Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsvertrag durch Dienstplangestaltung. Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall

 

Normenkette

BGB §§ 145, 242, 616

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 04.10.1991; Aktenzeichen 13 Sa 13/91)

ArbG Gießen (Urteil vom 24.10.1990; Aktenzeichen 3 Ca 251/90)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. Oktober 1991 – 13 Sa 13/91 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 24. Oktober 1990 – 3 Ca 251/90 – abgeändert:

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 330,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 7. Juni 1990 zu zahlen.

3. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin für die Dauer ihrer Erkrankung in der Zeit vom 9. bis 11. März 1990 Vergütung zu zahlen.

Die Klägerin ist Medizinstudentin. Auf der Intensivstation der Neurochirurgie des Klinikums der J.-Universität in G. werden sogenannte Sitz- oder Sonderwachen eingesetzt. Diese Aufgabe wird vom vorhandenen hauptamtlichen Pflegepersonal und – unregelmäßig an einzelnen Tagen und Nächten – von geeigneten und hierfür eingearbeiteten Studentinnen und Studenten übernommen. Seit dem 4. Dezember 1988 ist auch die Klägerin als Sitz- und Sonderwache tätig. Der Dienst der studentischen Sitz- und Sonderwachen wird durch einen Dienstplan geregelt, der auf dem Stationszimmer aushängt und dort zur Kenntnis der Pflegedienst- und Schichtleiter gelangt. Das Formular des Dienstplanes entspricht dem für diesen Zweck auch sonst verwendeten Muster. Die Vorlage zu diesem Dienstplan ist den studentischen Sitz- und Sonderwachen von dem beklagten Land zur Verfügung gestellt worden.

Während des Semesters wird der Dienstplan für die Dauer eines Monats, hinsichtlich der Semesterferien in Gestalt mehrerer Monatsplane für deren Dauer im voraus aufgestellt. Dabei werden jeder Dienstperiode (Rubrik „Nachtdienst”) drei Namen von Studentinnen oder Studenten zugeordnet, die für ihre Zeitdauer dienstbereit sind. Hierbei wirkt die Verwaltung des Klinikums nicht mit. Die Dienstpläne werden auf dafür anberaumten Treffen der Sitz- und Sonderwachen von diesen untereinander ausgehandelt und erstellt. Nachfolgend kommt es vor, daß im Dienstplan eingetragene Personen tatsächlich nicht tätig werden, sei es weil kein Bedarf besteht und sie daher nicht angenommen werden, sei es weil sie ihre Dienste untereinander getauscht haben oder sonst nachträglich die Dienstpläne abgeändert haben. Die tatsächliche Ableistung des jeweiligen Dienstes wird durch Krankenpfleger und Krankenschwestern des sogenannten Außendienstes durch Unterschrift bestätigt. Nach Ablauf eines Monats erfolgt eine weitere unterschriftliche Bestätigung durch die Pflegedienstleitung und durch den Stationsarzt. Auf dieser Grundlage veranlaßt die Verwaltung des Klinikums die Auszahlung der jeweils monatlich durch die Sitz- und Sonderwachen verdienten Vergütung.

Die Klägerin hat vorgetragen: Aus der Gestaltung des Dienstplanes ergebe sich jeweils die konkrete Anforderung der Station. Der Dienstplan habe nämlich pro Tag drei Spalten. Hieraus folge, daß für jeden Tag drei Sitz- und Sonderwachen einzutragen seien.

