Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte, beigeladen: …

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die von dem zu 2 beigeladenen Land an die Beklagte im Wege der Nachversicherung für den Kläger entrichteten Beiträge auf die Beigeladene zu 1 zu übertragen sind.

Der Kläger war in der Zeit von Februar 1981 bis Mai 1983 als Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst Beamter auf Widerruf im Dienste des Beigeladenen zu 2. Nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt wurde er aufgrund des Gesetzes über das Niedersächsische Versorgungswerk der Rechtsanwälte vom 14. März 1982 mit Wirkung ab 1. Januar 1984 Mitglied der Beigeladenen zu 1. Durch Schreiben vom 18. Mai 1984 wurde der Kläger vom Präsidenten des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg im Hinblick auf die anstehende Entscheidung über die Nachentrichtung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung für die Zeit seiner Tätigkeit als Referendar gebeten, seine Tätigkeiten nach dem Ausscheiden aus dem Justizdienst anzugeben. Ein Hinweis auf die Antragsmöglichkeit nach § 124 Abs. 6a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 18. Juli 1984 antwortete der Kläger, daß er sich als selbständiger Rechtsanwalt niedergelassen habe. Daraufhin überwies der Beigeladene zu 2, vertreten durch den Präsidenten des OLG Oldenburg, an die Beklagte Nachversicherungsbeiträge für die Zeit vom 2. Februar 1981 bis 20. Mai 1983 in Höhe von insgesamt 10.654,88 DM. Die Beklagte stellte dem Kläger über die Nachversicherung eine Bescheinigung nach § 124 Abs. 6 AVG aus.

Unter dem 5. Dezember 1983 sandte die Beigeladene zu 1 an den Kläger ein Schreiben, in dem sie u.a. über die bei ihr satzungsgemäß vorgesehene Möglichkeit einer Nachversicherung ab 1. Januar 1983 unterrichtete. Der Kläger bestreitet den Empfang dieses Schreibens und machte von der Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 keinen Gebrauch.

Am 21. April 1989 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zahlung des vom Beigeladenen zu 2 geleisteten Betrages an die Beigeladene zu 1. Durch Bescheid vom 20. Juli 1989 lehnte die Beklagte eine Übertragung der Beitragszahlungen an die Beigeladene zu 1 (ohne Begründung) ab. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 1990 mit der Begründung zurückgewiesen, für eine Übertragung der Beiträge auf die Beigeladene zu 1 bestehe keine gesetzliche Grundlage.

Durch Urteil vom 16. Oktober 1992 hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die für die Zeit vom 2. Februar 1981 bis 20. Mai 1983 von dem Beigeladenen zu 2 geleisteten Nachversicherungsbeiträge in Höhe von 10.654,88 DM auf das Konto des Klägers bei der Beigeladenen zu 1 zu überweisen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dem Kläger habe die nach § 124 Abs. 6a AVG eröffnete Wahlmöglichkeit offengestanden. Von dieser Möglichkeit habe er innerhalb der Frist des § 124 Abs. 6b AVG keine Kenntnis gehabt. Er sei jedoch im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als wenn er den Antrag rechtzeitig gestellt hätte. Allerdings habe die Beklagte keine Beratungs- oder Auskunftspflicht verletzt, weil ein Sozialrechtsverhältnis zum Kläger erst aufgrund der Durchführung der Nachversicherung entstanden sei. Eine Pflichtverletzung bestehe aber auf seiten des Beigeladenen zu 2, vertreten durch den Präsidenten des OLG, als Dienstherr des Klägers sowie auch bei der Beigeladenen zu 1. Dies müsse sich die Beklagte zurechnen lassen.

