Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 16.11.1990)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. November 1990 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Abgabepflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der nach seiner Satzung den Zweck hat, Kinder, Jugendliche und Erwachsene an die Musik heranzuführen sowie Begabungen frühzeitig zu erkennen und individuell zu fördern. Er arbeitet mit einem anderen Musikverein sowie Schülern und Eltern eng zusammen und verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, nicht eigenwirtschaftliche Zwecke. Nach einer Aufstellung beliefen sich die an Musiklehrer gezahlten Entgelte in den Jahren 1983 bis 1986 auf Beträge zwischen 67.795 DM (1983) und 87.800 DM (1985) für jährlich acht bis zehn Lehrer.

Die Künstlersozialkasse erteilte dem Kläger den Bescheid vom 16. Dezember 1985 über die Feststellung der Künstlersozialabgabepflicht, weil er als Unternehmer eine Musikschule betreibe. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. März 1987).

Der Kläger hat Klage beim Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben. Dieses ist im Urteil vom 25. Juli 1989 davon ausgegangen, der angefochtene Bescheid erfasse nur die Zeit bis Ende 1988, nicht aber die Zeit ab 1. Januar 1989, für die § 24 KSVG in einer neuen Fassung gelte. Daher sei über die Rechtmäßigkeit des Bescheides nur für die Zeit bis Ende 1988 zu entscheiden. Insofern hat das SG die Klage in der Sache abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 16. November 1990 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Gleichzeitig hat es in dem Vorbringen der Beklagten, der angefochtene Bescheid gelte auch für die Zeit seit dem 1. Januar 1989, eine Anschlußberufung gesehen und sinngemäß die Klage auch hinsichtlich dieser Zeit abgewiesen.

In der Sache hat das LSG den Kläger für abgabepflichtig gehalten. In § 24 Abs 2 Nr 2 KSVG aF seien die Musikschulen ausdrücklich genannt gewesen. Seit dem 1. Januar 1989 fielen sie unter die Ausbildungseinrichtungen für künstlerische und publizistische Tätigkeiten iS des § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 9 KSVG nF. Der Kläger sei auch Unternehmer iS der genannten Regelung, weil er Leistungen von Künstlern vermarkte, dh ständig und nachhaltig umsetze, wie die Höhe seiner Zahlungen an selbständige Musiklehrer zeige. Nicht entscheidend sei, ob der Kläger Gewinn erziele oder dieses auch nur beabsichtige, daß er von der öffentlichen Hand subventioniert werde und als gemeinnützig anerkannt sei.

Mit der Revision rügt der Kläger verfahrensrechtlich eine Verletzung des § 522a und des § 519 Abs 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG sei von einer Anschlußberufung der Beklagten ausgegangen, obwohl die Beklagte eine solche nicht eingelegt und keinen entsprechenden Antrag gestellt habe. In der Sache seien § 24 Abs 2 Nr 2 KSVG aF und § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 9 KVSG nF verletzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG vom 16. November 1990 und das Urteil des SG vom 25. Juli 1989 sowie den Bescheid vom 16. Dezember 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1987 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das LSG sei zu Recht von einer Anschlußberufung ausgegangen, weil sie (die Beklagte) sich im Berufungsverfahren dagegen gewandt habe, daß das SG über die Zeit seit dem 1. Januar 1989 nicht entschieden habe. Darauf habe der Kläger auch erwidert. Er sei in der Sache abgabepflichtig, weil er als Unternehmer eine Musikschule betreibe.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Kläger ist zur Künstlersozialabgabe verpflichtet.

Der angefochtene Bescheid vom 16. Dezember 1985 und der Widerspruchsbescheid vom 4. März 1987 sind noch von der Künstlersozialkasse als rechtsfähiger bundesunmittelbarer Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 37 Abs 1 in der ursprünglichen Fassung des KSVG vom 27. Juli 1981 ≪BGBl I 705≫) erlassen worden. Als solche ist die Künstlersozialkasse mit Ablauf des 31. Dezember 1987 aufgelöst worden, wobei alle Rechte und Pflichten auf die Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen übergingen, die seither das KSVG durchführt und dabei die Bezeichnung „Künstlersozialkasse” führt (§ 37a und § 37 KSVG idF des Art 1 Nr 8 und Nr 7 des Gesetzes zur finanziellen Sicherung der Künstlersozialversicherung vom 18. Dezember 1987 ≪BGBl I 2794≫). Dementsprechend hat schon das LSG die Bezeichnung der Beklagten geändert.

Der angefochtene Bescheid erstreckt sich, wie das LSG zutreffend entschieden hat, auch auf die Zeit nach dem 31. Dezember 1988. Daran ändert nichts, daß als Rechtsgrundlage § 24 in der ursprünglichen Fassung des KSVG vom 27. Juli 1981 (BGBl I 705) angeführt war und die Vorschrift später durch Art 1 Nr 2 des genannten Gesetzes vom 18. Dezember 1987 mit Wirkung vom 1. Januar 1988 ergänzt sowie durch Art 1 Nr 5 des Gesetzes zur Änderung des KSVG vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2606) mit Wirkung vom 1. Januar 1989 neu gefaßt worden ist.

