Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Nachteilsausgleich im Gesamtvollstreckungsverfahren

 

Normenkette

GesO § 11 ff., § 13 Abs. 1 Nrn. 1, 3, § 17 Abs. 3; BetrVG §§ 111, 113; Konkursordnung § 59 Abs. 1 Nr. 1; KSchG §§ 9-10

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 17.06.1996; Aktenzeichen 8 Sa 466/95)

ArbG Eisenach (Urteil vom 18.05.1995; Aktenzeichen 5 Ca 1061/94)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 17. Juni 1996 – 8 Sa 466/95 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

VonRechtswegen!

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs (§ 113 Abs. 3 BetrVG) in Anspruch.

Der Kläger war seit dem 1. September 1992 bei dem Bauunternehmen G Bau GmbH & Co. KG (im folgenden: Gemeinschuldnerin) beschäftigt. Sein Monatsgehalt betrug zuletzt 3.139,05 DM brutto.

Nachdem die Gemeinschuldnerin ab Mai 1994 die Löhne und Gehälter für die damals noch etwa 219 Beschäftigten nicht mehr zahlen und auch die sonstigen Verbindlichkeiten nicht mehr ausgleichen konnte, beantragte ihr alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer am 6. Juli 1994 die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens und stellte sämtliche Mitarbeiter bis auf weiteres von der Arbeit frei. Er hatte zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung getroffen, den Betrieb nicht mehr fortzuführen. Eine kaufmännische Organisation der Gemeinschuldnerin war nicht mehr vorhanden. Um Schadensersatzansprüche gegen die Gemeinschuldnerin zu verringern, wurde in der Folgezeit ein Teil der Arbeitnehmer wieder beschäftigt. Am 13. Juli 1994 verhängte das Amtsgericht Mühlhausen zur Sicherung der Masse ein allgemeines Veräußerungsverbot und ordnete die Sequestration an. Der zum Sequester bestellte Beklagte unterrichtete am 14./15. Juli 1994 den Betriebsrat der Gemeinschuldnerin über die beabsichtigte Betriebsstillegung und Kündigung aller Mitarbeiter im Rahmen der für den 1. August 1994 erwarteten Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Mit dem Betriebsrat wurde mündlich Einigkeit darüber erzielt, daß ein Sozialplan aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage nicht verwirklicht werden könne. Gleichzeitig wies der Beklagte darauf hin, die Arbeitnehmer hätten noch bis Ende Juli 1994 ihre Arbeitsleistung zu erbringen.

Am 1. August 1994 ordnete das Amtsgericht Mühlhausen die Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Gemeinschuldnerin an und bestellte den Beklagten zum Verwalter. Am selben Tag sprach der Beklagte auf einer Mitarbeiterversammlung die Kündigung der Arbeitsverhältnisse aus. Dem Kläger wurde zum 31. August 1994 gekündigt. Bei Verfahrenseröffnung bestanden noch Arbeitsverhältnisse zu 158 Mitarbeitern. In der folgenden Zeit führten einige dieser Mitarbeiter Abwicklungsarbeiten aus. Ein schriftlicher Interessenausgleich mit dem Betriebsrat kam nicht zustande.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe den Betrieb ohne den Versuch eines Interessenausgleichs stillgelegt und schulde deshalb einen Nachteilsausgleich. Dabei handele es sich um eine Masseforderung nach § 13 Gesamtvollstreckungsordnung (GesO), weil der Anspruch auf einer dem Beklagten als Gesamtvollstreckungsverwalter zurechenbaren Handlung beruhe.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn eine angemessene Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, er habe schon als Sequester einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat abgeschlossen. Die Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG könne nicht allein deshalb eingreifen, weil der Interessenausgleich nicht schriftlich niedergelegt worden sei. Der Betrieb sei schon am 6. Juli 1994 mit der Freistellung der Arbeitnehmer zum Erliegen gekommen und bereits zu diesem Zeitpunkt stillgelegt worden. Deshalb hätte der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin den Interessenausgleich versuchen müssen. Später habe dann eine Ausnahmesituation vorgelegen, weil die sofortige Schließung des Betriebes die einzig mögliche und auch im Interesse der Arbeitnehmer dringend gebotene Reaktion gewesen sei. In jedem Falle stelle eine etwaige Forderung des Klägers auf Nachteilsausgleich eine einfache Konkursforderung dar, die zur Gesamtvollstreckungstabelle anzumelden gewesen wäre.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zur Zahlung einer Abfindung von 3.139,05 DM netto verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat dahinstehen lassen, ob der Beklagte den Betrieb stillgelegt hat, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat abgeschlossen oder versucht zu haben. Ein etwaiger Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß den § 113 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1, § 111 Satz 2 Nr. 1, § 112 Abs. 1 und 2 BetrVG sei nämlich nicht als Masseforderung, sondern als Forderung nach § 17 Abs. 3 Nr. 1c) bzw. Nr. 4 GesO einzuordnen. Deshalb könne der Beklagte als Gesamtvollstreckungsverwalter nicht direkt verklagt werden.

