Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag wegen Tätigkeit für das MfS

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 23.05.1995; Aktenzeichen 12 Sa 31/95)

ArbG Berlin (Urteil vom 18.01.1995; Aktenzeichen 93 Ca 20349/94)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 23. Mai 1995 – 12 Sa 31/95 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) gestützten außerordentlichen Kündigung sowie einer vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

Der 1941 geborene Kläger war seit 1958 bei der Deutschen Post der ehemaligen DDR im Fernmeldedienst beschäftigt. Zuletzt war er dort als Ingenieur für Fernsprech- und Fernmeldetechnik tätig.

Im Jahre 1968 wurde der Kläger kurz vor seiner Studienabschlußprüfung von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (fortan: MfS) auf eine inoffizielle Tätigkeit für das MfS angesprochen. Am 16. Mai 1968 unterschrieb der Kläger folgende Erklärung:

„Ich verpflichte mich freiwillig das Ministerium für Staatssicherheit aktiv zu unterstützen. Über meine Zusammenarbeit mit dem MfS werde ich gegenüber jedermann strengstes Stillschweigen bewahren.

Für die Zusammenarbeit wähle ich den Decknamen „M.”, mit dem ich in Zukunft meine Berichte unterzeichnen werde.”

In der Folgezeit war der Kläger bis Ende 1976 als inoffizieller Mitarbeiter (fortan: IM) für das MfS tätig. In dieser Zeit kam es zu 95 Treffen mit Mitarbeitern des MfS, zu 52 handschriftlichen Berichten des Klägers sowie 72 auf seinen Informationen beruhenden Berichten der Führungsoffiziere. Der Kläger gab dabei auch personenbezogene Informationen über Arbeitskollegen an das MfS. So berichtete der Kläger im Juni 1973 auch über die von einem Kollegen geäußerten Gedanken einer Republikflucht. Am 4. März 1975 erhielt der Kläger vom MfS 100,– Mark „für die gezeigte Einsatzbereitschaft anläßlich des 25. Jahrestages der Bildung des MfS”.

Am 3. Oktober 1990 wurde der Kläger von der Beklagten, der damaligen Deutschen Bundespost Telekom übernommen und zuletzt als Kundenberater zu einem monatlichen Bruttoentgelt von ca. 7.000,00 DM beschäftigt. In einem vom Kläger am 19. April 1991 unterzeichneten Personalfragebogen verneinte er die formularmäßige Frage, ob er jemals Mitarbeiter des MfS gewesen sei. In einem Antrag vom 10. Oktober 1992 auf Anerkennung von Vordienstzeiten strich er das für die Eintragung von Art und Dauer jeglicher Tätigkeit für das MfS vorgesehene Feld durch.

Am 20. Januar 1994 erhielt die Beklagte die den Kläger betreffende Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Gauck-Behörde). In einer Anhörung vom 10. März 1994 räumte der Kläger seine in dem Gauck-Bericht zusammenfassend dargestellte Tätigkeit für das MfS ein. Im Mai 1994 trat der Kläger als Personalratsmitglied zurück. Mit Schreiben vom 8. Juni 1994 empfahl die Generaldirektion der Beklagten dem Leiter der Direktion Telekom Berlin, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich zu kündigen. Mit einem Schreiben vom 29. Juni 1994 stimmte der Personalrat der von der Beklagten beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zu. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Juni 1994 das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen dessen Tätigkeit für das MfS fristlos, vorsorglich mit Ablauf des 30. September 1994 im Wege der ordentlichen Kündigung. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 30. Juni 1994 zu.

