Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahlanfechtungsklage

 

Leitsatz (amtlich)

Die Wahlanfechtungsklage eines Versicherten, der nicht selbst beschwerdeberechtigt ist, ist nur dann zulässig, wenn zumindest ein beschwerdeberechtigter Listenvertreter ohne Erfolg Beschwerde eingelegt hat. Diese Einschränkung der Klagemöglichkeit ist nicht verfassungswidrig.

 

Normenkette

SGB IV § 57

 

Gründe

I. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Gültigkeit der Wahl der Vertreterversammlung der beklagten Hanseatischen Ersatzkasse (HEK), die 1986 anläßlich der 7. Sozialversicherungswahlen durchgeführt wurde. Daran beteiligte sich ua die beigeladene "HEK-Gemeinschaft", Interessenvertretung der Hanseatischen Ersatzkassen-, Merkur- und Rentnermitglieder eV, indem sie eine Vorschlagsliste für die Wahl zur Vertreterversammlung der Beklagten einreichte, in der sie seit der voraufgegangenen Wahl bereits ununterbrochen mit mindestens einem Vertreter repräsentiert war. Am 10. Januar 1986 beschloß der Wahlausschuß der Beklagten einstimmig, die Vorschlagsliste der Beigeladenen zuzulassen. Gegen diesen Beschluß wurde von den Listenvertretern anderer Listen keine Beschwerde erhoben.

Nachdem am 14. Oktober 1986 das Wahlergebnis öffentlich bekanntgemacht war, erhob der Kläger, der bei der Beklagten versichert ist, am 13. November 1986 vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg Klage auf Anfechtung der Wahl und machte geltend, die Beigeladene sei keine vorschlagsberechtigte sonstige Arbeitnehmervereinigung, sondern ein von der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) beherrschter Wahlverein. Ihre Vorschlagsliste sei daher unter Verstoß gegen das Wahlrecht zugelassen worden. Der Wahlanfechtungsklage stehe § 57 Abs 4 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) nicht entgegen; bei verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift sei die Klage zulässig. Anderenfalls sei diese Bestimmung wegen Verstoßes gegen Art 2, 3, 20, 33 und Art. 19 Abs 4 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig.

Klage und Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg (Urteil des SG Hamburg vom 1. August 1987; Urteil des Landessozialgerichts LSG- Hamburg vom 24. Februar 1989). Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) im wesentlichen ausgeführt, die Klage sei nach § 57 Abs 4 SGB IV unzulässig, weil gegen die Entscheidung des Wahlausschusses der Beklagten vom 10. Januar 1986 über die Zulassung der Vorschlagsliste der HEK-Gemeinschaft von den Listenvertretern der anderen zugelassenen Listen die nach dem Gesetz mögliche Beschwerde nicht eingelegt worden sei. Eine zulässige Wahlanfechtungsklage habe mithin nicht erhoben werden können. Das gelte nicht nur für Klagen von Listenvertretern anderer zugelassener Listen, sondern gleichermaßen für alle anderen an der Wahl Beteiligten, denen ein eigenes Beschwerderecht gegen die Entscheidungen des Wahlausschusses nicht zugestanden habe und die deshalb nicht in der Lage seien, selbst die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 57 Abs 4 SGB IV zu schaffen. Dieses Ergebnis entspreche der nahezu einhelligen Auffassung in der Literatur und entspreche auch dem Ziel des Gesetzes, es bei einer von den unmittelbar Betroffenen akzeptierten Entscheidung zu belassen, wobei Fehler des Wahlverfahrens in einem möglichst frühzeitigen Stadium geltend gemacht und behandelt werden sollten. Es sei folgerichtig, Personen und Vereinigungen auch das Klagerecht zu versagen, wenn ihnen schon kein Beschwerderecht gegen Entscheidungen eingeräumt sei, die von den unmittelbar Beteiligten nicht angegriffen worden seien. Eine so verstandene Auslegung des § 57 Abs 4 SGB IV verstoße auch nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen Art 19 Abs 4 GG.

