Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung in der Druckindustrie

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Eingruppierung in Lohngruppe VI Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 6.7.1984 (LRTV Druckindustrie) erfordert eine abgeschlossene Berufsausbildung. Nur das zusätzlich geforderte erweiterte Fachwissen kann durch entsprechende Berufserfahrung erworben werden, nicht aber kann dadurch die Berufsausbildung ersetzt werden.

 

Orientierungssatz

Begründung der Rechtsbeschwerde; Bedeutung der Richtbeispiele im LRTV Druckindustrie.

 

Normenkette

TVG § 1; BetrVG § 99; ArbGG § 94 Fassung: 1979-07-02

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 08.01.1986; Aktenzeichen 12 TaBV 53/85)

ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 14.02.1985; Aktenzeichen 3 BV 48/84)

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die zutreffende Eingruppierung von zwei bei der Antragstellerin, einem Unternehmen der Druckindustrie, beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmern. Der Antragsgegner ist der Betriebsrat der Antragstellerin. Im Betrieb der Antragstellerin werden auf die Arbeitsverhältnisse der gewerblichen Arbeitnehmer die Vorschriften des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich Berlin-West) (MTV) und des Lohnrahmentarifvertrages vom 6. Juli 1984 (LRTV) angewendet. Der LRTV sah eine Neueinteilung der Lohngruppen vor. Mit Schreiben vom 29. November 1984 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Zustimmung zur Umgruppierung des Arbeitnehmers F in die Lohngruppe V LRTV und des Arbeitnehmers K in die Lohngruppe IV LRTV. Der Antragsgegner verweigerte seine Zustimmung mit Schreiben vom 5. November 1984, das der Antragstellerin am 6. Dezember 1984 zuging.

Der Arbeitnehmer F ist seit dem Jahre 1967 als Etikettenschneider beschäftigt. Er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zu seinen Aufgaben gehört das Beschneiden und Aufschneiden von Papier, Karton und Folien zu Einzeletiketten. Dazu erstellt er den Schneideplan, erarbeitet das Programm für die Schnittfolge und gibt die Daten in den Rechner der Schnellschneidemaschine ein. Diese Tätigkeit nimmt 80 % seiner Gesamtarbeitszeit in Anspruch. Während der übrigen Arbeitszeit führt er einfache Trenn- und Winkelschnitte durch.

Der Arbeitnehmer K ist seit dem 2. Januar 1979 bei der Antragstellerin beschäftigt und wird seit dem 1. März 1980 als Papierschneider eingesetzt. Er verfügt ebenfalls über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zu seinen Aufgaben gehört überwiegend die Durchführung von Trenn- und Winkelschnitten mit zwei kleinformatigen Schneidemaschinen. Das Anfertigen von Trenn- und Winkelschnitten und das Aufschneiden von bereits geteilten Bögen zu Einzeletiketten erfolgt nach einem ihm vorgegebenen Schneideplan.

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, daß der Arbeitnehmer F in die Lohngruppe V umzugruppieren sei. Der von ihm durchgeführte Endbeschnitt unter Erstellung des Schneideplans, die Erarbeitung des Programms für die Schnittfolge und dessen Eingabe in den Rechner der Schneidemaschine erforderten das in Lohngruppe V geforderte Fachwissen, wie es durch eine einschlägige Berufsausbildung oder eine entsprechende Berufserfahrung erworben werde. Ferner seien eine mittlere geistige Belastung und Verantwortung gegeben. Für eine Eingruppierung in die Lohngruppe VI fehle es an der in dieser Lohngruppe vorausgesetzten abgeschlossenen Berufsausbildung und dem Erfordernis eines erweiterten Fachwissens.

