Neue Arbeitswelten in der Wohnungswirtschaft

In Eberswalde hat sich eine knapp 130 Jahre alte Wohnungsgenossenschaft neu erfunden und arbeitet nach New-Work-Standards. Das Besondere: Alle Mitarbeitenden, die im Jahr 2017 "an Bord" waren, sind noch da. Der Wandel war und ist nicht immer einfach.

Rückblick: Im Jahr 2017 liegt der Leerstand bei der Wohnungsgenossenschaft Eberswalde 1893 eG bei etwa 20 Prozent. Die Kreditwürdigkeit leidet und von der Genossenschaft ist nicht mehr viel mehr zu sehen als ihre Häuser. Heute – fünf Jahre später – sind alle vermietbaren Wohnungen belegt.

Noch dazu stemmt die kleine Genossenschaft ein riesiges Sanierungsprojekt mit knapp 60 Millionen Euro Fördermitteln vom Land Brandenburg. Die Grundlage für diese "raketenstarke Entwicklung", wie sie Marketing-Teamleiterin Claudia Riethbaum nennt, ist ein tiefgreifender Wandel in der Unternehmenskultur. "Wir haben gelernt, uns mit all unseren Fähigkeiten zu sehen und vor allem wertzuschätzen. Wer hier arbeitet, tut das gern", sagt sie. Dazu kommen optimierte und digitalisierte Prozesse, die Zeit und Raum für Weiterentwicklung schaffen.

New Work ist nicht gleich New Work

"New Work heißt für uns, die Prozesse so zu strukturieren, dass Zeit und Raum für die Menschen im Unternehmen bleibt – für ihre Interessen und für ihre Weiterentwicklung. Denn mit jedem einzelnen Schritt vorwärts entwickelt sich auch unsere 1893 weiter", sagt Volker Klich, Vorstand der Genossenschaft. "Wer den Menschen in den Mittelpunkt rückt – mit allem was er kann und was ihn interessiert – kommt automatisch zu New Work", sagt er.

Diesen Aha-Effekt hatten sie bei der 1893, als sie anfingen, sich mit New Work zu beschäftigen. "Ganz viele Instrumente hatten wir schon. Wir haben sie nur anders genann", erinnert sich 1893-Vorstand Guido Niehaus. Das "all-hands-meeting" zum Beispiel, zu dem alle Mitarbeitenden eingeladen sind, hieß früher Flurrunde – eine feste Größe, die wegen der vielen Infos niemand verpassen wollte. "Als wir es dann in all-hands-meeting umbenannt haben, kamen plötzlich nicht mehr alle, weil sie sich nicht angesprochen fühlten", erinnert sich Niehaus. Deshalb heißt das Format jetzt wieder Flurrunde und das Interesse ist auch zurück.

"Es nützt nichts, einfach etwas Neues überzustülpen, was woanders funktioniert“, erklärt Niehaus. Jedes Unternehmen finde seinen eigenen Weg, wenn es sich "auf die Reise" mache: "Und vielleicht heißt das, was sich auf der Reise entwickelt, dann nicht New Work, ist aber genau das."

Entscheidend ist der Wandel auf dem Weg zu New Work

"Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, sagt Klich. Zunächst sei es ungewohnt, wenn sich die Chefetage plötzlich dafür interessiere, was einen Mitarbeitenden auszeichnet und was ihm wichtig ist. "Wenn er dann noch hört, dass er das in seinen Beruf integrieren kann, wird’s ganz komisch", so Klich. Das Private und das Berufliche seien meist streng getrennt. Sei diese Trennung einmal aufgelöst, würden Dinge wie Vertrauensarbeit, mobiles Arbeiten und eigenverantwortliches Arbeiten ganz normal. "Denn dann mischt sich die Arbeit mit dem, was dem Menschen Spaß macht", ergänzt er. Viel wichtiger als Begriff New Work ist deshalb der Wandel in der Unternehmenskultur.

