Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 12.11.1964)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. November 1964 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Zu entscheiden ist darüber, ob die Anschließung des Berufungsbeklagten an die Berufung –unselbständige Anschlußberufung– wirksam auch im Laufe der mündlichen Verhandlung durch Erklärung zur Niederschrift des Gerichts erfolgen kann.

Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 11. Mai 1962 die Rente des Klägers gemäß § 1744 Abs. 1 Nr. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) neu fest, setzte sie von 269,20 DM auf 116,10 DM monatlich herab und zahlte sie vom 1. Juni 1962 nur in dieser Höhe. Zur Begründung führte sie aus, der früheren Berechnung der Rente seien ein Rentenbeginn 1944 und die Entrichtung von Pflichtbeiträgen bis 1939 zugrunde gelegt worden; erst durch den Erhalt der Akten der ehemaligen Versicherungsanstalt Berlin sei der tatsächliche Rentenbeginn mit dem 1. Januar 1948 und die Ausübung versicherungspflichtiger Tätigkeiten nur bis zum Jahre 1934 festgestellt worden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides verurteilt, dem Kläger einen neuen Rentenbescheid für die Rente vom 1. Juni 1962 an unter Beibehaltung des Umrechnungsfaktors 1944 = 5,5 zu erteilen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil, vom 31. Januar 1963). Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) hat der Kläger ausweislich der Niederschrift erklärt: „Der Berufungsbeklagte beantragt, 1. die Berufung zurückzuweisen, 2. im Wege der Anschlußberufung das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 1963 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 1962 aufzuheben. v.u.g.”

Das LSG hat unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten auf die Anschlußberufung des Klägers das Urteil des SG Berlin geändert und den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 1962 aufgehoben. Es hat die Revision nicht zugelassen.

Die Beklagte hat gleichwohl dieses Rechtsmittel eingelegt und rügt als wesentliche Mängel im Verfahren des LSG, die zur Statthaftigkeit der Revision führen sollen, Verletzung der Vorschriften des § 522 a Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und der §§ 62, 103, 106, 128 SGG; außerdem rügt sie, das LSG habe die Vorschrift des § 77 SGG nicht richtig angewandt.

Das LG hat die Revision nicht gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen. Sie ist nur statthaft, wenn die Beklagte einen wesentlichen Mangel im Verfahren des LSG gerügt hat, der auch vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150). Hieran fehlt es.

Zunächst rügt die Revision eine Verletzung des § 522 a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 202 SGG. Der Berufungsbeklagte habe seine unselbständige Anschlußberufung nur zu Protokoll des LSG gegeben und die Verlesung mündlich genehmigt. Hierdurch sei eine Anschlußberufung nicht formgerecht und wirksam eingelegt worden. – Die Rüge greift nicht durch.

Es würde allerdings einen wesentlichen Mangel im Verfahren des LSG bedeuten, wenn es –wie die Revision geltend macht– über eine nicht formgerecht eingelegte Anschließung an die Berufung sachlich entschieden hätte, anstatt sie als unzulässig zu verwerfen (BSG 2, 230). Ein solcher Mangel liegt aber nicht vor, weil das LSG mit Recht die Zulässigkeit der vom Kläger eingelegten Anschlußberufung bejaht hat; denn im Berufungsverfahren nach dem SGG kann die Anschließung des Berufungsbeklagten an die Berufung (unselbständige Anschlußberufung) wirksam auch im Laufe der mündlichen Verhandlung durch Erklärung zur Niederschrift des Gerichts eingelegt werden.

Da das SGG über die Anschlußberufung keine Verfahrensvorschriften enthält, ist gemäß § 202 SGG die ZPO nur dann entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Die Vorschrift des § 522 a ZPO gehört aber zu den Verfahrensbestimmungen der ZPO, die wegen der grundsätzlichen. Unterschiede der beiden Verfahrensarten nicht entsprechend anwendbar sind.

Der 1. Senat hat bereits in seinem Urteil vom 30. Oktober 1957 (SozR Nr. 6 zu § 151 SGG = SozR Nr. 1 zu § 1444 RVO aF) ausgesprochen, die Vorschriften der ZPO, daß die Anschlußberufung schriftlich zu begründen sei und der Begründungsschriftsatz den Antrag enthalten müsse (§ 522 a ZPO), seien im sozialgerichtlichen Verfahren nicht entsprechend anwendbar; insoweit bestünden zwischen beiden Verfahrensarten grundsätzliche Unterschiede. – Dieser vom Bundessozialgericht (BSG) schon aufgestellte Grundsatz, daß die Vorschriften des § 522 a Abs. 2 und 3 ZPO im Verfahren nach dem SGG nicht anzuwenden sind, hat aber für die Vorschrift des § 522 a ZPO insgesamt zu gelten, also auch für § 522 a Abs. 1 ZPO, der vorschreibt, daß die Anschließung durch Einreichung der Berufungsanschlußschrift bei dem Berufungsgericht erfolgt.

