Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS. Falschbeantwortung

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; BGB § 626; KSchG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Brandenburg (Urteil vom 21.06.1995; Aktenzeichen 4 Sa 874/94)

ArbG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 10.11.1994; Aktenzeichen 2 Ca 1675/94)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 21. Juni 1995 – 4 Sa 874/94 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) gestützten außerordentlichen Kündigung sowie einer vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

Die 1951 geborene Klägerin unterschrieb zu ihrer Zeit als Medizinstudentin am 22. April 1975 eine Verpflichtung zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Darin wählte sie den Decknamen „D”.

Vom MfS wurde die Klägerin als inoffizielle Mitarbeiterin mit vertraulichen Beziehungen zu im Vorgang bearbeiteten Personen (IMV) geführt. Es fanden mehrere Treffen zwischen Mitarbeitern des MfS und der Klägerin statt. 1975 erhielt die Klägerin ein Sachgeschenk vom MfS sowie zweimal 50,00 M.

Während ihrer Tätigkeit für das MfS suchte die Klägerin u.a. auftragsgemäß die Frau von W. B. nach dessen Ausbürgerung auf, die sie vom Studium her kannte. Ziel des Auftrages war es, nach einem Treffbericht vom 24. November 1976, diese „für uns zu gewinnen, sie auf unsere Seite zu ziehen und sie nicht dem Gegner zu überlassen”. Die Klägerin berichtete dem MfS nach Besuchen über die Gesprächsinhalte und ihre Einschätzung der Verfassung von Frau B.

Darüber hinaus berichtete die Klägerin u.a. über einen Mitstudenten und einen Arzt in der Klinik. In dem Treffbericht vom 2. März 1977 ist eine Information der Klägerin über Dr. (geschwärzt) u.a. folgenden Inhalts festgehalten:

„Der IM schätzt ein, daß der (geschwärzt) fachlich überdurchschnittliche Leistungen bringt, besonders als Operateur. Er besitzt eine starke Persönlichkeit, die die Tendenz zum Extravaganten hat.

Auf sexuellem Gebiet zeigt er starke Aktivitäten, die schon fast als krankhaft zu bezeichnen sind. Zu jeder Frau, die ihm einigermaßen zusagt, möchte er intime Beziehungen aufnehmen. Dabei macht er weder vor seinen Schwestern noch seinen Patienten Halt. …”

Gemäß Schlußbericht des MfS vom 10. Dezember 1979 wurden die Akten des IMV wegen objektiver Nichteignung für die weitere inoffizielle Zusammenarbeit abgelegt. In diesem Bericht wurde u.a. ausgeführt:

„Nachdem die ursprüngliche Aufgabe des Einsatzes des IMV zur Bearbeitung der Personen … gelöst war, gelang es nicht, mit dem IMV eine weitere kontinuierliche Zusammenarbeit zu entwickeln. Der IMV blieb trotz mehrerer ernsthafter Vorwürfe mehrmals unentschuldigt den Treffs fern, er zog sich immer mehr von der Zusammenarbeit zurück.

Seit März 1979 ist die Verbindung zum IMV abgerissen, da der IM trotz mehrmaliger schriftlicher Aufforderungen nicht mehr zum Treff erschienen ist und sich nicht mehr gemeldet hat.”

Am 15. Juni 1988 schloß die Klägerin mit dem Kreiskrankenhaus und Poliklinik R. einen Qualifizierungsvertrag für die Weiterbildung zum Facharzt, die auf fünf Jahre befristet war. Seit dem 3. Januar 1991 war die Klägerin bei dem Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgänger als angestellte Ärztin im jugendärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes tätig. Zugrunde lag ein „Übernahmevertrag”, nach dem die Klägerin von dem Kreiskrankenhaus und Poliklinik übernommen wurde und die Zeiten beim Kreiskrankenhaus und Poliklinik R. angerechnet wurden. Zum Aufgabenbereich der Klägerin im Gesundheitsamt gehörten u.a. Reihenuntersuchungen in Schulen und Kindergärten sowie die Mütterberatung.

