Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsentgelt für Mitarbeiter der ÖTV in den neuen Bundesländern

 

Normenkette

BGB §§ 611, 315; BetrVG § 77 Abs. 4, 6

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.10.1994; Aktenzeichen 3 (5) Sa 92/94)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 25.05.1994; Aktenzeichen 24 Ca 11778/93)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 12. Oktober 1994 – 3 (5) Sa 92/94 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin ist seit dem 1. November 1990 bei der beklagten Gewerkschaft (ÖTV) in deren Kreisverwaltung L. als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Sie verlangt, soweit in der Revision noch von Bedeutung, von der Beklagten für die Zeit vom 1. April 1991 bis zum 30. September 1992 eine Bezahlung in Höhe von 100 % der für die alten Bundesländer geltenden Gehaltssätze der Beklagten sowie die zusätzliche Bezahlung von wöchentlich 1,5 Arbeitsstunden mit der Begründung, sie habe regelmäßig 40 Stunden zu arbeiten gehabt, die zutreffende regelmäßige Arbeitszeit habe dagegen nur 38,5 Stunden pro Woche betragen.

Die Beklagte regelt die Arbeitsbedingungen ihrer Arbeitnehmer (ausgenommen die ihrer hier nicht interessierenden Wahlangestellten) durch kollektive Verträge, die zwischen dem Vorstand und dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossen werden und der Zustimmung des Beirates bedürfen (§ 32 Abs. 1 Unterabs. 1 der Satzung der ÖTV). Kommt es nicht zur Einigung, so entscheidet der Beirat als Schiedsstelle (§ 32 Abs. 1 Unterabs. 2 der Satzung der ÖTV). Die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat haben nach diesem Verfahren im Jahre 1985, geändert ab 1. Januar 1988 allgemeine Arbeitsbedingungen vereinbart (künftig: AAB-Bund). Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AAB-Bund beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit seit dem 1. April 1990 38,5 Stunden. Nach § 11 AAB-Bund sind Überstunden auf Anordnung geleistete Arbeitsstunden, die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nach § 10 Abs. 1 oder eine vereinbarte geringere Arbeitszeit hinausgehen (Abs. 1). Hierfür gibt es Freizeitausgleich, der notfalls abgegolten wird, und Überstundenzuschläge. Diese Bestimmungen waren frühestens zum 30. Juni 1992 ordentlich kündbar (§ 34 Abs. 3 AAB-Bund). Nach § 5 Abs. 1 AAB-Bund richtete sich die Bezahlung nach dem in gleicher Weise im Jahre 1983 vereinbarten kollektiven Vertrag über Vergütungsregelungen (künftig: VergRL-Bund). Sie enthalten neben allgemeinen Bestimmungen auch Tätigkeits- und Funktionsmerkmale (Vergütungsgruppen) sowie Gehaltstabellen. Die Gehaltstabellen werden wie Tarifverträge in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen durch ebenfalls kollektive Verträge geändert, vor dem Streitzeitraum zuletzt mit Wirkung vom 1. Mai 1990.

Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands erstreckte die beklagte Gewerkschaft ihre Organisation auf das Gebiet der ehemaligen DDR (Beitrittsgebiet). Die Beklagte hat den Standpunkt vertreten, im Beitrittsgebiet seien weder die AAB-Bund noch die VergRL-Bund anzuwenden. Dagegen hat der Gesamtbetriebsrat den Standpunkt eingenommen, diese Regelungen hätten für das ganze Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und damit auch für das Beitrittsgebiet Geltung, so daß auch dort die regelmäßige Arbeitszeit 38,5 Stunden pro Woche betrage und den Arbeitnehmern Gehalt in derselben Höhe wie in den alten Bundesländern zustehe. Die Beklagte hat hierauf die AAB-Bund und die VergRL-Bund am 30. Oktober 1990 fristlos und hilfsweise fristgemäß gekündigt.

Über diese Auseinandersetzung kam es zu einem Beschlußverfahren zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluß vom 28. April 1992 (– 1 ABR 68/91 – AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972 = EzA § 50 BetrVG 1972 Nr. 10 = SAE 1993, 155 ff., mit Anmerkung Sowka) festgestellt:

Die AAB-Bund wie auch die VergRL-Bund galten seit dem 3. Oktober 1990 auch für das Beitrittsgebiet. Die fristlosen Kündigungen dieser Regelungen sind unwirksam. Die Regelungen wirken aber nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfristen nicht nach.