Der Arbeitnehmer K sei in die Lohngruppe IV umzugruppieren. Der von ihm durchgeführte Vorbeschnitt erfordere nur Vorkenntnisse und eine aufgabenbezogene Unterweisung oder Einarbeitung, nicht aber das in Lohngruppe V vorausgesetzte Fachwissen. Auch die geistige Belastung und Verantwortung entspreche beim Vorbeschnitt nach vorgegebenem Schneideplan nur den Anforderungen der Lohngruppe IV. Es sei bei weitem nicht die Genauigkeit wie beim Endbeschnitt erforderlich. Der Arbeitnehmer K habe seine Tätigkeit auch bereits nach wenigen Wochen Einarbeitungszeit selbständig ausführen können. So sei es auch branchenüblich, daß mit Etiketten- und Papierschneidearbeiten nur angelernte Arbeiter beschäftigt würden, weil diese Tätigkeit nur einen kleinen Teilbereich der einschlägigen Berufsausbildung als Buchbinder darstelle.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die vom Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur

Eingruppierung der Arbeitnehmer

1. F in die Lohngruppe V

2. K in die Lohngruppe IV

des Lohnrahmentarifvertrages für die gewerblichen

Arbeitnehmer der Druckindustrie zu ersetzen.

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, daß der Arbeitnehmer F in die Lohngruppe VI einzugruppieren sei. Der in dieser Lohngruppe geforderten abgeschlossenen Berufsausbildung sei seine langjährige Berufserfahrung gleichzustellen. Die Bedienung der Schnellschneidemaschine erfordere erweitertes Fachwissen, da er auch den Schneideplan zu erstellen und einzugeben habe. Dies stelle große geistige Anforderungen, die außerdem auch im Hinblick auf die Produktvielfalt und dadurch bedingt seien, daß er verschiedene Drucknutzen auf einem Druckbogen zu beachten habe. Außerdem müsse berücksichtigt werden, daß hauptsächlich selbstklebende Folien verarbeitet würden. Diese müßten mit verschiedenen Messern und verschiedenem Aufsatzdruck geschnitten werden. Alle für die Erledigung des Auftrags wichtigen Arbeiten müsse er selbständig aus der beigefügten Auftragstasche entnehmen. Er trage ferner die Verantwortung für die eingesetzten teuren Materialien und den Betrieb der Anlage. Damit erfordere die Tätigkeit mehr als mittlere geistige Anforderungen und Verantwortung. Innerhalb der Druckindustrie sei es üblich, daß die Bedienung einer Schneidemaschine bei verschiedenen Drucknutzen von gelernten Buchbindern oder langjährig bewährten, erfahrenen Mitarbeitern durchgeführt werde.

Der Arbeitnehmer K sei in die Lohngruppe V umzugruppieren. Seine Tätigkeit erfordere Kenntnisse, wie sie nur durch eine abgeschlossene Buchbinderausbildung vermittelt würden. Das erforderliche Fachwissen habe er durch eine entsprechende Berufserfahrung erworben. Da er mit Ausnahme der Erstellung des Schneideplans die gleiche Tätigkeit wie der Arbeitnehmer F ausübe, seien mittlere Anforderungen an Aufmerksamkeit, Denktätigkeit und Verantwortung gegeben. Diese Anforderungen stellten sich insbesondere bei der Umsetzung des Schneideplans, weil geringe Fehler die geschnittenen Druckbögen, die aus teuren Materialien bestünden, unbrauchbar machten. Die muskelmäßige Belastung entspreche der des Arbeitnehmers F.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsgegner seinen Zurückweisungsantrag weiter. Die Antragstellerin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

Die Rechtsbeschwerde ist zum Teil unzulässig und im übrigen unbegründet.