§ 522 a ZPO ist eine Verfahrensvorschrift, die auf das dem Anwaltszwang unterliegende Berufungsverfahren der ZPO abstellt. Durch Einfügung des § 522 a ZPO in die ZPO durch Art. II Nr. 74 der Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13. Februar 1924 (RGBl I S. 135) sind die Vorschriften über die Anschlußberufung der neuen Regelung des Berufungsverfahrens durch diese Verordnung angepaßt und den Vorschriften über die Anschlußrevision nachgebildet worden. Seit der Novelle 1924 kann die Anschlußberufung im Zivilprozeß grundsätzlich nur noch durch einen bestimmenden Schriftsatz eingelegt werden, der also von einem beim Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt handschriftlich und persönlich unterschrieben sein muß (RG 152, 23, 27; 161, 167, 189). Die Anschlußschrift muß einen Antrag enthalten; außerdem unterliegt die Anschlußberufung wie die Berufung selbst dem Begründungszwang und der Begründungsfrist.

Das Berufungsverfahren des SGG ist grundsätzlich und wesentlich anders gestaltet als das der ZPO. Während das Berufungsverfahren der ZPO ein Anwaltsprozeß ist (§ 78 Abs. 1 ZPO), in dem die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorbereitet wird (§ 129 Abs. 1 ZPO), handelt es sich bei dem Berufungsverfahren des SGG um einen sog. Parteiprozeß (§ 79 ZPO), in dem Schriftsätze zwar zugelassen, aber nicht erforderlich sind. Das Verfahren vor dem LSG sollte grundsätzlich dasselbe sein wie das vor dem SG (vgl. BT-Drucks. Nr. 4357, 1. Wahlp., Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit –Sozialgerichtsordnung– zu § 101, wo es heißt „Das Verfahren beim Landessozialgericht, das als Tatsacheninstanz tätig wird, ist grundsätzlich das gleiche wie beim Sozialgericht”, § 153 Abs. 1 SGG).

Daraus folgt einmal, daß im Berufungsverfahren der ZPO stets nur rechtskundige Personen, nämlich Rechtsanwälte auftreten und zum anderen, daß die mündliche Verhandlung nach schriftsätzlicher Vorbereitung erfolgt und die Berufungsanträge stets schriftlich festgelegt sein müssen (§ 297 ZPO). Das Berufungsverfahren des SGG dagegen ist darauf eingerichtet, daß vor dem Berufungsgericht rechtsunkundige und oft sogar schreibungewandte Beteiligte selbst auftreten und zur Verhandlung und Entscheidung unter Umständen nur das in der mündlichen Verhandlung mündlich Vorgetragene gelangt.

Während, die Einlegung des Rechtsmittels der Berufung selbst durch die Novelle vom 13. Februar 1924 für die Parteien des Zivilprozeßverfahrens erschwert worden ist, ist sie durch das SGG für die Beteiligten des Sozialgerichtsverfahrens vereinfacht worden. Die Berufung selbst ist im Gegensatz zur ZPO nicht unbedingt durch einen bestimmenden Schriftsatz einzulegen, da sie auch durch Erklärung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden kann (§ 151 Abs. 1 SGG). Der Berufungsantrag selbst bedarf keiner Schriftform (§ 151 Abs. 3 SGG); er kann in der mündlichen Verhandlung mündlich gestellt werden. Da die Anschlußberufung anerkanntermaßen kein Rechtsmittel ist, sondern ein bloßer angriffsweise vorgetragener Antrag des Berufungsbeklagten innerhalb der Berufung des Gegners 9 ist nicht einzusehen, weshalb dieser Antrag nicht ebenso wie der Berufungsantrag (also der des Rechtsmittels der Berufung selbst) in der mündlichen Verhandlung mündlich sollte wirksam gestellt werden können.

Die Anschließung durch mündliche Erklärung im Laufe der mündlichen Verhandlung ist auch den sonst anerkannten allgemeinen Grundsätzen des Verfahrensrechts nicht wesensfremd. Sie war selbst nach der ZPO bis zum Inkrafttreten der Verordnung zur Beschleunigung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 22. Dezember 1923 (RGBl I S. 1239) erst durch Verlesung der Anschließungsanträge in der mündlichen Verhandlung zulässig (RG 85, 84; Reinberger, Das Hecht 1924, 6 ff) und kann auch heute noch in dieser Form im Verwaltungsgerichtsverfahren erhoben werden (§ 127 VwGO, Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung § 127 Anm. 4).