Am 29. März 1992 beantwortete die Klägerin folgende Fragen in einem Personalfragebogen mit „nein”:

„Sind Sie für das frühere MfS/AfNS oder für eine der Untergliederungen dieser Ämter oder vergleichbare Institutionen tätig gewesen oder ausgebildet worden?

Haben Sie finanzielle Zuwendungen von einer der genannten Stellen erhalten?

Haben Sie eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit einer der genannten Stellen unterschrieben?”

In einer Ehrenerklärung vom 7. März 1994 führte die Klägerin aus:

„Hiermit erkläre ich, daß ich weder im Auftrag noch als Mitarbeiter des ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen bin, insbesondere keine Mitbürger denunziert oder Beihilfe bei der Verfolgung anderer geleistet habe.

Sollten sich entgegen dieser meiner Ehrenerklärung, Beziehungen zum ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit im o.g. Sinne herausstellen, bin ich mit meiner fristlosen Kündigung einverstanden.”

Mit Schreiben vom 11. Mai 1994 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR dem Beklagten u.a. mit, daß die Klägerin von 1975 bis 1979 für das MfS als IMV tätig gewesen sei und darüber bei den Akten 16 Treffberichte und 21 schriftliche Berichte des Führungsoffiziers vorlägen.

Nach einer Anhörung der Klägerin am 30. Mai 1994 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 31. Mai 1994 fristlos. Dieses Schreiben ging der Klägerin am 1. Juni 1994 zu. Mit Schreiben vom 15. Juni 1994, das der Klägerin am 16. Juni 1994 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich ordentlich zum 31. Dezember 1994. Der Personalrat hatte beiden Kündigungen zuvor zugestimmt.

Mit Klage und Klageerweiterung hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Kontaktherstellung durch das MfS sei unter Ausnutzung ihres damals ausgeprägten jugendlichen Gerechtigkeitsgefühls erfolgt. Zu berücksichtigen sei, daß sie die Kontakte zum MfS beendet habe, weil sie zunehmend in Gewissenskonflikte geraten sei.

Bei den Angaben im Personalbogen habe sie Angst gehabt, daß bei einer positiven Auskunftserteilung ein unbestimmter Kreis von Mitarbeitern des Beklagten unberechtigt Kenntnis von dieser persönlichen Information erhalten werde. Zudem habe sie befürchtet, bei der Angabe ihrer Tätigkeit für das MfS ihre familiären, persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu gefährden. An die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung und an die Zuwendungen habe sie sich beim Ausfüllen des Fragebogens nicht erinnert.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 31. Mai 1994 noch durch die ordentliche Kündigung vom 15. Juni 1994 aufgelöst worden sei.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, das jugendliche Alter der Klägerin im Zeitpunkt ihrer Tätigkeit für das MfS sei kein entschuldbarer Grund für ihre Handlungsweise. Die Bereitschaft der Klägerin, bei ihren Berichten in menschliche Privat- bzw. Intimsphären einzudringen, wirke schwerwiegend. Aufgrund der bewußten wahrheitswidrigen Angaben der Klägerin sei sie ungeeignet für den öffentlichen Dienst. Das erforderliche Vertrauensverhältnis sei nicht mehr gegeben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts (§ 565 Abs. 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Weder die außerordentliche noch die ordentliche Kündigung sei wirksam.

Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV sei unwirksam, weil dem Beklagten ein Festhalten am Arbeitsvertrag mit der Klägerin zumutbar sei. Zwar sei von einer tiefen Verstrickung der Klägerin während ihrer Tätigkeit für das MfS auszugehen. Insbesondere im Fall „C. B.” und im Fall des „Arztes aus der Klinik” habe die Klägerin Informationen an das MfS gegeben, die tief in den Privatbereich der Betreffenden hineingereicht hätten. Zugunsten der Klägerin sei jedoch zu werten, daß sie sich schon elf Jahre vor dem Beitritt und fünfzehn Jahre vor den Kündigungen aus dieser Verstrickung und vom MfS gelöst habe, obwohl sie – wie der Abschlußbericht des MfS ausweise – mehrmals schriftlich aufgefordert worden sei, zu Treffen zu erscheinen. Dies beweise, daß die Klägerin, die in jungen Jahren während ihres Studiums in die Arbeit des MfS verstrickt worden sei, schon im Alter von 27 Jahren erkannt habe, daß dies, was sie getan habe, nicht richtig gewesen sei, sich vom MfS abgewandt habe und trotz Dringens des MfS konsequent diese Tätigkeit beendet habe. Eine solche Vorgehensweise lasse zwar die vorhergehende Handlungsweise nicht unbedeutend werden, mache aber deutlich, welche Wandlung die Klägerin schon zu diesem Zeitpunkt vollzogen habe. Unter diesen Umständen erscheine ein Festhalten am Arbeitsverhältnis dem Beklagten nach fünfzehn Jahren, in denen die Klägerin keinerlei Kontakte mehr zum MfS gehabt habe, nicht unzumutbar, auch wenn die Klägerin als Ärztin eine herausgehobene Funktion bei dem Beklagten habe.

Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei auch nicht gem. § 626 BGB wegen der Falschangaben der Klägerin im Personalfragebogen und in der Ehrenerklärung gerechtfertigt. Hinsichtlich der Fragen nach Abgabe einer Verpflichtungserklärung und nach Zuwendungen durch das MfS sei die Kammer nicht davon überzeugt, daß diese Fragen bewußt falsch beantwortet worden seien. Es müsse davon ausgegangen werden, daß diese beiden Umstände der Klägerin 1992 nicht mehr in Erinnerung gewesen seien. Hinsichtlich ihrer Tätigkeit für das MfS habe die Klägerin allerdings bewußt die Unwahrheit gesagt. Ob die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS generell geeignet sei, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, könne dahingestellt bleiben. Jedenfalls sei eine außerordentliche Kündigung wegen dieser Falschbeantwortung dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tätigkeit an sich nicht zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Abs. 5 Ziff. 2 EV berechtige.

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 15. Juni 1994 zum 31. Dezember 1994 aufgelöst worden. Auf Abs. 4 Ziff. 1 EV könne die ordentliche Kündigung nicht gestützt werden, weil diese Vorschrift im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht mehr gegolten habe. Eine Verhaltens- oder personenbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG sei sozial nicht gerechtfertigt. Es müsse die persönliche Situation der Klägerin bei Abgabe der falschen Erklärungen berücksichtigt werden. Die Klägerin als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, denen sie Unterhalt zu leisten hatte, habe die unrichtigen Angaben zum Schutze ihrer Familie gemacht. Die Kammer sei überzeugt, daß die Klägerin trotz ihres Fehlverhaltens in der Vergangenheit ihre Tätigkeit als Ärztin, auch in bezug auf charakterliche Anforderungen, beanstandungsfrei ausüben werde. In Anbetracht des durch die familiäre Situation bedingten schweren Interessenkonflikts bei ihren falschen Angaben überwiege das Interesse der Klägerin an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Beklagten an dessen Beendigung.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV nicht als unwirksam angesehen werden.

1. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nach den Kündigungsregelungen des Einigungsvertrages geprüft. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Am 3. Oktober 1990 bestand das von der Klägerin mit dem Kreiskrankenhaus und der Poliklinik R. begründete Arbeitsverhältnis. Damit stand die Klägerin bis zum Beitritt im öffentlichen Gesundheitsdienst der ehemaligen DDR. Am 3. Januar 1991 wurde die Klägerin vom Beklagten in den jugendärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes übernommen. Die Klägerin war somit weiterhin im öffentlichen Dienst tätig.

2. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann vor, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX).

Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine „Mußbestimmung”. Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4, a.a.O., zu B II 1 c der Gründe). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben.

