Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 25.10.1989; Aktenzeichen L 12 Ka 94/88)

SG München (Urteil vom 04.02.1988)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 1989 und des Sozialgerichts München vom 4. Februar 1988 geändert.

2. Die Beklagte wird unter Abänderung ihrer Bescheide vom 4. April 1985 und vom 21. Oktober 1987, soweit sie die Beteiligung des Klägers hinsichtlich der Untersuchungen mit der 100-mm-Serienbild-Kamera betreffen, verurteilt, in diesem Umfange über die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide der Beteiligungskommission vom 22. Juni 1984 und 3. Juli 1986 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

3. Die Beklagte wird unter weiterer Abänderung ihrer Bescheide vom 4. April 1985 und vom 21. Oktober 1987 ferner verurteilt, gemäß ihrem Anerkenntnis vom 25. Oktober 1989 den Kläger für Leistungen nach den Nummern 1787 und 1788 der Ersatzkassen – Gebührenordnung an der vertragsärztlichen Versorgung zu beteiligen.

4. Die weitergehende Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

5. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu einem Fünftel zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Einschränkung der Beteiligung des Klägers an der vertragsärztlichen Versorgung.

Der Kläger ist seit 1. Mai 1975 als Chefarzt der urologischen Abteilung des Stadtkrankenhauses M. … an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung beteiligt. Diese Beteiligung wurde im Jahre 1979 eingeschränkt. Durch Bescheid vom 22. Juni 1984 schränkte die Beteiligungskommission die Beteiligung des Klägers weiter wie folgt ein:

  • Untersuchungen zum Zwecke der Krankheitserkennung – in besonders begründeten Einzelfällen –
  • konsiliarische Beratung eines Vertragsarztes in der Behandlung – in besonders begründeten Einzelfällen –

Die Durchführung besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden wurde auf folgende Leistungen beschränkt:

Varikozelen-Operation (Skrotalschnitt) (EGO Nr. 1759)

Operation eines Leistenhodens einseitig (EGO Nr. 1768)

Operation eines Leistenhodens beidseitig (EGO Nr. 1769)

Zytologische Untersuchungen.

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Bescheid der Beklagten vom 4. April 1985). Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben.

Durch Bescheid vom 3. Juli 1986 schränkte die Beteiligungskommission auf Antrag der Beigeladenen zu 1) die Beteiligung des Klägers auf Überweisung durch Vertragsärzte wie folgt ein:

  1. Abklärung einer Operationsindikation;
  2. Zytologie;
  3. Transrektale Sonographie der Prostata;
  4. Ultraschallgezielte Punktionen;
  5. Ambulante Nachbehandlung nach stationärem Aufenthalt bis längstens drei Monate nach der Entlassung;

auf Überweisung durch Urologen für onkologische Diagnostik und Tumornachsorge.

Auf den Widerspruch des Klägers und der Beigeladenen zu 1) faßte die Beklagte durch Bescheid vom 21. Oktober 1987 die Nrn 1 und 5 des vorstehenden Bescheides der Beteiligungskommission wie folgt neu:

1. Urodynamische Abklärung im Rahmen einer Operationsindikationsstellung für folgende Leistungen:

  • Simultane Harnröhren- und Blasendruckmessungen (EGO Nrn aF 1793, 1794),
  • retrograde Funktionsurographie mit Simultandokumentation einschließlich retrograder Biopsie,

Zystometrie, Elektromyographie des Beckenbodens und Uroflowmetrie mit kontinuierlicher Messung.

5. Ambulante Nachbehandlung nach urologischen Operationen bis längstens drei Monate nach Entlassung aus stationärem Aufenhalt im Einvernehmen mit dem behandelnden Vertragsarzt.

Die hiergegen erhobene Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ München vom 4. Februar 1988, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 25. Oktober 1989). Das LSG ging davon aus, daß den Beteiligungsinstanzen für die Feststellung des Bedürfnisses nach einer Beteiligung ein Beurteilungsspielraum zustehe. Hierbei lasse sich ein fehlerhafter Gebrauch nicht erkennen. Mit Ausnahme der Nrn 1787 und 1788 der Ersatzkassen-Gebührenordnung (EGO) bestehe weder aus quantitativer noch aus qualitativer Sicht eine Notwendigkeit, den Kläger wegen eines besonderen Leistungsangebotes über die erfolgte Einschränkung hinaus zu beteiligen. Im Hinblick auf die vom Kläger und von den niedergelassenen Urologen abgerechneten Leistungen könne davon ausgegangen werden, daß eine Versorgungslücke im Planungsbereich nicht bestehe. Eine Beteiligung des Klägers für die konsiliarische Beratung eines Vertragsarztes in der Kinderurologie sei auch nicht deswegen erforderlich, weil keiner der im Planungsbereich niedergelassenen Urologen über eine 100-mm-Serienbild-Kamera verfüge. Derartige Leistungen könnten durch die niedergelassenen Urologen auch entsprechend den Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für Radiologie und Nuklearmedizin erbracht werden. Auch für die ambulante Nachbehandlung von urologischen Tumorpatienten und die Operation eines Leistenhodens bestehe im Hinblick auf die niedergelassenen Urologen kein Bedürfnis.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.

