Entscheidungsstichwort (Thema)

Mehrarbeitszuschläge für Sonderschichten im Bewachungsgewerbe

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 3 Abs. 2 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter im Bewachungsgewerbe in Baden-Württemberg vom 25. Juni 1992 besteht ein Anspruch auf 50 %igen Mehrarbeitszuschlag für eine betrieblich angeordnete Sonderschicht an einem dem Arbeitnehmer zustehenden freien Tag. Dieser Anspruch setzt nicht voraus, daß der Arbeitnehmer über die im Tarifvertrag festgelegte Arbeitszeit hinaus tatsächlich gearbeitet hat.

Liegt beispielsweise die im Schichtplan festgelegte tatsächliche Arbeitszeit deshalb unterhalb der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer im Berechnungszeitraum Urlaub hatte, sind Sonderschichten, die der Arbeitnehmer an den ihm nach dem Schichtplan zustehenden freien Tagen geleistet hat, nach § 3 Abs. 2 MTV zuschlagspflichtig.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Bewachungsgewerbe; Manteltarifvertrag für die Arbeiter im Bewachungsgewerbe in Baden-Württemberg vom 25. Juni 1992 §§ 2-3, 6

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.06.1995; Aktenzeichen 16 Sa 18/95)

ArbG Mannheim (Urteil vom 12.12.1994; Aktenzeichen 10 Ca 162/94)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 12. Juni 1995 – 16 Sa 18/95 – aufgehoben.
  • Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 12. Dezember 1994 – 10 Ca 162/94 – abgeändert.
  • Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 799,90 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. November 1993 zu zahlen.
  • Von den erst- und zweitinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4, von den Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch um Mehrarbeitszuschläge für Sonderschichten in den Monaten Juli und August 1993.

Der Kläger war seit dem 22. September 1992 bei der Beklagten als Wachmann beschäftigt. Er war im Kernkraftwerk O… eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Arbeiter im Bewachungsgewerbe in Baden-Württemberg nebst Ergänzungen vom 25. Juni 1992, gültig ab 1. Juni 1992, (im folgenden: MTV) Anwendung.

Im Februar 1993 hatte der Kläger nach Schichtplan vom 22. bis 27. Februar 1993 eine freie Woche. Tatsächlich wurde er in dieser Zeit aber zur Ableistung von Arbeitsschichten im Umfang von insgesamt 34 Arbeitsstunden herangezogen. Insgesamt leistete er im Februar 1993 151 Arbeitsstunden. Im Juli 1993 war für den Kläger vom 12. bis zum 16. Juli 1993 eine freie Woche vorgesehen. Auch in dieser Woche wurde er zu Schichtarbeit im Umfang von insgesamt 47 Stunden herangezogen. Die tatsächliche Gesamtarbeitszeit in diesem Monat, in dem der Kläger auch Urlaub hatte, belief sich auf 138 Arbeitsstunden. Im August 1993, in dessen erster Woche der Kläger sich im Urlaub befand, hätte er vom 16. bis zum 22. August an sich eine Freischichtwoche gehabt. In dieser Zeit wurde er aber zu sechs Arbeitsschichten im Gesamtumfang von 54 Arbeitsstunden herangezogen. Die tatsächliche Gesamtarbeitszeit im August 1993 belief sich auf 184 Stunden. Für sechs Arbeitsstunden bezahlte die Beklagte einen Mehrarbeitszuschlag in Höhe von 50 % des Stundenlohnes.

Mit Schreiben vom 22. September 1993 machte der Kläger einen 50 %igen Mehrarbeitszuschlag aufgrund geleisteter Sonderschichten geltend und zwar u.a. für 34 Arbeitsstunden im Februar 1993, 47 Arbeitsstunden im Juli 1993 und 48 Arbeitsstunden im August 1993 in Höhe von insgesamt 1.064,76 DM.

Im MTV heißt es im hier Wesentlichen:

“§ 2

Regelmäßige Arbeitszeit

1. Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit für alle gewerblichen Beschäftigten beträgt 8 Stunden ausschließlich Pausen. Bei Teilzeitbeschäftigten bleibt es bei der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit.

2. Für Beschäftigte im Revierdienst, Geld- und Werttransport, Kurierdienst, in kerntechnischen Anlagen, Flughafenkontrollpersonal und Sicherheitsposten beträgt die monatliche Arbeitszeit

ab 01.06.1991

187 Stunden

ab 01.06.1992

183 Stunden

ab 01.06.1993

178 Stunden

ab 01.06.1994

173 Stunden.

In kerntechnischen Anlagen und bei Sicherungsposten kann die tägliche Arbeitszeit bis zu 12 Stunden, einschließlich Pausen, betragen, wenn Arbeitsbereitschaftszeiten in dem Umfang vorliegen, wie die Arbeitszeit 8 Stunden überschreitet.