Mit der am 7. Juli 1994 eingereichten Kündigungsschutzklage hat der Kläger die Unwirksamkeit der außerordentlichen und der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung geltend gemacht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es müsse zu seinen Gunsten gewertet werden, daß er nicht freiwillig für das MfS berichtet habe. Die Mitarbeiter des MfS seien wenige Stunden vor seiner mündlichen Prüfung zum Ingenieur wegen einer Zusammenarbeit an ihn herangetreten. Wegen seiner schlechten Vornoten in den Fächern Sozialismus und Marxismus/Leninismus habe er befürchten müssen, die Abschlußprüfung nicht zu bestehen. Keinem seiner Kollegen sei durch die Berichte ein Nachteil entstanden. Seine Tätigkeit für das MfS sei wegen seiner mangelnden „Treffdisziplin” und der Nichtverwertbarkeit der Berichte vom MfS abgebrochen worden. Seine ablehnende Haltung gegenüber der in der DDR herrschenden politischen Doktrin ergebe sich auch aus mehreren internen Schreiben seiner früheren Dienststelle aus den Jahren 1982 bis 1987, in denen ihm „Mißachtung gesellschaftlicher Tätigkeit” vorgeworfen worden sei. Das Verschweigen der IM-Tätigkeit sei die einzige Möglichkeit gewesen, sich die Rechte aus der Anerkennung früherer Dienstzeiten zu sichern. Im übrigen sei die Kündigung erst fünf Monate nach Kenntnis der Beklagten und damit verspätet erfolgt. Zudem unterfalle die Beklagte seit dem 1. Januar 1995 nicht mehr dem Einigungsvertrag, da sie seit diesem Zeitpunkt in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden sei. Damit sei er auch nicht mehr im öffentlichen Dienst tätig. Die ordentliche Kündigung sei bereits wegen des nachwirkenden Kündigungsschutzes als Personalrat unwirksam.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 29. Juni 1994 aufgelöst worden sei.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund der Tätigkeit des Klägers für das MfS sei ihr ein weiteres Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar. Der Kläger habe über Mitarbeiter seiner Dienststelle berichtet und dabei auch private und familiäre Verhältnisse nicht ausgespart. Erschwerend komme hinzu, daß er die Tätigkeit für das MfS im Personalfragebogen und beim Antrag auf Anerkennung von Dienstzeiten verschwiegen habe. Die Kündigung sei nicht verspätet erfolgt, weil eine Abstimmung mit der Generaldirektion und die Sicherstellung einheitlicher Entscheidungskriterien notwendig gewesen seien.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. Juni 1994 nicht aufgelöst worden.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung sei weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung wirksam.

Die einigungsvertraglichen Kündigungsvorschriften seien anwendbar. Im Zeitpunkt der Kündigung habe die Beklagte noch nicht als Aktiengesellschaft existiert, sondern zum öffentlichen Dienst gehört.

Die außerordentliche Kündigung sei unwirksam, weil der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsvertrag mit dem Kläger zumutbar sei. Zwar sei das Maß der Verstrickung des Klägers mit der achtjährigen IM-Tätigkeit für das MfS nicht unerheblich. Auch müsse berücksichtigt werden, daß der Kläger nicht nur über Banalitäten berichtet, sondern auch personenbezogene Informationen geliefert habe. In einem Fall habe der Kläger sogar über einen von einem Arbeitskollegen geäußerten Gedanken einer „Republikflucht” berichtet. Der durch solche personenbezogene Informationen deutlich gewordene Vertrauensbruch gegenüber Arbeitskollegen lasse sich auch nicht dadurch beschönigen, daß negative Auswirkungen für die betroffenen Personen nicht bekanntgeworden seien. Auch sei zu Lasten des Klägers zu werten, daß seine Arbeit für das MfS trotz der eher negativen Einschätzung seines Führungsoffiziers nicht vollkommen wertlos gewesen sei. Dies zeige sich in der noch im März 1975 erhaltenen Zuwendung von 100,– Mark anläßlich des 25-jährigen Bestehens des MfS. Das Maß der Verstrickung relativiere sich jedoch bereits durch die Art und Weise, wie der Kläger für die inoffizielle Mitarbeit geworben wurde. Der Kläger sei dem Ansinnen des MfS im wesentlichen aus der Sorge gefolgt, ansonsten die Abschlußprüfung wegen seiner schlechten Noten in den Fächern Sozialismus und Marxismus/Leninismus nicht zu bestehen. Ganz wesentlich sei zu berücksichtigen, daß der Kläger die Personenaufklärung nicht mit dem erforderlichen Nachdruck betrieben und auch vereinbarte Treffen nicht eingehalten habe. Deshalb sei der Kläger nach den Vermerken seines Führungsoffiziers für eine „Spitzeltätigkeit” nicht hinreichend geeignet gewesen. Dies und die mangelnde „Treffdisziplin” hätten den Führungsoffizier schließlich veranlaßt, die Zusammenarbeit mit dem Kläger zu beenden. Eine solche schleppende IM-Tätigkeit des Klägers lasse erkennen, daß er sich nicht in einem so hohen Maße mit den Methoden und Zielen des MfS identifiziert habe. Letztlich habe der Kläger sich aus eigenem Antrieb aus der Verstrickung in das Unterdrückungssystem des MfS gelöst. Weiterhin sei zu berücksichtigen, daß seine bereits 1976 beendete Tätigkeit für das MfS im Zeitpunkt der Übernahme in den öffentlichen Dienst der Beklagten schon 14 Jahre zurückgelegen habe. Auch sei das Erscheinungsbild des öffentlichen Dienstes deshalb nicht so belastet, weil der Kläger den öffentlichen Dienst nicht in besonders gehobener Stellung repräsentiere. Als „Produktberater” sei der Kläger nicht im Kernbereich des öffentlichen Dienstes tätig. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände erscheine ein Festhalten am Arbeitsverhältnis des Klägers für die Beklagte zumutbar.