Die Rechtsbeschwerde ist hinsichtlich der Umgruppierung des Arbeitnehmers K unzulässig, weil sie nicht ausreichend begründet worden ist (§ 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Der angefochtene Beschluß enthält hinsichtlich der begehrten Ersetzung der Zustimmung des Antragsgegners zur Umgruppierung der Arbeitnehmer F und K zwei verschiedene Streitgegenstände. In diesem Falle muß sich die Begründung der Rechtsbeschwerde mit jedem Streitgegenstand befassen und für jeden der Streitgegenstände darlegen, warum die Entscheidung des Beschwerdegerichts für fehlerhaft gehalten wird. Geschieht dies hinsichtlich eines Streitgegenstandes nicht, so ist die Rechtsbeschwerde insoweit als unzulässig zu verwerfen (vgl. BAG 2, 58, 59 = AP Nr. 2 zu § 554 ZPO; Urteil vom 24. März 1977 - 3 AZR 232/76 - AP Nr. 12 zu § 630 BGB). Auch bei nur materiellrechtlichen Angriffen muß der Rechtsbeschwerdeführer genau angeben, aus welchen Gründen des materiellen Rechts er den angefochtenen Beschluß für unrichtig hält, wobei es immer auf die Verhältnisse des jeweiligen konkreten Falles ankommt (BAG Urteil vom 18. Januar 1984 - 4 AZR 41/83 - AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Diesen Erfordernissen genügt die Rechtsbeschwerdebegründung hinsichtlich der Umgruppierung des Arbeitnehmers K nicht. Der Antragsgegner hat seine Zustimmung zur Umgruppierung in die Lohngruppe IV verweigert, weil er die Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe V für erfüllt hält. Das Landesarbeitsgericht ist dem nicht gefolgt, sondern hat insbesondere verneint, daß der Arbeitnehmer K für seine Tätigkeit ein Fachwissen benötige, wie es durch eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen gleichwertigen Abschluß vermittelt werde. Die Rechtsbeschwerdebegründung beschäftigt sich demgegenüber nur mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu den Tätigkeitsmerkmalen der Lohngruppe VI. Insoweit ist maßgeblich, ob neben einer abgeschlossenen Berufsausbildung erweitertes Fachwissen erforderlich ist. Dies hat der Antragsgegner für den Arbeitnehmer K nicht in Anspruch genommen. Hinsichtlich des Arbeitnehmers K wird lediglich darauf verwiesen, daß im Hinblick auf die Anforderungen und die Bedeutung der Tätigkeit für die Antragstellerin sowie deren langjährige Dauer eine Eingruppierung in die Lohngruppe V gerechtfertigt sei. Dies ist keine ausreichende Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich dieses Streitgegenstandes. Dagegen ist die Rechtsbeschwerde hinsichtlich der Umgruppierung des Arbeitnehmers F unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß die Zustimmung des Antragsgegners zur Umgruppierung des Arbeitnehmers F in die Lohngruppe V zu ersetzen ist.

Die Zulässigkeit des gestellten Antrags und die Antragsbefugnis der Antragstellerin ergeben sich aus § 99 Abs. 4 BetrVG. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Sechsten und des Ersten Senats ist der betroffene Arbeitnehmer zu Recht von den Vorinstanzen nicht am Verfahren beteiligt worden (BAG 39, 102, 103 = AP Nr. 3 zu § 80 ArbGG 1979; Beschluß vom 31. Mai 1983 - 1 ABR 57/80 - AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972).