Mit der vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen Revision rügt der Kläger zunächst eine Verletzung von § 60 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 48 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils sei ihm bekanntgeworden, daß der daran mitwirkende ehrenamtliche Richter Schoenfeldt als ein von der DAG vorgeschlagener Arbeitnehmervertreter in dieses Amt berufen worden sei. Da die Beigeladene unter maßgeblichem Einfluß der DAG stehe und deshalb auch die DAG von dem vorliegenden Verfahren mindestens mittelbar betroffen sei, habe der ehrenamtliche Richter an der Entscheidung nicht mitwirken dürfen. Auch wenn möglicherweise eine Verletzung des § 41 Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht unmittelbar vorliege, so sei doch eine Mitwirkung des ehrenamtlichen Richters wegen Besorgnis der Befangenheit und einer deshalb gebotenen Selbstablehnung ausgeschlossen gewesen. In der Sache werde eine Verletzung des § 57 SGB IV, insbesondere seines Abs 2, gerügt. Daß er, der Kläger, zu dem in § 48 Abs 1 SGB IV genannten Personenkreis und damit zu dem Kreis der nach dem § 57 Abs 2 SGB IV Anfechtungsberechtigten gehöre, stehe außer Frage. Dann aber könne seine Klage nicht nach § 57 Abs 4 SGB IV als unzulässig angesehen werden, weil kein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Wahlausschusses über die Zulassung der streitigen Vorschlagsliste eingelegt worden sei. Das Landessozialgericht (LSG) gehe zu Unrecht davon aus, daß die in dieser Bestimmung enthaltene "soweit"-Regelung eine in jedem Fall zu erfüllende Voraussetzung der Wahlanfechtungsklage enthalte. Das sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Träfe die Auffassung des Landessozialgericht (LSG) zu, dann wäre in jedem Fall ein "indirektes Vorverfahren" Klagevoraussetzung. Da aber § 57 Abs 3 Satz 3 SGB IV ausdrücklich regele, daß ein Vorverfahren nicht stattfinde, könne es auch bei Abs 4 ein derartiges Vorverfahren nicht geben. Darüber hinaus ergebe sich aber auch aus dem Gesamtzusammenhang der in § 57 SGB IV enthaltenen Regelungen, daß die Zulässigkeitserfordernisse einer Wahlanfechtungsklage je nach der Gruppenzugehörigkeit differierten. § 57 Abs 2 SGB IV berechtige zur Wahlanfechtung zwei verschiedene Personenkreise, nämlich die Listenvertreter einerseits, denen ein Beschwerderecht gegen Entscheidungen des Wahlausschusses eingeräumt sei und die daher in der Lage seien, die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 57 Abs 4 SGB IV zu schaffen, und "alle anderen an der Wahl Beteiligten" andererseits, denen die besonderen Rechte der vorgenannten Listenvertreter gerade nicht zuständen. Von daher sei es nicht ungewöhnlich, daß Listenvertreter die Wahlanfechtungsklage nur zulässig erheben könnten, wenn zuvor die ihnen gegebenen Rechtsbehelfs-Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien, während bei den "anderen" Personen die Wahlanfechtungsklage sogleich und ohne weiteres zulässig sei. Anderenfalls würde § 57 Abs 2 SGB IV für diesen Personenkreis leerlaufen, was nicht dem Zweck des Gesetzes. entspreche. Ihm, dem Kläger, könne weder die Nichtaktivität irgendwelcher Listenvertreter zugerechnet werden, noch könne er einen Listenvertreter zur Einlegung eines Rechtsbehelfs bestimmen. Vielmehr habe mit der derzeit geltenden Fassung des § 57 Abs 2 SGB IV der Rechtsweg immer eröffnet werden sollen, wenn gegen das Wahlrecht im weiteren Sinne verstoßen worden sei. Diese Öffnung des Rechtsweges müsse natürlich auch dem "schlichten" Versicherten iS von § 48 Abs 1 Nr 4 SGB IV gegeben sein, insbesondere wenn - wie hier die Wahl durch einen von der DAG abhängigen und von Gesetzes wegen nicht vorschlagsberechtigten Wahlverein beeinflußt worden sei.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. Februar 1989 und des Sozialgerichts Hamburg vom 1. August 1987 aufzuheben und 1) den Beschluß des Wahlausschusses der Beklagten vom 10. Januar 1986 über die Zulassung der Vorschlagsliste der HEK-Gemeinschaft (Beigeladene) aufzuheben,