Die Vorstände Klich und Niehaus haben sich die Prozesse angesehen, die verbesserungswürdig waren, und überlegten sich gemeinsam mit den Teamleiterinnen und Teamleitern, wie alle ihren Beitrag leisten können, damit sich die Unternehmenssituation verbessert. Sie haben Lösungen gefunden und suchen weiter nach Lösungen. Doch heute machen das die Mitarbeitenden eigenverantwortlich: "Sie nutzen ihren Werkzeugkaste, den sie verinnerlicht haben. Im zwischenmenschlichen wie im professionellen Bereich", sagt Niehaus.

Derzeit beschäftigt sich 1893 intensiv mit dem Lean Management, bei dem wiederkehrende Dinge ständig optimiert werden. Auch hier gibt es einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. "Wenn wir uns hier noch weiterentwickeln, kommen wir immer mehr von der klassischen Teamstruktur weg und können uns zunehmend in crossfunktionalen Teams organisieren", ergänzt Klich.

Mitglieder-App Loft2go WoWi

Digitale Tools: Mitarbeitende schulen Mitarbeitende

Diese crossfunktionalen Teams nutzt die 1893 erfolgreich seit diesem Jahr. Für neue Herausforderungen wie die Energieeffizienzrichtlinie, Dekarbonisierung, New Work oder das Willkommensmanagement für die vielen neuen Mitglieder im Sanierungsprojekt "BRAND.VIER" finden sich die 1893er zu eigenverantwortlich organisierten Teams zusammen und erarbeiten Lösungsvarianten. Dabei denken sie die digitale Dimension gleich mit.

"Digitale Tools unterstützen unsere tägliche Arbeit", sagt Niehaus. Sie strukturierten wiederkehrende Prozesse und böten einen Überblick, der analog nicht möglich sei. "Dadurch lassen sich ganz andere Schlüsse ziehen."

Und damit alle Mitarbeitenden mit den digitalen Tools arbeiten, bieten Kolleginnen und Kollegen, die spielend leicht damit umgehen können, regelmäßige Schulungen für die anderen an. "Wenn wir immer digitaler arbeiten wollen, darf niemand verloren gehen. Sonst nützt uns das beste Tool nichts", meint Klich.

Fortschritt durch Interne und externe Expertise

Ein besonderer Baustein im New-Work-System der 1893 ist die Expertise, die sie extern dazu holen und intern aufbauen. Die 1893 lernt etwa von Entwicklern neuer digitalen Tools und Profis im Bereich Gebäudeautomation oder Treibhausgasneutralität. Kundenbedürfnisse werden gespiegelt und umgesetzt. Auch intern entwickeln sich Profis für bestimmte Themen, die über die eigentliche berufliche Qualifikation hinausgehen.

Da sind etwa der IT-begeisterte Buchhalter, der die Mitglieder-App "Loft2go" mitentwickelt hat, der Hausmeister mit Herz für die Natur, der jetzt staatlich geprüfter Baumkontrolleur ist, oder die Vorstandsassistentin und zwei Marketingexpertinnen, die sich zu New-Work-Spezialistinnen entwickelt haben und nun Standards im Unternehmen verankern. Das passiert, wenn nicht Stellenbeschreibungen, sondern Rollenbeschreibungen die Personalpolitik bestimmen und Fähigkeiten und Erfahrungen mindestens so wichtig sind wie der Berufs- oder Studienabschluss.

"Eine App für unsere Mitglieder wollten wir schon länger", erinnert sich Klich. Der Auslöser sei letztlich die Energieeffizienzrichtlinie gewesen, nach der Mitgliedern die monatlichen Verbräuche mitgeteilt werden müssen. Zum crossfunktionalen Team aus IT, Buchhaltung, Marketing und Betriebskostenabrechnung kam "Spiri.Bo", ein sogenanntes WowiTech und Systemanbieter für Mieter-Apps. Die Projektverantwortung wird auf das gesamte Unternehmen verteilt und so die interne Akzeptanz erhöht. Die App zeigt, dass Herausforderungen für den eigenen Fortschritt genutzt werden. Und sie ist eine Lösung, die das Ziel der Energieeffizienzrichtlinie erreicht, weil sie Daten digital zur Verfügung stellt und monatliche Briefe an die Mitglieder einspart.


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