Eine davon abweichende Bewertung käme nur in Betracht, wenn bei der im Rahmen von Abs. 5 Ziff. 2 EV anzustellenden Interessenabwägung zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen wäre, daß er die zulässige Frage nach seiner früheren Tätigkeit für das MfS vorsätzlich falsch beantwortet habe. Diese Berücksichtigung sei jedoch nicht zulässig. Bereits der Wortlaut von Abs. 5 Ziff. 2 („deshalb”) spreche für die alleinige Verknüpfung der Zumutbarkeitsprüfung mit der Tätigkeit für das MfS. Zum anderen werde das Erscheinungsbild des öffentlichen Dienstes, das nicht durch Arbeitnehmer mit MfS-Vergangenheit beeinträchtigt werden solle, durch die falsche Beantwortung der Frage nicht in besonderer Weise zusätzlich belastet.

Die außerordentliche Kündigung sei auch nicht nach § 626 BGB gerechtfertigt. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die falsche Beantwortung der Frage nach der Tätigkeit für das MfS ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB sei. Die Beklagte habe jedenfalls die zweiwöchige Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt.

Die von der Beklagten hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil sie gegen den nachwirkenden Kündigungsschutz des Klägers als Personalratsmitglied nach § 15 Abs. 2 Satz 2 KSchG verstoße.

B. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der Kündigung nach den Kündigungsregelungen des Einigungsvertrages geprüft. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Der Kläger war als Arbeitnehmer der Deutschen Post der ehemaligen DDR Angehöriger des öffentlichen Dienstes (vgl. Urteil des Senats vom 18. März 1993 – 8 AZR 479/92 – n. v.). Am 3. Oktober 1990 wurde er von der Deutschen Bundespost Telekom übernommen und dort weiterhin im öffentlichen Dienst beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis des öffentlichen Dienstes konnte grundsätzlich nach Abs. 5 EV gekündigt werden. Durch Umwandlung der Deutschen Bundespost Telekom in eine Aktiengesellschaft konnte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis des öffentlichen Dienstes nur dann am 1. Januar 1995 in ein Arbeitsverhältnis der Privatwirtschaft umgewandelt werden, wenn es nicht vorher wirksam gekündigt worden war. Die Wirksamkeit der Kündigung richtet sich nach den im Kündigungszeitpunkt maßgeblichen Regelungen des Einigungsvertrages über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung. Dabei spielt es keine Rolle, daß nach der im Jahre 1994 ausgesprochenen Kündigung die Beklagte ab 1. Januar 1995 in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft auftritt, so daß der Kläger auch bei Unwirksamkeit der Kündigung seit 1995 dem öffentlichen Dienst nicht mehr angehört.

1. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV liegt wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann vor, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX).

Aus der Eingenständigkeit der Kündigungsregelung Abs. 5 Ziff. 2 EV folgt, daß es keiner doppelten Unzumutbarkeitsprüfung bedarf. Die Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung bestimmen sich allein nach Abs. 5 EV, der eine zusätzliche Interessenabwägung nach den Maßstäben des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorsieht. Zum anderen findet § 626 Abs. 2 BGB keine Anwendung. Diese Regelung bezieht sich nach ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung nicht auf eine außerordentliche Kündigung gemäß Abs. 5 EV. Anders als § 626 BGB stellt Abs. 5 EV nicht darauf ab, ob ein Festhalten am Arbeitsverhältnis „bis zu einem ordentlichen Kündigungstermin” zumutbar erscheint. Er bringt vielmehr zum Ausdruck, bei Beschäftigten, die die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen, sei nicht hinzunehmen, daß sie überhaupt länger im öffentlichen Dienst verbleiben. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob der Arbeitgeber durch eine ungebührliche Verzögerung seinem eigenen Verhalten zuwiderhandelt oder einen Verwirkungstatbestand setzt.

Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine „Mußbestimmung”. Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4, a.a.O., zu B II 1 c der Gründe). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben.

