Entscheidungsstichwort (Thema)

Verdachtskündigung. Anhörung des Arbeitnehmers

 

Normenkette

KSchG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.03.1990; Aktenzeichen 13 Sa 7/89)

ArbG Mannheim (Urteil vom 28.09.1988; Aktenzeichen 1 Ca 202/88)

 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. März 1990 – 13 Sa 7/89 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die am 19. September 1940 geborene Klägerin, verheiratet, war seit 1. Oktober 1962 beim Amtsgericht S. als Angestellte beschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages sollte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) richten. Die Klägerin verwaltete u.a. seit 1980 – vorher als Vertreterin – die Gerichtszahlstelle des Gerichts. Bei der Dienststelle der Klägerin fand am 9. Dezember 1983 eine Personalratswahl statt. Die Klägerin wurde als Mitglied gewählt. Eine Neuwahl wurde bis zum 13. April 1987 nicht durchgeführt.

Im Januar 1987 wurde bei der Dienststelle der Klägerin entdeckt, daß mit Kostenmarken manipuliert worden war. In einer Vielzahl von Fällen waren zwischen 1979 und 1986 bereits durch Stempelaufdruck entwertete Kostenmarken wieder verwertet worden. Diese Marken waren aus abgelegten Akten entfernt worden und an deren Stelle Kostenmarken mit geringerem Wert wieder eingeklebt und gestempelt worden. In anderen Fällen fehlten die alten Akten völlig. Die Staatsanwaltschaft verdächtigte die Klägerin der Tat. Der Direktor des Amtsgerichts eröffnete der Klägerin am 13. März 1987 diesen Verdacht. Diese bestritt die Vorwürfe, worauf der Direktor des Amtsgerichts sich entschloß, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abzuwarten. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 7. April 1987 beim Amtsgericht M. einen Haftbefehl gegen die Klägerin. Amtsgericht (8. April 1987) und Landgericht (21. April 1987) lehnten den Erlaß eines Haftbefehls ab. Sie bejahten zwar den dringenden Tatverdacht, verneinten aber eine Verdunklungsgefahr.

Mit Schreiben vom 13. April 1987 sprach der Direktor des Amtsgerichts der Klägerin die außerordentliche, fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus und begründete diese mit dem dringenden Verdacht der Manipulation mit Kostenmarken, wobei er sich auf den Haftbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft berief. Der Personalrat war zu dieser Kündigung gehört worden, hatte aber seine Zustimmung nicht erteilt. Das beklagte Land beantragte am gleichen Tag – 13. April 1987 – beim Verwaltungsgericht, die Zustimmung des Personalrates zu ersetzen. Die Kündigung vom 13. April 1987 wurde am 29. April 1987 unter Hinweis auf deren Rechtsunwirksamkeit zurückgenommen.

Im Verlaufe des Verwaltungsrechtsstreits stellte sich heraus, daß die Amtszeit des Personalrats bereits zum Zeitpunkt seiner Anhörung und Kündigung abgelaufen war. Zwischen den Beteiligten steht rechtskräftig fest, daß die Klägerin infolgedessen dem Personalrat nicht mehr angehörte. Der Personalrat vertrat im Verwaltungsrechtsstreit die Auffassung, nach Sinn und Zweck des Kündigungsschutzgesetzes sei hinsichtlich des besonderen Kündigungsschutzes maßgeblich, daß überhaupt eine Wahl stattgefunden habe und daß eine Personalratstätigkeit – ohne Beanstandung durch den Dienstherrn – ausgeübt worden sei. Die Klägerin ließ in einem Schriftsatz vortragen, es verstoße gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, wenn der Dienstherr sich auf das Nichtbestehen eines Personalrats berufe, obwohl er seine Existenz über Jahre de facto anerkannt habe.

Durch Beschluß vom 18. September 1987 stellte das Verwaltungsgericht außerdem fest, mit Rücksicht auf die nicht erfolgte Neuwahl des Personalrates gehöre die Klägerin nicht zu dem nach § 108 BPersVG geschützten Personenkreis. Dieser Beschluß wurde dem beklagten Land am 22. Februar 1988 zugestellt. Er ist rechtskräftig seit 23. März 1988.