2) die Zulassung dieser Liste zur Wahl der Vertreterversammlung für ungültig zu erklären und

3) festzustellen, daß die Wahl zur Vertreterversammlung und zum Vorstand der Beklagten ungültig ist,

4) eine Wiederholung der 1986 erfolgten Wahl zur Vertreterversammlung anzuordnen,

hilfsweise,

die vorgenannten Urteile aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

In der Sache hält sie das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist insoweit auf ihren Vortrag in den Vorinstanzen. Die Rüge des Klägers, daß das Gericht wegen Mitwirkung eines von der DAG vorgeschlagenen ehrenamtlichen Richters unrichtig besetzt gewesen sei, gehe fehl. Der Kläger räume selbst ein, daß eine Mitwirkung von Amts wegen nicht ausgeschlossen gewesen sei. Hinsichtlich der allenfalls in Betracht kommenden Besorgnis der Befangenheit stehe nach ständiger Rechtsprechung fest, daß diese nach Erlaß des angefochtenen Urteils in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt werden könne, und zwar gerade auch dann nicht, wenn ein Beteiligter den angeblichen Ablehnungsgrund erst nach Erlaß jenes Urteils erfahren habe (Hinweis auf BSG SozR Nr 3 zu § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Buchholz 310 § 54 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Nr 5). Im übrigen sei das Vorliegen eines solchen Ablehnungsgrundes mit Nachdruck zu bestreiten.

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

An einer Sachentscheidung war der Senat nicht wegen einer fehlenden Beiladung des Wahlausschusses der Beklagten gehindert, der die mit der Wahlanfechtungsklage angegriffene Entscheidung erlassen hat. Seine Beiladung war nicht notwendig iS von § 75 Abs 2 SGG, was aus den Besonderheiten des Wahlanfechtungsverfahrens folgt (dazu im einzelnen BSGE 54, 104, 105 f mwN).

Die Revision ist nicht bereits deshalb begründet, weil an der angefochtenen Entscheidung ein ehrenamtlicher Richter mitgewirkt hat, der - wie der Kläger rügt - von der Mitwirkung ausgeschlossen war (von der weiteren Darstellung wird abgesehen).