Im Berufungsverfahren hat die Beklagte vorgetragen, der Präsident des OLG sei im Falle des Klägers nicht als Behörde i.S. des Ersten Buches Sozialgesetzbuchs tätig geworden, sondern habe als Arbeitgeber des Klägers gehandelt. Folglich sei ihr, der Beklagten, eine Pflichtverletzung des Präsidenten des OLG im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht zurechenbar. Gleiches gelte für eine etwaige Pflichtverletzung der Beigeladenen zu 1, weil diese nicht in den versicherungsrechtlich auf die Beklagte gerichteten Verwaltungsablauf einbezogen gewesen sei. Der Kläger hat das Urteil des SG für zutreffend gehalten.

Durch das ohne mündliche Verhandlung ergangene Urteil vom 22. September 1993 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt worden: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übertragung der im Wege der Nachversicherung an die Beklagte entrichteten Beiträge an die Beigeladene zu 1. Für den von ihm geltend gemachten Anspruch fehle es an einer Anspruchsgrundlage. Nach dem Ausscheiden aus dem Referendardienst habe zwar gemäß § 124 Abs. 6a AVG die Möglichkeit einer Nachversicherung zur Beigeladenen zu 1 bestanden. Ein solcher Antrag sei aber nicht binnen Jahresfrist vom Kläger gestellt worden. Als Anspruchsgrundlage komme auch das richterrechtlich entwickelte Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht in Betracht. Dieser setze voraus, daß ein Versicherungsträger seine ihm entweder aufgrund Gesetzes oder eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber obliegende Pflicht zur Beratung und Auskunft oder die sich aus einem konkreten Anlaß ergebende Verpflichtung zur verständnisvollen Förderung verletzt und damit einem Versicherten einen Nachteil zugefügt habe. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Die Beklagte habe gegenüber dem Kläger keine entsprechende Verpflichtung gehabt. Entgegen der Auffassung des SG müsse sich die Beklagte auch die unterlassene Belehrung durch den Präsidenten des OLG nicht als Fehlverhalten zurechnen lassen.

Dieses Urteil sollte dem Kläger unter der von ihm angegebenen Privatanschrift H. Straße 1 in L. zugestellt werden. Der Postbedienstete hat die Anschrift in H. Straße 8 "berichtigt" und das Urteil des LSG dem Kläger unter dieser Anschrift am 21. Oktober 1993 durch Niederlegung beim Postamt L. 1 zugestellt, wobei er in der Postzustellungsurkunde bescheinigt hat, er habe den Kläger in der bezeichneten Wohnung nicht angetroffen und die Benachrichtigung über die Niederlegung in der für den Kläger bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben, nämlich "an der Wohnungstür befestigt".

Mit einem am 9. Dezember 1993 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und beantragt, ihm wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er trägt vor, durch ein Schreiben des LSG vom 2. September 1993 sei ihm mitgeteilt worden, daß ohne mündliche Verhandlung entschieden werden solle. Im "Wiedervorlageverfahren" sei ihm in seiner Anwaltskanzlei die Handakte am 8. Dezember 1993 vorgelegt worden. Bei einem Telefonanruf bei der Geschäftsstelle des LSG habe er am selben Tage erfahren, daß bereits am 22. September 1993 ein Urteil ergangen sei. Er habe aber weder dieses Urteil noch eine Mitteilung über eine Zustellung durch Niederlegung bei der Post erhalten. Die Richtigkeit dieser Angaben versichere er eidesstattlich. Nachdem ihm das Urteil durch einfaches Schreiben vom 10. Dezember 1993 übersandt worden sei, begründe er (beim BSG am 27. Januar 1994 eingegangen) die Revision in der Sache selbst wie folgt: Das angefochtene Urteil sei unrichtig, weil der geltend gemachte Anspruch aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gerechtfertigt sei. Die Beigeladenen zu 1 und 2 hätten ihre Aufklärungspflichten über die gemäß § 124 Abs. 6a AVG eröffnete Möglichkeit der Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 schuldhaft verletzt. Dieses pflichtwidrige Verhalten müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Es könne durchaus von einem arbeitsteiligen Organisationsablauf i.S. einer "Funktionseinheit" gesprochen werden, wenn auch formal jeweils selbständige Verwaltungsverfahren geführt worden seien. Diese vom Gesetzgeber vorgesehene und tatsächlich praktizierte Aufgabenverteilung rechtfertige es, der Beklagten das Verhalten der Beigeladenen zu 1 und 2 zuzurechnen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er, der Kläger, den Antrag auf Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 rechtzeitig gestellt. Im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs seien deshalb die geleisteten Beiträge auf die Beigeladene zu 1 zu übertragen.

