Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. Präklusion durch früheren Kündigungsschutzrechtsstreit. Erstmalige Vorabentscheidung nach § 17a GVG durch das Landesarbeitsgericht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Feststellung des Umfangs der materiellen Rechtskraft eines Versäumnisurteils in einem Kündigungsschutzprozeß, das keine Begründung enthält, ist auch das Klagevorbringen zu berücksichtigen

 

Normenkette

GVG § 17a; ArbGG § 65; ZPO §§ 322, 575; KSchG § 4

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 21.04.1994; Aktenzeichen 9 Sa 493/93)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. April 1994 – 9 Sa 493/93 – aufgehoben.

Das Verfahren wird zur anderweiten Entscheidung über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges wie auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

A. Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 6. und 8. April 1992 nicht fristlos aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. Juni 1992 fortbestanden hat; ferner begehrt er die Zahlung von Arbeitsentgelt. Widerklagend nimmt die Beklagte den Kläger auf Herausgabe eines PC‘s nebst Zubehör, eines Druckers sowie weiterer Büroartikel in Anspruch.

Der Kläger hat die Klage zunächst an das Arbeitsgericht Gießen gerichtet. Das Arbeitsgericht Gießen hat den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Koblenz, Auswärtige Kammern Neuwied, als das seiner Ansicht nach örtlich zuständige Arbeitsgericht verwiesen.

Im ersten Rechtszug hat der Kläger geltend gemacht, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei gegeben. Dies folge bereits aus dem rechtskräftig gewordenen Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 28. Februar 1992 in einem vorangegangenen Rechtsstreit des Klägers gegen die Beklagte. Darin ist entsprechend dem Antrag des Klägers festgestellt worden,

“daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 11. November 1991, dem Kläger zugegangen am 9. Januar 1992, zum 31. Dezember 1991 geendet hat, sondern darüber hinaus ungekündigt zu den bisherigen Bedingungen fortbesteht”.

Demgegenüber hatte die Beklagte den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als nicht gegeben erachtet, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Das Versäumnisurteil im vorangegangenen Prozeß sei falsch; es binde auch nicht für den jetzt vorliegenden Rechtsstreit.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat über die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs nicht vorab entschieden, sondern in seinem Sachurteil vom 27. Januar 1993 der Klage wie der Widerklage zum Teil stattgegeben, Klage und Widerklage im übrigen abgewiesen und in den Entscheidungsgründen den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als gegeben erachtet.

Gegen das Urteil haben beide Seiten jeweils zulässig Berufung eingelegt. Die Beklagte rügt weiterhin den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als nicht gegeben. Der Anstellungsvertrag mit dem Kläger sei lediglich pro forma erstellt worden; tatsächlich habe der Kläger als freier Makler gearbeitet. Er sei nicht in eine Organisation der Beklagten eingebunden gewesen. Vielmehr habe der Kläger im März 1991 sein Gewerbe als freier Versicherungsmakler selbst angemeldet. Die Vereinbarung, wonach der Kläger ab 1991 als Angestellter geführt werden solle, sei dem Wunsch des Klägers entsprungen, für ein Jahr eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit auszuüben.

Das Landesarbeitsgericht hat durch seinen Beschluß vom 21. April 1994 vorab den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für gegeben erachtet. Der Beschluß ist der Beklagten am 16. Juni 1994 zugestellt worden. Mit ihrer am 30. Juni 1994 eingereichten Beschwerdeschrift, auf deren Begründung Bezug genommen wird, wendet sich die Beklagte hiergegen.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses festzustellen, daß die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nicht gegeben ist.

Der Kläger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er hält sie unter Hinweis auf sein gesamtes bisheriges Vorbringen in den vorangegangenen Rechtszügen für unbegründet und macht sich die Gründe des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich zu eigen.

Das Bundesarbeitsgericht hat die Akte des vorangegangenen Rechtsstreits der Parteien vor dem Arbeitsgericht Gießen – 3 Ca 56/92 – beigezogen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Beschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluß des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz war aufzuheben. Seine Begründung trägt das Ergebnis, wonach der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben sei, nicht. Das Verfahren war insoweit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 575 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat vorab aufgrund anderweiter Verhandlung zu entscheiden, ob der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben ist oder nicht.