Der Umfang der monatlichen Gesamtanforderung ergebe sich dann durch Multiplikation mit der Anzahl der Tage, die der jeweilige Monat habe. Falls an bestimmten Tagen voraussichtlich ein Minderbedarf bestehe, erfolge eine vorherige Information durch die Schichtleitung. Der Sache nach bestehe daher kein Unterschied zu der Fallgestaltung, die der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu studentischen Hilfspflegekräften zugrundeliege. Es gehe im vorliegenden Fall nicht um einen durchschnittlichen, sondern um einen konkreten Bedarf. Das habe sich im Sommer 1989 gezeigt, als der Dienstplan lückenhaft ausgefüllt worden sei. Die Schichtleitung habe dies zum Anlaß genommen, mitzuteilen, daß der Plan voll sein müsse, da der ordnungsgemäße Stationsbetrieb nur dann gewährleistet sei. Aus dieser Praxis müsse in rechtlicher Hinsicht geschlossen werden, daß der Arbeitsvertrag mit der Eintragung in das Formular des Dienstplanes zustande komme und auf die Laufzeit des Dienstplanes befristet sei. Deshalb bestehe unter den beteiligten Studentinnen und Studenten auch Einigkeit darüber, daß die Eintragung verbindlich sei.

Anderenfalls sei die Patientenversorgung nicht gewährleistet. Insoweit sei bedeutsam, daß die Hälfte der Patienten nachts von studentischen Sitz- und Sonderwachen betreut werde. Bei Mehrbedarf werde auf die im Dienstplanformular enthaltene Rufbereitschaftsliste zurückgegriffen. Die dort eingetragenen Studentinnen und Studenten seien auf einen Einsatz vorbereitet.

Dem stehe auch nicht entgegen, daß mitunter ein Diensttausch stattfinde. Der Diensttausch werde – insofern unstreitig – auch von Krankenschwestern und Krankenpflegern praktiziert. Er bleibe angesichts der alsdann erforderlichen sichtbaren Änderung der Dienstplaneintragung der Pflegedienstleitung nicht verborgen und erfolge somit mit deren Einverständnis.

Da ein jeweils auf die Laufzeit des Dienstplanes befristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei, schulde ihr das beklagte Land gemäß § 616 BGB Vergütungsfortzahlung für die Zeit vom 9. bis 11. März 1990, da sie in dieser Zeit infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit daran gehindert gewesen sei, entsprechend ihrer Eintragung im Dienstplan tätig zu werden.

Die Klägerin hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an sie 330,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 7. Juni 1990 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat entgegnet, nur in den Fällen des Mehrbedarfs komme das Arbeitsverhältnis zustande, sobald der zusätzlich benötigte Sitz- und Sonderwächter sein Erscheinen auf telefonische Anforderung hin zusage. In allen anderen Fällen werde ein Eintagsarbeitsverhältnis begründet, sobald der dienstbereite Sitz- oder Sonderwächter seinen Dienst konkret antrete. Die Eintragung in den sogenannten Dienstplan sei für beide Seiten unverbindlich.

Es komme auch durchaus vor, daß Sitz- und Sonderwachen den Dienstantritt wegen Krankheit oder ohne Angabe von Gründen absagten. Ebenso könnte der Fall eintreten, daß keine der auf dem Dienstplan eingetragenen Personen zum Dienst erscheine. Der Austausch von Diensten geschehe ohne Wissen der Stations- und ohne Wissen der Pflegedienstleitung. Gerade hinsichtlich dieser Tatsache bestehe der Unterschied zur vergleichbaren Praxis des regulären Pflegepersonals.

Das beklagte Land gebe auch keinen Personalbedarf bekannt. Es entspreche vielmehr der Erfahrung, daß pro Nacht drei Sitz- oder Sonderwachen benötigt würden. Der Einsatz der einzelnen Studenten sei sehr unterschiedlich, je nachdem, ob er während des Semesters oder der Semesterferien erfolge. Bei dieser Tatsachen- und Rechtslage stehe der Klägerin keiner der von ihr eingeklagten Ansprüche zu, weil ein Arbeitsverhältnis stets nur für die Dauer der jeweiligen Sitz- und Sonderwache begründet worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Klägerin, während das beklagte Land um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und mußte zur Abänderung des angefochtenen Urteils führen; denn die Klägerin hat Anspruch auf Vergütungsfortzahlung in unstreitiger Höhe von 330,00 DM brutto für den Zeitraum vom 9. bis zum 11. März 1990 gemäß § 616 Abs. 1 und Abs. 2 BGB gegen das beklagte Land, selbst wenn für diesen Zeitraum nur auf die vorgenannten Tage einzelne Eintagesarbeitsverträge abgeschlossen sein sollten.

