Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederaufnahme. fehlende Postulationsfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

  • Gegen einen Beschluß des Bundesarbeitsgerichts, durch den die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen wird, findet entsprechend § 79 ArbGG, §§ 578 ff. ZPO die Wiederaufnahme des Verfahrens statt. An die Stelle der Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) tritt ein Antrag, über den durch Beschluß entschieden wird, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann.
  • War der Prozeßvertreter des Beschwerdeführers nicht postulationsfähig, begründet dies keinen Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.
 

Normenkette

ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 87 Abs. 1, §§ 519b, 511 Nr. 5, §§ 554a, 573, 578 Abs. 1, § 584 Abs. 2, §§ 586-587; GG Art. 2 Abs. 1; ArbGG § 72a Abs. 5 Sätze 2, 6, § 79

 

Tenor

  • Der Antrag, den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Februar 1990 – 8 AZN 16/90 – aufzuheben, wird als unzulässig verworfen.
  • Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
 

Tatbestand

I. Die Antragsgegnerin errichtet schlüsselfertige Großbauten. Der Antragsteller war in ihrem Betrieb Leiter der Abteilung Komplettbau. Die Antragsgegnerin hat mit Klage vom 23. Juli 1986 von dem Antragsteller u.a. die Rückzahlung von Schmiergeldern verlangt. Das Arbeitsgericht hat den Antragsteller durch Teilurteil zur Zahlung von 4.029.207,66 DM verurteilt. Die Berufung des Antragstellers hat das Landesarbeitsgericht durch Teilurteil in Höhe von 2.683.632,80 DM zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers hat der Senat durch Beschluß vom 14. Februar 1990, der am 5. März 1990 dem Prozeßvertreter des Antragstellers zugestellt wurde, als unzulässig verworfen.

Mit dem als “Nichtigkeitsklage” bezeichneten Antrag vom 3. April 1990, beim Bundesarbeitsgericht eingegangen am 4. April 1990, begehrt der Antragsteller die Aufhebung des Beschlusses und die Zulassung der Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts.

Er behauptet, er sei bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht von einem Rechtsanwalt vertreten worden. Sein Prozeßvertreter sei zwar Rechtsanwalt in Berlin gewesen, habe auf diese Anwaltszulassung aber bereits vor einigen Jahren verzichtet. Über einen Antrag, ihn als Rechtsanwalt bei den Landgerichten und dem Oberlandesgericht in München zuzulassen, sei bisher nicht entschieden. Im übrigen seien Anwaltsvertrag und Vollmacht am 31. Mai 1990 wegen arglistiger Täuschung gegenüber dem Prozeßvertreter angefochten worden. Der Antragsteller beantragt,

  • den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Februar 1990 – 8 AZN 16/90 – aufzuheben,
  • die Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 18. April 1989 – 3 Sa 1030/87 – zuzulassen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzuweisen, hilfsweise die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die mangelnde Postulationsfähigkeit des Prozeßvertreters des Antragstellers sei kein Nichtigkeitsgrund. Sie habe schon im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde darauf hingewiesen, daß der Vertreter des Antragstellers nicht als Rechtsanwalt zugelassen sei. Schließlich sei der Antragsteller in jenem Verfahren durch andere Rechtsanwälte vertreten gewesen.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Antrag ist unzulässig. Der Antragsteller hat es an der Darlegung eines Nichtigkeitsgrundes im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO fehlen lassen.

1. Der Antrag ist statthaft, obwohl die Entscheidung vom 14. Februar 1990, gegen die der Antragsteller sich wendet, kein Urteil, sondern ein Beschluß ist.

Zwar setzt § 578 Abs. 1 ZPO voraus, daß das Verfahren, das wiederaufgenommen werden soll, durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossen wurde. Über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus ist die Wiederaufnahme des Verfahrens jedoch auch dann statthaft, wenn die letzte Entscheidung ein urteilsvertretender Beschluß war, etwa eine Entscheidung nach § 519b ZPO oder § 554a ZPO, durch den die Berufung oder Revision als unzulässig verworfen worden ist (BAGE 1, 228 = AP Nr. 3 zu § 66 ArbGG 1953; BGH NJW 1983, 883). Gleiches gilt auch für einen Beschluß, durch den eine Nichtzulassungsbeschwerde verworfen wird (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 79 Rz 4). Auch durch einen solchen Beschluß wird das Verfahren beendet.