Die Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts K. informierte hierüber den Direktor des Amtsgerichts am 25. März 1988 (Freitag) telefonisch und forderte ihn auf, die Klägerin und den Personalrat zu einer erneut auszusprechenden außerordentlichen Kündigung zu hören.

Die Klägerin erhielt am 28. März 1988 vom Direktor des Amtsgerichts folgendes Schreiben vom 28. März 1988:

„Betr.: Außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses

Sehr geehrte Frau K., es ist beabsichtigt, Ihnen die fristlose Kündigung auszusprechen wegen des dringenden Verdachts eines Vergehens gemäß §§ 133, 266, 52 StGB gemäß des gegen Sie eingeleiteten Ermittlungsverfahrens. Es wird Ihnen Gelegenheit zur persönlichen Anhörung am Donnerstag, den 31. März 1988, vom 10.00 Uhr, Zimmer 14 des hiesigen Amtsgerichts gegeben.

Zu diesem Zwecke wird Ihnen erlaubt, das Gebäude des Amtsgerichts S. zu betreten.”

Mit Schreiben vom gleichen Tage unterrichtete der Direktor des Amtsgerichts den Personalrat von der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Klägerin. Mit einem am 29. März 1988 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben begehrten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin wegen ihres bevorstehenden Urlaubs eine Verlegung des Anhörungstermins. Sie baten darum, falls die Klägerin von dem ihr eingeräumten Recht der Anhörung Gebrauch machen wolle, einen Termin nach dem Urlaub des Anwalts zu ermöglichen.

Als eine Terminsverlegung abgelehnt wurde, wiesen die Prozeßbevollmächtigten dar Klägerin mit einem am 30. März 1988 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben erneut auf Terminsschwierigkeiten hin. In dem Schreiben wurde nochmals namens der Klägerin betont, daß diese nachdrücklich bestreite, eine Straftat nach den §§ 133, 286 StGB begangen zu haben.

Der Personalrat beim Amtsgericht S. widersprach mit einem Schreiben vom 29. März 1988, das am 30. März 1988 bei der Verwaltung des Amtsgerichts einging, der beabsichtigten Maßnahme.

Zum Anhörungstermin am 31. März 1988 erschien die Klägerin nicht.

Mit Schreiben vom 5. April 1988, der Klägerin am gleichen Tage zugestellt, sprach der Direktor des Amtsgerichts die außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

Die Klägerin hält die ausgesprochene Kündigung für unwirksam. Sie hat geltend gemacht, das beklagte Land habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Sie hat vorgetragen, die Verdachtsgründe seien dem beklagten Land seit 14. April 1987 bekannt gewesen. Die Einleitung der Zustimmungsersetzung sei überflüssig gewesen, da sie nicht zum geschützten Personenkreis gehört habe. Das beklagte Land habe jedenfalls im Juni 1987 im Verwaltungsstreitverfahren auf diese Tatsache hingewiesen.

Sie sei unschuldig. Das beklagte Land habe nicht alles zur Aufklärung Nötige getan. Es reiche nicht aus, daß das beklagte Land sich einfach auf den Verdacht einer anderen Stelle, nämlich den der Staatsanwaltschaft, berufe. Der Dienstherr würde den Prozeß gleichsam über die Staatsanwaltschaft führen. Der Tatvorwurf sei auch nicht ausreichend spezifiziert.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen,

daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 5. April 1988, zugegangen am gleichen Tage, nicht aufgelöst worden sei, sondern über den 5. April 1988 hinaus fortbestehe.