Der Kläger beantragt sinngemäß:das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. September 1993 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 16. Oktober 1992 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt:die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie macht im wesentlichen geltend: Sofern die Revision zulässig sein sollte, sei sie nach Auffassung der Beklagten jedenfalls unbegründet. Zwar habe es der Beigeladene zu 2 unterlassen, den Kläger auf die Möglichkeit einer Nachversicherung gemäß § 124 Abs. 6a und 6b AVG hinzuweisen. Wäre eine dementsprechende Information erfolgt, hätte der Kläger die Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 fristgerecht beantragt. Dieses Fehlverhalten sei ihr, der Beklagten, aber im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht mit der Folge zuzurechnen, daß die Beklagte die bei ihr im Wege der Nachversicherung eingezahlten Beträge an die Beigeladene zu 1 auszukehren hätte. Der Beigeladene zu 2 sei in seiner Eigenschaft als Dienstherr des Klägers bzw. als Zahlungsschuldner der Beklagten tätig gewesen, und es könne nicht festgestellt werden, daß der Beigeladene zu 2 im Rahmen des Nachversicherungsverfahrens mit der Beklagten arbeitsteilig zusammengewirkt hätte.

Die Beigeladenen zu 1 und 2 stellen keinen Antrag.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze vom 8. Dezember 1993 (Bl 9 bis 11 der BSG-Akte), 14. Dezember 1993 (Bl 14 der BSG-Akte), 17. Januar 1994 (Bl 18 bis 20 der BSG-Akte), 26. Januar 1994 (Bl 21 bis 23 der BSG-Akte), 15. Februar 1994 (Bl 29 bis 34 der BSG-Akte) und 10. Mai 1994 (Bl 40 der BSG-Akte) verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Die durch Zulassung statthafte Revision ist zulässig. Es kann offenbleiben (vgl. BSGE 4, 156 = SozR Nr. 31 zu § 215 SGG), ob der Kläger die Frist zur Einlegung der Revision gewahrt hat; jedenfalls ist ihm gemäß § 67 SGG wegen der Versäumnis der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Dahingestellt bleiben kann, ob das Urteil des LSG dem Kläger ordnungsgemäß zugestellt worden ist und demzufolge die Fristen des § 164 Abs. 1 und 2 SGG in Gang gesetzt worden sind. Der Wirksamkeit einer Zustellung würde allerdings nicht entgegenstehen, daß das LSG veranlaßt hat, das angefochtene Urteil dem Kläger unter der von ihm stets angegebenen privaten Anschrift H. Straße 1 zuzustellen, denn es besteht keine Vorschrift, daß einem sich selbst vertretenden Prozeßbevollmächtigten - wie dem Kläger - nur unter dessen Kanzleianschrift zugestellt werden darf. Entgegen der Auffassung des Klägers war das LSG auch nicht gehalten, sondern lediglich berechtigt, die Zustellung des Urteils an den Kläger gegen Empfangsbekenntnis gemäß § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 5 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zu veranlassen. Fraglich ist jedoch, ob der Kläger unter der vom Postbediensteten ermittelten Anschrift H. Straße 8 - wovon der Kläger bisher offenbar keine Kenntnis hat - wohnt. Wenn der Kläger dort nicht gewohnt haben sollte, konnte ihm unter dieser Anschrift gemäß §§ 63 Abs. 2, 3 VwZG, 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht wirksam durch Niederlegung beim Postamt zugestellt werden; die Revisionsfrist wäre somit nicht in Gang gesetzt und die Revision am 8. Dezember 1993 rechtzeitig eingelegt worden. Andernfalls hätte die Revisionsfrist am 21. Oktober 1993 zu laufen begonnen, so daß die Revision am 8. Dezember 1993 verspätet eingelegt worden wäre.

