Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachteilsausgleich. Tarifliche Ausschlußfrist

 

Normenkette

BetrVG §§ 111, 113 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 17.10.1996; Aktenzeichen 4 Sa 1516/95)

ArbG Bochum (Urteil vom 29.06.1995; Aktenzeichen 4 Ca 3287/93)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Kamm vom 17. Oktober 1996 – 4 Sa 1516/95 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revision noch um die Zahlung eines Nachteilsausgleichs.

Der Kläger war seit dem 1. Februar 1976 bei der W. und G. E. GmbH, Bochum, beschäftigt. 1983 übernahm er die Leitung der Abteilung EDV gegen eine Vergütung von zuletzt 9.270,– DM brutto. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 1988 in der Fassung vom 6. Mai/19. Juni 1990 Anwendung. Dieser bestimmt für die Geltendmachung und den Ausschluß von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis:

㤠19

2. Der Arbeitnehmer/Auszubildende hat das Recht, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis/Ausbildungsverhältnis innerhalb folgender Fristen geltend zu machen:

  1. Ansprüche auf Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Abrechnung,
  2. alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit.

3. Ansprüche des Arbeitgebers/Ausbildungsbetriebs aus dem Arbeitsverhältnis/Ausbildungsverhältnis sind gegenüber dem Arbeitnehmer/Auszubildenden gemäß den Fristen der Nr. 2 geltend zu machen.

4. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, daß der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Fristen einzuhalten.

…”

Die Geschäftsanteile der W. und G. E. GmbH wurden 1987 an die B. GmbH, Oberhausen, veräußert. Nachdem es 1991 zu einem Auftragsrückgang gekommen war, kündigte die Geschäftsleitung 15 Arbeitnehmern betriebsbedingt. Auf der am 25. Oktober 1991 abgehaltenen Betriebsversammlung, an der auch der Geschäftsführer der W. und G. E. GmbH teilnahm, wies der Betriebsratsvorsitzende im Zusammenhang mit den Kündigungen laut Protokoll darauf hin,

„daß Geschäftsleitung und Betriebsrat vereinbart haben, daß der zur Zeit gültige Interessenausgleich und Sozialplan im Hause B. gemäß §§ 111 und 112 BetrVG auch bei der Firma E. zur Anwendung kommt.”

Bei dem genannten Sozialplan handelte es sich um den zwischen der Deutsche B. AG und ihrem Gesamtbetriebsrat am 2. Juli 1990 vereinbarten Sozialplan. Er bestimmte eine Abfindung nach der Formel „Dienstjähre × 0,55 × monatliches Normaleinkommen” (sogenannte 55er-Regelung).

In den Jahren 1991 bis 1993 schieden aus dem Betrieb der W. und G. E. GmbH ca. 50 Arbeitnehmer aus. Das geschah nach Darstellung der Beklagten aus betriebs- und personenbedingten Gründen, wegen Erreichens des Vorruhestands sowie auf eigenen Wunsch der Arbeitnehmer. Im März 1993 faßte die B. GmbH den Entschluß, im Laufe des Jahres 1993, spätestens bis zum 30. September 1993, die Betriebsführung der kaufmännischen und administrativen Bereiche der W. und G. E. GmbH, die damals zwischen 200 bis 250 Mitarbeiter beschäftigte, zu übernehmen. Diese Übernahme betraf auch die Leitung des EDV-Bereichs, weshalb der Verantwortungsbereich des Klägers schrittweise nach Oberhausen verlagert werden sollte. Dem Kläger wurde daraufhin mit Schreiben vom 30. März 1993 zum 30. September 1993 wegen Wegfalls seines Arbeitsplatzes gekündigt. Der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage des Klägers gab das Arbeitsgericht Bochum durch Urteil vom 28. Oktober 1993 statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht Hamm die Klage durch Urteil vom 30. Juni 1994 ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers blieb erfolglos.

Am 17. September 1993 vereinbarten die Geschäftsleitung und der Betriebsrat der W. und G. E. GmbH schriftlich, daß der Sozialplan der Deutsche B. AG vom 2. Juli 1990 für die Zeit ab 1. Oktober 1993 auch auf die Entlassungen bei der Beklagten angewandt werden sollte.