In der Sache hat das Landessozialgericht (LSG) zutreffend entschieden, daß der Kläger eine Wahlanfechtungsklage nicht zulässig erheben kann. Nach § 57 Abs 2 SGB IV können zwar grundsätzlich alle in § 48 Abs 1 genannten Personen und Vereinigungen, also auch - schlichte - Versicherte wie der Kläger (§ 48 Abs 1 Nr 4 SGB IV) die Wahl durch Klage gegen den Versicherungsträger anfechten. Ihre Klageberechtigung (sog Sachbefugnis) wird aber durch § 57 Abs 4 SGB IV eingeschränkt, der eine negative Prozeßvoraussetzung für die Wahlentscheidungen enthält, gegen die ein außergerichtlicher Rechtsbehelf vorgesehen ist. Danach ist eine Klage unzulässig, "soweit von dem Recht, gegen eine Entscheidung des Wahlausschusses den hierfür vorgesehenen Rechtsbehelf einzulegen, kein Gebrauch gemacht worden ist". Dies ist hier der Fall, weil von dem Recht, Beschwerde nach § 21 Abs 1 WO-Sozialvers (idF der Bek vom 6. Februar 1985, BGBl I 233; geändert durch die VO vom 10. Juli 1985, BGBl I 1439) kein Gebrauch gemacht worden ist. Nach § 21 Abs 1 WO-Sozialvers kann der Listenvertreter jeder betroffenen Liste gegen eine Entscheidung des Wahlausschusses, die ua eine Vorschlagsliste, insbesondere deren Zurückweisung betrifft, Beschwerde einlegen (Satz 1). Gegen die Zulassung einer Vorschlagsliste kann auch der Listenvertreter jeder anderen zugelassenen Liste Beschwerde einlegen (Satz 2). Haben die danach beschwerdeberechtigten Listenvertreter - wie das Landessozialgericht (LSG) unangegriffen und damit für den Senat bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) - gegen die Zulassung der Vorschlagsliste der beigeladenen HEK-Gemeinschaft keine Beschwerde eingelegt, kann die Wahlanfechtungsklage mit dem Ziel, die Zulassung der Vorschlagsliste und damit die Wahl selbst für ungültig zu erklären, von niemandem mehr zulässig erhoben werden. Das gilt auch für den Kläger, obwohl er selbst nicht beschwerdeberechtigt ist. Entgegen seiner Ansicht betrifft § 57 Abs 4 SGB IV nicht nur Wahlanfechtungsberechtigte, die selbst beschwerdeberechtigt sind, sondern auch solche, denen trotz Wahlanfechtungsberechtigung ein eigenes Beschwerderecht nach § 21 WO-Sozialvers nicht eingeräumt ist. Ein schlichter Versicherter wie der Kläger ist zwar, wie sich aus § 48 Abs 1 Nr 4 SGB IV ergibt, berechtigt, eine Vorschlagsliste (sog freie Liste) einzureichen und hat, soweit er als deren Listenvertreter benannt ist (§ 13 Abs 2 WO-Sozialvers), auch die Befugnisse, die dem Listenvertreter nach dieser Verordnung zustehen (§ 14 Abs 1 Satz 1 WO-Sozialvers), mithin auch ein Beschwerderecht gegen die Zulassung einer anderen Vorschlagsliste iS von § 21 Abs 1 Satz 2 WO-Sozialvers. Ist er hingegen nicht Listenvertreter, weil eine von ihm vertretene Liste nicht eingereicht ist, steht ihm auch kein Beschwerderecht zu. Er kann dann - anders als beschwerdeberechtigte Listenvertreter, die selbst (erfolglos) Beschwerde eingelegt haben müssen, um eine Wahlanfechtungsklage zulässig erheben zu können - eine solche Klage nur erheben, wenn wenigstens einer der Beschwerdeberechtigten von seinem Beschwerderecht Gebrauch gemacht hat.

Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes. Ihr kann der Kläger nicht entgegenhalten, der mit "soweit" beginnende Halbs müsse dahin verstanden werden, daß er sich nur auf diejenigen bezieht, denen selbst ein Recht zusteht, gegen die Entscheidung des Wahlausschusses den hierfür vorgesehenen außergerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen, daß also die Klage nur unzulässig wäre, soweit der jeweilige Kläger von seinem eigenen Beschwerderecht keinen Gebrauch gemacht hat. Dagegen spricht bereits, daß der Gesetzgeber eine derartige, auf den Kläger bezogene Formulierung, wie sie ursprünglich in einem Referenten-Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des SGB IV (Stand: 22. Juni 1978) vorgesehen war (abgedruckt im Gesamtkomm zur Sozialversicherung, unter § 57 SGB IV Anm 7: "die Klage ist unzulässig, ... soweit der Kläger von seinem Recht, gegen eine Entscheidung des Wahlausschusses Beschwerde einzulegen, keinen Gebrauch gemacht hat"), gerade nicht gewählt hat. Die Formulierung "soweit von dem Recht ... Beschwerde einzulegen, kein Gebrauch gemacht worden ist", hat vielmehr im systematischen Zusammenhang der in § 57 SGB IV getroffenen Regelungen einen anderen Sinn: Da die Wahlanfechtungsklage nach § 57 Abs 1 iVm Abs 2 SGB IV der Sache nach wegen jedweder Entscheidung und Maßnahme erhoben werden kann, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren bezieht, jedoch nicht bei allen derartigen Entscheidungen und Maßnahmen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, sollte mit der "soweit"-Klausel in § 57 Abs 4 SGB IV zum Ausdruck gebracht werden, daß diese einschränkende Regelung nur in den Fällen eingreift, in denen gegen die betroffene Wahlentscheidung ein außergerichtlicher Rechtsbehelf überhaupt vorgesehen ist. Sie greift in diesen Fällen - mangels eines einschränkenden Bezuges auf den jeweiligen Kläger - aber stets dann ein, wenn von dem Rechtsbehelf keiner der Berechtigten Gebrauch gemacht hat. Nur diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und ihrer Entstehungsgeschichte.