Die Tätigkeit eines inoffiziellen Mitarbeiters ist häufig nach außen nicht erkennbar geworden. Ein inoffizieller Mitarbeiter arbeitete typischerweise verdeckt. Dennoch kann es nicht darauf ankommen, ob ein inoffizieller Mitarbeiter nicht entdeckt wurde und deshalb seine Tätigkeit für das MfS nicht bekannt ist. Im Fall eines inoffiziellen Mitarbeiters ist darauf abzustellen, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit für das MfS in einer Weise beeinträchtigt wird, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht aufgebaut werden auf der Annahme, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden.

Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat. Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 415/92 – NJ 1993, 379).

3. Bei der Würdigung der Zumutbarkeit im Rahmen der Einzelfallprüfung sind dem Landesarbeitsgericht Rechtsfehler unterlaufen.

a) Nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin sei für das MfS i.S.v. Abs. 5 Ziff. 2 EV tätig geworden. Die Klägerin hat aufgrund einer Verpflichtungserklärung von 1975 bis 1979 als IMV mündliche Berichte und Informationen an das MfS erteilt. Sie hat damit bewußt und final für das MfS gearbeitet.

b) Bei der Zumutbarkeit hat das Landesarbeitsgericht nicht alle Umstände des Falles abgewogen. Das angefochtene Urteil kann daher auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs des Revisionsgerichts keinen Bestand haben.

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit der Klägerin für das MfS als erheblich angesehen. Die Klägerin hat mehrere Jahre auch aus dem Privatbereich der Betroffenen berichtet. Besonders fallen die Berichte im Fall „C. B.” und „Klinikarzt” ins Gewicht. Bei der Ehefrau von W. B. hat die Klägerin das Vertrauensverhältnis einer bestehenden Bekanntschaft ausgenutzt, um die Betroffene im Sinne des MfS zu beeinflussen. Im Fall des Arztes hat sie vor allem ausführlich über dessen Sexualverhalten in der Klinik berichtet. Ihre persönliche Empörung über das Verhalten des Arztes Schwestern und Patientinnen gegenüber rechtfertigt die Berichte an das MfS nicht.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, daß sie sich seit 1979 aus der Verstrickung mit dem MfS löste und durch ihre „Verzögerungstaktik” selbst die Beendigung ihrer Berichtstätigkeit herbeiführte. Trotz mehrfacher Aufforderungen durch das MfS war sie nicht mehr zu Treffen erschienen und hatte sich nicht mehr gemeldet. Daraufhin hatte das MfS die Zusammenarbeit mit der Klägerin beendet. In der Folgezeit hatte die Klägerin dann über zehn Jahre nichts mehr mit dem MfS zu tun.

In die Abwägung zur Zumutbarkeit hätte das Landesarbeitsgericht aber auch einbeziehen müssen, daß die Klägerin 1992 im Fragebogen und 1994 in der Ehrenerklärung falsche Angaben zu ihrer Tätigkeit für das MfS machte. Zwar muß die Unzumutbarkeit i.S.v. Abs. 5 Ziff. 2 EV aus der Tätigkeit für das MfS folgen und darf nicht erst aus der Falschbeantwortung der Frage nach dieser Tätigkeit hergeleitet werden. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung des Einigungsvertrages, wonach ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung gegeben ist, wenn der Arbeitnehmer für das MfS tätig war und „deshalb” ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint (vgl. Urteil des Senats vom 18. Juli 1996 – 8 AZR 523/95 – n.v., zu B II 2 b der Gründe). Dies schließt aber nicht aus, die Falschbeantwortung einzubeziehen, wenn – wie im Streitfall – eine erhebliche Tätigkeit für das MfS vorlag und diese nur wegen des anschließenden Verhaltens des Arbeitnehmers nicht mehr die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung im öffentlichen Dienst zur Folge haben soll. In diesem Fall ist nicht nur zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, daß er sich aus der Verstrickung des MfS gelöst und nichts mehr mit dem MfS zu tun hatte, sondern auch, wie er die zulässige Frage seines Dienstherrn nach einer früheren Tätigkeit für das MfS beantwortete. Das Landesarbeitsgericht wird daher unter Berücksichtigung aller Umstände erneut zu prüfen haben, ob der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zumutbar erscheint.

II. Die außerordentliche Kündigung könnte auch nach § 626 BGB gerechtfertigt sein. Auch hierzu sind die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern.

