat erwerbstätig sind und dessen sozialem Sicherungssystem angehören, nur in eingeschränktem Umfang gleichgestellt sind.

Wie das LSG im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, haben auch die durch Art 85 RRG 1992 mit Wirkung vom 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Bestimmungen, §§ 43 f SGB VI bzw die die Übergangsregelung des Art 2 § 7b AnVNG ersetzenden §§ 240 f SGB VI, keine Änderung der Rechtslage zugunsten des Klägers erbracht. Weder hat der Kläger die nach diesen Vorschriften vor Eintritt der EU bzw BU erforderlichen Pflichtbeitragszeiten von drei Jahren (§§ 43 Abs 1 Nr 2 und 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI) bzw (Pflicht-)Beitragszeiten vom 1. Januar 1984 bis zum 1. November 1986 (§§ 240 Abs 2 Nr 1 und 241 Abs 1 SGB VI) zurückgelegt, noch hat er die in den Vorschriften ferner aufgeführten Aufschubtatbestände (§§ 43 Abs 3, 44 Abs 4 SGB VI) bzw Anwartschaftserhaltungszeiten (§§ 240 Abs 2 Nrn 2 bis 5, 241 Abs 2 SGB VI) erfüllt.

Da dem Kläger mithin kein Anspruch auf eine EU- bzw BU-Rente zusteht, hat die Revision keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173825

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