I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs durch Beschluß entschieden. Die Regelung des § 65 ArbGG, wonach das Berufungsgericht u.a. nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, steht dem nicht entgegen. Entscheidet – wie hier – das Arbeitsgericht entgegen § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG trotz Rüge einer Partei über die Zulässigkeit des Rechtsweges nicht vorab durch Beschluß, sondern in den Gründen des der Klage stattgebenden Urteiles, so kann die beklagte Partei hiergegen wahlweise sofortige Beschwerde oder – wie hier – Berufung einlegen. Wird Berufung eingelegt, so steht § 65 ArbGG einer Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs durch das Landesarbeitsgericht nicht entgegen. Über die Zulässigkeit des Rechtswegs hat das Landesarbeitsgericht, gleichgültig ob es sie bejaht oder verneint, vorab durch Beschluß zu entscheiden (BAG Urteil vom 26. März 1992 – 2 AZR 443/91 – AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG 1979 mit Anm. Vollkommer = EzA § 48 ArbGG 1979 Nr. 5 = NZA 1992, 954).

II. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch mit einer unzureichenden Begründung die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen bejaht.

1. Es hat gemeint, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 12. Januar 1977 (– 5 AZR 593/75 – AP Nr. 3 zu § 4 KSchG 1969) stehe gem. § 322 ZPO aufgrund des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts Gießen im vorangegangenen Kündigungsschutzprozeß (– 3 Ca 56/92 –) vom 28. Februar 1992 mit Präklusionswirkung für die Parteien fest, daß zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Dementsprechend könne sich der in dem Feststellungsverfahren unterlegene Arbeitgeber nicht in einem späteren Verfahren auf solche Tatsachen berufen, die den Schluß zulassen, ein Arbeitsvertragsverhältnis habe zwischen ihm und dem Kläger nicht bestanden. Das vorangegangene Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Gießen beinhalte ausdrücklich das Begehren festzustellen, daß ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst worden sei. Daraus folge, daß das bestandskräftige Versäumnisurteil Rechtskraft insoweit entfaltet habe, als es der Beklagten nunmehr verwehrt sei, im vorliegenden Verfahren den Einwand zu erheben, es habe kein Arbeitsvertragsverhältnis zwischen den Parteien bestanden.

2. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der Prüfung in der weiteren Beschwerde nicht stand. Zu Unrecht hat es angenommen, aufgrund der Rechtskraft des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 28. Februar 1992 – 3 Ca 56/92 – sei die Beklagte gehindert, im vorliegenden Fall geltend zu machen, daß der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht gegeben sei, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestehe.

a) Der Umfang der materiellen Rechtskraft und der hiermit im Zusammenhang stehenden Präklusionswirkung bei Kündigungsschutzklagen richtet sich nach deren Streitgegenstand. Entspricht der Feststellungsantrag dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von der punktuellen Streitgegenstandstheorie auszugehen: Streitgegenstand ist die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis aus Anlaß einer ganz bestimmten Kündigung zu dem beabsichtigten Termin aufgelöst worden ist oder nicht. Dagegen ist nicht Streitgegenstand das Bestehen des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, auf die das betreffende Urteil ergangen ist (ausführlich: BAG Urteil vom 12. Juni 1986 – 2 AZR 426/85 – AP Nr. 17 zu § 4 KSchG 1969, unter B I der Gründe, m.w.N.). Wird eine derartige Entscheidung unanfechtbar, tritt also die äußere Rechtskraft ein, so steht damit unter dem Gesichtspunkt der inneren Rechtskraft unter den Parteien nur fest, daß zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den streitenden Parteien bestanden hat (aaO, unter B II der Gründe, m.w.N.).