II. Diese Auffassung des Landesarbeitsgerichts trifft zu. Die Klage ist unzulässig. Dabei kann unentschieden bleiben, ob dem Kläger ein Nachteilsausgleichsanspruch gem. § 113 Abs. 3 BetrVG zusteht und ob ein solcher Anspruch vor oder nach der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens entstanden ist.

1. Entsteht vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens ein Nachteilsausgleichsanspruch durch ein Handeln des späteren Gemeinschuldners, fällt dieser Anspruch im Gesamtvollstreckungsverfahren unter § 17 Abs. 3 Nr. 4 GesO (so auch Schaub, AuA 1993, 264, 265; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 17 GesO Rz 6; KR-Spilger, § 9 KSchG Rz 74; Bürger/Ochmann/Matthes, HwB AR-Berscheid, Gesamtvollstreckung, Rz 81 f.; MünchArbR-Matthes, § 355 Rz 18). Ein vorab zu begleichender Anspruch gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 GesO kommt nicht in Betracht. Ein vor Verfahrenseröffnung entstandener Anspruch auf Nachteilsausgleich ist weder durch die Verwaltung entstandene Ausgabe noch Lohn- oder Gehaltsforderung.

2. Entsteht nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens ein Nachteilsausgleichsanspruch durch ein Handeln des Verwalters, fällt dieser Anspruch unter § 17 Abs. 3 Nr. 1c) GesO, soweit die Summe der Leistungen den dort genannten Gesamtbetrag nicht übersteigt. Es handelt sich nicht um einen vorab zu begleichenden Anspruch gem. § 13 GesO.

a) Zugunsten des Klägers kommt allein § 13 Abs. 1 Nr. 1 GesO in Betracht. Im Gegensatz zu § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO erfaßt § 13 Abs. 1 Nr. 1 GesO nicht alle Ansprüche, die aus Handlungen des Verwalters oder durch die Verwaltung entstehen, sondern, sehr viel enger, nur die durch die Verwaltung entstandenen notwendigen Ausgaben. Das sind nicht etwa alle Ausgaben, die auf Grund der jeweiligen Verwaltung von Gesetzes wegen zwingend anfallen. Vielmehr macht das Gesetz eine Einschränkung unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit. Der Nachteilsausgleich, der durch eine Handlung des Verwalters entsteht, ist keine notwendige Ausgabe in diesem Sinne. Er entsteht nur dann, wenn der Verwalter seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verletzt. Damit handelt es sich nicht um eine Ausgabe, die bei einer ordnungsgemäßen Verwaltung entstehen kann. Dies schließt ihre Notwendigkeit aus.

b) Einer Zuordnung zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 GesO steht ferner die Regelung des § 17 Abs. 3 Nr. 1c) GesO entgegen. Dieser Vorschrift unterfallen Forderungen aus einem vom Verwalter vereinbarten Sozialplan und außerhalb eines Sozialplans zu gewährende Leistungen. Auch wenn damit Nachteilsausgleichsansprüche nicht ausdrücklich genannt werden, sind mit dieser Formulierung jedenfalls solche Leistungen gemeint, die der Arbeitnehmer zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile wegen einer Betriebsänderung im Rahmen der Insolvenz zu beanspruchen hat. In Betracht kommen insbesondere Abfindungsansprüche aus § 113 BetrVG, aber auch aus §§ 9, 10 KSchG, aus einer Gesamtzusage oder einem Vergleich. Dies zeigt schon die gemeinsame Regelung mit Sozialplanleistungen. Der Gesetzgeber wollte die bevorrechtigten Forderungen gem. Nr. 1c) nicht auf Leistungen zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile beschränken, die aus einer Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber folgen. Daß mit „außerhalb eines Sozialplans zu gewährenden Leistungen” nicht Lohn- und Gehaltsforderungen gemeint sind, folgt aus den ausdrücklichen Sonderregelungen in § 13 Abs. 1 Nr. 3 a) und § 17 Abs. 3 Nr. 1a) GesO.

