Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Nachteilsausgleich im Gesamtvollstreckungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Im Gesamtvollstreckungsverfahren ist der durch ein Handeln des Verwalters begründete Anspruch auf Nachteilsausgleich (§ 113 BetrVG) kein vorab zu begleichender Anspruch nach § 13 GesO, sondern Insolvenzforderung nach § 17 Abs. 3 Nr. 1 c) letzter Halbsatz GesO. Der Gläubiger kann die Forderung nur nach Maßgabe des Anmelde- und Verteilungsverfahrens der GesO verfolgen.

 

Normenkette

GesO § 11 ff., § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 17 Abs. 3; BetrVG §§ 111-113; Konkursordnung § 59 Abs. 1 Nr. 1; Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren § 4; InsO vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2866) § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 123; KSchG §§ 9-10

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 07.10.1996; Aktenzeichen 8 Sa 719/95)

ArbG Eisenach (Urteil vom 04.10.1995; Aktenzeichen 1 Ca 2202/94)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 7. Oktober 1996 – 8 Sa 719/95 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs (§ 113 Abs. 3 BetrVG) in Anspruch.

Der Kläger war seit dem 2. Januar 1990 bei der S… GmbH Eisenach (im folgenden: Gemeinschuldnerin) beschäftigt. Sein Monatsgehalt betrug zuletzt 4.600,00 DM brutto.

Die Gemeinschuldnerin beantragte am 28. Oktober 1994 wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Das Amtsgericht Mühlhausen ordnete mit Beschluß vom 7. November 1994 die Gesamtvollstreckung an und ernannte den Beklagten zum Gesamtvollstreckungsverwalter. Der weitaus größte Teil der bei der Gemeinschuldnerin beschäftigten 75 Arbeitnehmer wurde am 14. November 1994 von der Arbeit freigestellt. Am 19. November 1994 bat der Beklagte den bei der Gemeinschuldnerin gebildeten Betriebsrat um schriftliche Fixierung des Interessenausgleichs und um Gespräche über einen Sozialplan wegen unumgänglich erscheinender Betriebseinstellung. Am 21. November 1994 beantragte er beim Arbeitsgericht, einen Einigungsstellenvorsitzenden zu bestellen. Der Geschäftsbetrieb wurde am 25. November 1994 eingestellt. Danach fanden nur noch Abwicklungsarbeiten statt.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 26. November 1994 ordentlich zum 31. Dezember 1994. Auch allen anderen Arbeitnehmern wurde mit unterschiedlichen Kündigungsfristen gekündigt.

Der Beklagte hat am 6. Dezember 1994 die Masseunzulänglichkeit im Bundesanzeiger mitgeteilt. Anfang 1995 kam ein Sozialplan zustande. Danach steht dem Kläger ein Abfindungsanspruch in Höhe von 3.994,63 DM zu, den er zur Gesamtvollstreckungstabelle angemeldet hat.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe den Betrieb ohne den Versuch eines Interessenausgleichs stillgelegt und schulde deshalb einen Nachteilsausgleich. Dabei handele es sich um eine Masseforderung nach § 13 Gesamtvollstreckungsordnung (GesO), weil der Anspruch auf einer dem Beklagten als Gesamtvollstreckungsverwalter zurechenbaren Handlung beruhe. Die Sozialplanforderung könne darauf nicht angerechnet werden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger eine Abfindung (Nachteilsausgleich) in Höhe von 9.200,00 DM entsprechend der vorhandenen Masse zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, der Nachteilsausgleich sei keine Masseforderung, sondern müsse gemäß § 17 GesO zur Gesamtvollstreckungstabelle angemeldet werden. Im übrigen sei der Interessenausgleich durch einen Briefwechsel vom 19./21. November 1994 mit dem Betriebsrat zustande gekommen. Jedenfalls habe der Betriebsrat im Schreiben vom 21. November 1994 auf den Abschluß eines Interessenausgleichs verzichtet. Es sei auch gar nicht möglich gewesen, die Kündigungen erst nach Abschluß eines förmlichen Verfahrens über den Interessenausgleich auszusprechen. Die weiteren Lohnforderungen hätten die Masse zu stark belastet und voraussichtlich zur Einstellung des Gesamtvollstreckungsverfahrens geführt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat dahinstehen lassen, ob der Beklagte den Betrieb stillgelegt hat, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat abgeschlossen oder versucht zu haben. Ein etwaiger Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1, § 111 Satz 2 Nr. 1, § 112 Abs. 1 und 2 BetrVG sei nämlich nicht als Masseforderung, sondern als Forderung nach § 17 Abs. 3 Nr. 1 c) GesO einzuordnen. Deshalb könne der Beklagte als Gesamtvollstreckungsverwalter nicht direkt verklagt werden.

