Wohnungspolitik: Taugt das Wiener Modell für Deutschland?

Österreichs Hauptstadt Wien gilt europaweit als Vorbild für einen funktionierenden Mietmarkt. Kann die Wohnungspolitik auch Blaupause für Deutschland sein? Das ist unter Experten umstritten.

Über den Wiener Wohnungsmarkt wird in den höchsten Tönen geschwärmt: Die Mieten sollen besonders günstig sein, der Markt für Investoren dennoch attraktiv, obwohl streng reguliert, denn er gilt als stabil. Doch ist Wien tatsächlich ein Paradies für Mieter und ein Vorbild für eine bessere deutsche Wohnungspolitik?

Berlin bewundert kommunalen Wohnungsbau in Wien

Wien habe einen "großen Sektor, der nicht nach Gewinnorientierung gewirtschaftet wird, sondern nach Gemeinwohlorientierung. Das fehlt uns in Berlin", sagte die Geschäftsführerin des örtlichen Mietervereins, Ulrike Hamann, am 5. April der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Etwa die Hälfte der Bevölkerung in der österreichischen Millionenstadt lebt laut Christian Schantl von der kommunalen Hausverwaltung Wiener Wohnen in sogenannten Gemeindebauten und Genossenschaftswohnungen. Insgesamt gebe es 220.000 Gemeindewohnungen, die der Stadt gehören, und 200.000 Wohnungen, die von gemeinnützigen Genossenschaften verwaltet werden.

Nach Angaben der Stadt Wien wurden im Jahr 2022 insgesamt mehr als 950.000 Wohnungen bewohnt. Etwa 5.000 bis 7.000 Wohnungen werden laut Schantl jährlich in den beiden kommunalen Segmenten gebaut. Zum Vergleich: In Berlin wurden seit 2014 im geförderten Bereich nur rund 21.500 Neubauwohnungen bewilligt, teilte Bausenator Christian Gaebler (SPD) auf dpa-Anfrage mit. Mehr als 12.000 Wohnungen seien bezugsfertig.

Mieterbund: Sozialbindung ist ein Kapitalfehler

In Berlin gebe es im gemeinnützigen Bereich "zu wenige Wohnungen, wir müssen viel mehr bauen", so Hamann. Momentan würde vor allem im hochpreisigen Segment gebaut und im unteren Segment viel zu wenig. Als "Kapitalfehler" bezeichnete Hamann die zeitlich begrenzte Sozialbindung: Nach einer gewissen Zeit können die Wohnungen wieder zu marktüblichen Konditionen vermietet werden.

In Wien gebe es diese Regelung nicht, betonte Schantl. Das Wiener Modell könne jedoch nicht einfach auf Berlin übertragen werden. Dem sozialen Wohnbau in Wien gehe eine jahrzehntelange Historie voraus. "Wir haben einige Fehler Gott sei Dank nicht gemacht." In Berlin wiederum seien in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Baugrund und Wohnungen verkauft und privatisiert worden – in Wien wurde Boden angekauft.

Was sich Berlin abschauen könne, seien etwa Maßnahmen zur Dämpfung der gestiegenen Immobilien- und Grundstückspreise. Die Wiener Stadtverwaltung habe die Möglichkeit, "gewisse Areale der Stadt für den geförderten Wohnbau zu reservieren und zu blockieren", sagte Schantl. Wird auf diesen Arealen gebaut, müssen zwei Drittel unter die Richtlinien des geförderten Wohnbaus fallen.

Wohnungspolitik: Empirica-Studie kratzt am Mythos Wien

Eine Studie von Empirica aus dem Jahr 2020 hat den Wiener Wohnungsmarkt aus deutscher Sicht analysiert. In manchen Bereichen könnte Wien Modell sein, in anderen Bereichen sind die Ergebnisse eher vernichtend.

So sind im Gemeindebau die Wiener Mieten im Vergleich zu den Mieten den deutschen Metropolen zum Teil niedriger. Dafür – so die Autoren – übernehmen die Mieter in Wien mehr Pflichten als die Mieter in deutschen Städten: zum Beispiel Investitionspflichten. Auch sind sämtliche Nebenkosten, etwa für die Immobilienverwaltung, auf die Mieter umlegbar. "Außerdem ist das hochkomplexe mietrechtliche System, das sich in den Teilmärkten deutlich unterscheidet, sehr streitanfällig", heißt es in der Studie.

Das mit knapp zehn Prozent kleinste Marktsegment sind in Wien die privaten, frei finanzierten Mietwohnungen: Hier ist der Studie zufolge in der Gesamtzusammenschau ein Mieter in Wien etwas schlechter gestellt als in Deutschland, da bei vergleichbarem Mietniveau die Sicherheit des Mietverhältnisses aufgrund der möglichen Befristung niedriger ist. Auch sei Neuvertragsmiete nicht gleich Neuvertragsmiete, so die Autoren: Die Wiener Neuvertragsmiete sei mit der deutschen Mietspiegelmiete ver­gleichbar, die auch in Deutschland niedriger ist als Neuvertragsmieten.