Insoweit ist dem Kläger aber wegen dieser Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Kläger war ohne Verschulden verhindert, die mit einer Zustellung des angefochtenen Urteils beginnende Frist zur Einlegung der Revision einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Zwar wird durch die Postzustellungsurkunde urkundlich bewiesen, daß die Zustellung gemäß §§ 63 Abs. 2, 3 VwZG, 182 ZPO ordnungsgemäß bewirkt worden ist. Hiergegen ist aber nicht nur der Gegenbeweis zulässig (§ 202 SGG i.V.m. § 418 Abs. 2 ZPO), sondern es kann im Blick auf die für den Fristbeginn maßgebliche Zustellung auch eingewandt werden, von der Zustellung - schuldlos - keine Kenntnis erlangt zu haben. So verhält es sich beim Kläger. Durch seine als Organ der Rechtspflege an Eides Statt abgegebene Versicherung hat er glaubhaft gemacht (§ 67 Abs. 2 Satz 2 SGG), das angefochtene Urteil nicht erhalten zu haben. Dies ist nicht auszuschließen, weil der vom Postbediensteten an der Wohnungstür befestigte Benachrichtigungszettel durch eine unbekannte Person entfernt worden sein kann; außerdem kann die Benachrichtigung den Kläger deshalb nicht erreicht haben, weil er möglicherweise nicht im Hause H. Straße 8 gewohnt hat. Indem der Kläger nach dem am 8. Dezember 1993 mit der Geschäftsstelle des LSG geführten Telefongespräch am 9. Dezember 1993 beim BSG Wiedereinsetzung beantragt und zugleich Revision eingelegt hat, ist der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig gestellt (§ 67 Abs. 2 Satz 1 SGG) und die Revision innerhalb der Frist des § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG, nämlich binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (8. Dezember 1993), rechtzeitig nachgeholt worden. Infolgedessen war ihm wegen der Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Daraus folgt, daß die Frist zur Begründung der Revision (§ 164 Abs. 2 SGG) am 27. Januar 1994 entweder mangels ordnungsgemäßer Zustellung des angefochtenen Urteils oder mangels eines Beschlusses, durch den wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wurde (vgl. BSG SozR 1500 § 164 Nr. 9), noch nicht in Gang gesetzt worden und erst recht nicht abgelaufen war.

In der Sache selbst hat die Revision indessen keinen Erfolg. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf hat, daß die von dem Beigeladenen zu 2 zur Nachversicherung des Klägers entrichteten Beiträge an die Beigeladene zu 1 überwiesen werden. Da der Kläger vor dem 1. Januar 1992 aus den Diensten des Beigeladenen zu 2 ausgeschieden ist, ist die Nachversicherung nach den Vorschriften des AVG durchzuführen (§ 233 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch). § 124 AVG, der die Nachversicherung regelt, enthält keine Bestimmung, die die Übertragung von Beiträgen von der Beklagten auf die Beigeladene zu 1 zulassen würde. Nach § 124 Abs. 6 AVG war der Kläger nach dem Ausscheiden aus dem Referendardienst grundsätzlich bei der Beklagten "nachzuversichern". Gemäß § 124 Abs. 6a und 6b AVG hätte er statt dessen die Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 beantragen können. Einen solchen Antrag hat der Kläger aber innerhalb der vorgeschriebenen Jahresfrist nicht gestellt. Damit war das dem Kläger in § 124 Abs. 6a und 6b AVG eingeräumte Wahlrecht zur Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 erloschen. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 1. September 1988 (4 RA 18/88, veröffentlicht in SozR 2400 § 124 Nr. 6) näher ausgeführt und hält daran auch nach erneuter Überprüfung fest.