Der Beirat der Beklagten beschloß am 21. Januar 1991 mit Rückwirkung zum 3. Oktober 1990 „Bestimmungen über allgemeine Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Gewerkschaft ÖTV im neuen Organisationsgebiet” (AAB-NO) sowie eine dazugehörige Vergütungsregelung (VergRL-NO). Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AAB-NO beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen 40 Stunden. § 11 AAB-NO enthält eine entsprechende Überstundenregelung wie § 11 AAB-Bund mit dem Zusatz, daß ein Freizeitausgleich, der innerhalb von dreizehn Wochen nicht möglich ist, abgegolten und dabei jede Stunde mit 1/172 der Vergütung berechnet wird; die Zuschläge fallen erst nach der 40. Wochenarbeitsstunde an. Die Vergütung betrug nach § 4 VergRL-NO zunächst „50 % der jeweiligen Vergütungstabelle” nach § 3 der VergRL-Bund.

Am 24. November 1992 beschloß der Beirat der Beklagten, die von Hauptvorstand und Gesamtbetriebsrat ausgehandelten Änderungen der Vergütungstabelle für die VergRL-NO zu genehmigen. Hiernach stiegen die Entgelte ab 1. Oktober 1992 auf 85 %, ab 1. April 1993 auf 92,5 % und ab 1. November 1993 auf 100 % der jeweils geltenden Vergütungstabelle der § 3 VergRL-Bund. Zugleich wurde die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für die Arbeitnehmer im neuen Organisationsgebiet ab 1. Januar 1993 auf 38,5 Stunden herabgesetzt. Am 21. Oktober 1993 unterzeichneten der geschäftsführende Hauptvorstand und der Gesamtbetriebsrat eine „Vereinbarung zur Konfliktbeilegung über das Schiedsstellenverfahren zur Vergütungsrunde 1993”, in deren Anlage rückwirkend weitere Gehaltsverbesserungen für die Beschäftigten der Gewerkschaft ÖTV aus dem Beitrittsgebiet bei dortigem Arbeitsort vereinbart wurden.

Die Klägerin und die Beklagte unterzeichneten am 25. Januar 1991 einen schriftlichen Arbeitsvertrag, in welchem es u.a. heißt:

„§ 4 Inhalt des Arbeitsverhältnisses

(1) Alle weiteren Arbeitsbedingungen ergeben sich aus den jeweils geltenden Bestimmungen über Allgemeine Arbeitsbedingungen für Beschäftigte aus den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sowie dem ehemaligen Ostteil Berlins und bei dortigem Arbeitsort, diese Bestimmungen sind Bestandteil dieses Arbeitsvertrages.

(2) Nebenabreden und Änderungen dieses Vertrages sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden.

§ 5 Vergütung

(1) Frau J. wird in die Vergütungsgruppe 3 Stufe 1 der jeweils geltenden Bestimmungen über eine Vergütungsregelung für die Beschäftigten der Gewerkschaft ÖTV aus den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sowie dem ehemaligen Ostteil Berlins und bei dortigem Arbeitsort eingruppiert, die monatliche Vergütung beträgt zur Zeit 1.605,00 DM brutto. Die Vergütung ist während der Probezeit am Ende des jeweiligen Monats, danach ist sie am ersten des Monats fällig.”

Die Klägerin wurde sodann höhergruppiert, nämlich ab 1. Februar 1991 in die Vergütungsgruppe 4 Stufe 1, ab 1. Januar 1992 in die Vergütungsgruppe 4 Stufe 2 und ab 1. Mai 1992 in die Vergütungsgruppe 5 Stufe 2.

Am 28. Januar 1993 schrieb die Klägerin an die Beklagte:

„Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes Geltendmachung der Ansprüche für den Zeitraum 01. April 1991 bis 30. September 1992

Hiermit mache ich meine Ansprüche aus dem am 28. April 1992 ergangenen BAG-Urteil – 1 ABR 68/91 – für den Zeitraum vom 01. April 1991 bis zum 30. September 1992 geltend.

