320.000 Wohnungen pro Jahr ohne Neubau?
In Deutschland wird immer großzügiger gewohnt. Das frisst Flächen, Baustoffe und Energie. Das vom Umweltministerium Baden-Württemberg geförderte Informationsprogramm Zukunft Altbau plädiert für eine effizientere Nutzung der vorhandenen Wohnflächen – etwa durch Cluster-Wohnungen, Wohnungsteilungen oder von bislang nicht genutztem Wohnraum im Keller oder Dach.
Wohnflächeneffizienz als Teil der Energiewende
Laut Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie ist der Raumwärmebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr von rund 250 Kilowattstunden im Jahr 1970 auf knapp 150 Kilowattstunden im Jahr 2020 gesunken – das ist ein Minus von rund 45 Prozent. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf ist in diesem Zeitraum von rund 25 auf über 47 Quadratmeter gewachsen. Die Tendenz ist weiter steigend: Ende 2024 lag die Wohnfläche pro Kopf bei rund 49 Quadratmetern. Daher bleibt der Wärmebedarf pro Person relativ konstant. Auch darauf weist Zukunft Altbau hin.
Die Gründe für die steigende Wohnfläche seien vielfältig: Noch immer würden Eigenheime und große Wohnungen gebaut. Auch die Zahl der Ein-Personenhaushalte ist deutlich gestiegen. Der Ansatz sei suffizientes Wohnen, so die Experten. Etwa als Hobbyräume genutzte Einliegerwohnungen im Einfamilienhaus, ausgebaute Dächer mit Bad und Küchenzeile oder leerstehende Wohnungen könnten potenziell genutzt werden.
"Würden wir großflächig unsichtbaren Wohnraum nutzbar machen, gäbe es weniger Wohnungsnot und wir müssten deutlich weniger neu bauen", sagt Frank Hettler von Zukunft Altbau. Das würde Energie einsparen und die Flächenversiegelung reduzieren.
Wohnen neu denken statt Neubau
Eine weitere Möglichkeit bestehe darin, Einfamilienhäuser durch Umbaumaßnahmen aufzuteilen. Dafür gibt es Zukunft Altbau zufolge spezielle Förderprogramme vom Staat. Ein anderes Beispiel seien Cluster-Wohnungen, eine Kombination aus Wohngemeinschaft und Kleinstwohnung. Sie sorgten für Vielfalt im Angebot: Menschen brauchen in unterschiedlichen Lebenssituationen unterschiedlich viel Raum. Damit kann die Pro-Kopf-Fläche und der Energieverbrauch reduziert werden.
"Die Politik hat inzwischen erste Schritte gemacht, solche Wohnmodelle zu unterstützen. Dazu zählen eine einfachere Umwidmung von Gewerbeflächen oder weniger Hürden für Aufstockungen. Trotzdem sind noch weitere Maßnahmen nötig, um mehr Menschen für neue Modelle der Wohnraumnutzung zu gewinnen", so Hettler.
Experten wie Patrick Zimmermann vom Ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gehen davon aus, dass rund 80 Prozent der 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, die sich die Bundesregierung vorgenommen hat, außerhalb von Neubauten entstehen könnten, wenn neue Konzepte und die Aktivierung des Leerstands konsequent umgesetzt und unsichtbarer Wohnraum besser erschlossen würde.
Prämien bei Weitervermietung und Flächenreduzierung
Das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen in Baden-Württemberg bietet finanzielle Unterstützungsprogramme zur Aktivierung von leerstehendem Wohnraum an. Die Prämien können von den Kommunen an Hauseigentümer weitergereicht werden, informiert Zukunft Altbau. Mit dem "Wohnflächenbonus BW“ bei einer Reduzierung um mehr als 15 Quadratmeter gibt es mindestens 3.000 Euro.