Ein Beteiligungsrecht des Antragsgegners bei der von der Antragstellerin beabsichtigten personellen Maßnahme ergibt sich aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Die Antragstellerin beabsichtigt, die Tätigkeit des Arbeitnehmers F der Lohngruppe V des neu in Kraft getretenen Lohnrahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich Berlin-West) vom 6. Juli 1984 (LRTV) zuzuordnen. Da dieser Lohnrahmentarifvertrag von der Antragstellerin auf die Arbeitsverhältnisse aller gewerblichen Arbeitnehmer im Betrieb angewendet wird, handelt es sich um die Anwendung abstrakter, allgemeiner "Eingruppierungsgrundsätze", die ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG begründet (BAG Beschlüsse vom 3. Dezember 1985 - 4 ABR 7/85 -, - 4 ABR 60/85 -, - 4 ABR 80/83 -, zur Veröffentlichung bestimmt; Beschluß vom 28. Januar 1986 - 1 ABR 8/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG besteht bei Ein- oder Umgruppierungen in Form eines Mitbeurteilungsrechts. Bei der Festlegung der der Tätigkeit des Arbeitnehmers entsprechenden Lohngruppe handelt es sich um die Anwendung tariflicher Bestimmungen auf einen vorgegebenen Sachverhalt. Insoweit hat der Betriebsrat kein Mitgestaltungsrecht, sondern übt er eine Richtigkeitskontrolle im Interesse der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und des Schutzes des einzelnen Arbeitnehmers vor einer unzutreffenden Ein- oder Umgruppierung aus (BAG 42, 121, 127 = AP Nr. 6 zu § 101 BetrVG 1972; BAG 43, 35, 42 = AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 28. Januar 1986 - 1 ABR 8/84 - zur Veröffentlichung bestimmt).

Die von der Antragstellerin geplante Maßnahme ist eine Umgruppierung im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, da die Antragstellerin den Arbeitnehmer F, dessen Tätigkeit unverändert geblieben ist, in eine Lohngruppe des neu in Kraft getretenen Lohnrahmentarifvertrages überführen will (BAG 13, 182, 188 = AP Nr. 2 zu § 63 BetrVG; BAG Beschluß vom 9. Oktober 1970 - 1 ABR 18/69 - AP Nr. 4 zu § 63 BetrVG).

Der beabsichtigten Umgruppierung des Arbeitnehmers F in die Lohngruppe V hat der Antragsgegner form- und fristgerecht (§ 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) mit der Begründung widersprochen, daß eine Umgruppierung in die Lohngruppe VI tariflich geboten sei. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners verstößt die von der Antragstellerin beabsichtigte Umgruppierung jedoch nicht gegen tarifliche Bestimmungen (§ 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG), so daß die von ihm verweigerte Zustimmung zu ersetzen ist. Zur tariflichen Bewertung der Tätigkeit des Arbeitnehmers F sind folgende Bestimmungen des Lohnrahmentarifvertrages heranzuziehen:

§ 4 Eingruppierung

1. Jeder Arbeitnehmer ist aufgrund der von ihm

vertraglich auszuübenden bzw. ausgeübten

Tätigkeit in eine der Lohngruppen des § 3

einzugruppieren. Für die Eingruppierung sind die

abstrakten Merkmale entscheidend. Erweiterte

Arbeitsaufgaben sind entsprechend zu berück-

sichtigen.

2. Übt ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten aus, die

verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind, so er-

folgt Eingruppierung nach der überwiegenden

Tätigkeit.

§ 3 Lohngruppen

1. Zur Eingruppierung der Arbeitnehmer werden

nachstehende Lohngruppen vereinbart......

Lohngruppe V

Tätigkeiten,

- die durch eine einschlägige abgeschlossene

Berufsausbildung oder einen gleichwertigen

Abschluß vermitteltes Fachwissen erfordern,

das auch durch entsprechende Berufserfahrung

erworben sein kann,

- die mittlere Anforderungen an Aufmerksamkeit sowie

Denktätigkeit voraussetzen,

- die fallweise mittlerer muskelmäßiger Beanspruchung

unterliegen,

- die mit mittlerer Verantwortung für Betriebsmittel,

eigene Arbeit und/oder Arbeit und Sicherheit anderer

verbunden sind.

Lohngruppe VI

Tätigkeiten,

- die neben der abgeschlossenen Berufsausbildung er-

weitertes Fachwissen erfordern, das auch durch

entsprechende Berufserfahrung erworben sein kann,

- die große Anforderungen an Genauigkeit und Konzen-

tration sowie Denktätigkeit im Sinne z.B. von Über-

legen, Suchen, Prüfen und Rechnen voraussetzen,

- die fallweise zumindest erhöhter muskelmäßiger Bean-

spruchung unterliegen,

- die mit großer Verantwortung für Betriebsmittel, eige-

ne Arbeit und/oder Arbeit und Sicherheit anderer

verbunden sind.