Die entsprechende Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften rechtfertigt sich aus dem Gesetzeszweck. Die Wiederaufnahme des Verfahrens dient der Beseitigung einer gerichtlichen Entscheidung, die mit einem Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden kann. Durch Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) kann die Rechtskraft eines Urteils bekämpft werden, das unter Verstoß gegen elementare Grundsätze eines rechtsstaatlich geregelten Verfahrens zustande gekommen ist. Derartig schwere Mängel können auch in Verfahren auftreten, die durch Beschluß beendet werden. Es kann daher nicht auf die Form der Entscheidung ankommen, sondern nur darauf, ob es sich um eine Entscheidung handelt, die das gerichtliche Verfahren rechtskräftig abschließt (BVerwG NJW 1959, 117; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., vor § 578 Rz 29). Dies ist bei dem Beschluß, durch den eine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wird, der Fall. Nach § 72a Abs. 5 Satz 6 ArbGG wird mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig.

Zu entscheiden ist in diesem Fall nicht aufgrund einer “Nichtigkeitsklage”, sondern aufgrund eines Antrags durch Beschluß, der entsprechend § 573 ZPO, § 72a Abs. 5 Satz 2 ArbGG aufgrund freigestellter mündlicher Verhandlung ergehen kann (vgl. auch BGH NJW 1983,883, mit weiteren Nachweisen).

2. Der Antragsteller hat den Antrag mit dem notwendigen Inhalt (§ 587 ZPO) bei dem zuständigen Bundesarbeitsgericht (§ 584 Abs. 2 ZPO) rechtzeitig (§ 586 Abs. 1 ZPO) eingereicht. Die am 4. April 1990 bei Gericht eingegangene “Nichtigkeitsklage”, die als Antrag aufzufassen ist, wahrt die einmonatige Antragsfrist. Diese begann nicht vor dem 5. März 1990. Für die Rechtzeitigkeit des Antrags kommt es auf dessen Einreichung bei Gericht an (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 16. Aufl., § 261 Anm. 1).

Bei dem hier gegebenen Nichtigkeitsantrag wegen mangelnder Vertretung läuft die Frist von dem Tag an, an dem der Partei die Entscheidung zugestellt ist (§ 586 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO). Zugestellt wurde der Beschluß vom 14. Februar 1990 am 5. März 1990, allerdings nur dem Prozeßvertreter des Antragstellers, nicht aber diesem selbst. Ob diese Zustellung wirksam war, kann dahinstehen. War sie wirksam, ist der Antrag am 4. April 1990 rechtzeitig bei Gericht eingegangen. War die Zustellung an den Prozeßvertreter nicht wirksam, ist der Antrag ebenfalls rechtzeitig. Mangels Zustellung an den Antragsteller ist in diesem Fall die Frist nicht in Lauf gesetzt und der Antrag vor Fristbeginn gestellt worden, was zulässig ist (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 16. Aufl., § 586 Anm. 1 und 2).

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kommt es nicht darauf an, wann der Antragsteller Kenntnis von dem Wiederaufnahmegrund erlangt hat. Zwar stellt § 586 Abs. 2 ZPO für den Beginn der Frist auf diesen Zeitpunkt ab. Nach § 586 Abs. 3 Halbsatz 1 ZPO ist diese Bestimmung allerdings bei einer Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung nicht anwendbar. Daher geht der Hinweis der Antragsgegnerin fehl, sie habe bereits mit Schriftsatz vom 20. Februar 1990 vorgetragen, daß dem Prozeßvertreter des Antragstellers die Zulassung als Rechtsanwalt fehle. Im übrigen ist dieser Schriftsatz dem Prozeßvertreter des Antragstellers nicht vor dem 5. März 1990 übersandt worden.

3. Der Antragsteller macht geltend, er sei in dem Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten gewesen, weil sein Prozeßvertreter nicht Rechtsanwalt gewesen sei und außerdem Vollmacht sowie Anwaltsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten worden seien. Dieses Vorbringen enthält keine Tatsachen für den in § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezeichneten Verfahrensverstoß. Der Antrag ist daher unzulässig (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., vor § 578 Rz 23).

Ist der Prozeßvertreter nicht postulationsfähig, so bewirkt dies nicht, daß die betroffene Partei nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war. Die Partei hat dann lediglich die für die betreffende Prozeßhandlung vorgeschriebene Form verfehlt. Dies begründet jedoch nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens.

