Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Zusatzversorgung der Deutschen Bundespost

 

Normenkette

Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) § 24; Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) § 42; Versorgungstarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost § 3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EGVtr Art. 119; ZPO §§ 148, 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 05.07.1995; Aktenzeichen 3 Sa 48/95)

ArbG Pforzheim (Urteil vom 16.03.1995; Aktenzeichen 3 Ca 450/94)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 5. Juli 1995 – 3 Sa 48/95 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 16. März 1995 – 3 Ca 450/94 – wird zurückgewiesen.

3. Die Urteilsformel wird wie folgt klargestellt:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Versorgungsfall die Versorgung zu verschaffen, die ihr zustünde, wenn sie seit dem 1. September 1975 bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) versichert gewesen wäre.

Hinsichtlich der Beschäftigungszeiten, die vor dem 1. September 1975 liegen, ist das Urteil des Arbeitsgerichts wegen teilweiser Klagerücknahme gegenstandslos geworden.

4. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe der der Klägerin zustehenden Versorgungsanwartschaft.

Die Klägerin ist seit dem 1. April 1973 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin zunächst als Arbeiterin, dann seit dem 1. Juni 1982 als Angestellte in Teilzeit beschäftigt. Dabei belief sich ihre wöchentliche Arbeitszeit vom 1. April 1973 bis zum 31. März 1974 auf vier Wochenarbeitsstunden, vom 1. April 1974 bis zum 31. August 1975 auf neun Wochenarbeitsstunden und vom 1. September 1975 bis zum 31. Mai 1982 auf 18 Wochenarbeitsstunden. Seit ihrer Weiterbeschäftigung als Angestellte ab dem 1. Juni 1982 ist sie mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 12 Stunden beschäftigt.

Nach § 24 des Tarifvertrages für Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) und § 42 des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) sind die Beschäftigten bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrages der Deutschen Bundespost in seiner jeweiligen Fassung zu versichern. § 3 des Versorgungstarifvertrages bestimmte vom 1. Januar 1988 bis zum 31. März 1991:

„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

  1. er das 17. Lebensjahr vollendet hat,
  2. er vom Beginn der Pflicht zur Versicherung an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Wartezeit nach der Satzung der VAP erfüllen kann, wobei frühere Zeiten, die auf die Wartezeit angerechnet werden, zu berücksichtigen sind,
  3. seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens 18 Stunden beträgt.”

Die bis zum 31. Dezember 1987 § 3 Buchst. c Versorgungstarifvertrag entsprechende Vorschrift des § 3 Buchst. b lautete:

„seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens die Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Wochenarbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt.”

Seit dem 1. April 1991 gilt § 3 Buchst. c in der folgenden Fassung:

„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

c) er in einem Arbeitsverhältnis steht, in dem er nicht nur im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV geringfügig beschäftigt ist.”

Die Klägerin, die aufgrund ihrer jeweils geschuldeten Wochenarbeitszeit erst seit dem 1. April 1991 bei der VAP versichert ist, hat den Standpunkt eingenommen, sie müsse im Versorgungsfall eine Zusatzversorgung erhalten, als wäre sie auch während der Zeit vom 1. April 1973 bis zum 31. März 1991 bei der VAP versichert gewesen. Die tarifliche Regelung, die unterhälftig beschäftigte Arbeiter und Angestellte von der Zusatzversorgung ausschließe, sei nichtig.

Die Klägerin hat beantragt,

es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet, die Klägerin bezüglich ihrer Versorgungsanwartschaft so zu stellen, als wäre sie seit dem 1. April 1973 bei der VAP versichert gewesen;

hilfsweise,

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin für die Zeit vom 1. April 1973 bis auf weiteres (bis zum Ende ihrer Beschäftigung) auf Kosten der Beklagten in einer der Höhe ihres jeweils bezogenen Arbeitsentgeltes entsprechenden Weise bei der VAP nachzuversichern bzw. weiterzuversichern.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage für unzulässig. Jedenfalls habe die tarifliche Regelung nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Sie hat behauptet, die Erfüllung des Klagebegehrens führe zu einer für sie unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung. Die Leistung sei für sie deshalb im Rechtssinne unmöglich. Darüber hinaus erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten als unzulässig abgewiesen. Mit ihrer Revision strebt die Klägerin die Wiederherstellung des Urteils erster Instanz hinsichtlich der Beschäftigungszeiten seit dem 1. September 1975 an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig und in dem zuletzt noch geltend gemachten Umfang auch begründet.