Für den Zeitraum vom 01. November 1990 bis 31. März 1991 erfolgte bereits der Ausgleich auf 100 % der damals geltenden Vergütungstabellen West.

Ich bitte, die entsprechenden Zahlungen, gemäß den jeweils geltenden Vergütungstabellen West, auf meine Euch bekannte Bankverbindung vorzunehmen.

Daneben bitte ich zu berücksichtigen, daß ich in der Zeit vom 01. November 1990 bis zum 30. Juni 1992, eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden abgeleistet habe, auch dies im Widerspruch zu den geltenden Allgemeinen Anstellungsbedingungen für die Beschäftigten der Gewerkschaft ÖTV.

Somit fallen für diesen Zeitraum wöchentlich 1,5 Überstunden an.

Sollten bis zum 28. Februar 1993 die hiermit geltend gemachten Zahlungen nicht erfolgt sein, sehe ich mich gezwungen, meine Ansprüche über die Anrufung der Schiedsstelle – lt. Satzung § 32 a Ziff. 2, durchzusetzen.”

Unter dem 8. September 1992 hatte das Vorstandssekretariat der Beklagten bekanntgegeben:

„In ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber versichert die Gewerkschaft ÖTV, daß sie in einem möglichen Individual-Rechtsstreit zwischen Beschäftigten, die nach dem 03.10.1990 eingestellt wurden, und ihr wegen der Vergütungshöhe in den neuen Bundesländern auf die Einrede der Verjährung verzichtet.”

Mit ihrer am 9. November 1993 eingereichten Klage hat die Klägerin zunächst nur ihre Forderung nach Bezahlung in Höhe von 100 % nach der VergRL-Bund verfolgt. Sie hat die Auffassung vertreten, auf ihr Arbeitsverhältnis seien auch nach dem 31. März 1991 die Bestimmungen der AAB-Bund und der VergRL-Bund anzuwenden. Die Beklagte habe sich hiervon nicht wirksam lösen können. Diese Regelungen wirkten als Inhalt ihres Arbeitsvertrages weiter. Der Beiratsbeschluß vom 21. Januar 1991 sei mangels Unterzeichnung formunwirksam, verletze wegen seiner Rückwirkung das Gebot des Vertrauensschutzes und sei grob unbillig.

Mit Schriftsatz vom 24. März 1994, der Beklagten zugestellt am 31. März 1994, hat die Klägerin ihre Klage erweitert. Darin macht sie weiter geltend, die Beklagte schulde ihr die Bezahlung von wöchentlich 1,5 Stunden zuzüglich Überstundenzuschlag, und zwar auf der Basis der AAB-Bund und VergRL-Bund. Die wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden habe, sie mit Willen der Beklagten geleistet, zumindest habe die Beklagte aber diese Arbeitszeit billigend hingenommen. Auf die Einrede der Verjährung könne sich die Beklagte nicht stützen, hierauf habe sie vielmehr gem. der Mitteilung ihres Vorstandssekretariats vom 8. September 1992 verzichtet. Zumindest verstoße die Erhebung der Einrede der Verjährung gegen Treu und Glauben. Denn die Beklagte habe das notwendige Schiedsverfahren nicht betrieben und dessen Durchführung erst nach Ablauf der Verjährungsfrist abgelehnt.

