Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsbefreiung am 24. und 31. Dezember. Änderung. Betriebliche Übung

 

Orientierungssatz

Räumt ein öffentlicher Arbeitgeber - auch über einen längeren Zeitraum hinweg - die den Beamten gewährten Vergünstigungen gleichzeitig den Arbeitern und Angestellten ein, so müssen diese damit rechnen, daß diese Sondervorteile im Zusammenhang mit der Abschaffung für die Beamten auch für sie wieder entfallen können.

 

Normenkette

ArbZV; BGB §§ 157, 242, 133; BMT-G § 15 Abs. 4 S. 1; BMT-G 2 § 15 Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 06.06.1985; Aktenzeichen 13 Sa 33/85)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 04.12.1984; Aktenzeichen 21 Ca 231/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger am 24. Dezember 1984 und am 31. Dezember 1984 einen Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung hatte.

Der Kläger ist seit 1952 beim Bezirksamt Zehlendorf des beklagten Landes im Gartenbau beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Bundes-Manteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) Anwendung; dessen § 15 Abs. 4 Satz 1 bestimmt folgendes:

"An den Tagen vor Neujahr, vor Ostersonntag, vor

Pfingstsonntag und vor dem ersten Weihnachts-

feiertag wird - soweit die Verhältnisse der Ver-

waltung oder des Betriebes es zulassen - ab

12.00 Uhr Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des

Lohnes gewährt..."

Hiervon abweichend hat das beklagte Land den Kläger ebenso wie alle anderen Bediensteten bis 1983 einschließlich am 24. Dezember und am 31. Dezember ganztägig von der Arbeit freigestellt und den Lohn hierfür fortgezahlt. Diese Regelung ist auf eine Rundverfügung des Senators für Inneres vom 3. Dezember 1958 (Nr. 158/1958) zurückzuführen, wonach die Arbeiter ebenso wie vorher schon die Beamten und Angestellten, ohne Lohnminderung am 24. und 31. Dezember ganztägig - soweit dienstlich möglich - von der Arbeit freigestellt werden.

Mit Wirkung vom 1. August 1984 hat das beklagte Land durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten vom 17. Juli 1984 (GVBl. Berlin 1984 S. 1001) die ganztägige Arbeitsbefreiung am 24. und 31. Dezember für Beamte aufgehoben und in § 2 der vorgenannten Verordnung folgendes bestimmt:

"Am 24. und 31. Dezember endet der Dienst um

12.00 Uhr, soweit dienstliche Verhältnisse

nicht entgegenstehen.

Wenn die dienstlichen Verhältnisse es zulassen,

sind der 24. und 31. Dezember dienstfrei. In

diesem Fall ist bei fester und gleitender Ar-

beitszeit die ausfallende Arbeitszeit ab 8.00 Uhr

regelmäßig vorzuarbeiten. In Ausnahmefällen kann

die ausfallende Arbeitszeit auch nachgearbeitet

werden; sie soll spätestens bis zum 31. Januar

des nächsten Jahres ausgeglichen sein."

Der Senator für Inneres hat daraufhin mit Verfügung vom 21. August 1984 die bisher ganztägige Dienstbefreiung am 24. und 31. Dezember für Arbeiter aufgehoben und durch die für Beamte geltende Regelung ersetzt. Das Bezirksamt Zehlendorf des beklagten Landes und der zuständige Personalrat haben am 26. September 1984 eine Dienstvereinbarung über die Möglichkeit zur Vorarbeit zur Abgeltung der Arbeitsleistungen am 24. und 31. Dezember 1984 abgeschlossen.

Der Kläger leistete keine Vorarbeit, weil er die Auffassung vertrat, daß er durch langjährige betriebliche Übung einen Anspruch auf Freistellung am 24. Dezember und am 31. Dezember für die Zeit bis 12.00 Uhr habe, ohne dafür Ausgleichsarbeit leisten zu müssen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet

ist, den Kläger - soweit dienstliche Not-

wendigkeiten dem nicht entgegenstehen - am

24. Dezember 1984 und am 31. Dezember 1984

in der Zeit von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr unter

Fortzahlung des Lohnes von der Dienstleistung

freizustellen, ohne Anrechnung auf den Tarif-

urlaub und ohne Verpflichtung des Klägers,

die an diesen Tagen ausfallende Arbeitszeit

vor- oder nachzuarbeiten.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und ist der Meinung, es sei keine betriebliche Übung auf ganztägige Befreiung am 24. Dezember und am 31. Dezember eines Jahres entstanden. Der Kläger habe nicht auf den Fortbestand der ganztägigen Dienstbefreiung an diesen Tagen vertrauen können, denn sie sei zusammen mit einer entsprechenden Dienstbefreiung der Beamten eingeführt worden und falle folglich mit der Änderung dieser Regelung für Beamte auch für die Arbeiter und damit den Kläger wieder fort.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers hiergegen zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

