Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei Krankmeldungen

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1, § 80 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Beschluss vom 30.04.1991; Aktenzeichen 5 TaBV 218/90)

ArbG Offenbach am Main (Beschluss vom 28.11.1990; Aktenzeichen 3 BV 20/90)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 30. April 1991 – 5 TaBV 218/90 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten um ein Mitbestimmungsrecht in Zusammenhang mit der Vorlage von ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch einzelne Arbeitnehmer.

Der Arbeitgeber betreibt die deutsche Niederlassung eines japanischen Automobilkonzerns in Offenbach, Antragsteller dieses Verfahrens ist der in Offenbach gebildete Betriebsrat. Der Arbeitgeber unterliegt dem fachlichen und räumlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen in der Fassung vom 23. März 1990.

§ 15 des Manteltarifvertrages lautet wie folgt:

„§ 15 Arbeitsversäumnis, Freistellung, Tod

Der Anspruch auf Vergütung für zeitweiliges Arbeitsversäumnis eines vorübergehend an der Arbeit verhinderten Arbeitnehmers regelt sich in Erläuterung der gesetzlichen Bestimmungen wie folgt:

1. Ist der Arbeitnehmer durch Krankheit oder sonstige unvorhergesehene Ereignisse an der Arbeitsleistung verhindert, so hat er dies dem Arbeitgeber unverzüglich unter Angabe der Gründe mitzuteilen.

Bei Erkrankung, die länger als 3 Tage dauert, ist unverzüglich eine Bescheinigung vorzulegen, aus der die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer ersichtlich sind.

Ferner ist während der Krankheit auf Verlangen des Arbeitgebers eine Bescheinigung über die Fortdauer und bei Wiederaufnahme der Tätigkeit eine Bescheinigung über das Ende der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen.

Wird ohne wichtigen Grund die Benachrichtigung bzw. die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung trotz Aufforderung unterlassen, kann der Arbeitgeber das Vertragsverhältnis fristlos lösen.

Der Arbeitgeber kann auf seine Kosten die Vorlage einer Bescheinigung des vertrauensärztlichen Dienstes verlangen. …”

Der Arbeitgeber forderte in der Vergangenheit bei einzelnen häufiger erkrankten Arbeitnehmern über deren unmittelbare Vorgesetzte bereits für den ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung. Er hält sich hierzu auch weiter für berechtigt.

Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, dieses Vorgehen, das nicht mit ihm abgesprochen sei, stelle eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dar. Bei der Aufforderung an bestimmte Arbeitnehmer, bereits ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, handele es sich um eine Maßnahme, die das Verhalten der Arbeitnehmer und die betriebliche Ordnung betreffe. Sein Mitbestimmungsrecht sei auch nicht durch eine tarifliche Regelung ausgeschlossen. § 15 MTV enthalte keine Bestimmung für die ersten drei Tage der Erkrankung.

Der Betriebsrat hat beantragt,

  1. dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen, ohne Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Arbeitnehmer anzuweisen, bereits ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, aus der die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer ersichtlich sind;
  2. dem Arbeitgeber für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld anzudrohen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe nicht.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter. Hilfsweise hat er beantragt

festzustellen, daß der Arbeitgeber durch die Anordnung der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung gemäß Antrag zu 1. ohne Zustimmung des Betriebsrats gegen das Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verstoßen hat.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.

Der Betriebsrat kann nicht verlangen, daß der Arbeitgeber es unterläßt, ohne seine Beteiligung von Arbeitnehmern eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon vom ersten Tag der Erkrankung an zu verlangen. Dem Betriebsrat steht insoweit ein Mitbestimmungsrecht nicht zu.

1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Das Landesarbeitsgericht hat ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Erwägung gezogen, aber angenommen, das Mitbestimmungsrecht sei durch eine tarifliche Regelung ausgeschlossen.

a) Der Fünfte Senat hat im Urteil vom 27. Juni 1990 (– 5 AZR 314/89 – EzA § 3 LohnFG Nr. 12, zu II 1 der Gründe) ausgesprochen, Vorschriften über die Pflicht des Arbeitnehmers, im Falle einer Krankheit ein ärztliches Attest vorzulegen, beträfen eine Frage der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb (ebenso Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 3. Aufl., § 87 Rz 52; wohl auch Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 59 a: „Kontrollsysteme hinsichtlich von Krankmeldungen”).