A. Die Revision der Klägerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig. Die Klägerin hat sich in angemessener Form mit der Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts, die Klage sei unzulässig, auseinandergesetzt und sich nicht nur auf die dem entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bezogen, sondern sich diese auch zu eigen gemacht.

B. In der Sache hat der Senat davon abgesehen, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Senats vom 7. März 1995 (– 3 AZR 321/94 – und – 3 AZR 625/94 – n.v.) auszusetzen. Die Klägerin hat ein Recht darauf, daß die Fachgerichte ihren Anspruch abschließend beurteilen. Dieses Interesse überwiegt gegenüber den Interessen der Beklagten, weitere Prozeßkosten zu ersparen. Dasselbe gilt auch, soweit die Beklagte eine Aussetzung des Rechtsstreits anstrebt im Hinblick auf Vorabentscheidungsersuchen mehrerer Landesarbeitsgerichte an den Europäischen Gerichtshof.

C. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Feststellung einer Verschaffungspflicht der Beklagten. Die Klägerin will festgestellt wissen, daß ihr die Beklagte im Versorgungsfall – auf welchem Weg auch immer – Versorgungsleistungen verschaffen muß, als wäre sie nicht nur in der Zeit ab 1. April 1991, sondern auch schon in der Beschäftigungszeit zuvor, seit dem 1. September 1975, bei der VAP versichert gewesen.

I. Dieser Antrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die für den Inhalt des Anspruchs maßgeblichen Umstände stehen zwischen den Parteien fest. Dies gilt für den Zeitraum, sowie die Art und den Umfang der Tätigkeit, für welche die Klägerin zusätzlich eine anteilige Versorgungsanwartschaft beansprucht.

II. Für diesen Antrag besteht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

1. Bei dem von der Klägerin für den Versorgungsfall geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis. Ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis wird nicht erst mit Eintritt des Versorgungsfalles, sondern bereits dann begründet, wenn eine Versorgungsanwartschaft entsteht.

2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Umfangs ihrer Versorgungsrechte. Die Beklagte bestreitet, daß die Klägerin auch für die Zeit vom 1. April 1973 bis zum 31. März 1991 eine anteilige Betriebsrentenanwartschaft erworben hat. Durch die sich daraus ergebende tatsächliche Unsicherheit ist das betriebsrentenrechtliche Rechtsverhältnis der Klägerin gefährdet. Ein Bedürfnis für eine alsbaldige Klärung besteht. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, erst nach Eintritt des Versorgungsfalles einen zeitraubenden Prozeß gegen ihren Arbeitgeber über Inhalt und Umfang ihrer Versorgungsrechte zu führen. Meinungsverschiedenheiten über Bestand, Ausgestaltung und Umfang von Versorgungsrechten müssen möglichst vor Eintritt des Versorgungsfalles geklärt werden, damit Arbeitnehmer gfls. vor ihrem Ruhestand noch Vorsorge treffen können.

D. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte muß der Klägerin im Versorgungsfall die Versorgungsleistungen in dem geforderten Umfang verschaffen.

I. Die Klägerin war bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten seit dem 1. September 1975 in einem über die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze hinausgehenden Umfang beschäftigt. Die Beklagte muß der Klägerin deshalb im Versorgungsfall die Versorgungsleistungen verschaffen, als wäre sie seither bei der VAP versichert worden. Dies folgt aus § 24 TV Arb und § 42 TV Ang. Der Ausschluß der unterhälftig beschäftigten Arbeitnehmer von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist insoweit unwirksam, als er die mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausschließt. Dies hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – AP Nr. 222 zu Art. 3 GG; Urteil vom 12. März 1996 – 3 AZR 993/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; Urteil vom 18. Juni 1996 – 3 AZR 153/95 –, n.v.). Der Senat hat dabei an seiner Rechtssprechung trotz der von der Beklagten auch im vorliegenden Rechtsstreit vorgebrachten Bedenken festgehalten. Er sieht auch weiterhin keinen Anlaß, von seiner Rechtsprechung abzuweichen.

1. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. Dies wird im Senatsurteil vom 7. März 1995 (aaO) näher ausgeführt. Auf die Begründung kann der Senat Bezug nehmen.

2. Der bis zum 31. März 1991 geltende Ausschluß von mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräften wird den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, dessen Inhalt der Senat im Urteil vom 7. März 1995 beschrieben hat, nicht gerecht. Es gibt keine sachlich einleuchtenden Gründe für eine Gruppenbildung, die allein auf den zeitlichen Umfang der Arbeit abstellt.

a) Es kommt nicht darauf an, welche Rechtsüberzeugungen während der Zeit bestanden, in der nach dem Versorgungstarifvertrag unterhälftig beschäftigte Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung ausgeschlossen waren (Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – aaO, zu B II 2 d bb der Gründe). Der Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG hat sich im Laufe der Zeit nicht geändert. Deshalb hat Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht zeitweise eine Differenzierung nach dem zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung gestattet. Zwar kann eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu einer Änderung der Beurteilung einer Rechtsfrage führen. Vorliegend haben sich aber die tatsächlichen Verhältnisse, was Teilzeitarbeit angeht, nicht entscheidend geändert. Lediglich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat zugenommen. Die Rechtsfrage, wie Teilzeit arbeitsrechtlich zu ordnen ist, ist die gleiche geblieben. Von der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist die Änderung der jeweiligen Rechtsauffassung, der Wandel der Rechtserkenntnisse, zu unterscheiden. Ein solcher Wandel führt nicht zu einer Änderung der Norm. Er kann allenfalls einer Rechtsprechung entgegenstehen, welche die heutigen Vorstellungen auf Sachverhalte überträgt, die längere Zeit zurückliegen. Dies hat aber mit dem Norminhalt des Art. 3 Abs. 1 GG nichts zu tun.

b) Im übrigen verweist der Senat, was die Gruppenbildung und deren rechtliche Beurteilung betrifft, auf seine Ausführungen im Urteil vom 7. März 1995. Die Revision enthält insoweit kein neues Vorbringen.

3. Der Verstoß der tariflichen Regelung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führt im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Ausschlußregelung. Im übrigen sind die tarifvertraglichen Versorgungsregelungen einschließlich der den Versorgungsanspruch begründenden Grundregel des § 24 TV Arb und des § 42 TV Ang wirksam. Die Unwirksamkeit des Ausnahmetatbestandes, der die Klägerin ausgrenzte, führt zur Anwendbarkeit der Grundregel. Auch hierzu sind keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden. Der Senat nimmt deshalb auf seine Ausführungen im Urteil vom 7. März 1995 Bezug.

4. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Belastungen steht einem Verschaffungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Der von der Beklagten geltend gemachte Rückwirkungsschutz kann auch nicht auf Europarecht gestützt werden.