Mit dem Gesetz zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen vom 27. Juli 1984 (Wahlrechtsverbesserungsgesetz, BGBl I 1029), durch das § 57 SGB IV neu gefaßt worden ist, sollten Mängel und Unklarheiten beseitigt werden, die sich nach den Erfahrungen bei den letzten allgemeinen Sozialversicherungwahlen gezeigt hatten und die die Legitimation der gewählten Bewerber und damit die betreffende Wahl selbst in Frage gestellt hatten. Insbesondere wurden solche Mängel in den in einigen Fällen mit Erfolg durchgeführten Wahlanfechtungsverfahren gesehen, weil sie unnötigerweise die Sozialgerichtsbarkeit belasteten und zudem bis zur oft erst nach Jahren eintretenden Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidungen rechtswidrige Organzusammensetzungen bestehen ließen (vgl die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 10/1162 S 6 unter A. Allgemeines). Dementsprechend sollte durch den in § 57 SGB IV eingefügten Abs 4, der im Gesetz keinen Vorläufer hatte, eine Wahlanfechtung ausgeschlossen sein, wenn das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren nicht durchgeführt worden ist (vgl die amtliche Begründung in BT-Drucks 10/1162 S 8 zu Nr 11 Buchst a). Damit sollte erreicht werden, daß Verstöße gegen das Wahlrecht, insbesondere Fehler im Wahlvorbereitungsverfahren, möglichst frühzeitig, dh bei einem gegebenen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren bereits in diesem geltend gemacht und ggf bereinigt werden. Diesem Ziel der Vorverlagerung der Streitentscheidung dienen weitere durch das Wahlrechtsverbesserungsgesetz eingefügte Verfahren, nämlich das "vorgezogene Feststellungsverfahren für die Vorschlagsberechtigung der bisher bei den Selbstverwaltungsorganen noch nicht vertretenen sonstigen Arbeitnehmervereinigungen" nach § 48b SGB IV und "das vorgezogene Verfahren zur Feststellung der allgemeinen Vorschlagsberechtigung von Arbeitnehmervereinigungen" nach § 48c SGB IV, die jeweils in ihrem Abs 3 ein Beschwerderecht für die nach § 57 Abs 2 SGB IV klageberechtigten Personen und Vereinigungen vorsehen. Sofern derartige vorgezogene Feststellungsverfahren stattgefunden haben (im Falle der Beigeladenen kam eine Vorabfeststellung ihrer Vorschlagsberechtigung nach § 48b SGB IV nicht in Betracht, weil sie bereits seit der letzten Wahl mit einem Vertreter ununterbrochen in der Vertreterversammlung der Beklagten vertreten war), muß mithin jeder nach § 57 Abs 2 SGB IV Klageberechtigte - also auch ein wahlberechtigter Versicherter wie der Kläger - von seinem Beschwerderecht (erfolglos) Gebrauch gemacht haben, um zulässig eine Wahlanfechtungsklage erheben zu können (vgl aber die Unanfechtbarkeit der Beschwerdeentscheidung nach § 48c Abs 3 Satz 3 SGB IV). Damit wird dem Zweck des Gesetzes, Streitentscheidungen über das für die Wahl besonders bedeutsame Recht der Einreichung von Vorschlagslisten möglichst frühzeitig herbeizuführen und dadurch zu einer Einschränkung der Wahlanfechtung vor den Sozialgerichten beizutragen, lückenlos erfüllt.