Das LSG hat verfahrensrechtlich zutreffend auf eine Anschlußberufung der Beklagten hin über die Rechtmäßigkeit des Bescheides für die Zeit vom 1. Januar 1989 entschieden. Die Beklagte war insofern zwar vor dem SG nicht durch eine entsprechende Aufhebung ihres Bescheides unterlegen, jedoch insofern beschwert, als das SG ihn als auf die Zeit vor 1989 beschränkt angesehen und die Klage nicht auch für die folgende Zeit abgewiesen hatte. Dieses Ziel konnte die Beklagte mit der Anschlußberufung verfolgen (zu deren Rechtscharakter BSGE 24, 247 = SozR Nr 9 zu § 521 ZPO). Sie hat von diesem Recht auch Gebrauch gemacht, indem sie (erstmals nach Ablauf der Berufungsfrist, also im Wege einer unselbständigen Anschlußberufung) sinngemäß auch die Klageabweisung hinsichtlich der Zeit nach 1988 begehrt hat. Daß sie dabei Formvorschriften der §§ 522a, 519 Abs 3 ZPO nicht eingehalten hat, ist unschädlich, weil die Anwendung dieser Regelung im sozialgerichtlichen Verfahren durch § 202 SGG nicht zwingend vorgeschrieben, sondern ausgeschlossen ist (BSGE 28, 31, 35 = SozR Nr 4 zu § 522a ZPO). Das Begehren der Beklagten, eine gerichtliche Entscheidung über die Klage auch hinsichtlich des vom SG ausgeklammerten Teils des Bescheides zu erreichen, war jedenfalls eindeutig erkennbar. Der Kläger hat sich im Berufungsverfahren auch in der Sache darauf eingelassen.

Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 8. Dezember 1988 (BSGE 64, 221 = SozR 5425 § 24 Nr 2) schon entschieden, daß die Künstlersozialkasse gegenüber den nach § 24 KSVG abgabepflichtigen Unternehmern die Abgabepflicht zunächst nur dem Grunde nach, durch sogenannte Erfassungsbescheide, feststellen kann. Daran hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tage (1. Oktober 1991 – 12 RK 7/90, zur Veröffentlichung bestimmt), festgehalten. Das gilt auch für das vorliegende Verfahren.

Materiell-rechtlich hat sich der Senat schon in mehreren Urteilen mit der Abgabepflicht von Unternehmern nach § 24 KSVG befaßt und sie jeweils bejaht. Das schon erwähnte, in BSGE 64, 221 = SozR 5425 § 24 Nr 2 veröffentlichte Urteil vom 8. Dezember 1988 (12 RK 1/86) betraf einen eingetragenen Verein, der ein Symphonie-Orchester betrieb. In drei weiteren Urteilen vom selben Tage ging es um eine Stadt als Inhaberin eines Theaters ohne eigenes Ensemble (12 RK 38/88 in SozR 5425 § 24 Nr 3), einen Landkreis als Träger eines Volksbildungswerks, das auch Musikaufführungen veranstaltete (12 RK 8/88), und um eine Musikschule in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins (12 RK 15/87). Die Musikschule jenes Verfahrens hatte sich die Förderung musikalischer Jugend- und Laienbildung zum Ziel gesetzt. Sie verfolgte also einen ähnlichen Zweck wie der Kläger des vorliegenden Verfahrens. Für eine weitere Musikschule, die von einer Stadt im Rahmen ihrer Volkshochschule betrieben wird, ist mit dem schon erwähnten Urteil vom heutigen Tage in dem Verfahren 12 RK 7/90 die Abgabepflicht ebenfalls bestätigt worden.

In dem Urteil zu der Musikschule vom 8. Dezember 1988 ist nicht bezweifelt worden, daß es sich auch bei Einrichtungen, die vornehmlich der musikalischen Jugend- und Laienbildung dienen, um „Musikschulen” iS des § 24 Abs 2 Nr 2 KSVG aF handelte. Damit waren nicht etwa nur solche Schulen gemeint, die zu einer musikalischen Berufstätigkeit ausbildeten. Für ein weites Verständnis der „Musikschulen” sprechen auch die Materialien des KSVG. In dessen Entwurf wurde nämlich zu § 24 (BT-Drucks 9/26 S 21) auf die Ausführungen zum Allgemeinen Teil der Begründung verwiesen. Dort war die Künstlersozialabgabe damit gerechtfertigt worden, daß die Werke und Leistungen meist überhaupt erst durch das Zusammenwirken mit Vermarktern dem Endabnehmer zugänglich würden; die selbständig Lehrenden des Kulturbereichs trügen zu diesem Vermarktungsprozeß insofern bei, als sie durch ihre lehrende Tätigkeit beim Kulturschaffenden den Grundstein für seine künftige Tätigkeit legten oder aber beim Endabnehmer den Weg dafür bereiteten, daß er künftig Kulturprodukte abnehme (BT-Drucks 9/26 S 16 rechts unten). Dementsprechend ist nach § 2 Satz 1 KSVG Künstler iS des KSVG auch derjenige, der Musik lehrt. Eine Einschränkung auf die Lehre im Rahmen einer Ausbildung zu musikalischer Berufstätigkeit enthält auch diese Vorschrift nicht.