Soziale Mischung: Problempunkt in Wien

Dazu kommt: Knapp 60 Prozent des Wohnungsbestandes stammen in der österreichischen Hauptstadt aus den Baujahren 1950 bis 1970 – und die Bestände der Wiener Wohnen liegen laut Sozialraumatlas der Stadt fast ausschließlich in sozial schwachen Baublöcken; nur wenige Gebäude – meist in den zentralen Bezirken – befinden sich in sozial unauffälligen Baublöcken. Das hat laut Empirica-Studie dazu geführt, dass die soziale Mischung in den Quartieren abgenommen hat.

In den vergangenen 40 Jahren hat die Wiener Wohnen außerdem nur noch wenige Wohnungen gebaut; und 2004 wurde der Neubau völlig eingestellt. Mit der Folge, so die Studie, dass das kommunale Unternehmen kein Akteur in der Stadtentwicklung mehr ist, obwohl Wien nach 80 Jahren Bevölkerungsrückgang seit 2000 wieder wächst. 2015 hat die Stadt für den Wohnungsneubau die Wiener Gemeindewohnungsbaugesellschaft mbH, gegründet.

"Deutschen Städten kann daher nicht empfohlen werden, dem Wiener Beispiel zu folgen, ganz abgesehen von der Frage, woher die ganz erheblichen Mittel für den Aufbau des Wohnungsbestandes kommen sollen", schreiben die Autoren der Empirica-Studie. Ein Lichtblick sei das Segment der geförderten Wohnungen: Dieser Bereich umfasst rund 26 Prozent des Mietwohnungsbestandes und das Marktsegment wächst dank Neubau. Bauträger und Eigentümer sind neben gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften auch private Bauträger.

Wien: Anspruch auf Kauf der geförderten Wohnung

Die städtebauliche und architektonische Qualität der geförderten Neubauwohnungen ist in Wien besonders hoch und entspricht eher dem höheren Eigentumssegment in Deutschland. Dieser Sektor wird hierzulande dann häufig mit "Sozialwohnung" betitelt, was laut Studie so nicht korrekt ist.

Zum einen sind die Einkommensobergrenzen in Wien etwa dreimal so hoch wie etwa in Berlin (knapp 4.000 Euro netto pro Monat für Ein-Personen-Haushalte), zum anderen müssten Mietinteressenten einen Beitrag zur Finanzierung (Eigenmittelbeitrag) leisten: Bei Erstbezug sind der Studie zufolge 500 Euro pro Quadratmeter einzuplanen, fällig bei Mietvertragsabschluss. Zum dritten hat fast jeder Mieter seit dem Jahr 2000 einen gesetzlichen Anspruch auf den Kauf seiner geförderten Wohnung zwischen fünf und 30 Jahre nach Fertigstellung.

Der geförderte Wohnungsbau in Wien könnte laut Empirica durchaus ein interessantes Modell für Deutschland sein, da er überwiegend dem politischen Ziel einer Erhöhung der Eigentümerquoten dient. Die Kaufoption besteht bei allen Wohnungen in diesem Segment – unabhängig von der Rechtsform des Bauträgers (Gemeinnützige Baugesellschaft, Genossenschaft, gewerblicher Bauträger).

Clevere Idee: Smart-Wohnungen mit Superförderung

Vergleichbar mit dem sozialen Wohnungsbau in Deutschland ist eine Unterart des geförderten Wohnungsbaus in Wien: Smart-Wohnungen. Sie zeichnen sich durch einen sehr niedrigen Eigenmittelbeitrag von rund 60 Euro pro Quadratmeter aus. Der sonst vom Mieter zu zahlende Eigenbeitrag wird durch zusätzliche Förderkredite an die Bauträger ersetzt – auch "Superförderung" genannt. Eine Kaufoption für die Mieter besteht nicht. Das Konzept gibt es seit 2012. Die Miete liegt bei monatlich 7,50 Euro pro Quadratmeter bruttokalt. Smart-Wohnungen zeichnen sich durch kleine Wohnflächen aus, die vorgeschrieben sind (durchschnittlich maximal 65 Quadratmeter), und könnten wegen der kostengünstigen Bauart ein interessantes Architekturmodell sein.

Auch die wohnungspolitischen Ausgaben in Wien sind laut Empirica deutlich höher als in deutschen Metropolen und konzentriert auf die Objektförderung. Die Subjektförderung ist ausgesprochen niedrig. Ein mögliches Vorbild für Deutschland kann die viel aktivere Boden(vorrats)politik in Wien sein: Der Bodenfonds verfügte laut Studie Ende 2018 über einen Flächenvorrat, der für zehn Jahre ausreicht, obwohl der Großteil des Neubaus von Mehrfamilienhäusern auf Flächen des Bodenfonds realisiert wird. Wohnbauland wird zu Preisen von 240 bis 300 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche verkauft, was höchstens ein Viertel der Baulandpreise in deutschen Metropolen ist.

Entscheidend für den Erfolg: Der Bodenfonds kann beim Ankauf von Bauerwartungsland von privaten Eigentümern aus einer echten Monopolposition heraus verhandeln; und Eigentümer von Bauerwartungsland können faktisch nur an den Bodenfonds verkaufen, sodass dieser die Preise diktiert. In Deutschland sehen sich die Kommunen laut Studie häufig einem faktischen Monopolisten gegenüber, der die Preise diktiert und warten kann.

Empirica-Studie "Wohnungsmarkt Wien. Eine wohnungspolitische Analyse aus deutscher Sicht"


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