Zum 1. Oktober 1993 wurde die W. und G. E. GmbH in eine unselbständige Zweigniederlassung der B. GmbH – der jetzigen Beklagten – umgewandelt. Im ersten Halbjahr 1994 entließ die Beklagte weitere Arbeitnehmer aus dem technischen und kaufmännischen Bereich. Am 25. April 1994 wurde für sämtliche Betriebsstätten der Beklagten, nämlich Oberhausen, Osterode und Bochum, ein Gesamtsozialplan rückwirkend zum 1. Oktober 1993 abgeschlossen.

Mit der vorliegenden Klage, die ursprünglich auf Kündigungsschutz gegen eine weitere, vorsorgliche Kündigung der Beklagten vom 23. Dezember 1993, Weiterbeschäftigung und Gehaltszahlung gerichtet gewesen war, begehrt der Kläger zuletzt nur noch die Zahlung einer Abfindung.

Er hat behauptet, zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung sei ausdrücklich mündlich die Anwendung des Sozialplans der Deutsche B. AG vom 2. Juli 1990 für betriebsbedingte Entlassungen bei der W. und G. E. GmbH vereinbart worden. Diese Regelungsabrede sei im Hinblick auf die anstehenden Entlassungen getroffen worden, um keinen eigenen Sozialplan aufstellen zu müssen. Sie wirke auch zu seinen Gunsten. Die Beklagte habe sie umgesetzt, indem sie der Geschäftsleiter zusammen mit dem Betriebsratsvorsitzenden auf der Betriebsversammlung vom 25. Oktober 1991 vorgestellt, im einzelnen erläutert und allen Mitarbeitern erklärt habe. Aus ihr ergebe sich der geltend gemachte Abfindungsanspruch. Dieser stehe ihm auch aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu. Die Beklagte habe allen Arbeitnehmern, die zwischen dem 25. Oktober 1991 und dem 30. September 1993 ausgeschieden seien, die Abfindung nach der sogenannten 55er-Regelung gezahlt.

Erstmals mit Schriftsatz vom 8. August 1994 hat der Kläger hilfsweise geltend gemacht, sollte keine Regelungsabrede getroffen worden sein, habe er jedenfalls einen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Es liege eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 2 Ziff. 1 und 2 BetrVG vor. Bereits zum Zeitpunkt seiner Kündigung vom 30. März 1993 habe der Beschluß bestanden, die kaufmännische Leitung und Geschäftsleitung, die Telefonzentrale und die Pauserei mit zwei Mitarbeitern aufzulösen und nach Oberhausen zu verlagern. Die Abteilung Werkstattrohrbau, AV-Rohrbau, Werkstatt Stahlbau und die AV-Stahlbau sollten aufgelöst und nach F. verlagert werden. Hiervon seien 40 Mitarbeiter im Rohrbau, 15 Mitarbeiter im Stahlbau und sechs Mitarbeiter in der Qualitätsstelle betroffen gewesen.

Der Kläger hat seinen Abfindungsanspruch aufgrund der Regelungsabrede in Verbindung mit dem Sozialplan der Deutsche B. AG mit 87.717,17 DM berechnet. Der Nachteilsausgleich erreiche mindestens dieselbe Höhe, wobei sich eine höhere Abfindung im Hinblick auf seine seit 1. Oktober 1993 währende Arbeitslosigkeit und die negativen mündlichen Auskünfte der Beklagten auf entsprechende Antragen anderer Arbeitgeber rechtfertigen würde.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 87.717,17 DM nebst 11 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die behauptete Regelungsabrede sei nicht getroffen worden. Tatsächlich habe der Geschäftsführer die Anweisung gegeben, die sogenannte 55er-Regelung nicht anzuwenden. So sei auch bei den 15 betriebsbedingten Kündigungen im Jahre 1991 verfahren worden. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes lägen nicht vor. Während der sozialplanlosen Zeit vom 1. April 1988 bis 30. September 1993 seien mit den betreffenden Arbeitnehmern Aufhebungsverträge vereinbart worden; nur zur Vermeidung sozialversicherungsrechtlicher Nachteile habe man formal eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen. Lediglich der Kläger und ein anderer Mitarbeiter seien „echt” betriebsbedingt gekündigt worden. Die in den Aufhebungsverträgen zugesagten Abfindungen seien individuell ausgehandelt worden und hätten teils unter, teils über dem Abfindungsbetrag nach der sogenannten 55er-Regelung gelegen.

Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich bestehe gleichfalls nicht. Es habe in den Jahren 1988 bis 1993 keine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung gegeben. Höchst vorsorglich und hilfsweise berufe sie sich darauf, daß ein eventueller Anspruch verfallen bzw. verwirkt sei. Ein solcher Anspruch wäre mit dem Ausscheiden des Klägers am 30. September 1993 fällig gewesen und sei erstmals mit dessen Schriftsatz vom 8. August 1994 geltend gemacht worden.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Nachteilsausgleich weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Dem Kläger steht ein in der Revision allein noch streitiger Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht zu. Auch wenn die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs dem Grunde nach vorliegen sollten, wäre er jedenfalls verfallen, weil der Kläger ihn nicht innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist geltend gemacht hat.

I. Die Revision ist beschränkt auf den vom Kläger hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Nachteilsausgleich. Der Kläger hat die Abweisung des in der Hauptsache eingeklagten Anspruchs auf Sozialplanabfindung nicht angegriffen. Die beiden Ansprüche bilden unterschiedliche Streitgegenstände, weil unterschiedliche Rechtsfolgen auf unterschiedliche Tatsachenkomplexe gestützt werden. Die Revision hätte daher auch hinsichtlich der Abweisung des zunächst verfolgten Anspruchs auf Abfindung aus dem Sozialplan eingelegt und begründet werden müssen, wenn der Kläger das Urteil des Landesarbeitsgerichts insoweit hätte angreifen wollen. Dies ist aber nicht geschehen, wie auch in der mündlichen Verhandlung klargestellt wurde.

II. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs zu Recht verneint.

1. Das Landesarbeitsgericht hat offengelassen, ob dem Kläger ein Anspruch gem. § 113 Abs. 3 BetrVG ursprünglich zustand. Es hat zwar darauf abgestellt, daß nach dem eigenen Vortrag der Beklagten in dem Zeitraum von 1991 bis 1993 50 Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausgeschieden seien und die Beklagte dem schlüssigen Vorbringen des Klägers, dies sei aus betriebsbedingten Gründen geschehen, nicht im einzelnen entgegengetreten sei. Letztlich müsse aber der Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG ohne Erfolg bleiben, weil er jedenfalls verfallen sei. Der Kläger habe ihn nämlich nicht innerhalb der mit seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis anlaufenden dreimonatigen Ausschlußfrist geltend gemacht. Dem ist zu folgen.

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob allein der Umstand, daß in den Jahren 1991 bis 1993 50 Arbeitnehmer ausgeschieden sind, die Annahme einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung rechtfertigt. Erforderlich wäre jedenfalls, daß dem eine einheitliche Planung zugrunde lag. Ob dies der Fall war und – falls nicht – ob durch die teilweise Aufgabenverlagerung ein Mitbestimmungsrecht nach § 111 BetrVG ausgelöst wurde, bedarf keiner abschließenden Klärung. Das Landesarbeitsgericht hat den unterstellten Anspruch jedenfalls zu Recht als verfristet angesehen.

a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand unstreitig im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 1988 in der Fassung vom 6. Mai/19. Juni 1990 Anwendung. Neben den in § 19 Nr. 2 Buchst. a MTV geregelten und hier nicht einschlägigen Ansprüchen auf Zuschläge sind „alle übrigen Ansprüche” aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 19 Nr. 2 Buchst. b MTV innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, daß der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Fristen einzuhalten, § 19 Ziff. 4 MTV.

Die Formulierung „alle übrigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” erfaßt auch den Anspruch auf Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG (Senatsurteil vom 29. November 1983 – 1 AZR 523/82BAGE 44, 260 = AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972 zum gleichlautenden § 17 MTV für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW vom 30. April 1980). Es handelt sich dabei um einen gesetzlichen Anspruch, der seine Grundlage im Arbeitsverhältnis hat. Durch die Gegenüberstellung zu den konkret benannten Ansprüchen unter Buchst. a und aufgrund der Formulierung „alle übrigen Ansprüche”, haben die Tarifvertragsparteien ihren Willen zum Ausdruck gebracht, eine umfassende Bereinigung anzustreben und alle eventuell in Betracht kommenden Ansprüche der Ausschlußfrist zu unterwerfen. Dies entspricht dem Zweck einer solchen Frist, in angemessener Zeit Klarheit und Rechtsfrieden zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses zu schaffen (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 24. Januar 1996 – 1 AZR 591/95 – n.v.). Der Senat hat deshalb angenommen, daß auch Formulierungen wie „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” (vgl. Urteil vom 20. Juni 1978 – 1 AZR 102/76 – BAGE 30, 347 = AP Nr. 3 zu § 113 BetrVG 1972), „sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” (Urteil vom 18. Dezember 1984 – 1 AZR 176/82BAGE 47, 329, 341 = AP Nr. 11 zu § 113 BetrVG 1972, unter I 5 b der Gründe) und „alle sonstigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” (Urteil vom 24. Januar 1996, a.a.O.) den Anspruch auf Nachteilsausgleich einschließen.