An der Abgabepflicht der Unternehmer von Musikschulen der genannten Art hat die Neufassung (nF) des § 24 KSVG durch Art 1 Nr 5 des Gesetzes zur Änderung des KSVG vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2606) vom 1. Januar 1989 an nichts geändert. Das Gesetz spricht nunmehr zwar nicht mehr ausdrücklich von Musikschulen. Sie fallen aber unter die Ausbildungseinrichtungen für künstlerische und publizistische Tätigkeiten iS des § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 9 KSVG nF. Dort spricht das Gesetz nicht von künstlerischen „Berufstätigkeiten”, sondern nur allgemein von künstlerischen „Tätigkeiten”, zu denen das Musizieren gehört. Eine andere Auffassung würde auch der Tendenz des Änderungsgesetzes zuwiderlaufen, den Kreis der abgabepflichtigen „Vermarktung im engeren Sinne” auf den Kreis der „Verwertung” von Kunst und Publizistik zu erweitern (vgl dazu den Entwurf BT-Drucks 11/2964 S 13 vor 6. und S 18 zu Nr 5). Des näheren heißt es an der letztgenannten Stelle: Mit Nr 9 würden künftig alle Ausbildungseinrichtungen für künstlerische oder publizistische Tätigkeiten (Schauspielschulen, Ballettschulen oä) dem Grunde nach abgabepflichtig, da sie, wie die bereits bisher abgabepflichtigen Musikschulen, ihrem Unternehmenszweck nach Teil der Gesamtbeziehung zwischen Künstlern und Verwertern seien und damit zu den typischen Verwertern von Kunst und Publizistik gehörten. – Allein aus dem anschließenden Satz, der Begriff „Ausbildungseinrichtung” umfasse dabei den Bereich der eigentlichen Ausbildung zum künstlerischen Beruf wie auch den Bereich der Fortbildung, vermag der Senat unter Berücksichtigung der Entwicklung der Vorschrift eine Beschränkung auf solche Einrichtungen nicht zu entnehmen. Er versteht diese Formulierung vielmehr so, daß zu den Ausbildungseinrichtungen für künstlerische Berufe, die neben den Ausbildungseinrichtungen für allgemeine künstlerische Tätigkeiten zu den „Ausbildungseinrichtungen” gehören, auch die Fortbildungseinrichtungen zählen.

Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht im Anschluß an die Entscheidungen des Senats vom 8. Dezember 1988 festgestellt, daß der Kläger mit der Musikschule ein Unternehmen iS des § 24 KSVG betreibt, dh eine nachhaltige, nicht nur gelegentliche, auf die Erzielung von Einnahmen gerichtete Tätigkeit ausübt. Hiergegen sind zulässige und begründete Revisionsrügen nicht erhoben worden, so daß die Feststellungen des Berufungsgerichts für den Senat bindend sind (§ 163 SGG). Ob der Unternehmer Gewinn erzielt oder dieses auch nur beabsichtigt, ist nach der Rechtsprechung nicht entscheidend. Vielmehr reicht es aus, daß die Tätigkeit auf das Erzielen von Einnahmen gerichtet ist, auch wenn diese nicht kostendeckend sind. Unerheblich ist auch, daß der Unternehmer von der öffentlichen Hand subventioniert wird und daß er gemeinnützig tätig ist. Auch kommt es nicht darauf an, ob der Kläger mit seiner Musikschule über eine eigene persönliche und räumliche Ausstattung verfügt, ob er von anderen staatlichen Stellen als Unternehmer angesehen und wie er steuerrechtlich behandelt wird.

Soweit der Kläger sich in der Revisionsbegründung lediglich als Vermittler zwischen den Musiklehrern auf der einen sowie den Eltern und ihren Kindern auf der anderen Seite darstellen will, steht dieses Vorbringen den Feststellungen des LSG, wonach er selbst im Rechtssinne eine Musikschule betreibt, entgegen und kann in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden. Als Betreiber einer Musikschule gehört der Kläger zum Kreis der Abgabepflichtigen. Ob er Leistungen selbständiger Künstler in Anspruch nimmt und ihnen Entgelte iS des § 25 KSVG zahlt, gehört, wie der Senat schon in dem Urteil vom 8. Dezember 1988 (12 RK 15/87) ausgeführt hat, nicht zum Tatbestand der Abgabepflicht nach § 24 KSVG. Nach den Ausführungen des LSG scheint der Kläger jedoch auch selbst in erheblichem Umfang die Tätigkeit selbständiger Musiklehrer gegen Entgelt in Anspruch genommen zu haben.

Hiernach war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NZA 1992, 623

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