Für die wirksame Einlegung der Anschlußberufung in der mündlichen Verhandlung nach dem SGG einen bestimmenden, d. h. einen von dem Beteiligten oder einem Prozeßbevollmächtigten persönlich und handschriftlich unterschriebenen Schriftsatz zu verlangen, widerspricht nicht nur dem Wesen des Sozialgerichtsprozesses wie dargelegt ist, sondern erscheint auch verfahrensrechtlich unzweckmäßig, vor allem aber auch unnötig.

Da für die Zulässigkeit der Anschlußberufung nach dem SGG weder ein schriftlicher Anschließungsantrag noch eine schriftliche Anschließungsbegründung erforderlich sind, würde sich, wenn für ihre Einlegung der Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht genügte, die Anschließung in einem bestimmenden Schriftsatz oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle –falls dies als wirksam anzusehen wäre (vgl. Brackmann. Handbuch der Sozialversicherung S. 252a)– auf die bloße Erklärung beschränken, daß der Berufungsbeklagte sich der Berufung anschließe. Für eine solche Erklärung in einem Parteiprozeß einen bestimmenden Schriftsatz oder eine Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu verlangen, würde die Anforderungen an die Förmlichkeiten des Berufungsverfahrens im Sozialgerichtsprozeß überspannen.

Ein solches Verfahren wäre unzweckmäßig, weil die vor dem LSG auftretenden Beteiligten häufig schreibungewandt und nicht selten zur schriftlichen Niederlegung ihres Anliegens nicht zu bewegen sind. Statt den Antrag vor dem vollbesetzten Senat in der mündlichen Verhandlung zum gerichtlichen Protokoll zu nehmen, müßte die mündliche Verhandlung in einem solchen Fall unter Umständen unterbrochen und der Beteiligte veranlaßt werden, die Anschließungsschrift in rechter Form selbst aufzusetzen oder die Anschließung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erklären. Ein solches Verfahren würde die mündliche Verhandlung verzögern und im Gegensatz zur Absicht des SGG stehen, das Verfahren auch vor dem LSG so einfach wie das vor dem SG zu gestalten.

Unnötig ist ein solches Verfahren, weil die Vorschrift des § 202 SGG zur entsprechenden Anwendung des § 522 a Abs. 1 ZPO nicht zwingt. Das SGG hat die in der ZPO getroffene Regelung über die Anschlußberufung nicht übernommen. Es kann daher nur geprüft werden, ob die nicht übernommenen Bestimmungen über die Anschlußberufung dem Wesen des Sozialgerichtsprozesses entsprechen und daher anwendbar sind. Weil aber § 522 a Abs. 1 ZPO wie § 522 a Abs. 2 und Abs. 3 ZPO eine für den Anwaltsprozeß bestimmte und auf das Berufungsverfahren der ZPO abgestellte Vorschrift ist, die dem Wesen des anders gearteten Berufungsverfahrens des SGG widerspricht, ist die Anwendung der ZPO insoweit durch § 202 SGG nicht zwingend vorgeschrieben, sondern ausgeschlossen.

Entgegen der Ansicht der Revision hat der Kläger die Anschlußberufung formgerecht eingelegt, so daß das LSG sie mit Recht als zulässig angesehen und sachlich beschieden hat. Der von der Revision insoweit gerügte Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.

Der Senat weicht mit der hier getroffenen Entscheidung von der Entscheidung des 4. Senats in seinem Urteil vom 1. März 1956 (BSG 2, 229 ff), der Entscheidung des 9. Senats in seinem Urteil vom 15. Juli 1959 (SozR Nr. 3 zu § 522 a ZPO) und von der Entscheidung des 2. Senats in seinem nicht veröffentlichten Urteil vom 31. Januar 1967 – AZ.: 2 RU 82/63– ab. Einer Entscheidung des Großen Senats gemäß § 42 SGG bedarf es nicht, weil der 4., 9. und 2. Senat auf Anfrage erklärt haben, daß sie an der Rechtsauffassung nicht mehr festhalten, die unselbständige Anschlußberufung könne nicht wirksam durch Erklärung zur Niederschrift des Berufungsgerichts in der mündlichen Verhandlung eingelegt werden.

Weiterhin rügt die Revision als wesentliche Mängel im Verfahren des LSG Verletzung der §§ 62, 103, 106, 128 SGG. Biese Rügen greifen schon deshalb nicht durch, weil sie nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erhoben und deshalb unzulässig sind.

Nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG muß die Revisionsbegründung, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen, die den Mangel ergeben. Die Revision meint, die Pflicht des Gerichts, rechtliches Gehör zu gewähren, und die Vorschriften der §§ 103, 106, 128 SGG seien dadurch verletzt, daß in dem Verfahren vor dem LSG und in den Gründen des angefochtenen Urteils die von der Beklagten und Berufungsklägerin im Schriftsatz vom 28. März 1963 vorgetragenen Argumente hinsichtlich des Besitzschutzes keine Berücksichtigung gefunden hätten.