b) Der unterstellte Anspruch auf Nachteilsausgleich ist nicht innerhalb von drei Monaten nach seiner Fälligkeit geltend gemacht worden.

aa) Fällig wurde der Anspruch mit seinem Entstehen, also mit der Entlassung des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Arbeitnehmer entlassen, wenn das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet wird. Auf diesen Zeitpunkt abzustellen, rechtfertigt sich auch aus der Funktion der Abfindung, im gewissen Umfang den Verlust des Arbeitsplatzes auszugleichen. Dieser Verlust tritt ein mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis (ständige Rechtsprechung s. Senatsurteile vom 3. August 1982 – 1 AZR 77/81 – AP Nr. 5 zu § 113 BetrVG 1972; vom 29. November 1983, a.a.O., vom 18. Dezember 1984, a.a.O., und vom 24. Januar 1996, a.a.O.).

Der unterstellte Anspruch auf Nachteilsausgleich wurde danach am 30. September 1993 fällig. Der Kläger hat ihn jedoch erstmals mit Schreiben vom 8. August 1994 und damit nach der am 31. Dezember 1993 ablaufenden dreimonatigen Frist des § 19 Nr. 2 Buchst. b MTV geltend gemacht. Gemäß § 19 Ziff. 4 MTV ist sein Abfindungsanspruch deshalb grundsätzlich ausgeschlossen.

bb) Die Fälligkeit des Anspruchs wurde nicht dadurch hinausgeschoben, daß der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben hatte. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich wird auch dann mit der vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig, wenn über die Kündigung, die tatsächlich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat, zunächst noch ein Kündigungsschutzprozeß anhängig ist (Senatsurteil vom 3. August 1982 – 1 AZR 77/81 – AP Nr. 5 zu § 113 BetrVG 1972; Senatsurteil vom 24. Januar 1996 – 1 AZR 591/95 –, n.v.). Der Anspruch nach § 113 BetrVG setzt für seine Entstehung nicht voraus, daß die Wirksamkeit der Kündigung vorher rechtswirksam geklärt wurde. Die Kündigungsschutzklage hat keine rechtsgestaltende, sondern feststellende Wirkung (vgl. KR-Friedrich, 4. Aufl., § 4 KSchG Rz 35). Wird sie abgewiesen, ist damit nur geklärt, daß eine anspruchsbegründende Voraussetzung – nämlich eine Entlassung zum vorgesehenen Endtermin – vorliegt. Fälligkeit tritt aber unabhängig davon ein, ob die anspruchsbegründenden Umstände im Streit sind.

Etwas anderes läßt sich auch nicht damit begründen, daß in der Erhebung einer Kündigungsschutzklage regelmäßig zugleich die Geltendmachung derjenigen Ansprüche zu sehen ist, die vom Ausgang des Verfahrens abhängig sind. Dies gilt nämlich nur für Ansprüche, die den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zur Voraussetzung haben und deren Erfüllung der Arbeitgeber ohne weiteres bei erfolgreicher Kündigungsschutzklage einplanen muß. Hier geht es aber um einen Anspruch, der gerade umgekehrt davon abhängt, daß die Kündigungsschutzklage erfolglos bleibt. Der Arbeitgeber muß nicht ohne weiteres auch mit der Geltendmachung eines solchen Alternativanspruchs rechnen (Senatsurteil vom 3. August 1982, a.a.O.; Senatsurteil vom 24. Januar 1996, a.a.O.).

c) Das Landesarbeitsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, daß die Ausnahmeregelung des § 19 Nr. 4 2. Halbsatz MTV nicht zugunsten des Klägers eingreift. Dieser hat nicht dargelegt, daß er auch bei Anwendung der ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die dreimonatige Frist einzuhalten. Die insoweit erhobenen Revisionsrügen greifen nicht durch.

