1 Einleitung

Ein Tarifvertrag ist ein schriftlicher (§ 1 Abs. 2 TVG) Vertrag zwischen tarifvertragsfähigen Parteien (Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband auf der einen Seite und einer oder mehrerer Gewerkschaft(en) auf der anderen) zur Regelung von

  • Rechten und Pflichten der Vertragsschließenden, also der Tarifvertragsparteien (schuldrechtlicher Teil: § 1 Abs. 1, 1. Alt. TVG), und
  • zur Festlegung von Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen betreffen (normativer Teil: § 1 Abs. 1, 2. Alt. TVG).

Nach § 12a TVG gilt das Tarifvertragsgesetz entsprechend für arbeitnehmerähnliche Personen, die aufgrund von Dienst- oder Werkverträgen beschäftigt sind, z. B. freie Mitarbeiter von Rundfunk- oder Fernsehanstalten, Journalisten und Schriftsteller.

2 Aufgaben des Tarifvertrags

Der Tarifvertrag hat vier Funktionsbereiche:

 
  • Schutzfunktion
für den Arbeitnehmer (deshalb § 4 Abs. 3 TVG)
  • Verteilungsfunktion
Differenzierung von Lohn- und Gehaltsgruppen
  • Ordnungsfunktion
das Arbeitsleben soll sinnvoll geordnet werden, soweit dies nicht durch den Gesetzgeber geschehen ist; dadurch Vertrauen,
  • Friedensfunktion
Verhinderung von Arbeitskämpfen während der Laufzeit und dadurch Schaffung eines Vertrauens, dass während der Laufzeit des TV die Arbeitsbedingungen unverändert und die Personalkosten kalkulierbar bleiben.

3 Rechtliche Grundlagen des Tarifvertrags

3.1 Rechtsnatur des Tarifvertrags

Der Tarifvertrag hat eine rechtliche Doppelnatur. Im normativen Teil (vgl. § 1 Abs. 1 TVG) ist er "ein für Dritte rechtsverbindlicher zweiseitiger kooperativer Normenvertrag"[1], d. h. Gesetz im materiellen Sinne.[2]

Im schuldrechtlichen Teil ist er ein gegenseitiger, schuldrechtlicher Vertrag arbeitsrechtlichen Inhalts.

[1] Schaub, AH, § 198 III.1.

3.2 Rechtsgrund des Tarifvertrags

Zur dogmatischen Begründung wurden verschiedene Theorien entwickelt:

Differenzierungstheorie: (Tarifpartner handeln als Stellvertreter).[1] Gegen diese Auffassung spricht: Wer einen Vertreter beauftragt, kann ihm den Auftrag auch wieder entziehen und an seiner Stelle selbst handeln. Dies ist aber beim Tarifvertrag nicht möglich (§ 4 Abs. 1, 3, 4 Satz 1 TVG).

Mandatarische Theorie: Die TV-Parteien können gem. § 317 BGB die Arbeitsbedingungen regeln.[2] Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterwerfen sich durch ihren Verbandsbeitritt dem Gestaltungsrecht der Verbände. Diese schließen den Tarifvertrag im eigenen Namen und verpflichten sich selbst, nicht aber die Mitglieder ihres Verbands (auch Verbandstheorie).

Theorie nach Schaub[3]: Den Koalitionen wurde in Art. 9 Abs. 3 GG das Recht übertragen, die Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen zu regeln und für die Tarifunterworfenen Rechtsnormen aufzustellen (§ 1 Abs. 1 TVG).

[1] Vgl. Ramm, Die Partei des Tarifvertrags 1961, 84 ff; a. A. BAG, AP Nr. 16, 17 zu Art. 3 GG.
[2] Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Zivilrecht 1964.
[3] Schaub, AH, § 198 II.3. m. w. N.

3.3 Folgerungen

Grundsätzlich ist das Bürgerliche Gesetzbuch auf Abschlussänderungen und die Beendigung des Tarifvertrags anzuwenden, sofern dies nicht dem Tarifvertragsgesetz oder dem Charakter als Kollektivvertrag entgegensteht. Deshalb gelten für den Vertragsschluss die §§ 145 ff. BGB, eine Anfechtung des Tarifvertrags ist unter den Voraussetzungen der §§ 119, 123 BGB möglich, sie kann aber diesen nicht rückwirkend vernichten (wie § 142 BGB vorsieht), da die Rechtsnormen des TV in der Vergangenheit schon auf die Arbeitsverhältnisse eingewirkt haben.

Bei der Auslegung eines Tarifvertrags[1] (d. h. bei der Frage, welche unterschiedlichen Fallgestaltungen der einzelnen, vielleicht unklaren tarifvertraglichen Regelung unterfallen und welche nicht) ist zu unterscheiden zwischen schuldrechtlichem und normativem Teil. Die normativen Bestimmungen (und um diese geht es meist) sind nach der objektiven Methode wie Gesetze auszulegen.

Bei ergänzender Auslegung (d. h. bei der Frage, ob ein vom Tarifwortlaut nicht umfasster Fall [Lücke] dennoch in die Vorschrift eingeordnet werden muss) ist zu unterscheiden, ob eine bewusste oder unbewusste Regelungslücke vorliegt, d. h.:

  • Haben die Tarifvertragsparteien den nicht vom Wortlaut umfassten Fall bewusst nicht regeln wollen oder versehentlich eine Regelung unterlassen?

Die ergänzende Auslegung darf nur vorgenommen werden, wenn die Regelungslücke unbewusst ist.[2] Bewusste Regelungslücken können nicht geschlossen werden, da sonst in die Tarifautonomie (und diese ist durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt) eingegriffen würde.

Eine spätere tarifliche Ordnung löst die frühere grundsätzlich ohne Nachwirkung ab, auch wenn die spätere die Arbeitsbedingungen verschlechtert (lex posterior derogat legi priori). Die Grenzen der Rückwirkung entsprechen der geltenden gesetzlichen Regelung.

[1] Grundsätzlich zur Auslegung Gröbing, ZTR 1987, 138 ff.

3.4 Tarifzuständigkeit

Gewerkschaft und Arbeitgeberverband können nach herrschender Meinung einen Tarifvertrag nur im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit schließen. Wer...

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