Nachdem der Kläger keinen wirksamen Antrag gestellt hatte, war der Beigeladene zu 2 verpflichtet, die Nachversicherung bei der Beklagten durchzuführen. Die demzufolge geleisteten Beiträge gelten gemäß §§ 124 Abs. 4 Satz 1, 9 Abs. 5a AVG als rechtzeitige Pflichtbeiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Sie können somit vom Kläger nicht als "zu Unrecht entrichtete Beiträge" i.S. von § 26 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch zurückverlangt und sodann an die Beigeladene zu 1 weitergeleitet werden.

Es liegt auch nicht etwa eine Zahlung an einen unzuständigen Versicherungszweig vor mit der Folge, daß die Beiträge in entsprechender Anwendung von § 143 AVG beanstandet werden könnten. Denn der Beigeladene zu 2 konnte die Beiträge - mangels entgegenstehenden Antrags des Klägers - wirksam nur an die Beklagte abführen. Ebensowenig kommt eine auch nur teilweise Erstattung in Betracht. Der Kläger kann den sog. Hälfteanteil nach § 82 Abs. 1 AVG jedenfalls deshalb nicht erstattet verlangen, weil er nach seinem Ausscheiden aus dem Referendardienst gemäß § 10 Abs. 1 und 3 AVG zur freiwilligen Versicherung bei der Beklagten berechtigt ist.

Zutreffend hat das LSG schließlich entschieden, daß der Kläger sein Begehren nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen kann. Bei diesem Anspruch handelt es sich um ein von der Rechtsprechung im Wege der Fortbildung des geschriebenen Rechts entwickeltes Rechtsinstitut im System des öffentlich-rechtlichen Nachteilsausgleichs. Dabei muß u.a. ein pflichtwidriges Verhalten eines Leistungsträgers, hier die Verletzung einer Beratungs- oder Auskunftspflicht, vorliegen (stellvertretend Urteile des Senats in SozR 1200 § 44 Nr. 11 und 1300 § 44 Nr. 17 sowie vom heutigen Tage - 4 RA 64/93).

Die Beklagte selbst hat - wie die Vorinstanzen zu Recht angenommen haben - keine Pflicht verletzt, deren Befolgung den Verlust des Antragsrechts des Klägers hätte verhindern können. Hierfür besteht kein Anhaltspunkt.

Der Beklagten ist auch das Verhalten eines anderen Leistungsträgers nicht als eigene Pflichtverletzung zuzurechnen. Dies ist nur möglich, wenn zwischen beiden eine Funktionseinheit in der Weise besteht, daß ein anderer Leistungsträger oder eine andere Behörde/Stelle in den Verwaltungsablauf derjenigen Behörde arbeitsteilig eingeschaltet ist, gegen die der Herstellungsanspruch gerichtet wird, diese Behörde sich also für die Erfüllung der ihr obliegenden sozialrechtlichen Aufgabe kraft Gesetzes oder Vertrages einer anderen Behörde/Stelle bedient (BSGE 51, 89 = SozR 2200 § 381 Nr. 44, SozR 1200 § 14 Nr. 13, BSGE 57, 288 = SozR 1200 § 14 Nr. 18, SozR 1300 § 44 Nr. 18, SozR 1200 § 14 Nr. 19, BSGE 58, 283 = SozR 1200 § 14 Nr. 20, BSGE 62, 96 = SozR 1200 § 14 Nr. 26, BSGE 63, 112 = SozR 1200 § 14 Nr. 28, BSGE 64, 89 = SozR 2200 § 545 Nr. 8 sowie BSGE 71, 217 = SozR 3-1200 § 14 Nr. 8) oder eine Person (z.B. Versichertenältester) einschaltet (SozR 5755 Art 2 § 1 Nr. 3 und SozR 1200 § 14 Nr. 29).

