Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsrecht des Sequesters im Gesamtvollstreckungsverfahren

 

Normenkette

BGB § 174; GesO § 2 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 18.08.1997; Aktenzeichen 8 Sa 45/97)

ArbG Erfurt (Urteil vom 26.11.1996; Aktenzeichen 8 Ca 845/96)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 18. August 1997 – 8 Sa 45/97 – wird zurückgewiesen, wobei die Entscheidungsformel zur Klarstellung wie folgt gefaßt wird:

“Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 30. Januar 1996 beendet wurde, sondern bis zum 30. April 1996 fortbestand.”

Der Beklagte hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung, die der Beklagte in seiner Eigenschaft als Sequester der Arbeitgeberin ausgesprochen hat.

Die Klägerin war seit 1994 als technische Angestellte in der Produktion der E… GmbH beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 2.300,00 DM. Die Arbeitgeberin befaßte sich mit der Herstellung elektronischer Bauelemente. Sie beschäftigte zuletzt 72 Arbeitnehmer.

Ende 1995 beantragte die Arbeitgeberin die Eröffnung des Gesamtvollstrekkungsverfahrens. Mit Beschluß vom 27. Dezember 1995 erließ das Amtsgericht ein allgemeines Veräußerungsverbot und ordnete die Sequestration an. Zum Sequester bestellte das Amtsgericht den Beklagten. Auszugsweise heißt es in dem Anordnungsbeschluß weiter:

“Verpflichtende Rechtsgeschäfte sowie die Veräußerung von Vermögensgegenständen dürfen nur mit Zustimmung des Sequesters erfolgen, dieser ist auch zum Einzug von Forderungen berechtigt.

Verfügungen im Zusammenhang mit der Sicherung und Verwaltung des Vermögens stehen nur dem Sequester im Zusammenwirken mit der Schuldnerin zu. Die Schuldnerin hat sich insoweit jeder gesonderten Verfügung zu enthalten.”

Am 30. Januar 1996 erhielt die Klägerin wie alle anderen Arbeitnehmer der späteren Gemeinschuldnerin anläßlich einer Betriebsversammlung ein Kündigungsschreiben des Sequesters überreicht. Der Klägerin wurde zum 29. Februar 1996 gekündigt, wie es in dem Schreiben hieß “mit Zustimmung des Geschäftsführers”. Eine solche Zustimmung lag allerdings nicht vor, weil der Geschäftsführer der Arbeitgeberin, … F…, im Januar 1996 weder für die Mitarbeiter noch für den Sequester erreichbar war. Mit Schreiben vom 6. Februar 1996 wies die Klägerin diese Kündigung “entsprechend § 174 BGB” zurück. Gleichzeitig verwies sie darauf, daß der Sequester nicht bevollmächtigter Vertreter der Arbeitgeberin sei und die behauptete Zustimmung des Geschäftsführers weder nachvollziehbar sei noch eine Vollmachtserteilung darstelle.

Mit Beschluß vom 1. Februar 1996 eröffnete das Amtsgericht Erfurt das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und bestellte den Beklagten zum Verwalter. Mit Schreiben vom 14. März 1996 kündigte der Verwalter das Arbeitsverhältnis vorsorglich zum 30. April 1996. Diese Kündigung hat die Klägerin nicht angegriffen.

Mit der am 19. Februar 1996 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 30. Januar 1996 sei unwirksam. Kündigungsgründe lägen nicht vor; die Kündigung sei sozialwidrig. Im übrigen sei der Beklagte in seiner Eigenschaft als Sequester gar nicht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses befugt gewesen.

Die Klägerin hat, soweit für die Revision von Bedeutung, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 30. Januar 1996 beendet worden sei, sondern bis zum 30. April 1996 fortbestanden habe.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, zum Zeitpunkt seiner Bestellung zum Sequester seien die Verluste der späteren Gemeinschuldnerin während der laufenden Betriebstätigkeit ständig gestiegen. Er sei deshalb geradezu verpflichtet gewesen, um erhebliche Masseschuldansprüche zu vermeiden, den Betrieb stillzulegen. Aufgrund der nicht hinnehmbaren wirtschaftlichen Situation habe keine andere Möglichkeit bestanden, als den Geschäftsbetrieb vorläufig stillzulegen und damit allen Arbeitnehmern, auch der Klägerin, zu kündigen. Dazu sei er auch als Sequester berechtigt gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom 30. Januar 1996 zu Recht als unwirksam angesehen. Der Beklagte war als Sequester nicht berechtigt, die Kündigung ohne Zustimmung der Arbeitgeberin auszusprechen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

Der Beklagte habe bei Ausspruch der Kündigung als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt. Als Sequester sei der Beklagte nicht in die Arbeitgeberstellung eingerückt. Die Klägerin habe die Kündigung des Sequesters unverzüglich zurückgewiesen, so daß die Kündigung gem. § 174 Satz 1 BGB unwirksam sei.