Dieser Zweck würde hingegen verfehlt, wenn ein bezüglich bestimmter Wahlentscheidungen nicht selbst beschwerdeberechtigter Versicherter ohne weiteres, dh ohne daß das vorgesehene Beschwerdeverfahren durchgeführt worden ist, vor dem SG Wahlanfechtungsklage erheben könnte. Derartige außergerichtliche Rechtsbehelfe, die nicht allen in § 57 Abs 2 SGB IV genannten klagebefugten Personen und Vereinigungen eingeräumt sind, enthält die Wahlordnung nur hinsichtlich der Entscheidungen des Wahlausschusses, die die Zulassung oder Ablehnung einer Vorschlagsliste, eine Listenzusammenlegung und Listenverbindung betreffen (§§ 21, 73 und 100 WO-Sozialvers). Ist hinsichtlich dieser Entscheidungen (vorliegend kommt nur § 21 WO-Sozialvers in Betracht, der die Wahl zur Vertreterversammlung der Krankenkassen betrifft) nur den unmittelbar betroffenen Listenvertretern ein eigenes Beschwerderecht eingeräumt und haben sie davon keinen Gebrauch gemacht, wäre es mit dem Zweck des Gesetzes unvereinbar, wenn Personen oder Vereinigungen ohne Beschwerdeberechtigung, insbesondere alle Versicherten, statt dessen die Wahlanfechtungsklage erheben könnten. Damit könnten sie - obwohl nur mittelbar betroffen - die Streitentscheidung selbst dann noch in das Wahlanfechtungsverfahren vor den SGen verlagern, wenn die unmittelbar Betroffenen für eine Beschwerde sämtlich keinen Anlaß sehen. Sie können daher nur dann selbst klagen, wenn wenigstens einer der Beschwerdeberechtigten Beschwerde eingelegt hat. Sind hingegen alle Beschwerdeberechtigten mit einer Entscheidung des Wahlausschusses einverstanden, soll es bei dieser Entscheidung verbleiben. Nur so läßt sich das Ziel des Gesetzes, das Wahlanfechtungsverfahren sinnvoll einzuschränken, erreichen. Dieses Ergebnis entspricht auch der nahezu einhelligen Auffassung in der Literatur (Becher, Selbstverwaltungsrecht in der Sozialversicherung, Stand: XII 1984, § 57 SGB IV Anm 4; Casselmann in Koch/Hartmann, Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch, Stand: 10.1987, § 57 SGB IV Rz 47; Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl 1987, § 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Rz 25; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand: Mai 1985, § 57 SGB IV Anm 3.7; Hermsen in Hauck/Haines, Komm zum SGB IV, Stand: V/1986, § 57 Rz 11; Stober in Wannagat, SGB, Stand: Juni 1988, § 57 SGB IV Rz 15; VerbKomm, Stand: 1.1986 § 57 Rz 6; Maier in Kasseler Komm, 1990, § 57 SGB IV Rz 10; im Ergebnis ebenso Schupeta in Jahn, SGB IV, Stand: 8/1985, § 57 Rz 9, der den Ausschluß der Nichtbeschwerdeberechtigten allerdings für verfehlt hält). Der erkennende Senat hat sich dem insbesondere deshalb angeschlossen, weil es nur folgerichtig ist, Personen und Vereinigungen auch das Klagerecht zu versagen, wenn ihnen schon kein eigenes Beschwerderecht eingeräumt worden ist, und wenn die getroffene Maßnahme von den Beschwerdeberechtigten selbst nicht angegriffen worden ist. Dann besteht kein zwingender Grund, den nur mittelbar Betroffenen die Wahlanfechtungsklage zu eröffnen.

Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich eine andere Auslegung auch nicht daraus, daß nach § 57 Abs 3 Satz 3 SGB IV ein "Vorverfahren" nicht stattfindet, dh die Erhebung der Wahlanfechtungsklage nach § 57 Abs 3 Satz 2 SGB IV nicht - wie die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - von der Durchführung eines Vorverfahrens abhängen soll. Daraus kann der Kläger für die Auslegung des § 57 Abs 4 SGB IV nicht ableiten, daß der Gesetzgeber ein "indirektes Vorverfahren" als zwingende Klagevoraussetzung nicht habe einführen wollen. Der Kläger verkennt, daß das in den Wahlrechtsbestimmungen vorgesehene Beschwerdeverfahren (§ 21 WO-Sozialvers, § 48b Abs 3 und § 48c Abs 3 SGB IV) kein Vorverfahren iS des § 78 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist. Die Regelung des § 57 Abs 3 Satz 3 SGB IV stellt insoweit nur klar, daß es eines solchen Vorverfahrens als Klagevoraussetzung für die Wahlanfechtungsklage nicht bedarf, schon weil die Wahl oder einzelne Wahlhandlungen keine Verwaltungsakte sind und daher eine Wahlanfechtungsklage keine Anfechtungsklage iS der §§ 54, 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist. Es handelt sich vielmehr um eine Klage besonderer Art, die auf den Ausspruch der Ungültigkeit der Wahl und der sich daraus ergebenden Folgerungen gerichtet ist (§ 131 Abs 4 SGG; vgl auch BSGE 23, 92, 93 f). Es steht daher nicht in Widerspruch zu Abs 3 Satz 3 des § 57 SGB IV, wenn dessen Abs 4 die Durchführung eines in den Wahlvorschriften vorgesehenen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens, das im übrigen eigenen Verfahrensvorschriften unterliegt (§§ 21, 22 WO-Sozialvers), als zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung für die Wahlanfechtungsklage statuiert.