Die Klägerin hat die Vergütungsdifferenz im ersten Rechtszug mit 25.159,35 DM berechnet. In ihrer Klageerweiterung hat die Klägerin sodann eine Forderung von insgesamt 29.149,68 DM errechnet. Darin ist neben der ursprünglich berechneten Vergütungsdifferenz ein weiterer Unterschiedsbetrag aus einer unrichtigen Eingruppierung für die Zeit vom 1. Februar 1991 bis 31. Juli 1991 in Höhe von 631,68 DM enthalten. Im übrigen handelt es sich um Forderungen für die aus der Sicht der Klägerin geleistete Mehrarbeit.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 29.149,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen p.a. auf die sich hieraus ergebenden monatlichen Nettodifferenzbeträge seit jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat entgegnet, der Klägerin stehe für die Zeit ab 1. April 1991 weder Vergütung in Höhe von 100 % der VergRL-Bund noch eine Bezahlung von Überstunden zu. Die AAB-Bund wie auch die VergRL-Bund hätten keine Nachwirkung und seien auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht anzuwenden. Vertraglich habe die Klägerin nur Anspruch darauf, nach den für das neue Organisationsgebiet geltenden Bestimmungen bezahlt zu werden. Hinsichtlich der Überstunden sei die Forderung der Klägerin verjährt; auf die Verjährungseinrede habe sie nicht verzichtet. Der Vergütungsdifferenzbetrag sei auch geringer als von der Klägerin berechnet, er betrage nur 24.066,61 DM.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 631,68 DM (Unterschiedsbetrag für die falsche Eingruppierung der Klägerin für die Zeit vom 1. Februar 1991 bis 31. Juli 1991) sowie in Höhe weiterer 2.030,84 DM (Überstundenvergütung auf der Basis der Bezahlung nach der VergRL-NO) stattgegeben. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage bis auf 631,68 DM nebst Zinsen (Vergütungsgruppenunterschied) abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat nur die Klägerin Revision eingelegt, mit der sie ihre ursprüngliche Klageforderung weiterverfolgt. Für die Zeit bis zum 31. März 1991 ist der Rechtsstreit vergleichsweise beigelegt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den noch anhängigen Teil der Klage zu Recht abgewiesen.

I. Die Klägerin hat für die Zeit vom 1. April 1991 bis zum 30. September 1992 keinen Anspruch auf Vergütung nach der für die alten Bundesländer geltenden Regelung.

1. Der Anspruch folgt nicht aus § 5 Abs. 1 AAB-Bund, § 3 VergRL-Bund in Verbindung mit § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG.

a) Auf die unmittelbare Geltung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) der (außerordentlich und zugleich) fristgemäß zum 31. März 1991 gekündigten VergRL könnte sich die Klägerin nur stützen, wenn dieser kollektive Vertrag als Gesamtbetriebsvereinbarung einschließlich der Gehaltstabelle nach Ablauf der Kündigungsfrist gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirkte. Nach § 77 Abs. 6 BetrVG gelten die Regelungen einer Betriebsvereinbarung über Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung nach deren Ablauf der Betriebsvereinbarung weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

b) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Bei der Vergütungsregelung (VergRL) sind die Voraussetzungen des § 77 Abs. 6 BetrVG hinsichtlich der Gehaltstabelle nicht gegeben. Insoweit handelt es sich nicht um einen Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11, Abs. 2 BetrVG). Die VergRL haben vorliegend ebenso wie die AAB tarifvertragsersetzende Funktion (vgl. BAG Beschluß vom 28. April 1992 – 1 ABR 68/91 – AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972 = EzA § 50 BetrVG 1972 Nr. 10 = SAE 1993, 155 mit Anm. von Sowka, zu V 3 der Gründe). Mittels dieser kollektiven betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen werden u.a. die Höhe der Arbeitsentgelte festgesetzt. Hinsichtlich der Höhe der Entgelte besteht kein zwingendes Mitbestimmungsrecht (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 9. Mai 1995 – 1 ABR 56/94 – AP Nr. 2 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle, zu B I 1 der Gründe; BAG Beschluß vom 14. Juni 1994 – 1 ABR 63/93 – AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B I der Gründe, jeweils m.w.N., zur Veröffentlichung auch in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

2. Auch aus dem Arbeitsvertrag der Parteien ergibt sich für die Zeit ab 1. April 1991 kein Anspruch auf eine Bezahlung in Höhe der Vergütungssätze nach der VergRL-Bund.