§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO findet Anwendung, wenn die Partei prozeßunfähig und nicht durch ihren gesetzlichen Vertreter oder überhaupt nicht vertreten war. Die Bestimmung wird entsprechend angewendet, wenn die Parteifähigkeit fehlte, eine Partei tatsächlich nicht existiert hat oder die beklagte Partei unverschuldet keine Kenntnis von einem gegen sie angestrengten Prozeß hatte (OLG Celle JW 1920, 908; OLG Stuttgart JW 1936, 1145; BGHZ 59, 127; OLG Hamm MDR 1979, 766).

Durch die Prozeßvoraussetzung der ordnungsgemäßen gesetzlichen Vertretung soll das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) der Partei gesichert werden. Es soll vermieden werden, daß jemand in einem Verfahren, in dem er nicht persönlich als Handelnder auftreten kann, eine für ihn nachteilige Entscheidung hinnehmen muß, wenn ihm nicht das Handeln eines Vertreters aufgrund gesetzlicher Vorschriften zugerechnet werden kann. Ein Verstoß gegen diesen Verfahrensgrundsatz rechtfertigt daher die Beseitigung der gerichtlichen Entscheidung, selbst wenn diese inzwischen rechtskräftig ist (vgl. Urbanczyk, ZZP 95, 339, 357).

Der Zweck des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, Parteien zu schützen, die ihre Angelegenheiten nur mit Hilfe eines Dritten regeln können, rechtfertigt es nicht, das Fehlen der Postulationsfähigkeit des Prozeßvertreters der fehlenden gesetzlichen Vertretung gleichzustellen. Die Postulationsfähigkeit dient dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Gang des Verfahrens und dem Interesse der Partei an ordnungsgemäßer Beratung (vgl. Urbanczyk, ZZP 95, 339, 356). Um diese Zwecke zu erreichen, schreibt das Gesetz eine bestimmte Form des prossualen Handelns vor. Bestimmte Prozeßhandlungen können nur wirksam vorgenommen werden, wenn die Partei dabei durch eine Person vertreten wird, welche die vom Gesetz geforderte Befähigung besitzt. Es liegt jedoch in der Verantwortung der – selbst oder durch einen gesetzlichen Vertreter handlungsfähigen – Partei, eine vertretungsberechtigte Person auszuwählen, die für sie vor Gericht wirksam handelt. Besitzt der von der Partei ausgewählte Vertreter nicht die Fähigkeit, “dem prozessualen Handeln die rechtserhebliche Erscheinungsform zu geben” (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 45 I 2), so beruht ein gegen sie ergehendes Urteil nicht darauf, daß ihr verwehrt wurde, in bezug auf das Verfahren ihr Selbstbestimmungsrecht auszuüben, sondern darauf, daß der Beauftragte die von ihm geschuldete Leistung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, weil er die dazu erforderliche Befähigung nicht besaß. Wie auch sonst bei Leistungsstörungen, die sich im Rahmen von Geschäftsbesorgungsverträgen ereignen, hat der schuldhaft handelnde Beauftragte der Partei, die den Mangel in der Vertretungsfähigkeit weder kannte noch kennen mußte, den entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt auch, wenn es durch das Verhalten des Beauftragten zu einer für den Auftraggeber ungünstigen gerichtlichen Entscheidung gekommen ist, die mit Rechtsmitteln nicht mehr angefochten werden kann. Die Beseitigung der Rechtskraft wird daher durch das Interesse der in dieser Weise geschädigten Partei nicht gefordert. Anders als bei einer nicht nach Vorschrift der Gesetze vertretenen Partei steht das Interesse der Gegenpartei an der Endgültigkeit der Entscheidung einer Wiederaufnahme des Verfahrens entgegen. Der Senat folgt damit im Ergebnis der herrschenden Meinung, die im Fehlen der Postulationsfähigkeit weder einen Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO noch einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 551 Nr. 5 ZPO sieht (vgl. Rosenberg/Schwab, aaO, § 45 II 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 78 RZ 10; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., § 8 IV 3; Urbanczyk, ZZP 95, 339, 361).

Der Vortrag des Antragstellers, er habe am 31. Mai 1990 Anwaltsvertrag und Vollmacht gegenüber seinem Prozeßvertreter angefochten, ist gemäß § 87 Abs. 1 ZPO unerheblich (vgl. Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 8. Dezember 1981 – 7 AZN 441/81 – AP Nr. 1 zu § 87 ZPO).

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Dr. Weiss, Schmidt

 

Fundstellen

Haufe-Index 839242

BAGE, 140

NJW 1991, 1252

JR 1991, 396

RdA 1991, 124

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