I. Das Landesarbeitsgericht hat demgegenüber die Auffassung vertreten, daß mit der Eintragung der Studenten in den Dienstplan noch kein Arbeitsverhältnis begründet worden sei. Allerdings hätten die Studenten mit der Eintragung in den Dienstplan dem beklagten Land ein Angebot zum Abschluß eines Arbeitsvertrages unterbreitet. Es hat dabei offengelassen, ob sich dieses Angebot nur auf einen Tag oder auf einen Monat bezogen hat. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Arbeitsvertrag erst dadurch zustande gekommen, daß die Studenten bei Dienstantritt von dem beklagten Land beschäftigt worden seien. Da die Klägerin im vorliegenden Fall ihren Dienst wegen Krankheit nicht angetreten habe, fehle es an einem Arbeitsvertrag zwischen den Parteien.

II. Dieser Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob das beklagte Land durch die Ausgabe des Formulars und die damit angebotene Beschäftigungsmöglichkeit gegenüber dem Kreis arbeitsbereiter und für diese Tätigkeit geeigneter Studenten schon von sich aus den Abschluß eines Arbeitsvertrages angeboten hat oder nicht. Wenn man das verneint, so muß man dann aber die Eintragung der Studenten, die zu Sitzwachen an bestimmten Tagen bereit sind, als Angebot auf Abschluß eines Arbeitsvertrages – mindestens auf diese einzelnen Tage bezogen – ansehen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das Bereitstellen des Dienstplanformulars durch einen Angestellten des beklagten Landes als solche Aufforderung zur Abgabe von Angeboten zu bewerten. Denn es hat festgestellt, daß in der Bereitstellung des leeren Formulars nichts anderes zu sehen sei als die Mitteilung, daß das beklagte Land grundsätzlich bereit sei, mit den darin eingetragenen dienstbereiten Personen für den Fall seines konkreten Bedarfes und für den Fall der persönlichen Eignung auf Dauer der Sonderwache begrenzte Arbeitsverträge abzuschließen. Das beklagte Land hat sich dieser rechtlichen Würdigung in der Revisionserwiderung angeschlossen.

III. Dieses – wenn auch auf den Abschluß einzelner Arbeitseinsätze – beschränkte Angebot hätte die Beklagte nach Treu und Glauben dann aber bis zum Beginn des im betreffenden Dienstplan in Bezug genommenen Monats zurückweisen müssen, wenn sie mit den dort eingetragenen Personen – etwa wegen fehlenden Bedarfs oder mangelnder Eignung – keine Verträge abschließen wollte. Unterließ sie dies, durften die Studenten einschließlich der Klägerin annehmen, daß das Schweigen des beklagten Landes die Billigung des Dienstplanes für den angebotenen Zeitraum bedeutet.

Zwar ist bloßes Schweigen grundsätzlich keine Willenserklärung. Es kann aber einer Annahme gleichstehen, wenn der Angebotsempfänger nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) – wie hier – verpfichtet gewesen wäre, seinen abweichenden Willen zu äußern (vgl. BGH Urteil vom 4. April 1951, BGHZ 1, 353, 355; BGH Urteil vom 1. März 1972, NJW 1972, 820; BGH Urteil vom 9. Februar 1990, NJW 1990, 1601 f.; OLG Köln Urteil vom 17. November 1970, OLGZ 1971, 140, 143). Die nach Treu und Glauben gebotene ausdrückliche Zurückweisung der angebotenen Sitzwachen ergibt sich aus der bisherigen Handhabung unter Berücksichtigung folgender Umstände: Die Klägerin als Studentin kann wegen der wechselnden Inanspruchnahme durch Studium und Nebenerwerb immer nur für einen begrenzten Zeitraum übersehen, in welchem Umfang und zu welchen Zeiten sie sich neben ihrem Studium noch arbeitsvertraglich binden kann (vgl. BAGE 65, 86, 95 = AP Nr. 136 zu § 620 BGB Befristetes Arbeitsverhältnis, zu A II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 30. Oktober 1991 – 7 AZR 653/90 –, n.v., zu II 4 a der Gründe). Wenn die Klägerin jedoch für die Dauer eines Dienstplanes ihre Studien- und Nebenerwerbstermine in Einklang gebracht hat, rechnet sie für diesen – wenn auch begrenzten – Zeitraum nicht nur mit der angebotenen Nebenerwerbstätigkeit, sondern sie teilt sich gerade für diese Nachtarbeit ihren Schlaf- und Lebensrhythmus ein. Andererseits ist das beklagte Land auf die zugesagten Dienste und die Leistungsbereitschaft der Klägerin zum vorgesehenen Zeitpunkt angewiesen, weil es sonst die erforderlichen Sitzwachen nicht bereitstellen könnte und die Krankenversorgung gefährdet wäre.