Dem Landessozialgericht (LSG) ist im Ergebnis auch insoweit zu folgen, als der so verstandene § 57 Abs 4 SGB IV nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen Art 19 Abs 4 GG verstößt. An einer von Art 19 Abs 4 GG vorausgesetzten Verletzung eigener - subjektiver - Rechte des Rechtsschutzsuchenden fehlt es schon deshalb, weil der Kläger sich nicht gegen eine Beeinträchtigung seines subjektiven Wahlrechts (zB seiner aktiven Wahlberechtigung) wendet, sondern gegen die Verletzung objektiven Wahlrechts. Es entspricht den Besonderheiten des Wahlanfechtungsverfahrens, daß es vorrangig der Sicherung des gesetzmäßigen Ablaufs der Wahl und damit der Einhaltung des objektiven Wahlrechts dient (BSGE 54, 104, 106 mwN). Auch hinsichtlich der hier streitigen Entscheidung über die Zulassung einer Vorschlagsliste ist Ziel des Wahlanfechtungsverfahrens nicht der Schutz subjektiver Rechte, sei es der des Wählers, sei es der einer vorschlagsberechtigten Vereinigung oder der eines zu wählenden Kandidaten, sondern die Einhaltung des objektiven Rechts. Daß dem Kläger auch bezüglich dieses Rechts mit § 57 Abs 2 SGB IV eine subjektive Verfahrensposition (Klagerecht) eingeräumt worden ist, läßt nicht darauf schließen, daß es sich auch insoweit um materielle subjektive Wahlrechte handelte. Eine entsprechende Vermutung, derzufolge aus der Existenz eines Verfahrensrechts auf ein dahinterstehendes materielles subjektives Recht geschlossen werden könnte, besteht nicht (vgl Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Komm zum GG, Art 19 Abs 4 - Rz 151 mwN). Auch wenn der Gesetzgeber mit § 57 Abs 2 SGB IV das Interesse des Klägers an der Einhaltung nicht nur des subjektiven, sondern auch des objektiven Wahlrechts für grundsätzlich schutzwürdig erklärt hat, schränkt § 57 Abs 4 SGB IV sein Klagerecht nicht in einer den Art 19 Abs 4 GG berührenden Weise ein; denn bei allen Maßnahmen und Entscheidungen, die sein subjektives Wahlrecht beeinträchtigen, zB die Verweigerung des Zutritts zum Wahlraum, die Versagung der Zulassung zur Stimmabgabe, die Verweigerung eines Wahlausweises und des damit verbundenen Stimmzettels oder die fehlerhafte Behandlung seines Wahlbriefes, wird sein Klagerecht jedenfalls durch § 57 Abs 4 SGB IV nicht tangiert. Soweit sich sein Klagerecht auf das objektive Recht bezieht, also eine Betroffenheit in eigenen - subjektiven - Rechten nicht verlangt, ist Art 19 Abs 4 GG nicht berührt (vgl auch BSGE 57, 42, 44/45 = SozR 2100 § 48 Nr 1). Da insoweit der Gesetzgeber von Verfassungs wegen zur Einführung eines Klagerechts nicht verpflichtet war, kann dieses Recht auch eingeschränkt oder partiell ausgeschlossen werden. Es verstößt aber auch nicht gegen sonstige verfassungsrechtliche Grundsätze, etwa den Gleichbehandlungsgrundsatz oder das Rechtsstaatsprinzip, daß der Kläger als Wahlberechtigter hinsichtlich bestimmter Wahlvorbereitungshandlungen, insbesondere der Zulassung von Vorschlagslisten, von der Wahlanfechtungsklage jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn keiner der unmittelbar betroffenen Listenvertreter Beschwerde eingelegt hat. Danach haben es zwar die Listenvertreter in der Hand, einem anderen an der Wahl Beteiligten die Wahlanfechtungsklage hinsichtlich dieser Entscheidung abzuschneiden, indem sie auf eine Beschwerde verzichten. Damit wird den Wahlbeteiligten der Zugang zum Gericht aber nicht in einer gegen Art 20 GG oder gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßenden Weise erschwert. Es ist zunächst eine Frage der Ausgestaltung des einfachen Verfahrensrechts, wie der Gesetzgeber die Verzahnung zwischen einem vorgeschalteten außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren und dem gerichtlichen Verfahren im einzelnen regelt, weil diese beiden Verfahrensarten wichtige Entlastungs- und Ergänzungsaufgaben füreinander übernehmen können. Deshalb dürfen auch im Rahmen des Art 19 Abs 4 GG Zugangsbeschränkungen zulässigerweise normiert werden, insbesondere die Vorschaltung eines besonderen Verwaltungsverfahrens vorgesehen werden, das vor der Erhebung der gerichtlichen Klage durchlaufen werden muß (vgl zB BVerfGE 35, 65, 72; 40, 237, 256). In dem hier angesprochenen, von Art 19 Abs 4 GG nicht berührten Bereich kann der Gesetzgeber darüber hinaus die Klagemöglichkeit auch von der Durchführung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens durch andere abhängig machen, jedenfalls wenn eine derartige Einschränkung von einem sachgerechten Grund getragen ist und auf einer sorgfältigen Abwägung der betroffenen Interessen beruht. Das ist bei § 57 Abs 4 SGB IV der Fall, denn die hier gewählte Verknüpfung des Klagerechts der wahlberechtigten Versicherten mit der Ausübung des Beschwerderechts durch einen der beschwerdeberechtigten Listenvertreter ist einerseits geeignet, das Wahlanfechtungsverfahren sinnvoll einzuschränken, und entspricht andererseits der Sonderstellung des Listenvertreters sowie der besonderen Betroffenheit seiner Vorschlagsliste, deren Erfolgsaussichten durch die Zulassung einer weiteren Liste entscheidend berührt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1455741

BSGE, 132

NVwZ 1991, 920

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