Ein solches Mitbestimmungsrecht ist jedoch im vorliegenden Falle nach § 87 Abs. 1 BetrVG Eingangssatz durch die Regelung in § 15 MTV ausgeschlossen. In den Beschlüssen vom 18. April und 4. Juli 1989 (BAGE 61, 296 = AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang und BAGE 62, 233 = AP Nr. 20 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang) hat der Senat ausgesprochen und begründet, daß ein Mitbestimmungsrecht nicht besteht, soweit eine tarifliche Regelung den Mitbestimmungstatbestand abschließend und aus sich heraus anwendbar regelt. § 15 MTV stellt eine solche abschließende und aus sich heraus anwendbare Regelung dar.

Gemäß § 15 MTV ist ein Arbeitnehmer nur dann gehalten, unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer beim Arbeitgeber vorzulegen, wenn die Erkrankung länger als drei Tage dauert.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß eine Auslegung des § 15 MTV dahingehend, daß, wenn der Arbeitgeber berechtigt sei, die Vorlage einer Bescheinigung des vertrauensärztlichen Dienstes zu verlangen, er erst recht berechtigt sein müsse, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch während der ersten drei Tage der Krankheit zu fordern, nicht möglich ist. Die beiden Nachweismöglichkeiten einer Krankheit sind nicht vergleichbar. Die Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist ausdrücklich und abschließend tariflich geregelt. Eine abändernde Regelung ist nicht zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sich zu Recht auf die Entscheidung des Fünften Senats vom 27. Juni 1990 (– 5 AZR 314/89 – EzA § 3 LohnFG Nr. 12, zu II der Gründe) bezogen, die die nahezu inhaltsgleiche Gestaltung im Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der Wärme-, Klima- und Gesundheitstechnik sowie des Rohrleitungsbaues in Hessen und der Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik sowie des Rohrleitungsbaues in Rheinland-Pfalz vom 29. April 1986 behandelt. Der Fünfte Senat ist insoweit ebenfalls von einer abschließenden Regelung des Tarifvertrags ausgegangen und hat das Vorliegen einer Öffnungsklausel verneint.

Eine das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG ausschließende tarifliche Regelung besteht – von dem Fall, daß der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, abgesehen – schon immer dann, wenn der Arbeitgeber hinsichtlich der Regelung auch tarifgebunden ist. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist nicht erforderlich, daß auch die Arbeitnehmer tarifgebunden sind. Mit ihrem Beitritt zur Tarifvertragspartei können sie diesen tariflichen Schutz erwerben. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 24. Februar 1987 (BAGE 54, 191, 206 ff. = AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972, zu B II 6 c der Gründe) im einzelnen näher begründet.

2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß bei abschließender tariflicher Regelung ein Mitbestimmungsrecht nicht deswegen wieder auflebt, weil sich der Arbeitgeber tarifwidrig verhält. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat zwar der Betriebsrat darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Tarifverträge durchgeführt werden. Aus der Überwachungsaufgabe folgt jedoch kein eigener Anspruch des Betriebsrats darauf, daß der Arbeitgeber einen Tarifvertrag gegenüber seinen Arbeitnehmern auch einhält und durchführt. Der Betriebsrat ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung des Tarifvertrages beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (Beschluß des Senats vom 10. Juni 1986 – 1 ABR 59/84BAGE 52, 150, 157 = AP Nr. 26 zu § 80 BetrVG 1972, zu B IV 2 der Gründe). Im übrigen ist es dem einzelnen Arbeitnehmer überlassen, sich im Bereich seiner tariflichen Rechte selbst gegen eine tarifwidrige Handhabung des Arbeitgebers zu wehren. Der Individualrechtsschutz des einzelnen Arbeitnehmers kann nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung dem Betriebsrat übertragen werden (Beschluß des Senats vom 24. Februar 1987 – 1 ABR 73/84 – AP Nr. 28 zu § 80 BetrVG 1972). Abgesehen davon könnte auch eine mitbestimmte Regelung von der tariflichen Regelung nicht abweichen.

3. Aus dem Gesagten folgt, daß auch der in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellte Hilfsantrag des Betriebsrates jedenfalls unbegründet ist.

 

Unterschriften

Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Lappe, Rösch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI915976

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