Das beklagte Land hat Klagabweisung beantragt. Es hat geltend gemacht, ein zur Kündigung ausreichender Verdacht gegen die Klägerin habe zu dem Zeitpunkt bestanden, als die Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer Ermittlungen Veranlassung gesehen hat, am 7. April 1987 gegen die Klägerin einen Haftbefehl zu beantragen. Die Klägerin sei am 8. April 1987 vom Dienst suspendiert worden. Die Kündigung vom 13. April 1987 sei nur zurückgenommen worden, weil zu diesem Zeitpunkt die Zustimmung des Personalrats nicht vorgelegen habe.

Das Zustimmungsersetzungsverfahren habe bis zum Erlaß einer rechtskräftigen Entscheidung durchgeführt werden müssen. Als erstmals im Juni 1987 bemerkt worden sei, daß der Personalrat zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr im Amt gewesen sei, habe dieser die Auffassung vertreten, die Klägerin sei dennoch einem ordentlich gewählten Personalratsmitglied gleichzustellen, weil der Personalrat unbeanstandet in Zusammenarbeit mit dem Dienstherrn fungiert habe. Diese Rechtsauffassung sei angesichts der besonderen Fallkonstellation nicht abwegig gewesen und habe einer gerichtlichen Klärung bedurft. Außerdem sei es rechtsmißbräuchlich, wenn die Klägerin sich im vorliegenden Verfahren auf eine Verfristung berufe, im Verwaltungsstreitverfahren aber geltend gemacht habe, ihr komme die rechtliche Stellung eines ordentlich gewählten Personalratsmitglieds zu.

Es liege ein dringender Verdacht gegen die Klägerin vor, da sie seit 14. April 1980 in ihrer Eigenschaft als Verwalterin der Gerichtszahlstelle als einzige die Möglichkeit gehabt habe, im größeren Umfang Kostenmarken in Bargeld umzutauschen. Die Manipulationen hätten auch nur stattgefunden, wenn die Klägerin im Dienst gewesen sei. Es seien die anderen Justizangestellten überprüft worden, bei denen diese Kriterien nicht vorgelegen hätten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten Landes, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung sei unwirksam, weil die Klägerin zu dem gegen sie gerichteten Verdacht nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.

Die Kündigung sei allerdings nicht verfristet. Die Verzögerung ihres Ausspruchs habe darauf beruht, daß im konkreten Fall zunächst zu Recht eine gerichtliche Prüfung erfolgt sei, ob eine Zustimmung des Personalrats erforderlich sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Personalrat ordnungsgemäß angehört worden sei, da seine Anhörung zugleich mit der Ladung der Klägerin eingeleitet worden sei, das Anhörungsergebnis also noch nicht festgestanden habe.

Die Kündigung sei aber materiell-rechtlich unwirksam, weil die Klägerin zu den Tatsachen, auf die die Kündigung gestützt werde, nicht angehört worden sei. Das beklagte Land hätte dem Wunsch des Rechtsanwalts der Klägerin, den vorgesehenen Anhörungstermin zu verschieben, nicht abschlagen dürfen. Durch das Anwaltsschreiben vom 29. März 1988 habe die Klägerin zum Ausdruck bringen lassen, daß sie sich in Begleitung ihres Rechtsanwaltes äußern wolle.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit es von einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung der Klägerin zu den Verdachtsgründen ausgegangen ist.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, die Kündigung sei nicht verfristet. Nach § 54 Abs. 2 BAT, der mit § 626 Abs. 2 BGB übereinstimmt, kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

a) Da die Kündigung auf den dringenden Verdacht strafbarer Handlungen der Klägerin gestützt wird, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf abgestellt, wann das beklagte Land von dem Umstand Kenntnis erlangt hat, daß die Staatsanwaltschaft gegen die Klägerin wegen dringenden Tatverdachts einen Haftbefehl beantragt hat. Das war der 7. April 1987. Im Kündigungsschreiben wird maßgeblich hierauf abgestellt, wenn es dort heißt, der Verdacht folge aus dem Antrag der Staatsanwaltschaft M. auf Erlaß eines Haftbefehls. Das ist der maßgebende Zeitpunkt, für den auf die Kenntnis der Umstände abzustellen ist, die der Kündigende für sich als maßgeblich erachtet (vgl. im einzelnen KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 222, 223).