Ein weiteres Angebot für Kommunen ist die Wiedervermietungsprämie: Hier zahlt das Land pro vermieteter Wohnung, die zuvor mindestens sechs Monate leer stand, zwei Nettokaltmieten (maximal 2.000 Euro). Eine Beratungsprämie in Höhe von 400 Euro richtet sich direkt an Immobilieneigentümer, denen das Einfamilienhaus zu groß geworden ist. Sie sollen mit der Beratung durch Architekten eine erste Einschätzung erhalten, wie das Haus umgebaut und Wohnraum aktiviert werden kann.
Wohnraumoffensive Baden-Württemberg
Experten sprechen von Lock-In-Effekt
Der angespannte Wohnungsmarkt – vor allem in Großstädten – hat in den vergangenen Jahren zu einer besonderen Entwicklung geführt, Experten sprechen vom sogenannten "Lock-In-Effekt". Der beschreibt, dass Menschen in einer Wohnung mit altem und vergleichsweise günstigem Mietvertrag regelrecht eingesperrt sind. Ein Umzug wäre schwer oder gar nicht finanzierbar.
"Das kann dazu führen, dass Menschen in großen Wohnungen diese gerne verlassen wollen, aber feststellen, dass kleinerer Wohnraum inzwischen bei Neuvermietung in der Summe teurer ist als ihr angestammter Wohnraum", sagt Katharina Wagner, Leiterin des Amts für Wohnungswesen in Frankfurt am Main. Die Stadt bietet Mietern von Sozialwohnungen eine Umzugsprämie. Bei einem Umzug in eine frei finanzierte Wohnung werden 2.500 Euro geboten, bei einem Wechsel in eine kleinere Sozialwohnung liegt die Prämie zwischen 750 Euro und 2.500 Euro plus Zuschüsse zu Umzugs- und Renovierungskosten.
Gut angenommen wird das Programm nicht: Im Jahr 2024 kam es den Angaben zufolge nur zu acht Umzügen, davon sechs in kleinere Sozialwohnungen. Laut dem Amt für Wohnungswesen gibt es in Frankfurt am Main rund 28.000 solcher Einheiten.
Das könnte Sie interessieren:
Bauturbo startet: So soll die Wohnungskrise gelöst werden
Gute Stimmung beim Wohnungsbau und eine Steuersparidee
Mangelware Wohnraum: Städter bevorzugen Umbau statt Neubau
-
Aufwertung der Baualtersklasse: Reicht's für die Mieterhöhung?
208
-
Asbest im Boden entfernen: Kosten und Vorschriften
181
-
Solarstrom für Mieter: Leitfaden und Mustervertrag
1171
-
Parkettschäden, Schimmel & Co. – Obhutspflicht des Mieters
117
-
Ladeinfrastruktur: Mehr Spielraum für Eigentümer und WEGs
102
-
Blei im Trinkwasser: Regeln, Pflichten und Urteile
84
-
Mieter insolvent – Was bleibt dem Vermieter?
72
-
Zweckentfremdung: Neues Gesetz in Schleswig-Holstein
70
-
Mitarbeiterwohnungen: Steuervorteile und Förderung
69
-
Lohnt sich die Prüfung zum Zertifizierten Verwalter?
642
-
Entbürokratisierung im Bausektor
10.11.2025
-
Zeitwertkonten stärken Unternehmen und geben Mitarbeitenden Freiheit
10.11.2025
-
Ressourceneffizientes Bauen aus der Staatskasse
05.11.2025
-
Deutscher Bauherrenpreis 2026: Die Bewerbungsfrist läuft
04.11.2025
-
320.000 Wohnungen pro Jahr ohne Neubau?
04.11.2025
-
Bundeswehr stoppt Konversion von Flächen für Wohnen
29.10.2025
-
Ladeinfrastruktur: Mehr Spielraum für Eigentümer und WEGs
28.10.2025
-
Mit Hager intercom Kosten senken und Komfort steigern
27.10.2025
-
Makler: Tiny Houses auf der Schwelle zur Marktreife
17.10.2025
-
Experte: 3D-Druck von Wohngebäuden ist die Zukunft
16.10.20251