Lohngruppe VII

.......

Die in den Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten Bewertungs-

kriterien sind nicht in jedem Fall kumulativ zu ver-

stehen. Im Zweifel wird die Bewertung der den einzelnen

Lohngruppen zugeordneten Richtbeispiele als Auslegungs-

hilfe herangezogen.

Nach dem Wortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang, die bei der Tarifauslegung gleichwertig zu berücksichtigen sind (BAG 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), folgt aus § 4 Ziff. 1 Satz 1 LRTV, daß der Arbeitnehmer aufgrund der von ihm vertraglich auszuübenden bzw. ausgeübten Tätigkeit in eine der Lohngruppen des § 3 LRTV einzugruppieren ist. Erfüllt seine Tätigkeit die Tätigkeitsmerkmale einer Lohngruppe, so steht dem Arbeitnehmer ein entsprechender tariflicher Lohnanspruch zu. Der Entscheidung des Arbeitgebers kommt damit nur deklaratorische Bedeutung zu.

Für die Eingruppierung ist nach § 4 Ziff. 2 LRTV die überwiegende Tätigkeit maßgebend. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten ausübt, die verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind, wie sich aus dem Wortlaut des § 4 Ziff. 2 LRTV ergibt. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien in § 4 Ziff. 2 LRTV ein häufig bei der tariflichen Bewertung von Tätigkeiten verwendetes Prinzip herangezogen, wonach sich die Eingruppierung nach der im Vergleich zur Gesamtarbeitszeit zeitlich überwiegenden Tätigkeit richtet. Erfüllt die überwiegende Tätigkeit die Tätigkeitsmerkmale einer bestimmten Lohngruppe, so kommt es auf die tarifliche Bewertung von Tätigkeiten, die in zeitlich geringerem Umfang anfallen, nicht mehr an.

Für die Eingruppierung der überwiegenden Tätigkeit sind nach § 4 Ziff. 1 Satz 2 LRTV die abstrakten Merkmale entscheidend. In den abstrakten Merkmalen jeder Lohngruppe haben die Tarifvertragsparteien in den Lohngruppen II bis VII Bewertungskriterien hinsichtlich der Qualifikation, der geistigen Beanspruchung, der muskelmäßigen Beanspruchung und der Verantwortung normiert. Dazu bestimmt der Schlußabsatz in Lohngruppe VII:

Die in den Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten

Bewertungskriterien sind nicht in jedem Falle

kumulativ zu verstehen. Im Zweifel wird die

Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zuge-

ordneten Richtbeispiele als Auslegungshilfe heran-

gezogen.