b) Da die Klägerin nicht Mitglied der Personalvertretung war, was durch rechtskräftige Entscheidung zwischen den Parteien feststeht, wäre die erst am 5. April 1988 erklärte Kündigung bei rein zeitlicher Betrachtung verfristet. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings ohne Rechts fehler angenommen, durch die Anrufung des Verwaltungsgerichts, die fehlende Zustimmung des Personalrats zu ersetzen, sei die Frist des § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB gewahrt worden, da die Kündigung unverzüglich nach Rechtskraft der Entscheidung erklärt worden ist.

aa) Personalratsmitglieder unterliegen nach §§ 47, 108 BPersVG, § 15 KSchG einem besonderen Kündigungsschutz insofern, als der Personalrat einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund zustimmen muß. Die Kündigung ist erst zulässig, wenn die Zustimmung erteilt oder die verweigerte Zustimmung durch das Gericht rechtskräftig ersetzt ist. An die Stelle der Kündigung, auf die es nach § 626 Abs. 2 BGB ankommt, tritt der Antrag auf gerichtliche Ersetzung der Zustimmung. Dieser Antrag wahrt die Frist des § 626 Abs. 2 BGB, wenn er vor ihrem Ablauf bei Gericht eingeht und demgemäß zugestellt wird (vgl. KR-Hillebrecht, a.a.O., Rz 233 f.; KR-Etzel. 3. Aufl., § 103 BetrVG Rz 135 f.; BAGE 27, 113 = AP Nr. 3 zu § 103 BetrVG 1972; BAGE 30, 320 = AP Nr. 4 zu § 15 KSchG 1969; BAGE 31, 253 = AP Nr. 12 zu § 103 BetrVG 1972), wobei die Erwägungen zu § 103 BetrVG nach zutreffender Ansicht des Berufungsgerichts auf die gleichlautend strukturierte Vorschrift des § 108 BPersVG übertragen werden können.

bb) Da die Klägerin unbeanstandet längere Zeit das Amt eines Personalratsmitglieds ausgeübt hatte, war es vertretbar, zunächst vor dem Verwaltungsgericht klären zu lassen, ob die Klägerin hinsichtlich des besonderen Kündigungsschutzes einem ordnungsgemäß gewählten Personalratsmitglied gleichzustellen sei. Hiergegen sprach nicht die Entscheidung das Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1974 (BAGE 25, 470 = AP Nr. 1 zu § 68 PersVG Baden-Württemberg).

In diesem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, mit Ablauf der Amtszeit des Personalrates endeten seine Befugnisse; jeder könne sich auf das Nichtvorhandensein eines Personalrats jederzeit berufen, wenn sie Amtszeit des Personalrats abgelaufen und ein neuer Personalrat nicht gewählt sei. Der die Rechtsordnung beherrschende Grundsatz des Vertrauensschutzes greife nicht, auch wenn der Dienststellenleiter den Eindruck erweckt habe, der bisherige Personalrat sei noch im Amt. Das personalratsmäßige Verhalten des früheren Personalrats und die Ansicht der Bediensteten spielten keine Rolle.

Diese Entscheidung erfaßt jedoch nicht die Problematik, die sich aus der vorliegenden Sachlage ergibt. Hinsichtlich der Frage, ob ein rechtlich nicht existenter Personalrat aus Gründen des Vertrauensschutzes zu einer Kündigung hätte angehört werden müssen, hat das Bundesarbeitsgericht zu Recht allein auf die objektive Rechtslage abgestellt und eine Amtstätigkeit nur unter dem Gesichtspunkt der durch Wahl gegebenen demokratischen Legitimität gerechtfertigt.