Als wesentlichen Verfahrensmangel rügt der Kläger die Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung sowie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das LSG und trägt dazu vor, dieses habe nicht dargelegt, aufgrund welcher Tatsachenermittlungen bzw Beweiserhebungen es zu den Feststellungen gelangt sei, die niedergelassenen Urologen, einer davon ehemaliger Oberarzt beim Kläger, hätten die nötige Sachkunde zur Nachbehandlung von Tumorpatienten. Ersichtlich habe sich das LSG auf seine eigene Sachkunde gestützt, ohne dem Kläger die Möglichkeit einzuräumen, hierzu Stellung zu nehmen. Demgegenüber wäre er in der Lage gewesen darzulegen, worin der Unterschied zwischen seinen Kenntnissen und Erfahrungen gegenüber denen der niedergelassenen Urologen bestehe.

Ein Verstoß gegen § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erblickt der Kläger darin, daß das LSG ein Bedürfnis für die Beteiligung nach den Nrn 1787 und 1788 EGO bejaht und andererseits die Berufung in vollem Umfang zurückgewiesen habe. Hierzu hätte es einer Entscheidung der Beklagten bedurft. Demgegenüber habe das LSG offensichtlich die vom Vertreter der Beklagten abgegebene Erklärung in der mündlichen Verhandlung als neuen Verwaltungsakt iS des § 96 SGG angesehen, anstatt die Beklagte entsprechend zu verurteilen, zumindest aber die Sache zur erneuten Entscheidung an die Beklagte zurückzuverweisen.

Materiell-rechtlich rügt der Kläger die Verletzung des § 5 Nr 6 Arzt-Ersatzkassenvertrag (EKV/Ä) iVm § 116 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) und trägt dazu vor, aufgrund seiner besonderen Kenntnisse und Erfahrungen, die nicht mit denen niedergelassener Gebietskollegen verglichen werden könnten, habe er einen Anspruch auf Beteiligung. Insoweit habe das LSG eine qualitative Bedürfnisprüfung unterlassen. Die Methode des Vergleichs der abgerechneten Nummern der Gebührenordnung sei zur Feststellung eines qualitativen Bedürfnisses ungeeignet. Der Einsatz der 100-mm-Serienbild-Kamera, insbesondere in der Kinderurologie, bewirke eine Verringerung der Strahlenbelastung auf ein Drittel im Vergleich zu anderen Verfahren. Bei dem Einsatz dieses Geräts falle nur diejenige Gebühr an, die bei einer konventionellen Durchleuchtungsanlage berechnet werden könnte.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 1989 und des Urteils des Sozialgerichts München vom 4. Februar 1988 die Beschlüsse der Beteiligungskommission für Ersatzkassen, Schwaben, vom 22. Juni 1984 und vom 3. Juli 1986 in der Gestalt der Beschlüsse der Beklagten vom 4. April 1985 und vom 21. Oktober 1987 insoweit aufzuheben, als dadurch die Beteiligung des Klägers an der kassenärztlichen Versorgung eingeschränkt wurde;

hilfsweise,

unter Abänderung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts und des Sozialgerichts München die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben, als dadurch folgende Beteiligung widerrufen wurde:

a) Konsiliarische Beratung eines Kassenarztes in der Kinderurologie b) Operation eines Leistenhodens c) Tumornachsorge d) Leistungen auf Überweisung durch Urologen;

äußerst hilfsweise,

unter Abänderung der Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beigeladenen beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte hat keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist lediglich in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang begründet.

Die Beteiligung des Klägers konnte nach dem bis 30. September 1990 geltenden EKV/Ä widerrufen werden. Diese Rechtslage hat sich in der Folgezeit durch den neuen EKV/Ä nicht geändert, so daß der Kläger auch nach neuem Recht einen Anspruch nicht erworben hat. Nach § 5 Nr 3 EKV/Ä (alt) wie auch nach § 7 Abs 3 und 4 Nr 1 EKV/Ä (neu) kann zur Sicherstellung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung der Versicherten ein (leitender) Krankenhausarzt Vertragsarzt werden und auf seinen Antrag hin für die Dauer seiner Tätigkeit an demselben Krankenhaus widerruflich an der ambulanten Versorgung der Versicherten ganz oder für bestimmte Leistungen, in der Regel auf Überweisung, beteiligt werden. Maßgebend für die Beteiligung des Klägers war seinerzeit die ärztliche Versorgungslage im ambulanten Bereich, die die Einbeziehung des Klägers in die vertragsärztliche Versorgung erforderlich machte. Diese Situation hat sich aus der Sicht der Beteilungsinstanzen insofern wesentlich geändert, als nunmehr die niedergelassenen Ärzte in der Lage sind, die Leistungen, für die der Kläger beteiligt war, selbst zu erbringen. Bei ihrer Entscheidung haben die Beteiligungsinstanzen einen gerichtlich nur beschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraum (Urteil des Senats vom 23. Mai 1984 – 6 RKa 21/83 – = BSGE 56, 295, 299 = SozR 5520 § 29 Nr 4). Abgesehen von der noch zu behandelnden Beteiligung des Klägers hinsichtlich der Untersuchungen mit der 100-mm-Serienbild-Kamera ist nicht erkennbar, daß sich die Beklagte von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Das LSG hat festgestellt, daß nach den Bedarfsplänen ausreichende Leistungsmöglichkeiten durch die niedergelassenen Urologen bestehen. Es hat weiter festgestellt, daß die niedergelassenen Urologen auch fachlich in der Lage sind, den Versicherten eine ausreichende ärztliche Versorgung zuteil werden zu lassen. Soweit diese Tatsachen festgestellt sind, rechtfertigen sie einen Widerruf der Beteiligung des Klägers.