Für die aus einem Handeln des Verwalters entstandenen Leistungsansprüche zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile enthält § 17 Abs. 3 Nr. 1c) GesO eine abschließende Regelung. Diese Ansprüche sind nach der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers keine vorab zu begleichenden Ansprüche gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 GesO. Der letzte Halbsatz des § 17 Abs. 3 Nr. 1 GesO enthält zwar bezüglich der Forderungen nach den Buchstaben a) und b) einen Vorbehalt im Hinblick auf § 13 GesO. Bezüglich der Leistungen aus einem Sozialplan und außerhalb eines Sozialplans gem. Buchstabe c) fehlt es demgegenüber an einem derartigen Vorbehalt. Der Gesetzgeber ging also nicht davon aus, daß diese Leistungen unter § 13 GesO fallen könnten.

c) Insofern unterscheidet sich die Rechtslage unter der im Beitrittsgebiet geltenden Gesamtvollstreckungsordnung von der der Konkursordnung. Nach Konkurseröffnung entstandene Nachteilsausgleichsansprüche sind vorweg zu berichtigende Masseschulden gem. § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO (BAG Urteil vom 3. April 1990 – 1 AZR 150/89 – AP Nr. 20 zu § 113 BetrVG 1972; vgl. auch BT-Drucks. 10/2129, S. 7). Denn § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO unterliegen alle Ansprüche, welche aus Geschäften oder Handlungen des Konkursverwalters entstehen. Derartige Unterschiede zwischen der Konkursordnung und der Gesamtvollstreckungsordnung sind typisch und entspringen der Zielsetzung des Gesetzgebers, die in den alten Bundesländern geltenden insolvenzrechtlichen Regelungen wegen ihrer Reformbedürftigkeit nicht im Beitrittsgebiet in Kraft zu setzen (siehe dazu BT-Drucks. 11/7817, S. 8).

d) Eine unterschiedliche insolvenzrechtliche Behandlung von Sozialplan- und Nachteilsausgleichsanprüchen, wie sie in den alten Bundesländern durch § 4 des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20. Februar 1985 (BGBl. I S. 369) vorgegeben ist, ist im Geltungsbereich der GesO nicht vorgesehen. Das Gesetz vom 20. Februar 1985 wurde im Beitrittsgebiet nicht in Kraft gesetzt (Einigungsvertrag Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt I Nr. 5). Auch dieser Umstand spricht für eine einheitliche insolvenzrechtliche Behandlung von Sozialplan- und Nachteilsausgleichsansprüchen in § 17 Abs. 3 Nr. 1c) GesO. Ebenso dürfte die am 1. Januar 1999 in Kraft tretende Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2866) keinen Unterschied machen, ob der Insolvenzverwalter einen Sozialplan abschließt oder Ansprüche auf Nachteilsausgleich verursacht (vgl. §§ 123, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).

e) Die Anwendung von § 17 Abs. 3 Nr. 1c) GesO entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl. insbesondere Schaub, AuA 1993, 264, 265; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., Anhang zu §§ 111 bis 113 Rz 22; Bürger/Ochmann/Matthes, HwB AR-Berscheid, Gesamtvollstreckung, Rz 71 f.; Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 3. Aufl., § 17 Rz 111; Kilger/Schmidt, KO, 16. Aufl., § 17 GesO Anm. 4 a); Smid/Zeuner, GesO, 2. Aufl., § 17 Rz 29; Klöver, Der Sozialplan im Konkurs, S. 153; Hess/Binz/Wienberg, GesO, 3. Aufl., § 17 Rz 63 a); für eine Zuordnung zu § 17 Abs. 3 Nr. 4: MünchArbR-Matthes, § 355 Rz 18; a.A. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 17 GesO Rz 6; KR-Spilger, § 9 KSchG Rz 74).

3. Ansprüche nach § 17 GesO können nicht vorab vom Verwalter beglichen werden. Während der Massegläubiger grundsätzlich außerhalb des Insolvenzverfahrens steht und befugt ist, seine Forderungen einzeln im Wege der Leistungsklage geltend zu machen (Smid/Zeuner, GesO, 2. Aufl., § 13 Rz 6; Kilger/Schmidt, KO, 16. Aufl., § 13 GesO Anm. 1 b); Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 3. Aufl., § 13 Rz 9), kann der Insolvenzgläubiger seine Forderungen nur nach Maßgabe des Anmelde- und Verteilungsverfahrens gem. §§ 11, 14, 17 und 18 GesO verfolgen. Die Forderungen sind, wie aus § 11 Abs. 1 und § 14 GesO hervorgeht, zum Vermögensverzeichnis anzumelden. Wird eine Forderung bestritten, so kann sie gem. § 11 Abs. 3 GesO nur durch Feststellungsklage gegen den Bestreitenden geltend gemacht werden. Nach Verwertung des Schuldnervermögens wird der Erlös gem. §§ 17, 18 GesO verteilt. Die Klage des Insolvenzgläubigers gegen den Verwalter auf unmittelbare vorweggenommene Leistung umgeht dieses Verteilungsverfahren und ist daher unzulässig (vgl. für das Konkursverfahren BAG Urteil vom 3. April 1990 – 1 AZR 150/89 – AP Nr. 20 zu § 113 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe).

4. Der Kläger hat seine Forderung nicht zum Vermögensverzeichnis angemeldet. Er begehrt gerade nicht die Teilnahme am Verteilungsverfahren, sondern Leistung aus der Masse.

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Noack, Hannig

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1126930

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