II. Diese Auffassung des Landesarbeitsgerichts trifft zu. Die Klage ist unzulässig.

1. Entsteht nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens ein Nachteilsausgleichsanspruch durch ein Handeln des Verwalters, fällt dieser Anspruch unter § 17 Abs. 3 Nr. 1 c) GesO, soweit die Summe der Leistungen den dort genannten Gesamtbetrag nicht übersteigt. Es handelt sich nicht um einen vorab zu begleichenden Anspruch gem. § 13 GesO.

a) Zugunsten des Klägers kommt allein § 13 Abs. 1 Nr. 1 GesO in Betracht. Im Gegensatz zu § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO erfaßt § 13 Abs. 1 Nr. 1 GesO nicht alle Ansprüche, die aus Handlungen des Verwalters oder durch die Verwaltung entstehen, sondern, sehr viel enger, nur die durch die Verwaltung entstandenen notwendigen Ausgaben. Das sind nicht etwa alle Ausgaben, die auf Grund der jeweiligen Verwaltung von Gesetzes wegen zwingend anfallen. Vielmehr macht das Gesetz eine Einschränkung unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit. Der Nachteilsausgleich, der durch eine Handlung des Verwalters entsteht, ist keine notwendige Ausgabe in diesem Sinne. Er entsteht nur dann, wenn der Verwalter seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verletzt. Damit handelt es sich nicht um eine Ausgabe, die bei einer ordnungsgemäßen Verwaltung entstehen kann. Dies schließt ihre Notwendigkeit aus.

b) Einer Zuordnung zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 GesO steht ferner die Regelung des § 17 Abs. 3 Nr. 1 c) GesO entgegen. Dieser Vorschrift unterfallen Forderungen aus einem vom Verwalter vereinbarten Sozialplan und außerhalb eines Sozialplans zu gewährende Leistungen. Auch wenn damit Nachteilsausgleichsansprüche nicht ausdrücklich genannt werden, sind mit dieser Formulierung jedenfalls solche Leistungen gemeint, die der Arbeitnehmer zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile wegen einer Betriebsänderung im Rahmen der Insolvenz zu beanspruchen hat. In Betracht kommen insbesondere Abfindungsansprüche aus § 113 BetrVG, aber auch aus §§ 9, 10 KSchG, aus einer Gesamtzusage oder einem Vergleich. Dies zeigt schon die gemeinsame Regelung mit Sozialplanleistungen. Der Gesetzgeber wollte die bevorrechtigten Forderungen gem. Nr. 1 c) nicht auf Leistungen zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile beschränken, die aus einer Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber folgen. Daß mit “außerhalb eines Sozialplans zu gewährenden Leistungen” nicht Lohn- und Gehaltsforderungen gemeint sind, folgt aus den ausdrücklichen Sonderregelungen in § 13 Abs. 1 Nr. 3 a) und § 17 Abs. 3 Nr. 1 a) GesO.

Für die aus einem Handeln des Verwalters entstandenen Leistungsansprüche zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile enthält § 17 Abs. 3 Nr. 1 c) GesO eine abschließende Regelung. Diese Ansprüche sind nach der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers keine vorab zu begleichenden Ansprüche gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 GesO. Der letzte Halbsatz des § 17 Abs. 3 Nr. 1 GesO enthält zwar bezüglich der Forderungen nach den Buchstaben a) und b) einen Vorbehalt im Hinblick auf § 13 GesO. Bezüglich der Leistungen aus einem Sozialplan und außerhalb eines Sozialplans gem. Buchstabe c) fehlt es demgegenüber an einem derartigen Vorbehalt. Der Gesetzgeber ging also nicht davon aus, daß diese Leistungen unter § 13 GesO fallen könnten.