Gleiches gilt ab 1. Oktober 1990 nach § 7 Abs 3 iVm Abs 4 Nr 1 EKV/Ä, der eine Ermächtigung von Krankenhausärzten vorsieht, soweit die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung durch Vertragsärzte nicht gewährleistet ist. Nach wie vor ist auf die Bedarfslage abzustellen.

Die Feststellungen des LSG sind verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Insbesondere hat das LSG nicht die Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 SGG) sowie den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) verletzt.

Entscheidungsgrundlage für das LSG war der Sachverhalt, von dem die Beklagte in ihrem angefochtenen Bescheid ausgegangen ist. Dieser war, wie bereits ausgeführt, vom LSG nur daraufhin zu überprüfen, ob die Beklagte ihre Entscheidung darauf stützen durfte. Das LSG hat sich, wie schon vorher das SG, der Beklagten angeschlossen und dies im angefochtenen Urteil im einzelnen begründet. Es hat sich dabei mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt. Dem Kläger wurde rechtliches Gehör auch dadurch gewährt, daß die Frage der fachlichen Eignung der niedergelassenen Vertragsärzte (qualitatives Bedürfnis) bereits im Verfahren vor dem SG einen breiten Raum einnahm. Der Kläger hatte Gelegenheit, sich zu der Frage zu äußern, ob und inwieweit die niedergelassenen Urologen aufgrund ihrer Aus- und Weiterbildung in der Lage seien, die Leistungen, für die er beteiligt gewesen ist, in gleicher Weise zu erbringen.

Begründet ist die Revision des Klägers hingegen hinsichtlich seiner Beteiligung für Untersuchungen mit der 100-mm-Serienbild-Kamera (s Urteil 6 RKa 37/90 des Senates vom selben Tage). Hier ging die Beklagte davon aus, daß diese Leistungen durch die niedergelassenen Ärzte auch mit anderen, weniger hochtechnischen Methoden im Rahmen der an die vertragsärztliche Versorgung zu stellenden Anforderungen erbracht werden können. Hierzu hätte die Beklagte jedoch noch weitere Umstände in Betracht ziehen müssen. Unstreitig verursacht der Einsatz der Kamera keine höheren Kosten, so daß Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit für die Beurteilung der Notwendigkeit der Beteiligung des Klägers ausscheiden. Auf der anderen Seite trägt der Kläger vor, daß der Einsatz der Kamera mit einer geringeren Strahlenbelastung für den Patienten verbunden sei. Trifft dies zu, dann könnte eine derartige ärztliche Behandlung mit weniger Risiken verbunden und damit zweckmäßiger sein als die sonst üblichen Methoden, mögen sie auch generell den qualitativen Anforderungen genügen. Das Vorhandensein geeigneter Behandlungsmethoden steht der Einführung von geeigneteren Methoden mindestens dann nicht entgegen, wenn diese ebenso wirtschaftlich sind. Dieser Frage hätte die Beklagte bei Beurteilung der Notwendigkeit der Beteiligung des Klägers an der Funktionsurographie mit der 100-mm-Kamera nachgehen müssen. Erst wenn sie zu der Überzeugung gelangt wäre, daß diese Methode gegenüber den üblichen keine Vorzüge im qualitativen Bereich aufweist, hätte sie die Beteiligung des Klägers auch insoweit widerrufen dürfen. Das Fehlen der vom Kläger ins Feld geführten Vorzüge ergibt sich auch nicht aus den Feststellungen des LSG. Aus diesen Gründen sind die Bescheide der Beteiligungsinstanzen insoweit rechtswidrig.

Die Erklärung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG, daß die Beteiligung des Klägers erweitert werde bezüglich der Nrn 1787 und 1788 EGO, ist als Anerkenntnis auszulegen. Einen Verwaltungsakt konnte der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten nicht erlassen. Der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellte Antrag des Klägers war deshalb als Antrag auf Erlaß eines Anerkenntnisurteils nach § 307 der Zivilprozeßordnung zu verstehen. Diesem Antrag ist zu entsprechen. Da das Anerkenntnis unklar war und insoweit keine Einigung unter den Beteiligten bestand oder herbeigeführt wurde, konnte das Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung der Klage nicht verneint werden (vgl Hennig/Danckwerts/König, Komm zum SGG, § 101 Erl 11.3). Ihr ist insoweit stattzugeben.

Im übrigen war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174367

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