aa) Das Landesarbeitsgericht hat die Ausnahmevorschrift bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Es hat sie im Tatbestand und auch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich erwähnt. Daß es sich mit ihr nicht näher auseinandergesetzt hat, ist unschädlich. Der Kläger hatte keine Umstände vorgetragen und unter Beweis gestellt, die eine Ausnahme von der Verfristung hätten begründen können. Da es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt, oblag ihm die Darlegungs- und Beweislast für solche Umstände.

bb) Die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe seine Hinweispflicht gem. §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO verletzt, ist nicht begründet. Eines richterlichen Hinweises bedarf es dann, wenn eine Partei einen erheblichen Gesichtspunkt erkennbar übersieht oder für unerheblich hält. Es handelt sich um eine Ausgestaltung des Gebotes rechtlichen Gehörs. Der Hinweis ist dementsprechend in der Regel entbehrlich, wenn eine Partei die Rechtsfolge bereits angesprochen hat und die andere Partei rechtskundig vertreten ist (vgl. BGH Urteil vom 23. September 1992 – I ZR 248/90 – NJW 1993, 667; Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl., § 278 Rz 7). So war es hier. Die Beklagte hatte sich bereits im Schriftsatz vom 24. November 1995 höchst vorsorglich und hilfsweise darauf berufen, daß ein eventueller Anspruch auf Nachteilsausgleich in jedem Fall verfallen bzw. verwirkt sei. Sie hatte dabei auf die einschlägige Tarifnorm, die Fälligkeit des Anspruchs mit dem Ausscheiden des Klägers am 30. September 1993 wie auch auf die verspätete, erstmalige Geltendmachung des Anspruchs mit Schreiben vom 8. August 1994 hingewiesen. Für den anwaltlich vertretenen Kläger war damit die Verfallproblematik hinreichend deutlich in das Verfahren eingeführt. Er hätte Anlaß und bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht auch Gelegenheit gehabt, sich zu dieser Frage zu äußern. Bereits deshalb erscheint seine Rüge als nicht begründet.

cc) Unabhängig davon rechtfertigt der vom Kläger mit der Revisionsrüge ergänzte Vortrag keine andere Entscheidung. Der Kläger beruft sich darauf, daß er erst dann habe über einen Anspruch auf Nachteilsausgleich nachdenken müssen, als das Landesarbeitsgericht im Vorverfahren durch Urteil vom 30. Juni 1994 das seiner Kündigungsschutzklage stattgebende Urteil der ersten Instanz aufgehoben und die Klage endgültig abgewiesen habe. Hier habe er auch erstmals erfahren, daß neben ihm andere Mitarbeiter ohne gültigen Sozialplan entlassen worden seien. Dennoch hätten keine vollständigen Informationen über Art und Umfang der betriebsbedingten Entlassungen vorgelegen, so daß er zunächst weitere Nachforschungen habe anstellen müssen.

Dieser Vortrag belegt kein unverschuldetes Hindernis (vgl. zu den Voraussetzungen auch BAG Urteil vom 18. Februar 1992 – 9 AZR 611/90 – AP Nr. 115 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Ihm liegt möglicherweise die Vorstellung zugrunde, die Erhebung der Kündigungsschutzklage schiebe den Anlauf der Ausschlußfrist hinaus. Das ist aber – wie dargelegt – nicht zutreffend (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 24. Januar 1996, a.a.O.). Ein Irrtum über die Unabhängigkeit der Ausschlußfrist vom Ablauf des Kündigungsschutzverfahrens war kein unvermeidbarer Rechtsirrtum. Für den Kläger hätte daher schon im Zeitpunkt seiner Entlassung mindestens Anlaß und auch Gelegenheit bestanden, gegebenenfalls zusätzliche Informationen einzuholen. Daß er überhaupt nichts über Art und Umfang der laufenden Personalmaßnahmen wußte, ist seiner eigenen Einlassung nicht zu entnehmen. Dies wäre angesichts des mit ca. 200 bis 250 Arbeitnehmern relativ kleinen Betriebes und angesichts der herausgehobenen Position des Klägers als Leiter der EDV auch unwahrscheinlich.

 

Unterschriften

Dieterich, Wißmann, Rost, von Platen, Klebe

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1254431

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