c) Insofern unterscheidet sich die Rechtslage unter der im Beitrittsgebiet geltenden Gesamtvollstreckungsordnung von der der Konkursordnung. Nach Konkurseröffnung entstandene Nachteilsausgleichsansprüche sind vorweg zu berichtigende Masseschulden gem. § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO (BAG Urteil vom 3. April 1990 – 1 AZR 150/89 – AP Nr. 20 zu § 113 BetrVG 1972; vgl. auch BT-Drucks. 10/2129, S. 7). Denn § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO unterliegen alle Ansprüche, welche aus Geschäften oder Handlungen des Konkursverwalters entstehen. Derartige Unterschiede zwischen der Konkursordnung und der Gesamtvollstreckungsordnung sind typisch und entspringen der Zielsetzung des Gesetzgebers, die in den alten Bundesländern geltenden insolvenzrechtlichen Regelungen wegen ihrer Reformbedürftigkeit nicht im Beitrittsgebiet in Kraft zu setzen (siehe dazu BT-Drucks. 11/7817, S. 8).

d) Eine unterschiedliche insolvenzrechtliche Behandlung von Sozialplan- und Nachteilsausgleichsanprüchen, wie sie in den alten Bundesländern durch § 4 des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20. Februar 1985 (BGBl. I S. 369) vorgegeben ist, ist im Geltungsbereich der GesO nicht vorgesehen. Das Gesetz vom 20. Februar 1985 wurde im Beitrittsgebiet nicht in Kraft gesetzt (Einigungsvertrag Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt I Nr. 5). Auch dieser Umstand spricht für eine einheitliche insolvenzrechtliche Behandlung von Sozialplan- und Nachteilsausgleichsansprüchen in § 17 Abs. 3 Nr. 1 c) GesO. Ebenso dürfte die am 1. Januar 1999 in Kraft tretende Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2866) keinen Unterschied machen, ob der Insolvenzverwalter einen Sozialplan abschließt oder Ansprüche auf Nachteilsausgleich verursacht (vgl. §§ 123, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).

e) Die Anwendung von § 17 Abs. 3 Nr. 1 c) GesO entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl. insbesondere Schaub, AuA 1993, 265; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., Anhang zu §§ 111 bis 113 § 1 Rz 22; HwB AR-Berscheid, Gesamtvollstreckung Rz 71 f.; Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 3. Aufl., § 17 Rz 111; Kilger/Karsten Schmidt, KO, 16. Aufl., § 17 GesO Anm. 4a); Smid/Zeuner, GesO, 2. Aufl., § 17 Rz 29; Klöver, Der Sozialplan im Konkurs, S. 153; Hess/Binz/Wienberg, GesO, 3. Aufl., § 17 Rz 63a); für eine Zuordnung zu § 17 Abs. 3 Nr. 4: MünchArbR/Matthes, § 355 Rz 18; a.A. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 17 GesO Rz 6; KR-Spilger, § 9 KSchG Rz 74).

2. Ansprüche nach § 17 GesO können nicht vorab vom Verwalter beglichen werden. Während der Massegläubiger grundsätzlich außerhalb des Insolvenzverfahrens steht und befugt ist, seine Forderungen einzeln im Wege der Leistungsklage geltend zu machen (Smid/Zeuner, GesO, 2. Aufl., § 13 Rz 6; Kilger/Karsten Schmidt, KO, 16. Aufl., § 13 GesO Anm. 1 b); Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 3. Aufl., § 13 Rz 9), kann der Insolvenzgläubiger seine Forderungen nur nach Maßgabe des Anmelde- und Verteilungsverfahrens gem. §§ 11, 14, 17 und 18 GesO verfolgen. Die Forderungen sind, wie aus § 11 Abs. 1 und § 14 GesO hervorgeht, zum Vermögensverzeichnis anzumelden. Wird eine Forderung bestritten, so kann sie gem. § 11 Abs. 3 GesO nur durch Feststellungsklage gegen den Bestreitenden geltend gemacht werden. Nach Verwertung des Schuldnervermögens wird der Erlös gem. §§ 17, 18 GesO verteilt. Die Klage des Insolvenzgläubigers gegen den Verwalter auf unmittelbare vorweggenommene Leistung umgeht dieses Verteilungsverfahren und ist daher unzulässig (vgl. für das Konkursverfahren BAG Urteil vom 3. April 1990 – 1 AZR 150/89 – AP Nr. 20 zu § 113 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe).

3. Der Kläger hat seine Forderung nicht zum Vermögensverzeichnis angemeldet. Er begehrt gerade nicht die Teilnahme am Verteilungsverfahren, sondern will die Leistungspflicht aus der Masse feststellen lassen.

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Noack, Hannig

 

Fundstellen

Haufe-Index 884872

BAGE, 331

BB 1998, 219

DB 1998, 138

FA 1998, 134

FA 1998, 28

KTS 1998, 297

NZA 1998, 272

RdA 1998, 126

VIZ 1998, 342

ZIP 1997, 2203

AuA 1998, 255

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