1. Der Kläger hat keinen tariflichen Anspruch auf Dienstbefreiung am Vormittag des 24. Dezember und des 31. Dezember 1984 ohne Verpflichtung zur Ausgleichsarbeit, denn § 15 Abs. 4 Satz 1 BMT-G II sieht eine Dienstbefreiung erst ab 12.00 Uhr vor. Diese tarifliche Rechtslage hat das beklagte Land mit seiner Verfügung vom 21. August 1984 wiederhergestellt.

2. Der Kläger kann keine weitergehende übertarifliche - nämlich ganztägige - Dienstbefreiung an den vorgenannten Tagen aufgrund einer betrieblichen Übung beanspruchen. Hieran fehlt es.

a) Ob eine betriebliche Übung kraft stillschweigender einzelvertraglicher Vereinbarung in die einzelnen Arbeitsverhältnisse eingeht und die Inhalte der Arbeitsverträge ergänzt (so BAG Urteil vom 1. März 1972 - 4 AZR 200/71 - AP Nr. 11 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, m. w. N.) oder ob sie - wie die neuere zivilrechtliche Lehre annimmt - kraft ihres Vertrauenstatbestandes selbständige Ansprüche begründet (BAG Urteil vom 5. Juli 1968 - 3 AZR 134/67 - AP Nr. 6, aaO und BAG 23, 213, 218 = AP Nr. 10, aaO sowie BAG AP Nr. 11, aaO) kann auf sich beruhen. Unabhängig hiervon versteht man unter einer betrieblichen Übung die regelmäßige Wiederholung eines bestimmten Verhaltens, das bei den Betriebsangehörigen den Eindruck einer Gesetzmäßigkeit oder eines Brauchs erweckt (BAG 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 a der Gründe). Durch diese an die betroffenen Arbeitnehmer gerichtete konkludente Gesamtzusage erwachsen ihnen Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen (BAG 23, 213, 217 ff. = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 a der Gründe). Hierfür ist aber Voraussetzung, daß der Arbeitgeber nach Treu und Glauben aus der Sicht der begünstigten Arbeitnehmer das Vertrauen erweckt hat, daß er sich binden wolle (§§ 133, 157 BGB; BAG 40, 126, 133 = AP Nr. 1, aaO). Sein Verhalten ist dann als rechtsgeschäftlich erhebliche, bindende Erklärung zu bewerten unabhängig davon, ob er sich binden wollte und ob er die bindende Wirkung der betrieblichen Übung erkannt hat (BAG, aaO).

Bei der Frage, worauf ein Arbeitnehmer vertrauen kann, ist zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst zu unterscheiden: Ein Arbeitgeber der Privatwirtschaft ist in der Gestaltung der Arbeitsverträge seiner Mitarbeiter deutlich freier als der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes. Der an die Anweisung vorgesetzter Dienststellen, Verwaltungsrichtlinien, Verordnungen und gesetzliche Regelungen, vor allem aber an die Festlegungen des Haushalts gebundene öffentliche Arbeitgeber ist sehr viel stärker als ein privater Arbeitgeber gehalten, die Mindestbedingungen des Tarifrechts bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen zu beachten. Im Zweifel gilt Normvollzug. Unter diesen Umständen wird ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nicht ohne besondere Anhaltspunkte darauf vertrauen dürfen, eine übertarifliche Vergünstigung - wie etwa die Befreiung von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung der Vergütung - werde auf Dauer weitergewährt (BAG Urteil vom 29. November 1983 - 3 AZR 491/81 - AP Nr. 15 zu § 242 BGB Betriebliche Übung unter II 2 a der Gründe; BAG Urteil vom 10. April 1985 - 7 AZR 36/83 - AP Nr. 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, unter 5 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