Vorliegend war über die Rechtsfrage zu befinden, ob einem vermeintlichen Personalratsmitglied die gleichen Rechte zuzuerkennen sind, wie einem Personalratsmitglied innerhalb der ordentlichen Amtszeit. Diese Frage war höchstrichterlich nicht entschieden. Obwohl der Personalrat objektiv nicht mehr bestand, wäre die Anrufung des Verwaltungsgerichts zum Zwecke der Zustimmungsersetzung notwendig gewesen, wenn der Klägerin ein gleichwertiger Schutz zuzuerkennen gewesen wäre. Die entsprechende Überlegung des beklagten Landes war auch nicht offensichtlich unrichtig. So gilt der Schutzzweck des § 103 Abs. 2 BetrVG auch für Wahlbewerber in betriebsratslosen Betrieben und für Betriebsratsmitglieder, wenn der Betriebsrat funktionslos geworden ist. § 103 Abs. 2 BetrVG ist dann entsprechend anzuwenden, d.h., der Arbeitgeber muß eine gerichtliche Ersetzung der Zustimmung verlangen (BAGE 28, 152 = AP Nr. 2 zu § 15 KSchG 1969; KR-Etzel, a.a.O., § 103 BetrVG Rz. 54, 55, m.w.N.). Nach dem Schutzzweck der §§ 15 KSchG, 103 BetrVG, 108 BPersVG soll es dem Arbeitgeber untersagt sein, sich von solchen Personen leicht trennen zu können, die sich durch eine Gegnerstellung in der Betriebsvertretung mißliebig gemacht haben. Das erfaßt an und für sich auch ein „Personalratsmitglied”, das fälschlicherweise als solches angesehen worden ist. Die Anrufung des Verwaltungsgerichts war somit mit guten Gründen vertretbar, so daß nicht von einer unnützen Verzögerung der Sache ausgegangen werden kann.

cc) Gegen eine solche Vorgehensweise spricht auch nicht der Schutzzweck der §§ 54 Abs. 2 BAT, 626 Abs. 2 BGB, Durch die Frist des § 626 Abs. 2 BGB soll der Betroffene alsbald erfahren, ob der Kündigungsberechtigte aus seinem Verhalten Folgerungen ziehen will. Das erfährt er auch ausreichend dadurch, daß der Arbeitgeber wegen einer zweifelhaften Rechtsfrage ein Gericht bemüht, um eine eventuell fehlende Zustimmung eines Personalrats ersetzen zu lassen. Die Klägerin konnte zu keinem Zeitpunkt mit vertretbaren Gründen annehmen, dem beklagten Land gehe es zwar um die Zustimmungsersetzung, nicht aber um die spätere Kündigung selbst.

dd) Das Landesarbeitsgericht hat weiter zutreffend angenommen, nach rechtskräftigen Abschluß des Verwaltungsstreitverfahrens sei die Kündigung unverzüglich erklärt worden. Wenn es zu billigen war, daß das Verwaltungsgericht um eine Zustimmungsersetzung angegangen worden ist – nachdem der Personalrat zunächst innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB die Zustimmung verweigert hatte –, so war es auch hinzunehmen, daß der Personalrat nunmehr ordnungsgemäß nach § 77 Abs. 3 PersVG Baden-Württemberg angehört wird. Dies ist ohne schuldhaftes Zögern geschehen.

2. Der Personalrat ist auch ordnungsgemäß gehört worden, nachdem feststand, daß seine Zustimmung zur Kündigung der Klägerin nicht erforderlich war.

