Fast immer erfolgt in der Praxis eine Anfechtung nach § 123 BGB (arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung). Mit dieser Regelung gibt das Gesetz die Möglichkeit, sich von einer unter Druck zustande gekommenen Erklärung wieder lösen zu können, weil der unter dem Druck einer Drohung Handelnde aufgrund der Zwangslage keine Möglichkeit hat, sich in zumutbarer Weise selbst zu schützen.[75g] Die Anfechtung kann innerhalb 1 Jahres erfolgen (§ 124 I BGB).

Typische Fälle:

Der Arbeitnehmer behauptet,

  • er sei im Raum eingeschlossen worden, bis er unterschrieben habe;
  • der Arbeitgeber habe sich mit weiteren Personen drohend vor ihm aufgebaut;
  • man habe ihm, wenn er nicht unterschreibe, mit fristloser Kündigung und/oder Strafanzeige und/oder Schadensersatzklage gedroht.

Meist geht es um Vorwürfe der widerrechtlichen Drohung.

Drohung ist das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, auf das der Drohende Einfluss zu haben vorgibt.[75h] Sie kann aber nur eine Anfechtung rechtfertigen, wenn sie widerrechtlich ist. Eine Drohung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber sie in dieser Situation nicht ernsthaft in Betracht gezogen hätte.[75i]

Das bedeutet:

  • die Drohung mit einer Strafanzeige ist rechtmäßig, wenn das Begehren des Drohenden mit einer Straftat in innerem Zusammenhang steht[75j];
  • auf Zeitdruck kann die Anfechtung zumindest dann nicht gestützt werden, wenn der Arbeitnehmer nicht ausdrücklich eine Bedenkzeit verlangt hat[75k];
  • eine Drohung mit einer Kündigung – auch "nur" mit einer ordentlichen[75l] – ist allenfalls dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber in dieser Situation diese Sanktion nicht ernsthaft in Betracht gezogen hätte, d. h. die Kündigung erkennbar unwirksam gewesen wäre, z. B. wenn noch keine Abmahnung ausgesprochen wurde.[75m] So ist das Inaussichtstellen einer fristlosen Kündigung für den Fall, dass sich der nach bekannten Tatsachen offensichtliche Verdacht bei weiteren Nachforschungen nicht entkräften lässt, keine widerrechtliche Drohung, die zur Anfechtung eines Auflösungsvertrags berechtigt.[75n]
  • Dagegen kommt es nicht darauf an, ob sich die in Aussicht gestellte Kündigung in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte.[75o]

Das Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen muss der Anfechtende (hier also der Arbeitnehmer) im Einzelnen darstellen und ggf. beweisen. Ist eine Kündigung bereits vor dem Angebot des Arbeitgebers zum Abschluss eines Auflösungsvertrags ausgesprochen worden, liegt keine "Androhung" einer Kündigung mehr vor. Die Drohung kann aber darin gesehen werden, die in Aussicht gestellte "Rücknahme der Kündigung" nicht vorzunehmen.

 
Hinweis

Die Androhung einer Kündigung nur in begründeten Fällen aussprechen.

[75g] BAG, Urteil v. 12.3.2015, 6 AZR 82/14, Rn. 31 mit Hinweis auf Staudinger/Singer/von Finckenstein (2012) § 123 Rn. 64.
[75h] Vgl. BAG, Urteil v. 5.4.1978, 4 AZR 621/76; BAG, Urteil v. 16.11.1979, 2 AZR 1041/77.
[75j] Erman-Brox, BGB, 8. Aufl. Rz. 66; Welslau/Haupt in HzA Gruppe 1, Rz. 2038.
[75n] LAG Niedersachsen, Urteil v. 14.2.2005, 5 Sa 577/04, Revision eingelegt (6 AZR 248/05).

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