1. Die falsche Beantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB sein (vgl. BAG Urteil vom 18. Juli 1996 – 8 AZR 523/95 – n.v., zu B III der Gründe). Der Beklagte hat seine außerordentliche Kündigung auch mit dem durch die Falschbeantwortungen erfolgten Vertrauensbruch begründet.

Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung wegen der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS bereits deshalb nicht als gerechtfertigt angesehen, weil die Tätigkeit selbst – nach seiner Ansicht – nicht zu einer Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV berechtigte. Dem ist nicht zu folgen. Der Falschbeanwortung kommt neben der Tätigkeit für das MfS das Gewicht eines eigenen Kündigungsgrundes zu.

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 8. Juli 1997 (– 1 BvR 2111/94 u.a. – NJW 1997, 2307) entschieden, daß dem öffentlichen Arbeitgeber verwehrt sei, aus unzutreffenden Antworten auf Fragen nach vor dem Jahre 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten für das MfS arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Diese „Altvorgänge” bräuchten die Arbeitnehmer nicht zu offenbaren. Im Streitfall handelt es sich jedoch nicht um solche Altvorgänge, sondern um Tätigkeiten für das MfS in den Jahren 1975 bis 1979.

Auch bei neueren Fällen wird einer Falschbeantwortung nur geringes Gewicht zukommen, wenn die Tätigkeit für das MfS evident bedeutungslos war. War die Tätigkeit für das MfS allerdings, wie im Streitfall, gewichtig und war nur nach besonderen Umständen einer Einzelfallprüfung dem Arbeitgeber möglicherweise die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten, darf der Arbeitnehmer die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS nicht falsch beantworten, um sich dieser Einzelfallprüfung zu entziehen.

2. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb auch bei Annahme der Unwirksamkeit der Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV zu prüfen haben, ob die Falschbeantwortungen in den Jahren 1992 und 1994 als wichtiger Grund die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen. Dabei wird das Landesarbeitsgericht insbesondere zu prüfen haben, ob das Vertrauensverhältnis der Parteien durch die falschen Angaben zur MfS-Vergangenheit der Klägerin nachhaltig gestört ist. Die beharrliche Falschbeantwortung von Fragen nach einer früheren MfS-Tätigkeit kann gegenüber dem öffentlichen Arbeitgeber das für eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensverhältnis zerstören und einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB darstellen.

Bei der Beurteilung des wichtigen Grundes wird im Streitfall zu berücksichtigen sein, daß die Klägerin als Ärztin in einer gehobenen Position tätig ist und ihr Tätigkeitsbereich im Gesundheitsamt mit „Reihenuntersuchungen und Mütterberatung” auch Publikumsverkehr umfaßt. Soweit das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin allein darauf abstellt, sie habe als alleinerziehende Mutter die falschen Angaben zum Schutz ihrer Familie gemacht, überzeugt dies nicht. Die Beantwortung der Fragen nach einer früheren MfS-Tätigkeit ist regelmäßig mit der Gefährdung der beruflichen Position und damit zusammenhängend mit der wirtschaftlichen Gefährdung der Familie verbunden. Soweit die Klägerin allerdings angedeutet hat, sie habe bei richtiger Beantwortung der Fragen nicht mit einem fairen, alle Umstände berücksichtigenden Verfahren rechnen können, mag dies eher von Bedeutung sein. Hierzu wird die Klägerin allerdings konkrete Tatsachen vorzutragen haben, die die Befürchtung eines unfairen Verfahrens begründen könnten.

III. Falls das Landesarbeitsgericht danach zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung kommt, wird es zu prüfen haben, ob die vorsorglich ausgesprochende Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Dabei wird das Landesarbeitsgericht die Grundsätze der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 20. August 1997 (– 2 AZR 42/97 – n.v.) zur personen- und verhaltensbedingten Kündigung bei Tätigkeit für das MfS und falscher Beantwortung der Frage nach einer solchen Tätigkeit zu beachten haben.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Brückmann, Morsch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093120

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