Der Beklagte könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, als Sequester im Gesamtvollstreckungsverfahren der neuen Bundesländer habe er ein eigenes Kündigungsrecht. Sowohl § 2 Abs. 3 GesO, als auch § 106 Abs. 1 Satz 2 KO und die Bestimmung des § 22 der InsO gäben dem Sequester bzw. dem vorläufigen Insolvenzverwalter nur dann ein Kündigungsrecht, wenn dies zum einen der Ausübung im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung diene und zum anderen in dem Anordnungsbeschluß des zuständigen Amtsgerichts vorgesehen sei. Beide Voraussetzungen lägen hier nicht vor.

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Sequester im Gesamtvollstreckungsverfahren der neuen Bundesländer hat jedenfalls dann kein eigenes Recht zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen, wenn ihm nach dem gerichtlichen Sequestrationsbeschluß Verfügungen im Zusammenhang mit der Sicherung und Verwaltung des Vermögens nur im Zusammenwirken mit dem Schuldner zustehen.

1. Nach § 2 Abs. 3 GesO kann das Insolvenzgericht durch Beschluß vorläufige Maßnahmen zur Sicherung einer Gesamtvollstreckung anordnen. Es darf insbesondere die Sicherung einzelner Vermögenswerte, Guthaben oder Forderungen anordnen und seine Verfügungsbefugnis von der Zustimmung des Gerichts abhängig machen und auf andere Weise beschränken. Diese Befugnis umfaßt auch das Recht zur Einsetzung eines Sequesters. Ob der so bestellte Sequester Arbeitsverhältnisse kündigen kann, ist jedoch streitig (verneinend Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Auflage, § 106 Rz 13b für die KO und Hess/Binz/Wienberg, GesO, 3. Auflage, § 2 Rz 109 und 112a für die GesO; bejahend Hess, KO, 6. Auflage, § 106 Rz 9b für die KO und Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 3. Auflage, § 2 Rz 194 sowie Smid, GesO, 3. Auflage, § 2 Rz 152 für die GesO).

2. Im vorliegenden Fall kommt es auf die Beantwortung dieser Streitfrage nicht an. Die Rechte des Beklagten als Sequester waren im gerichtlichen Anordnungsbeschluß vom 27. Dezember 1995 konkretisiert. Danach hatte der Beklagte kein eigenes Kündigungsrecht.

Die Gesamtvollstreckungsordnung sieht – ebenso wie die Konkursordnung – kein gesetzlich institutionalisiertes Sequestrationsverfahren vor. Vielmehr beruht die Sequestration auf der ganz allgemeinen Befugnis des zuständigen Gerichts, Sicherungsmaßnahmen anzuordnen (§ 2 Abs. 3 GesO). Damit obliegt es dem für die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens zuständigen Gericht zu entscheiden, welche Sicherungsmaßnahmen getroffen werden sollen und welche nicht. Dem Sequester stehen demnach jedenfalls solche Befugnisse nicht zu, die ihm nach der Fassung des maßgeblichen Beschlusses gerade nicht übertragen werden sollten (vgl. Kilger/KarstenSchmidt, KO/VerglO/GesO, 17. Auflage, § 106 KO Rz 4).

Im Beschluß des Amtsgerichts vom 27. Dezember 1995 ist nicht nur die Sequestration des Geschäftsbetriebs der späteren Gemeinschuldnerin angeordnet worden, sondern diese Anordnung wurde zugleich konkretisiert. In dieser konkretisierten Anordnung ist bestimmt, daß Verfügungen im Zusammenhang mit der Sicherung und Verwaltung des Vermögens dem Sequester nur im Zusammenwirken mit der Schuldnerin zustehen. Dem Beklagten wurde durch diesen Beschluß nicht die alleinige Verfügungsbefugnis im Rahmen der Sicherung und Verwaltung des Vermögens übertragen. Sie stand ihm vielmehr nur gemeinsam mit der Schuldnerin und damit mit deren vertretungsberechtigten Organen zu.

Die Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Sequesters ist nicht dadurch entfallen, daß der Geschäftsführer der Schuldnerin für den Sequester nicht mehr erreichbar war. Das alleinige Verfügungsrecht zur Sicherung des Vermögens und damit auch das Recht, die Arbeitsverhältnisse zur Sicherung des Vermögens zu kündigen, hätte der Sequester nur durch eine Erweiterung der gerichtlichen Ermächtigung erreichen können. Eine solche Erweiterung hat das Amtsgericht nicht ausgesprochen. Sie wurde vom Sequester auch gar nicht beantragt.

III. Der Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Morsch, Hickler

 

Fundstellen

Haufe-Index 2629010

KTS 1999, 251

ZInsO 1999, 361

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