Diese Grundsätze müssen in verstärktem Maße dann gelten, wenn sich die vom Arbeitgeber gewährten Leistungen als Vollzug von Regelungen darstellen, die für Beamte und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einheitlich gelten. Die Gleichstellung von Bediensteten derselben Behörde hat auch bei der Frage des Vertrauensschutzes Gewicht; bei zusammen mit Beamten arbeitenden Arbeitnehmern kann sich eine betriebliche Übung grundsätzlich nicht im Widerspruch zu der für die Beamten maßgebenden Regelung entwickeln (BAG Urteil vom 10. April 1985, aaO). Wenn hiernach der öffentliche Arbeitgeber - auch über einen längeren Zeitraum hinweg - die den Beamten gewährten Vergünstigungen gleichzeitig den Arbeitern und Angestellten einräumt, so müssen sie damit rechnen, daß diese Sondervorteile im Zusammenhang mit der Abschaffung für die Beamten auch für sie wieder entfallen können (BAG Urteil vom 10. April 1985, aaO).

b) Nach diesen Grundsätzen ist für den Kläger keine betriebliche Übung auf Fortbestand der ganztägigen Dienstbefreiung am 24. und 31. Dezember eines Jahres erwachsen. Ob dem Kläger jedes Jahr erneut die Freistellung am 24. Dezember und am 31. Dezember vorher angekündigt worden ist und er hieraus von vornherein entnehmen mußte, daß sie nur für das jeweilige Jahr erneut gewährt werde, kann dahingestellt bleiben. Der Kläger mußte aber davon ausgehen, daß das beklagte Land ihm eine übertarifliche Arbeitsbefreiung gewährt hat. Der Kläger konnte aber nicht darauf vertrauen, daß sein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eine übertarifliche Leistung dauernd gewähren wird, weil er damit zusätzliche finanzielle Leistungen erbringt, die mit dem Gebot der sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln nicht vereinbar sind. Zwar ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Regelung, daß die Dienstbefreiung des Klägers und seiner Kollegen nur deshalb erfolgt ist, weil für die Beamten bereits vorher eine entsprechende Dienstbefreiung eingeführt worden war. Unter diesen Umständen war es schon aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt, die Arbeiter nicht zur Arbeitsleistung heranzuziehen, wenn die Beamten fehlten, die mit ihnen zusammen arbeiten sollten. Dieser Gesichtspunkt entfiel aber, nachdem die Arbeitszeit für die Beamten ab 1. August 1984 neu geregelt worden ist. Wenn nunmehr die Beamten am 24. und 31. Dezember 1984 vormittags bis 12.00 Uhr arbeiten müssen, dann sind sie zwangsläufig auf die Zusammenarbeit mit den nichtbeamteten Kollegen angewiesen. Die gleichen Gründe, die zur Einführung der Arbeitszeitverkürzung geführt haben, wirken sich hier umgekehrt bei dem Wegfall dieser Vergünstigung aus.

Bei zusammen mit Beamten arbeitenden Arbeitnehmern kann sich eine betriebliche Übung nicht im Widerspruch zu der für die Beamten maßgebenden Regelung im Alleingang entwickeln, zumal die wöchentliche Gesamtarbeitszeit für alle Bediensteten gleich lang ist und die Arbeitsbefreiung von vornherein an die für Beamte geltende Regelung angepaßt war.

Die bisherige Freistellung des Klägers am 24. und 31. Dezember eines Jahres hat für den Kläger zwar Annehmlichkeiten geschaffen, aber seine Lebensgewohnheiten nicht so entscheidend verfestigt, daß sich dieser Zustand nicht wieder rückgängig machen ließe. Selbst wenn der Kläger sich auf den Fortbestand dieser Regelung in seiner Lebensführung eingerichtete haben sollte, wäre insoweit kein gewichtiger Vertrauenstatbestand geschaffen worden.

3. Da hiernach keine betriebliche Übung auf Fortbestand der ganztägigen Dienstbefreiung am 24. und 31. Dezember eines Jahres erwachsen ist, kann dahingestellt bleiben, ob die zur Durchführung der neuen Arbeitszeitregelung abgeschlossene Dienstvereinbarung vom 26. September 1984 bereits die bisherige Dienstbefreiung abgelöst und ersetzt hat.

Dr. Gehring Dr. Olderog Dörner

Dr. Halberstadt Dr. Hirt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440106

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