a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Bestimmungen über die Entgelthöhe in der zum 31. März 1991 gekündigten VergRL-Bund nicht Inhalt des Arbeitsvertrages geworden sind. Dies folgt bereits daraus, daß die Parteien in ihrem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 25. Januar 1991 ausdrücklich auf die Kollektivregelungen Bezug genommen haben, die für die bei der Beklagten im neuen Organisationsgebiet beschäftigten Arbeitnehmer aus dem Beitrittsgebiet gelten, nämlich die VergRL-NO und die AAB-NO. Die Parteien des Arbeitsvertrags haben damit gerade nicht die am 3. Oktober 1990 bestehenden Regelungen (AAB-Bund bzw. VergRL-Bund) zum Inhalt ihres Arbeitsvertrages gemacht. Ob beim Abschluß des Arbeitsvertrags die AAB-NO bzw. VergRL-NO bereits wirksam zustande gekommen waren, ist unerheblich. Jedenfalls ist die Anwendung der bereits bei Beginn des Arbeitsverhältnisses bestehenden AAB-Bund bzw. VergRL-Bund nicht vereinbart worden. Nach den Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien auch nicht stillschweigend vereinbart, daß von Anfang an, zumindest ab 1. April 1991, für die Klägerin die gekündigte VergRL-Bund bis zur Ablösung durch eine andere Regelung gelten sollte.

b) Die Revision vertritt die Auffassung, trotz fehlender Nachwirkung müsse es die Beklagte als Arbeitgeber, der in freier Selbstbestimmung Regelungen mit dem Gesamtbetriebsrat über die Vergütungshöhe treffe, hinnehmen, daß die kollektiven Regelungen (AAB-Bund und VergRL-Bund) nach ihrem Wegfall jedenfalls individuell weitergälten, bis eine rechtmäßige andere Regelung mit dem Gesamtbetriebsrat gefunden worden sei. Das ist nicht richtig. Es fehlt an einem Rechtssatz, aus dem sich ergibt, daß Regelungsinhalte einer nicht zwingenden kollektiven Regelung bzw. Betriebsvereinbarung trotz fehlender Nachwirkung von Gesetzes wegen zum Bestandteil des Arbeitsvertrages werden oder wie ein solcher wirken. Die Wirkung der VergRL-Bund für das Arbeitsverhältnis der Parteien beruhte bis zum 31. März 1991 ausschließlich auf § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Auch das Beitrittsgebiet zählt zum räumlichen Geltungsbereich der am 3. Oktober 1990 bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarungen AAB-Bund bzw. VergRL-Bund (BAG Beschluß vom 28. April 1992 – 1 ABR 68/91 – AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972 = EzA § 50 BetrVG 1972 Nr. 10 = SAE 1993, 155 mit Anm. von Sowka). Auf die von der Revision ins Feld geführte Frage der Ablösung dieser Regelungen durch anderweitige kollektive Regelungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

3. Auch nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz steht der Klägerin kein Anspruch auf Bezahlung in Höhe der Vergütungssätze zu, die die Beklagte für ihre Arbeitnehmer in den alten Bundesländern anwendet. Die entsprechenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind nicht zu beanstanden.

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht zur Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich des Arbeitsentgelts entwickelt hat. Hiernach hat der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln. Verboten ist nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. statt vieler: Urteil vom 23. August 1995 – 5 AZR 293/94 – AP Nr. 134 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zur Veröffentlichung auch in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu II 1 der Gründe, m.w.N.).

b) Die beklagte Gewerkschaft hat eine Gruppenbildung vorgenommen. Sie hat entschieden, vorübergehend für die Arbeitnehmer im Beitrittsgebiet ein eigenständiges Regelungswerk sowohl hinsichtlich der AAB als auch hinsichtlich der VergRL zu schaffen. Wesentliche Abweichungen gegenüber den für die Arbeitnehmer in den alten Bundesländern geltenden Regelungen liegen darin, daß die regelmäßige Arbeitszeit nicht 38,5 Stunden, sondern 40 Stunden wöchentlich betrug und am Anfang die Vergütung nur 50 % des in den alten Bundesländern gezahlten Entgeltes erreichte und sodann stufenweise an 100 % der Sätze nach der VergRL-Bund herangeführt wurde.

c) Die Klägerin hält diese Gruppenbildung für sachwidrig, weil hier wie dort dieselben Tätigkeiten zu verrichten seien und sich die Lebensumstände nicht wesentlich unterschieden. Dem folgt der Senat nicht. Die Gruppenbildung ist nicht sachwidrig. Die anfangs gravierenden, dann zügig abgebauten Unterschiede hinsichtlich der materiellen Bedingungen des Leistungsaustausches sind ebenfalls nicht sachwidrig. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf die politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte hingewiesen, die es einerseits für die Beklagte als Gewerkschaft geboten erscheinen ließen, in den neuen Bundesländern von Anfang an präsent zu sein, andererseits jedoch die Grenzen der eigenen finanziellen Möglichkeiten zu beachten. Auch die Anpassungsschritte der Beklagten erweisen sich insgesamt sowohl der Höhe nach als auch in zeitlicher Hinsicht als sachgerecht.