Davon kann bei der Beigeladenen zu 1 schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Beigeladene zu 1 an der vom Beigeladenen zu 2 bei der Beklagten durchgeführten Nachversicherung des Klägers nicht beteiligt war. Aber auch ein Beratungsfehler des Beigeladenen zu 2 kann der Beklagten nicht angelastet werden. Soweit der Beigeladene zu 2 gegenüber dem Kläger eine eigene Beratungspflicht gehabt und verletzt haben sollte, scheidet eine Zurechenbarkeit im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bereits von vornherein aus. Der Beigeladene zu 2 mag zwar eine Beratungspflicht verletzt haben. Eine derartige Pflichtverletzung ist der Beklagten aber nicht zurechenbar, weil der Beigeladene zu 2 nicht zur Wahrnehmung einer Aufgabe der Beklagten eingeschaltet war. Für die Vollziehung der Nachversicherung nach §§ 9, 124, 125 AVG ist allein der Rentenversicherungsträger, d.h. die Beklagte, zuständig. Dabei ist sie nicht nur gegenüber privaten, sondern auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern befugt, die Nachentrichtung der Beiträge durch Verwaltungsakt einzufordern (vgl. Urteile des Senats in SozR 2400 § 124 Nr. 6, SozR 3-2200 § 1402 Nr. 1 und Die Beiträge 1993, 355 ff.). Aus diesem Über- und Unterordnungsverhältnis ergibt sich, daß ein Arbeitgeber - gleich ob privat- oder öffentlich-rechtlich organisiert - im Rahmen seiner Mitwirkung bei der Nachversicherung eines Arbeitnehmers bzw. Bediensteten keine Amtshandlungen für den Rentenversicherungsträger vornimmt, sondern in Erfüllung der sich aus dem Arbeits-/Dienstverhältnis ergebenden arbeitsrechtlichen Verpflichtungen und zur Erfüllung eines ihn treffenden sozialrechtlichen Anspruchs tätig wird. Somit ist auch der Beigeladene zu 2 im Falle des Klägers nicht als Behörde in einem Verwaltungsablauf der Beklagten, sondern "nur" als Dienstherr des Klägers und Zahlungsschuldner der Beklagten tätig geworden (so auch Urteil des Senats in SozR 2400 § 124 Nr. 6). Bei einem solchen Status kann eine Pflichtverletzung des Beigeladenen zu 2 für den Kläger keinen Herstellungsanspruch begründen. Dem steht das BSG-Urteil vom 25. September 1993 (13 RJ 27/92 in SozR 3-1200 § 14 Nr. 9) nicht entgegen. Der 13. Senat hat in dieser Entscheidung einen Beratungsfehler des Arbeitsamtes (ArbA) dem Rentenversicherungsträger angelastet, ohne indessen auszuführen, aus welchem Grunde der Beratungsfehler des ArbA nach der vorhergehenden und oben zitierten Rechtsprechung des BSG dem Rentenversicherungsträger zurechenbar sein soll. Sofern der 13. Senat erweiternd die Zurechenbarkeit allgemein für alle Sozialleistungsträger - sinngemäß - aus der engen Verflechtung der verschiedenen Zweige der sozialen Sicherung hergeleitet haben sollte, kann offenbleiben, ob einer solchen Auffassung zu folgen ist. Eine derartig begründete Zurechnung würde im vorliegenden Fall nicht dazu führen, daß ein Fehlverhalten des Beigeladenen zu 2 der Beklagten angelastet werden müßte. Denn der Beigeladene zu 2 war im vorgenannten Sinne kein zur Beratung und Auskunft verpflichteter Sozialleistungsträger.

Nach alledem war die Revision des Klägers zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518917

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