Mit diesem Vorbringen sind zunächst die Tatsachen und Beweismittel nicht bezeichnet, aus denen sich ergeben soll, daß das LSG seiner Pflicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht genügt hätte. Nach § 62 SGG ist vor jeder Entscheidung den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich geschehen. Die Behauptung der Revision, das LSG habe die im Schriftsatz der Beklagten vom 28. März 1963 vorgetragenen Argumente nicht berücksichtigt, kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht begründen; denn dadurch, daß die Beklagte Gelegenheit gehabt hat, ihre Argumente vorzutragen, ist ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör entsprochen.

Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen, es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Der Form des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG ist bei einer Rüge mangelnder Sachaufklärung nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nur dann genügt, wenn dargelegt ist, auf Grund welcher Umstände das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen, welche Tatsachen das LSG noch hätte aufklären müssen und wie dies hätte geschehen sollen (BSG in SozB Nr. 14 zu § 103 SGG). Diesen Anforderungen entspricht die Rüge der Revision, § 103 SGG sei verletzt, nicht; denn es ist nichts dafür vorgetragen, weshalb das LSG den Sachverhalt hätte weiter erforschen und welche Tatsachen es noch hätte feststellen müssen.

Inwiefern die Vorschrift des § 106 SGG in dem Verfahren des LSG nicht beachtet sein soll, lassen die Ausführungen der Revisionsbegründung nicht erkennen. Auch hier fehlt es an der Bezeichnung der Tatsachen und Beweismittel, die den Mangel ergeben.

Gemäß § 128 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, in dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Diese Vorschrift bezieht sich grundsätzlich auf die tatsächlichen Feststellungen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Soweit in dem Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind, bezieht sich auch diese Pflicht des Gerichts darauf, daß in dem Urteil darzulegen ist, aus welchen Gründen das Gericht von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache überzeugt ist. Die Revision beruft sich aber darauf, das LG habe in seinem Verfahren und in dem angefochtenen Urteil die rechtlichen Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 28. März 1963 hinsichtlich des Besitzschutzes nicht berücksichtigt.

Zwar hat das BSG in seinem Urteil vom 7. Dezember 1965 (SozR Nr. 9 zu § 136 SGG) ausgeführt, einem Urteil fehlten dann „die Entscheidungsgründe”, wenn darin zu einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend begründeten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nur ausgeführt ist, daß die Auffassung des Beteiligten nicht zutreffe, in einem solchen Fall liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Das Vorbringen der Revision könnte dahin aufgefaßt werden, daß sie auch eine Verletzung des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG rügen will, weil das LSG es überhaupt unterlassen habe, in den Entscheidungsgründen zu der von der Beklagten aufgeworfenen, begründeten und für die Entscheidung erheblich gehaltenen Rechtsfrage der Bindungswirkung der Rentenbescheide Stellung zu nehmen. Die Rüge einer Verletzung des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG wäre ebenfalls nicht in der nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG vorgeschriebenen Form erhoben; denn es ist nicht dargelegt, inwiefern die Ausführungen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 28. März 1963 eine für die Entscheidung des LSG rechtserhebliche Frage betreffen.

Nach der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung kam es auf die Bindungswirkung der Bescheide, wenn bei der Umstellung von unrichtigen Berechnungsfaktoren ausgegangen ist, nicht an. Das LSG hat nur über den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 1962 entschieden und diesen über die Entscheidung des SG hinaus nicht nur abgeändert, sondern aufgehoben. Aus der Rechtskraft des Urteils des LSG folgt nur, daß die Beklagte verpflichtet ist, über den 1. Juni 1962 hinaus die Rente im Betrage von 269,20 DM weiterzuzahlen. Wie sich unter Berücksichtigung des § 77 SGG die Höhe der Rente in Zukunft bei der Rentenanpassung entwickeln wird, ist vom LSG nicht behandelt worden und konnte es auch nicht, weil darüber ein Verwaltungsakt der Beklagten nicht vorliegt. Das LSG hat vielmehr mit seiner Entscheidung dem Kläger den Besitzschutz des § 77 SGG für seine zu Unrecht zu hoch festgestellte Rente nur in dem Umfang zugebilligt, der auch von der Revision nicht in Abrede gestellt wird. Die Entscheidung des LSG schließt es nicht aus, daß für die Zukunft dem Kläger bei der Rentenanpassung ein den Besitzstand überschreitender Betrag nur dann gewährt wird, wenn die richtig berechnete Rente diesen Betrag einmal überschreiten sollte.

Der von der Revision in gesetzlicher Form gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Revision der Beklagten ist deshalb nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft; sie ist aus diesem Grunde gemäß § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Schmidthals, Geyser, Dr. Friederichs

 

Fundstellen

Haufe-Index 927511

BSGE, 31

MDR 1968, 617

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