§ 3

Mehrarbeit und Mehrarbeitsvergütung

1. Mehrarbeit ist jede über die in § 2 festgelegte regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit. Sie darf nur in dringenden Fällen und im Einvernehmen mit dem Betriebsrat verlangt werden. Mehrarbeit soll innerhalb des Folgemonats durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden. Für jede geleistete Mehrarbeitsstunde ist ein Zuschlag von 25 % zum Stundenlohn zu zahlen.

2. Für eine betrieblich angeordnete Sonderschicht an einem dem Arbeitnehmer zustehenden freien Tag wird ein Mehrarbeitszuschlag von 50 % bezahlt. Sonderschichten müssen innerhalb der laufenden oder spätestens bis zum 5. Tag der folgenden Lohnperiode durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden.

3. Bei Freizeitausgleich nach Abs. 1 und 2 bleibt die Zahlung des Mehrarbeitszuschlages von 25 % bzw. 50 % unberührt.

4. …

5. Für den Bewachungsdienst in kerntechnischen Anlagen gilt folgende Zuschlagspflicht für Mehrarbeit:

ab 01.06.1991

ab der 231. Stunde

ab 01.06.1992

ab der 211. Stunde

ab 01.06.1993

ab der 191. Stunde

ab 01.06.1994

ab der 173. Stunde.

Bisher günstigere betriebliche Zuschlagsregelungen für Beschäftigte in kerntechnischen Anlagen bleiben bestehen.

§ 6

Lohnregelung

3. Die Lohnabrechnungsperiode ist der Kalendermonat.

Wöchentlich oder dekadenweise sind Abschlagszahlungen in Höhe des etwa sich ergebenden Nettoverdienstes auszuzahlen. Die Abrechnung hat spätestens bis zum 10. des folgenden Monats zu erfolgen.

4. Mit der Lohnzahlung ist dem Arbeitnehmer eine schriftliche Abrechnung auszuhändigen, aus der die Lohnperiode, die Zahl der Schichten und Arbeitsstunden sowie die Zahl der geleisteten Überstunden und sämtliche Abzüge getrennt nach ihrer Art klar ersichtlich sind.

…”

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde den tarifvertraglichen Mehrarbeitszuschlag für Sonderschichten unabhängig davon, ob er in dem betreffenden Monat einschließlich der Sonderschichten mehr als die tarifliche Regelarbeitszeit geleistet habe. § 3 Abs. 1 und § 3 Abs. 2 MTV seien voneinander unabhängig. Diese Rechtsauffassung entspreche dem Willen der Tarifvertragsparteien. Sie seien davon ausgegangen, daß ein Arbeitnehmer, der nach Schichtplan Freizeit habe, hierfür Pläne mache. Wenn überraschend in diesen Freizeitbereich seitens des Arbeitgebers durch Anordnung von Sonderschichten eingegriffen werde, dann solle nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der besondere Zuschlag nach § 3 Abs. 2 MTV gezahlt werden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.064,76 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag ab dem 1. November 1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, bei dem 50 %igen Zuschlag nach § 3 Abs. 2 MTV handele es sich um einen Zuschlag, der nicht nur eine betrieblich angeordnete Sonderschicht an einem freien Tag voraussetze, sondern auch, daß innerhalb dieser Sonderschicht tatsächlich Mehrarbeit i.S. von § 3 Abs. 1 MTV geleistet worden sei. Dies sei bei den Arbeitsstunden, für welche der Kläger die Zuschläge nach § 3 Abs. 2 MTV verlange, nicht der Fall gewesen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der dieser seinen Zahlungsantrag nur noch in Höhe von 799,90 DM weiterverfolgt. Wegen des darüber hinausgehenden Betrages, der die im Februar 1993 geleisteten Sonderschichten betraf, hat er die Klage zurückgenommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stehen ihm 799,90 DM brutto als Restlohn für Sonderschichten im Juli und August 1993 zu, die allein in der Revisionsinstanz noch Gegenstand des Rechtsstreits sind. Für diese Sonderschichten kann der Kläger nach § 3 Abs. 2 MTV Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 50 % verlangen. Der Umstand, daß der Kläger in diesen Monaten teilweise Urlaub hatte und deshalb insgesamt nicht mehr als die regelmäßige monatliche Arbeitszeit tatsächlich geleistet hat, steht dem nicht entgegen.

I. Bei der Arbeitszeit, für die der Kläger einen 50 %igen Mehrarbeitszuschlag verlangt, handelt es sich um betrieblich angeordnete Sonderschichten an dem Kläger zustehenden freien Tagen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 MTV).

Die Beklagte hatte die Arbeitstage, an denen der Kläger die von ihm geschuldete tarifliche Arbeitszeit zu erbringen hatte, auch für die Monate Juli und August 1993 im Schichtplan festgelegt. In den beiden Monaten lag die festgelegte tatsächliche Arbeitszeit nur deshalb unterhalb des tarifvertraglich Geschuldeten, weil der Kläger drei Wochen Urlaub hatte. Die nicht planmäßigen weiteren Schichten, um deren Bezahlung es geht, wurden vom Kläger auf Anordnung der Beklagten an ihm eigentlich zustehenden freien Tagen geleistet. Davon ist auch die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 28. Oktober 1994 ausgegangen.