IV. Der Klägerin steht unter diesen Umständen ein Anspruch gegen das beklagte Land für die Zeit ihrer vorgesehenen Beschäftigung vom 9. bis zum 11. März 1990 auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit gemäß § 616 Abs. 1 und Abs. 2 BGB zu.

1. Das beklagte Land hat zwar geltend gemacht, daß die Klägerin keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe. Es hat damit aber offengelassen, ob es sie überhaupt gefordert hat. Dagegen spricht die Rechtsansicht des beklagten Landes, daß es sich unabhängig davon zur Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall nicht für verpflichtet hält.

2. Die Klägerin ist als Angestellte zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gesetzlich nicht verpflichtet (BAGE 9, 163, 167 = AP Nr. 12 zu § 63 HGB). Diese Rechtslage weicht von der Vorschrift des § 3 LFZG ab, die aber ausschließlich für Arbeiter gilt.

Ob ein Arbeitnehmer Arbeiter ist oder Angestellter, richtet sich nach der Verkehrsanschauung und diese wiederum nach der Natur der vereinbarten und ausgeführten Tätigkeit (vgl. nur Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 13 II, S. 59, m.w.N.). Ein wesentliches Indiz dafür ist die Festlegung durch Tarifvertragsparteien (vgl. BAGE 7, 86 = AP Nr. 12 zu § 59 HGB; BAGE 35, 239 = AP Nr. 24 zu § 59 HGB). In diesem Zusammenhang ist auf die Anlage 1 a Teil II Abschnitt D zum BAT hinzuweisen, wonach die Mitarbeiter in medizinischen Hilfsberufen selbst dann von den Tarifvertragsparteien als Angestellte angesehen werden, wenn sie überwiegend manuelle Tätigkeiten ausüben, wie z.B. Masseure oder Desinfektoren. Auch diese medizinischen Hilfsberufe werden aufgrund ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Patienten von den Tarifvertragsparteien als Angestellte qualifiziert. Das muß um so mehr für die medizinischen Sitzwachen gelten, für die sich die Klägerin zur Verfügung gestellt hat. Die Klägerin übt damit nicht nur eine besonders verantwortungsvolle Tätigkeit aus, sondern muß auch über medizinische Grundkenntnisse verfügen, um im Notfall das Erforderliche veranlassen zu können. Das beklagte Land hat durch die Auswahl des Personenkreises, den sie zu Sitzwachen heranzieht, nämlich Medizinstudenten, ebenfalls deutlich gemacht, daß sie für diese Tätigkeiten eine medizinische Grundausbildung oder wenigstens medizinische Sachkunde für erforderlich hält.

Die Klägerin hat unter diesen Umständen Anspruch auf die begehrte Gehaltsfortzahlung als Angestellte gemäß § 616 Abs. 1 und Abs. 2 BGB und unterliegt nicht den Einschränkungen des nur für gewerbliche Mitarbeiter geltenden Lohnfortzahlungsgesetzes.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Dr. Müller, Schwitzer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083500

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