a) Ob und in welchem Umfang gegenüber Rechtsprechungsänderung Vertrauensschutz einzuräumen ist, ist unterschiedlich zu beantworten je nachdem, ob es sich um eine Änderung der Rechtsprechung oder eine Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze handelt. Die Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze kann nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit einem Wandel der Rechtsauffassungen. Jedenfalls gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je stärker die Rechtsprechung sich der Rechtssetzung nähert, wie dies etwa im Bereich der Rechtsfortbildung der Fall ist. Umgekehrt gilt, daß jeder Richter seiner Entscheidung die Erkenntnisse zugrunde legen muß, die er hier und heute gewinnt. Auch das hat der Senat eingehend im Urteil vom 7. März 1995 dargelegt und im Urteil vom 12. März 1996 (–3 AZR 993/94 – zu C I 4 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) ergänzt. Hierauf wird zunächst verwiesen. Zusammengefaßt gilt, daß die Erwartung eines Arbeitgebers oder einer Tarifvertragspartei, eine Regelung sei rechtlich nicht zu beanstanden, ansonsten fehlende Sachgründe nicht ersetzen kann. Es kann dahinstehen, ob überhaupt ein schützenswertes Vertrauen darauf entstehen kann, daß die Gerichte trotz besserer Erkenntnis ihre Rechtsprechung nicht mehr für zurückliegende Zeiträume ändern. Zumindest hat eine Interessenabwägung zu erfolgen, die nicht nur Ursache und Umfang des Vertrauens in eine bestimmte Gesetzesauslegung, sondern auch den Gedanken der materiellen Gerechtigkeit zu berücksichtigen hat. Bei einer solchen Abwägung verdient das Interesse der Beklagten, von zusätzlichen Belastungen und Verwaltungsmehraufwand verschont zu bleiben, keinen Vorrang gegenüber dem Interesse der benachteiligten Arbeitnehmer an der uneingeschränkten Beachtung des Gleichheitssatzes. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist in besonderem Maße Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit. Seiner besonderen Bedeutung entspricht es, daß grundsätzlich auch für zurückliegende Zeiträume gleiche Entgelte für gleiche Arbeit zu leisten sind und nicht ohne sachlichen Grund bestimmte Personengruppen vorübergehend schlechter behandelt werden dürfen, auch wenn der Verstoß gegen den Gleichheitssatz erst nachträglich erkannt wird. Gegenüber diesem überragenden Interesse muß das Interesse der Beklagten zurücktreten, die finanziellen Belastungen zu vermeiden, die sich aus der Rechtsprechung ergeben und deren Bedeutung vor dem Hintergrund der gesamten Versorgungs- und Personalkostenbelastung der Beklagten gewichtet werden muß. Dabei ist auch von Bedeutung, daß die Beklagte nicht gezwungen ist, die zusätzlichen Versorgungsansprüche, die sich aus der Anwendung des Gleichheitssatzes auf unterhälftig Teilzeitbeschäftigte ergeben, mit Hilfe der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost zu erfüllen. Die Beklagte kann die Erfüllung der Ansprüche insoweit selbst übernehmen und dadurch einen sofortigen größeren Kapitalabfluß vermeiden. Darüber hinaus dürften sich die Gesamtbelastungen der Beklagten unterhalb des errechneten Volumens bewegen, weil die Beklagte nicht verpflichtet ist, auch für Zeiten geringfügiger Beschäftigung Versorgungs-anwartschaften einzuräumen (vgl. Senatsurteil vom 12. März 1996 – 3 AZR 993/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgese-hen).

b) Die Beklagte kann sich zur Begründung eines Anspruchs auf Vertrauensschutz nicht auf Art. 119 EG-Vertrag und auf die in Maastricht beschlossene Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag berufen. Es geht nicht um den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, sondern um die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten. Das Geschlecht der Arbeitnehmer spielt bei der Entscheidung des Senats keine Rolle. Die Entscheidung hängt nicht davon ab, ob Frauen und Männer in unterschiedlichem Umfang betroffen sind.

Die Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag enthält auch keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem jede Rückwirkung in allen Fragen der Ungleichbehandlung ausgeschlossen ist. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte dieser Norm bieten hierfür Anhaltspunkte. Es geht hier nur um eine Beschränkung der rückwirkenden Belastung aus der Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 119 EG-Vertrag. Diese Auslegung ist derart offenkundig, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof selbst kein Raum für einen vernünftigen Zweifel am Auslegungsergebnis bleiben kann. Es besteht deshalb auch kein Anlaß, die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Protokollerklärung der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf zurückliegende Zeiten entgegenstehen kann (Art. 177 EG- Vertrag). Im übrigen hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 28. September 1994 (–Rs C-57/93 – „Vroege”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 32; – Rs C-128/93 – „Fisscher”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 33) bereits klargestellt, daß das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll Nr. 2 zu Art. 119 EG-Vertrag sogar in dessen Anwendungsbereich keine Auswirkung auf den Anspruch auf Anschluß an ein Betriebsrentensystem hat, um den es der Klägerin geht.

5. Soweit sich hieraus ein Verschaffungsanspruch der Klägerin ergibt, ist er nicht verjährt. Der Verschaffungsanspruch verjährt nach § 195 BGB und damit erst nach Ablauf von 30 Jahren seit Entstehung des Anspruchs.

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97, § 92 Abs. 2, § 263 Abs. 3 ZPO. Durch die geringfügige Zuvielforderung seitens der Klägerin, die in der Revisionsinstanz zurückgenommen worden ist, sind keine zusätzlichen Kosten angefallen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Weinmann, Schoden

 

Fundstellen

Dokument-Index HI952016

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