II. Der Mehrarbeitszuschlag nach § 3 Abs. 2 Satz 1 MTV setzt keine Überschreitung der monatlichen Arbeitszeit durch tatsächliche Arbeitsleistung voraus. Der Wortlaut des § 3 Abs. 2 MTV enthält keine derartige Anspruchsvoraussetzung. Sie läßt sich auch nicht der Tarifsystematik oder dem Zweck dieses Zuschlages entnehmen.

1. Der Norminhalt des § 3 Abs. 2 MTV wird aus dem Regelungszusammenhang von § 3 Abs. 2 Satz 2 und § 3 Abs. 3 MTV deutlich: Hiernach soll ein Arbeitnehmer für Sonderschichten, die er an ihm zustehenden freien Tagen geleistet hat, innerhalb der laufenden Lohnperiode, das ist der Kalendermonat (§ 6 Abs. 3 MTV), spätestens bis zum 5. des Folgemonats, einen Freizeitausgleich erhalten. Der 50 %ige Mehrarbeitszuschlag soll hiervon unberührt bleiben. Diese Regelung ist bei dem Normverständnis des Landesarbeitsgerichts nicht zu verwirklichen. Der Arbeitgeber, der sich entsprechend dem tariflich vorgeschriebenen Normalfall verhält, hätte den Zuschlag für Sonderschichtarbeit grundsätzlich nicht zu leisten, obwohl die Sonderschichten tatsächlich erbracht wurden. Durch einen Schichtplan wird die tariflich vorgesehene regelmäßige Arbeitszeit auf die zur Verfügung stehenden Arbeitstage verteilt. Wird anstelle einer darüber hinaus geleisteten Schicht innerhalb desselben Kalendermonats als Freizeitausgleich eine Freischicht anstelle einer im Schichtplan vorgesehenen Schicht gewährt, bleibt der Arbeitnehmer innerhalb der tariflichen Arbeitszeit. Die Voraussetzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 MTV wird nicht erfüllt. Ein solcher regelmäßiger Ausschluß des 50 %igen Mehrarbeitszuschlags aus § 3 Abs. 2 MTV bei Gewährung von Freizeitausgleich stünde aber in Widerspruch zu § 3 Abs. 3 MTV, der den Zahlungsanspruch für einen solchen Fall ausdrücklich belassen will. Der dortigen Regelung kann nur Rechnung getragen werden, wenn die Leistung von irregulärer Sonderschichtarbeit als solche den Anspruch auf den Zuschlag nach § 3 Abs. 2 MTV begründet.

2. Damit wird zugleich deutlich, daß es den Tarifvertragsparteien des Bewachungsgewerbes in Baden-Württemberg nicht darum geht, durch Mehrarbeitszuschläge eine erhöhte Arbeitsbelastung im Abrechnungszeitraum auszugleichen. Vielmehr wird der Anspruch auf das zusätzliche Entgelt begründet, weil der Arbeitgeber in den Freizeit- und Erholungsbereich eingegriffen hat, der dem Arbeitnehmer nach den Festlegungen im Schichtplan zur freien Verfügung stehen sollte. Dieser Normzweck kommt auch in § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 MTV zum Ausdruck. Ein Teilzeitbeschäftigter erhält hiernach einen Mehrarbeitszuschlag allein deshalb, weil er über das hinaus arbeitet, wozu er sich einzelvertraglich, aufgrund seiner persönlichen Zeitplanung, verpflichtet hatte. Auch bei ihm kommt es nicht darauf an, daß er mit seiner Arbeit eine bestimmte, von den Tarifvertragsparteien allgemein vorgegebene Belastungsgrenze überschreitet (vgl. zu diesen möglichen Normzwecken einer Mehrarbeitsregelung auch BAG Urteile vom 20. Juni 1995 – 3 AZR 539/93 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Nährmittelindustrie und – 3 AZR 684/93 – AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Chemie, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

3. Vor diesem im tariflichen Regelungszusammenhang deutlichen Hintergrund wird auch die unterschiedliche Höhe der Zuschläge in § 3 Abs. 1 und Abs. 2 MTV verständlich: Wer an einem Tag, an dem er ohnehin arbeiten muß, eine Stunde länger eingesetzt wird, wird typischerweise weniger stark betroffen als derjenige, der einen an sich freien Tag opfern muß.

III. Die Kostenentscheidung, bei der die teilweise Klagerücknahme in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen war, ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

 

Unterschriften

Kremhelmer, Bröhl, Bepler, D. Offergeld, Oberhofer

 

Fundstellen

Haufe-Index 885442

NZA 1997, 1000

SAE 1998, 187

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