a) Die in § 77 Abs. 3 PersVG Baden-Württemberg normierte Anhörung entspricht der in § 102 BetrVG. Nach § 102 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Betriebsrat soll sich aufgrund der Mitteilung der Gründe durch den Arbeitgeber selbst ein Bild über die Berechtigung der beabsichtigten Kündigung machen können und dadurch die Möglichkeit erhalten, in seiner Stellungnahme seinerseits substantiiert Bedenken zu erheben. Die Regelung des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verfolgt allerdings keinen Selbstzweck. Sinn und Zweck dieser primär dem kollektiven Interessenschutz dienenden Bestimmung (vgl. BAGE 30, 386; 31,1 = AP Nr. 17 und 18 zu § 102 BetrVG 1972) ist es allein, den Betriebsrat zu befähigen, sein Anhörungsrecht ordnungsgemäß auszuüben. Hat der Betriebsrat bereits vor der Anhörung den erforderlichen Kenntnisstand erlangt, um die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und eine Stellungnahme hierzu abgeben zu können und geht der Arbeitgeber davon berechtigt aus, dann wäre es eine überflüssige Förmelei, vom Arbeitgeber dann gleichwohl noch eine detaillierte Begründung zu verlangen (BAGE 26, 102, 105 f. = AP Nr. 3 zu § 102 BetrVG 1972 zu I 2 b, bb der Gründe; 31, 83, 89 f. = AP 19 zu § 102 BetrVG 1972, zu III 3 a der Gründe; 44, 249 = AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972; 30, 386, 395 = AP, a.a.O., zu III 4 b der Gründe; 40, 95 = AP Nr. 25 zu § 102 BetrVG 1972, zu I 2 b, bb der Gründe).

Wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat bewußt ihm bekannte und seinen Kündigungsentschluß bestimmende Tatsachen vorenthält, die nicht nur eine Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhalts darstellen, sondern diesem erst das Gewicht eines Kündigungsgrundes geben oder weitere eigenständige Kündigungsgründe beinhalten, dann ist das Anhörungsverfahren fehlerhaft und die Kündigung nach § 102 BetrVG unwirksam (BAGE 49, 136 = AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972). Teilt der Arbeitgeber hingegen objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deswegen nicht mit, weil er die Kündigung zunächst nicht darauf stützen will oder weil er sie bei seinen Kündigungsentschluß für unerheblich oder entbehrlich hält, dann ist die Anhörung ordnungsgemäß, weil eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Gründe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG führt (BAGE 34, 309, 315 = AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972, zu B II 2 der Gründe). Die in diesem Sinne unvollständige Anhörung verwehrt es aber dem Arbeitgeber, im Kündigungsschutzprozeß Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhaltes hinausgehen (BAGE 34, 309, 318 = AP, a.a.O., zu B II 3 c der Gründe; BAGE 35, 190, 196 = AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972, zu III der Gründe). Die objektiv unvollständige Unterrichtung des Betriebsrates über die für die Kündigung wesentlichen Umstände hat demgemäß nur mittelbar dann die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge, wenn der verwertbare Sachverhalt die Kündigung nicht trägt, d.h., wenn es der sachlichen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 KSchG oder § 626 BGB bedarf und dazu der mitgeteilte Kündigungssachverhalt nicht ausreicht.

b) Das beklagte Land hat vorliegend seinen subjektiven und objektiven Kenntnisstand vollständig dem Personalrat mitgeteilt. Es hat insbesondere den Personalrat davon unterrichtet, der Arbeitnehmer solle erst noch angehört werden. Dem Personalrat ist somit nicht etwa eine Tatsache vorenthalten worden. Die Frage der noch nicht erfolgten Anhörung hätte daher allenfalls dann erheblich sein können, wenn die Klägerin von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch gemacht hätte, was jedoch nicht der Fall war.

3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts scheitert die Wirksamkeit der Verdachtskündigung indessen nicht an einer fehlenden Anhörung der Klägerin. Das Landesarbeitsgericht hat die Anforderungen an die Möglichkeit einer Anhörung überspannt und rechts fehlerhaft nicht berücksichtigt, daß das beklagte Land jedenfalls nicht schuldhaft seine Anhörungspflicht verletzt hat.

a) Der Arbeitgeber ist aufgrund der ihm obliegenden Aufklärungpflicht gehalten, den Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zu den gegen ihn erhobenen Verdachtsmomenten zu hören. Die Erfüllung der Anhörungspflicht ist Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung (BAGE 49, 39 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972; Urteil vom 30. April 1987 – 2 AZR 283/86 – AP Nr. 19 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). In der zuletzt zitierten Entscheidung heißt es im Leitsatz 2 ausdrücklich, den Arbeitgeber treffe kein Verschulden, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit sei, sich zu den Verdachtsgründen substantiiert zu äußern. Die von vornherein fehlende Bereitschaft, an der Aufklärung mitzuwirken, könne sich auch aus dem späteren Verhalten des Arbeitnehmers ergeben. Unerheblich sei dagegen, wie der Arbeitgeber oder später das Gericht die konkrete Einlassung des Arbeitnehmers sachlich beurteilt hätten.

