Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür.
  • Es ist keine Willkür, wenn das Gericht an einer seit Jahrzehnten entwickelten und allgemein anerkannten Rechtsprechung festhält und abweichendes Vorbringen einer Partei hierzu nicht ausdrücklich bescheidet.
 

Normenkette

ZPO §§ 42, 44

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 25.06.1992; Aktenzeichen 10/11 Sa 219/91)

ArbG Köln (Urteil vom 14.12.1990; Aktenzeichen 15 Ca 1113/90)

 

Tenor

Die Ablehnungsgesuche der Klägerin gegen den Vorsitzenden Richter Professor Dr. T…, die Richter Dr. O…, Dr. R… und Dr. G… sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. K…, S… und Dr. K… werden zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit folgender Vertragsabrede:

“§ 2 Ausbildung

Der Mitarbeiter wird ab dem ** unter G…-Aufsicht zum Copiloten auf dem Flugzeugmuster B-737-300 ausgebildet. Der Ausbildungsort wird noch festgelegt. Nach Erhalt des Type-Ratings wird der Mitarbeiter auf dem o. g. Flugzeugmuster als Copilot eingesetzt.

Sollte der Mitarbeiter – gleich aus welchem Grunde – vor Ablauf von 3 (drei) Jahren nach dem ersten kommerziellen Einsatz aus den Diensten der GERMANIA Fluggesellschaft ausscheiden, so hat er die Kosten des Type-Ratings an die Gesellschaft zurückzuzahlen, wobei er jeweils 1/36 des Type-Rating-Betrages je Dienstmonat gutgebracht bekommt. Der Wert des Type-Ratings ist mit 80.000,-- DM festgesetzt worden.

…”

Gegen das hierzu ergangene Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 25. Juni 1992 – 10 (11) Sa 219/91 – hat die Klägerin am 4. August 1992 das zugelassene Rechtsmittel der Revision eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 10. August 1992 hat die Klägerin die Richter des Fünften Senats Professor Dr. T…, Dr. O…, Dr. G… und Dr. R… sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. K…, S… und Dr. K… wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Sie macht geltend, die zur Entscheidung über die Revision maßgeblichen Rechtsfragen seien in den Verfahren 5 AZR 105/91 und 5 AZR 430/90 entscheidungserheblich gewesen. Bereits in diesen Revisionsverfahren habe sie vorgebracht, daß die vom Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsätze zur Wirksamkeit von Rückzahlungsklauseln auf einer unmittelbaren Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG beruhten und damit in Widerspruch zur herrschenden Lehre und der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stünden. Damit greife der Senat in unzulässiger Weise in die Vertragsfreiheit der Parteien ein. Unter Hinweis auf ein von ihr vorgelegtes Gutachten des Hochschullehrers Professor Dr. Dr. h.c.… H… habe sie darauf hingewiesen, daß die von dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts vorgenommene Umkehrung der Beweislast der einhelligen Meinung in Literatur und Rechtsprechung zuwiderlaufe und nur bei der vom Bundesverfassungsgericht abgelehnten unmittelbaren Geltung des Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen sei. Der Fünfte Senat habe in seinen Urteilen vom 24. Juli 1991 und vom 13. November 1991 diese verfassungsrechtlichen Einwendungen nicht beachtet. Im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen beider Urteile fehle jeglicher Hinweis auf das Rechtsgutachten und auf die erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen. Eine Auseinandersetzung mit dem Gutachten und den darin enthaltenen verfassungsrechtlichen Einwendungen sei ebenfalls unterblieben. Damit werde auch bei einer besonnenen Partei und vernünftiger Betrachtung der Eindruck erweckt, daß der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung so festgelegt sei, daß er entgegenstehenden Argumenten nicht mehr zugänglich und zu einer selbstkritischen Überprüfung dieser Rechtsprechung – selbst bei verfassungsrechtlichen Einwendungen – nicht mehr bereit und in der Lage sei. Die Klägerin müsse deshalb besorgt sein, daß sich der Senat im vorliegenden Verfahren mit ihren Argumenten nicht auseinandersetzen, sondern diese unbeachtet lassen werde. Ihre Besorgnis sei um so mehr gerechtfertigt, als der Senat in beiden vorangegangenen Urteilen jede Abwägung zwischen unternehmerischer Freiheit und Berufsfreiheit des Arbeitnehmers unterlassen habe. Die durch den Fünften Senat ohne Begründung vorgenommene Umkehrung der Beweislast zu Lasten des Arbeitgebers müsse als Willkür erscheinen.

Die abgelehnten Richter haben in ihren dienstlichen Äußerungen erklärt, daß sie sich der Klägerin gegenüber nicht für befangen halten.

 

Entscheidungsgründe

II. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet:

1. Das Ablehnungsgesuch ist formgerecht unter Glaubhaftmachung der Ablehnungsgründe (§ 44 ZPO) eingereicht worden. Es richtet sich gegen im einzelnen benannte Berufsrichter und ehrenamtliche Richter des Fünften Senats. Ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin ist gegeben; der Antrag ist insbesondere nicht rechtsmißbräuchlich.