Die Tätigkeit eines inoffiziellen Mitarbeiters ist häufig nach außen nicht erkennbar geworden. Ein inoffizieller Mitarbeiter arbeitete typischerweise verdeckt. Dennoch kann es nicht darauf ankommen, ob ein inoffizieller Mitarbeiter nicht entdeckt wurde und deshalb seine Tätigkeit für das MfS nicht bekannt ist. Im Fall eines inoffiziellen Mitarbeiters ist darauf abzustellen, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit für das MfS in einer Weise beeinträchtigt wird, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht aufgebaut werden auf der Annahme, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden.

Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat. Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 415/92 – NJ 1993, 379).

2. Nach diesen Grundsätzen ist der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zumutbar. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Einzelfallprüfung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Kläger sei im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV für das MfS tätig gewesen. Der Kläger hat aufgrund einer Verpflichtungserklärung von 1968 bis Ende 1976 als inoffizieller Mitarbeiter dem MfS mündlich und schriftlich über seine Dienststelle und seine Arbeitskollegen berichtet. Der Kläger hat somit bewußt und final für das MfS gearbeitet.

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht die persönliche Verstrickung des Klägers mit dem MfS als nicht so hoch angesehen, daß der Beklagten die weitere Beschäftigung nicht zumutbar wäre. Dabei hat es den Grad der Verstrickung zutreffend nach Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit des IM sowie Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS bewertet.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit des Klägers für das MfS als erheblich angesehen. Der Kläger hat acht Jahre zahlreiche mündliche und schriftliche Berichte auch aus dem persönlichen Bereich seiner Arbeitskollegen erstattet. Besonders fällt ins Gewicht, daß er auch über die von einem Arbeitskollegen geäußerten Überlegungen zu einer „Republikflucht” berichtete.

Die Art und Weise seiner Anwerbung kann den Kläger nicht entscheidend entlasten. Die Sorge um seine Abschlußprüfung könnte die Verpflichtungserklärung des Klägers nur dann verständlich machen, wenn die Mitarbeiter des MfS gedroht hätten, auf das Prüfungsergebnis Einfluß zu nehmen. Das hat der Kläger aber selbst nicht behauptet.

Stärker spricht zu Gunsten des Klägers, daß er ab 1976 seine IM-Tätigkeit nicht mehr mit dem erforderlichen Nachdruck betrieb und somit selbst die Beendigung seiner Berichtstätigkeit provozierte, weil er für eine „Spitzeltätigkeit” nicht mehr hinreichend geeignet erschien. Immerhin hatte der Kläger anschließend 14 Jahre nichts mehr mit dem MfS zu tun. In dienstlichen Schreiben aus den Jahren 1982 und 1987 wurde ihm „Mißachtung gesellschaftlicher Tätigkeit” vorgeworfen. Unter diesen Umständen war das Maß der Verstrickung des Klägers mit dem MfS im Kündigungszeitpunkt nicht mehr als besonders hoch zu bewerten.

Hinzu kommt, daß der Kläger als „Telekom-Produktberater” keine besonders verantwortliche Stellung im öffentlichen Dienst einnahm.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht bei der Zumutbarkeitsprüfung die falsche Auskunft im Personalfragebogen unberücksichtigt gelassen. Bei dieser falschen Antwort geht es weder um den Grad der Verstrickung des Arbeitnehmers durch seine frühere Tätigkeit für das MfS noch um die Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des öffentlichen Dienstes durch diese Tätigkeit. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das MfS tätig war und „deshalb” ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Die Unzumutbarkeit im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV muß daher aus der Tätigkeit für das MfS folgen und darf nicht erst aus der Falschbeantwortung der Frage nach dieser Tätigkeit hergeleitet werden.

Das Landesarbeitsgericht hat daher ohne Rechtsfehler ein Festhalten des Beklagten am Arbeitsverhältnis des Klägers nicht als unzumutbar im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV angesehen.

III. Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht nach § 626 BGB gerechtfertigt. Zwar kann die falsche Beantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB sein. Wie das Landesarbeitsgericht aber zutreffend festgestellt hat, hat die Beklagte die

Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht eingehalten.

IV. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung an dem nachwirkenden Kündigungsschutz des Klägers als Personalrat scheitert. Der Kläger war noch bis Mai 1994 Mitglied des Personalrats. Innerhalb eines Jahres nach Beendigung seiner Tätigkeit war seine ordentliche Kündigung unzulässig (§ 15 Abs. 2 Satz 2 KSchG).

C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Mache, Umfug

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093162

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