Zur Wirksamkeitsvoraussetzung hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung BAGE 49, 39 (= AP, a.a.O.) u.a. ausgeführt, bei sachgerechter Anwendung und Fortentwicklung dieser Rechtsprechung sei die Gelegenheit zur Stellungnahme die notwendige Konsequenz. Wenn sich bei einer Verdachtskündigung die Anhörung des Arbeitnehmers aus der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers ergebe, dann müsse die Anhörung auch Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung sein. Anders als bei einem aufgrund von Tatsachen bewiesenen Sachverhalt bestehe bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr, daß ein „Unschuldiger” betroffen sei. Deshalb sei es gerechtfertigt, strenge Anforderungen an die Verdachtskündigung zu stellen und vom Arbeitgeber zu verlangen, alles zu tun, um den Sachverhalt aufzuklären. Der Arbeitnehmer müsse die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe bzw. Verdachtsmomente zu beseitigen bzw. zu entkräften und ggf. Entlastungstatsachen geltend machen zu können. Verletze der Arbeitgeber schuldhaft die aus der Aufklärungspflicht resultierende, ihm obliegende Anhörungspflicht, dann könne er sich im Prozeß nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen.

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist dem Anhörungsrecht im vorliegenden Falle genügt worden.

Die Klägerin war korrekt zu einer Anhörung am 31. März 1988 geladen worden. Sie konnte dem Schreiben entnehmen, daß es um die im Ermittlungsverfahren erhobenen Vorwürfe ging. In dem am 29. März 1988 bei Gericht eingegangenen Schreiben des Prozeßbevollmächtigten wurde eine Verlegung wegen des Osterurlaubs des Anwalts begehrt, nicht etwa wegen einer dringenden Verhinderung der Klägerin. Diesem Schreiben war nicht zu entnehmen, die Klägerin überhaupt wolle die Anhörung wahrnehmen. Es wurde hier um einen Termin gebeten, „falls Frau K. von dem ihr eingeräumten Recht auf Anhörung Gebrauch machen will”. Das Gericht hat dieses Schreiben sofort telefonisch beantwortet und eine Terminsverlegung abgelehnt. Diese Ablehnung war durchaus vertretbar, da die Sache durch die verwaltungsgerichtliche Vorklärung schon zeitlich außergewöhnlich ausgedehnt worden war. Nach Ablehnung der Terminsverlegung bat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin zunächst nicht förmlich um einen neuen Termin. Er teilte vielmehr mit, die Klägerin möchte den Termin ohne Rechtsbeistand nicht wahrnehmen. Aus der Formulierung in dem Schreiben, die Klägerin werde sich mit allen ihr rechtlich zu Gebote stehenden Mitteln gegen die unberechtigten Vorwürfe zur Wehr setzen, konnte nicht zwingend gefolgert werden, sie werde in einem Anhörungstermin substantiiert Stellung nehmen und bisher nicht bekannte Tatsachen offenbaren. Hätte sie dies aber beabsichtigt, hätte es ihr freigestanden, im Anhörungstermin zu erscheinen und klar zu erklären, sie werde nunmehr, allerdings nur mit Rechtsbeistand, weitere erhebliche Tatsachen mitteilen. Da sie dann noch nicht einmal persönlich erschienen ist, hat das beklagte Land die Anhörung nicht schuldhaft verhindert.

4. Der Rechtsstreit war daher an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird allein noch darüber zu befinden haben, ob die Kündigung sachlich berechtigt war.

 

Unterschriften

Hillebrecht – zugleich für den wegen Urlaubs an der Unterschrift verhinderten Richter Triebfürst, Dr. Ascheid, Timpe, Mauer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1074026

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