b) Eine weitergehende Wirkung entfaltet ein rechtskräftiges Urteil in einem Kündigungsschutzprozeß nicht. Insbesondere reicht seine Wirkung, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, nicht über den Zeitpunkt hinaus aus, auf den sie getroffen worden ist.

c) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, aus dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 28. Februar 1992 – 3 Ca 56/92 – schließen zu können, daß das Arbeitsgericht Gießen eine weiter in die Zukunft reichende Feststellung getroffen habe. Darin kann dem Landesarbeitsgericht nicht gefolgt werden. Es hätte, da das Versäumnisurteil keine Begründung enthält, zur bestimmung der inneren Rechtskraft auch das Klagevorbringen heranziehen müssen. Ein Antrag festzustellen, daß ein Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung zu einem bestimmten Termin nicht aufgelöst worden ist, “sondern darüber hinaus ungekündigt fortbestehe”, bedarf insoweit – wie das Landesarbeitsgericht im Ansatz zutreffend erkannt hat – der Auslegung. Zu klären ist, ob dem zweiten Teil des formulierten Antrages eine rechtlich selbständige Bedeutung zukommt oder ob es sich hierbei lediglich um eine rechtlich unselbständige Formulierung handelt, mit der kein eigener allgemeiner Feststellungsantrag im Sinne des § 256 ZPO gestellt wird. Ist nur eine Kündigung im Streit, nicht aber ansonsten der Bestand des Arbeitsverhältnisses umstritten, z.B. hinsichtlich seines Zustandekommens oder durch weitere Kündigungen, so ist in aller Regel davon auszugehen, daß Streitgegenstand des Prozesses nur der Kündigungsschutzantrag ist und der weiteren Formulierung des Antrags, wonach das Arbeitsverhältnis über den Kündigungszeitpunkt hinaus ungekündigt fortbestehen solle, keine rechtlich selbständige Bedeutung zukommt. Will ein Arbeitnehmer nämlich neben einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG eine selbständige allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO erheben, so genügt hierfür nicht schon, daß er neben dem Antrag nach § 4 KSchG begehrt, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festzustellen, vielmehr bedarf es auch einer entsprechenden Begründung. Befaßt sich die Begründung ausschließlich mit der Frage, ob eine vom Arbeitgeber ausgesprochene bestimmt bezeichnete Kündigung wirksam ist, so liegt regelmäßig kein über der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG erweiterter Streitgegenstand vor (BAG Urteil vom 16. März 1994 – 8 AZR 97/93 – AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969; auch schon BAG Urteil vom 27. Januar 1994 – 2 AZR 484/93 – AP Nr. 28, aaO).

d) Das dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 28. Februar 1992 – 3 Ca 56/92 – zugrunde liegende Vorbringen des Klägers erschöpfte sich in seiner Klageschrift vom 28. Januar 1992. Sie befaßt sich allein mit der Frage, ob die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat. Ihr war in Fotokopie das Kündigungsschreiben der Beklagten beigefügt, dessen Betreff lautet “Ihr Anstellungsvertrag” und in dem es heißt, daß der mit dem Kläger “geschlossene Anstellungsvertrag” gekündigt werde, die dem Kläger erteilte Prokura erlösche und die vom Kläger geleitete Niederlassung aufgelöst werde sowie ein Zeugnis und die Arbeitspapiere Anfang des neuen Jahres folgen werden. Es gibt keinen Anhaltspunkt, der zu der Annahme führt, der Kläger habe sich mit seinem damaligen Antrag, dem die Formulierung des Tenors im genannten Versäumnisurteil entspricht, nicht nur gegen die erklärte Kündigung zur Wehr setzen, sondern darüber hinaus – selbständig – das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne eines Statusprozesses festgestellt wissen wollen. Dem vorliegenden Versäumnisurteil kommt daher keine Präklusionswirkung für die Zukunft zu.

3. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung des Verfahrens nach § 575 ZPO ist Gebrauch gemacht worden, um den Parteien Gelegenheit zu geben, zur Frage des zulässigen Rechtswegs näher vorzutragen.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 857044

NJW 1995, 2310

NZA 1995, 595

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