2. Das Ablehnungsgesuch hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Dabei kommt es darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung dieses objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Dementsprechend dient das Verfahren nach § 42 Abs. 2 ZPO allein dazu, die Beteiligten vor der Unsachlichkeit des Richters aus einem in seiner Person liegenden Grund zu bewahren. Als Ursache für eine Parteilichkeit des Richters kommt nicht seine für einen Beteiligten ungünstige und möglicherweise unrichtige Rechtsauffassung in einem früheren Verfahren in Betracht. Die Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen (auch in früheren Verfahren) eines Richters zu wehren, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür (vgl. BFH Beschluß vom 14. Juni 1991 – VI B 6/91 – SGb 1992, 311; BFH Beschluß vom 8. Mai 1992 – III S 3/92 –, n.v.).

b) Aus dem Vortrag der Klägerin ergeben sich keine Gründe, die geeignet sind, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter zu rechtfertigen. Aus der Tätigkeit der abgelehnten Richter in den von der Klägerin mit den Piloten … L… und … Sch … geführten Arbeitsgerichtsverfahren läßt sich das Ablehnungsgesuch nicht begründen.

aa) Die Mitwirkung des Richters an einem früheren verfahren, das zu einer der Partei ungünstigen Entscheidung geführt hat, kann nur bei Hinzutreten zusätzlicher konkreter Umstände einen Ablehnungsgrund setzen. Aus diesem muß sich ergeben, daß der Richter nicht bereit ist, seine früher geäußerte Meinung kritisch zu überprüfen und ggf. zu ändern (Thomas/Putzo, ZPO, 17. Aufl., § 42, Anm. 2b dd; Zöller/Vollkommer, ZPO, 17. Aufl., § 42 Rz 15). Die Klägerin kann aus den angezogenen Urteilen des Fünften Senats vom 24. Juli 1991 und 13. November 1991 weder folgern, daß sich der Senat in seiner jeweiligen Besetzung nicht mit den vorgetragenen Rechtsansichten auseinandergesetzt habe, noch schließen, die abgelehnten Richter seien so voreingenommen, daß sie die von der Klägerin vorgebrachten Rechtsansichten nicht mehr berücksichtigen werden. Es ist davon auszugehen, daß der Richter, der an die im früheren Rechtsstreit geäußerte Meinung nicht gebunden ist, die jeweiligen Argumente der Parteien und die Besonderheiten des Einzelfalles unter Einbeziehung neuer Erkenntnisse sorgfältig erwägt und die Entscheidung nach gründlicher Prüfung unvoreingenommen trifft. Die Klägerin trägt keine zusätzlichen Umstände vor, aus denen sich die Besorgnis ergibt, die abgelehnten Richter stünden bei einer erneuten Entscheidung einer vergleichbaren Rechtsfrage der Sache voreingenommen und daher parteiisch gegenüber. Die Befürchtung der Partei, die Richter könnten den Fall ebenso wie im vorangegangenen Verfahren würdigen, ist kein Befangenheitsgrund (vgl. Schlichting, NJW 1989, 1343).

bb) Auch der Vortrag der Klägerin, der Fünfte Senat habe in den beiden Urteilen vom 24. Juli 1991 und vom 13. November 1991 das Gutachten von Professor Dr. Dr. h.c.… H… und die von der Klägerin erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen weder im Tatbestand erwähnt noch sich in den Entscheidungsgründen damit auseinandergesetzt, begründet das Ablehnungsgesuch nicht. Im Ablehnungsverfahren können richterliche Entscheidungen nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden, es sei denn, sie beruhten auf Willkür. Von einer auf Willkür beruhenden Entscheidung kann nur dann gesprochen werden, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken schlechterdings nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (MünchKomm-Feiber, ZPO, § 42 Rz 30). Das Festhalten an einer seit Jahrzehnten entwickelten und allgemein anerkannten Rechtsprechung kann daher nicht willkürlich sein.

Im übrigen verkennt die Klägerin, daß ein letztinstanzliches Gericht nach Art. 103 GG nicht verpflichtet ist, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 22, 274; 65, 295; 80, 286). Schließlich sind die Rechtsauffassungen einer Partei vom Gericht ohne Rücksicht darauf, ob ein entsprechendes Rechtsgutachten vorgelegt worden ist, zu würdigen und bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Die vom Fünften Senat unterlassene Erwähnung des Rechtsgutachtens in Tatbestand und Entscheidungsgründen begründet nicht den Schluß, das Gericht habe die mit diesem Gutachten belegten Rechtsansichen der Partei nicht zur Kenntnis genommen.

cc) Die Klägerin kann schließlich die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter nicht darauf stützen, der Fünfte Senat habe sich nicht mit der vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung geforderten Abwägung zwischen unternehmerischer Freiheit und Berufsfreiheit des Arbeitnehmers befaßt. Aus diesem Umstand läßt sich nicht ohne weiteres schließen, daß der Fünfte Senat mit den abgelehnten Richtern bei einer erneuten Befassung mit der gleichen Rechtsfrage die Prüfung nicht vornehmen wird.

Nach allem erweist sich das Ablehnungsgesuch der Klägerin als unbegründet.

 

Unterschriften

Dr. Lipke, Dr. Müller-Glöge, Hauck, Kessel, Kreienbaum

 

Fundstellen

Haufe-Index 846760

NJW 1993, 879

NZA 1993, 238

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