Diese Vorschrift ist in Verbindung mit § 4 LRTV dahin auszulegen, daß die Erfordernisse einer Lohngruppe dann als erfüllt anzusehen sind, wenn ein Arbeitnehmer eine einem dieser Lohngruppe zugeordneten Richtbeispiel entsprechende Tätigkeit überwiegend auszuüben hat. Wenn die Tarifvertragsparteien bestimmen, daß "im Zweifel" die Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zugeordneten Richtbeispiele als "Auslegungshilfe" heranzuziehen ist, so bringen sie damit zum Ausdruck, daß sie die abstrakten Tätigkeitsmerkmale einer Lohngruppe - auch wenn nicht alle Bewertungskriterien vorliegen - dann als erfüllt ansehen, wenn die Tätigkeit in dieser Lohngruppe als Richtbeispiel aufgeführt ist. Diese Auslegung entspricht auch der ständigen Senatsrechtsprechung zur Bedeutung von Tätigkeitsbeispielen in tariflichen Eingruppierungsregelungen. Wenn allgemein gefaßten Tätigkeitsmerkmalen - hier: die abstrakten Merkmale in den Lohngruppen des Lohnrahmentarifvertrages - in einer bestimmten Vergütungsgruppe konkrete Beispiele beigefügt sind, sind nach der Senatsrechtsprechung die allgemeinen Erfordernisse der betreffenden Vergütungsgruppe regelmäßig schon dann als erfüllt anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine den Beispielen entsprechende Tätigkeit auszuüben hat. Durch Tätigkeitsbeispiele legen die Tarifvertragsparteien nämlich grundsätzlich verbindlich fest, daß diese Tätigkeiten den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen der betreffenden Beschäftigungs- oder Vergütungsgruppe entsprechen. Sie bringen mit Tätigkeitsbeispielen erkennbar ihre Auffassung zum Ausdruck, daß die dort angeführten Tätigkeiten die vorangestellten allgemeinen Tätigkeitsmerkmale erfüllen. Dies entspricht auch den bei der Tarifauslegung besonders wichtigen Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktikabilität, denen die Tarifvertragsparteien bei der Abfassung von Tarifnormen im allgemeinen gerecht werden wollen (BAG 45, 121, 125 f. = AP Nr. 134 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen; Urteil vom 12. März 1986 - 4 AZR 534/84 - AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie).

Die vorliegenden tariflichen Regelungen enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien den Richtbeispielen eine andere Bedeutung beimessen wollen, als es dem zuvor gekennzeichneten Wesen eines Beispiels allgemein entspricht. Vielmehr ergibt sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, daß die Tarifvertragsparteien mit den Richtbeispielen in den Lohngruppen I bis VII, die in sich häufig auch noch verschiedene Alternativen aufweisen, im wesentlichen die meisten für die Druckindustrie typischen Tätigkeiten erfassen und durch ihre Zuordnung zu einer Lohngruppe tariflich bewerten wollten. Im Hinblick darauf kann den Richtbeispielen nicht nur die Bedeutung beigemessen werden, daß sie lediglich als "Auslegungshilfe" in den Ausnahmefällen heranzuziehen sind, in denen eine kumulative Erfüllung der Bewertungskriterien eines abstrakten Tätigkeitsmerkmal nicht zweifelsfrei festzustellen ist.

Auf die abstrakten Tätigkeitsmerkmale muß allerdings dann zurückgegriffen werden, wenn das Richtbeispiel selbst unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die nicht aus sich heraus ausgelegt werden können oder eine Tätigkeit in den Richtbeispielen nicht aufgeführt ist. Auch hier entspricht es aber dem Willen der Tarifvertragsparteien, der mit der Verwendung der Bezeichnung "Auslegungshilfe" deutlich zum Ausdruck kommt, daß die Richtbeispiele bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in den abstrakten Tätigkeitsmerkmalen und bei der tariflichen Bewertung von Tätigkeiten, die als Richtbeispiel nicht genannt sind, heranzuziehen sind (vgl. BAG 45, 121, 126 = AP Nr. 134 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen; Urteil vom 12. März 1986 - 4 AZR 534/84 - AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie).

Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Tätigkeit des Arbeitnehmers F als Etikettenschneider im Endbeschnitt in keinem Richtbeispiel aufgeführt ist. Es hat ferner angenommen, daß der Antragsgegner zu Unrecht seine Zustimmung zur beabsichtigten Umgruppierung des Arbeitnehmers F in die Lohngruppe V mit der Begründung verweigert habe, daß die Tätigkeit die abstrakten Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe VI erfülle. Der Arbeitnehmer F habe keine abgeschlossene Berufsausbildung, die nach dem abstrakten Tätigkeitsmerkmal der Lohngruppe VI hinsichtlich der beruflichen Qualifikation gefordert werde. Die abgeschlossene Berufsausbildung könne entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht durch entsprechende Berufserfahrung ersetzt werden.

Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Nach Lohngruppe VI sind zu bewerten:

Tätigkeiten,

- die neben der abgeschlossenen Berufsausbildung

erweitertes Fachwissen erfordern, das auch durch

entsprechende Berufserfahrung erworben sein kann....

Aus dem Wortlaut dieser tariflichen Bestimmung folgt, daß die Tarifvertragsparteien in Lohngruppe VI eine abgeschlossene Berufsausbildung und erweitertes Fachwissen fordern. Dies wird durch die Verknüpfung, daß "neben" der abgeschlossenen Berufsausbildung erweitertes Fachwissen gefordert wird, deutlich zum Ausdruck gebracht. Nur das erweiterte Fachwissen kann auch durch eine entsprechende Berufserfahrung erworben werden, nicht jedoch kann die entsprechende Berufserfahrung die abgeschlossene Berufsausbildung ersetzen. Auch dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der tariflichen Bestimmung. Hätten die Tarifvertragsparteien die entsprechende Berufserfahrung sowohl mit der abgeschlossenen Berufsausbildung gleichsetzen als auch zum Erwerb erweiterten Fachwissens genügen lassen wollen, so hätte dies durch die Verwendung des Plurals im Nebensatz gekennzeichnet werden müssen.

Daß die Tarifvertragsparteien der Lohngruppe VI nur Tätigkeiten zuordnen wollten, die eine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern, ergibt sich auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Die Tarifvertragsparteien setzen in den Lohngruppen I bis IV keine Berufsausbildung voraus. In der Lohngruppe V wird ein Fachwissen gefordert, das durch eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung oder einen gleichwertigen Abschluß vermittelt wird. Dieses Fachwissen kann auch durch entsprechende Berufserfahrung erworben werden. Damit wird die Lohngruppe V, in der der Vergütungssatz nach § 3 Ziff. 1 LRTV 100 % des Facharbeiter-Wochenecklohnes beträgt, auch Arbeitnehmern eröffnet, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, aber über entsprechende Berufserfahrung verfügen. Demgegenüber verlangen die Tarifvertragsparteien neben erweitertem Fachwissen in Lohngruppe VI und zusätzlichem über die Lohngruppe VI hinausgehenden Fachwissen in Lohngruppe VII ausdrücklich eine abgeschlossene Berufsausbildung.

Insoweit kann sich der Antragsgegner auch nicht auf den Schlußsatz in Lohngruppe VII berufen, wonach die in den Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten Bewertungskriterien nicht in jedem Falle kumulativ zu verstehen sind. Zwar ist die abgeschlossene Berufsausbildung ebenso wie das erweiterte Fachwissen ein Bewertungskriterium in dem abstrakten Tätigkeitsmerkmal hinsichtlich der in der Lohngruppe VI geforderten beruflichen Qualifikation des Arbeitnehmers; die Ausnahmeregel, daß die aufgeführten Bewertungskriterien nicht in jedem Falle kumulativ zu verstehen sind, kann jedoch nach dem Tarifwortlaut vorliegend nicht eingreifen. Die Tarifvertragsparteien haben nämlich dadurch, daß sie die abgeschlossene Berufsausbildung ausdrücklich neben dem erweiterten Fachwissen als Erfordernis aufgeführt haben, deutlich zum Ausdruck gebracht, daß in dem abstrakten Tätigkeitsmerkmal hinsichtlich der in Lohngruppe VI erforderlichen beruflichen Qualifikation gerade nicht darauf verzichtet werden kann, daß beide Bewertungskriterien kumulativ vorliegen.

Da das Landesarbeitsgericht damit rechtsfehlerfrei zum Ergebnis gekommen ist, daß der vom Antragsgegner geltend gemachte Zustimmungsverweigerungsgrund nicht vorliegt, war die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Freitag

Scheerer Lehmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 438813

EzB TVG § 1, Nr 13 (LT1)

RdA 1987, 127

AP § 1 TVG, Nr 11

EzA § 4 TVG Druckindustrie, Nr 6

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