II. Auch hinsichtlich der Bezahlung von wöchentlich 1,5 Stunden „Mehrarbeit” für die Zeit vom 1. April 1991 bis zum 30. September 1992 ist die Revision nicht begründet.

1. Der Klägerin steht für die Zeit vom 1. April 1991 bis zum 30. Juni 1992 kein Anspruch auf Bezahlung von wöchentlich 1,5 Mehrarbeitsstunden zu. Auch insoweit fehlt es an einer Anspruchsgrundlage. Zu Unrecht meint die Klägerin, sich insoweit auf die Arbeitszeit- und Überstundenregelung in den §§ 10, 11 AAB-Bund stützen zu können. Diese Regelungen besagen über die der Klägerin für ihre Arbeitsleistung zustehende Gegenleistung nichts.

a) Bis zu diesem Zeitpunkt (30. Juni 1992) haben zwar nach § 77 Abs. 4 BetrVG die Regelungen über die regelmäßige Arbeitszeit, die Überstunden und die Überstundenvergütung (§§ 10 und 11 AAB-Bund) im Beitrittsgebiet gegolten. Diese Bestimmungen konnten erstmals zum 30. Juni 1992 gekündigt werden. Gleichwohl steht der Klägerin für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Überstundenvergütung zu. Denn das Arbeitsentgelt, das der Klägerin für diese Zeit regelmäßig gezahlt worden ist, ist von der Beklagten für eine regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche gezahlt worden. Dies folgt aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Die AAB-NO, auf die der Arbeitsvertrag verweist, sehen eine regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden vor; das hierfür, nämlich für 40 Arbeitsstunden pro Woche, gezahlte Entgelt haben die Parteien in § 5 ihres Arbeitsvertrages (mit späteren Änderungen) ausdrücklich vereinbart.

b) Dieser Vereinbarung steht die zwingende Geltung der Arbeitszeitregelung in §§ 10, 11 AAB-Bund deswegen nicht entgegen, weil darin über die Höhe des Arbeitsentgelts nichts gesagt ist. Die Höhe der Gegenleistung war zwar in der VergRL-Bund geregelt; diese galt für das Arbeitsverhältnis der Parteien jedoch nicht kraft Vereinbarung, sondern nur nach § 77 Abs. 4 BetrVG und hatte mit dem 31. März 1991 ihre Wirkung verloren. Deswegen war es möglich, daß die Parteien in ihrem Arbeitsvertrag – zumindest was die Frage des Arbeitsentgelts betrifft – eine wirksame Regelung trafen, die auch das Verhältnis der regelmäßigen Arbeitszeit zum Arbeitsentgelt veränderte und nicht nur die Höhe des Arbeitsentgeltes selbst. Der Umstand, daß diese Regelung bis zum 31. März 1991 durch die AAB-Bund in Verbindung mit der VergRL-Bund überlagert war, ändert an der Wirksamkeit der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nichts. Dies folgt aus dem Günstigkeitsprinzip (BAG (GS) Beschluß vom 16. September 1986 – GS 1/82BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972).

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Bezahlung der Mehrarbeit von wöchentlich 1,5 Stunden für den Zeitraum vom 1. Juli 1992 bis zum 30. September 1992. Als Rechtsgrundlagen für das Begehren der Klägerin kommen insoweit wiederum nur die Arbeitszeitregelungen nach §§ 10, 11 AAB-Bund in Betracht. Diese haben aber zu diesem Zeitpunkt für das Arbeitsverhältnis der Klägerin keine Wirkung mehr gehabt. Sie sind infolge der ordentlichen. Kündigung zum 30. Juni 1992 erloschen. Sie haben keine Nachwirkung.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Buschmann, Frey

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1089201

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