Klimaschutz in Immobilien: Innovative Baustoffe

Traditionelle Bauweisen sind in der Wohnungswirtschaft beliebt: Man kennt sie, weiß, wie sie funktionieren und wie lange man mit ihnen leben kann. Doch sie sind auch energieintensiv, wenig klimafreundlich und produzieren viel Abfall. Deshalb wird weltweit an neuen Baustoffen geforscht.

Der Bausektor ist für mehr als 40 Prozent aller Abfälle auf der ganzen Welt verantwortlich. Baustoffe wie Beton, Stahl, Glas und Ziegel können nur mit hohem Energieaufwand hergestellt werden. Kein Wunder, dass gerade in diesem Bereich ein großer Nachholbedarf besteht. Denn auch für ihn gilt (zumindest in der EU): Bis 2045 muss alles klimaneutral sein. Und das geht nur mit neuen Materialien und Methoden. Weltweit forschen Wissenschaftler, Konstrukteure und Ingenieure an Verfahren, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann.

Gefräßige Groß-Ameisen: Vorbilder für energieeffiziente Klimatisierung

Die Belüftungsmethode von Termiten in ihren Bauten könnte eine energieeffiziente Klimatisierung in Gebäuden ermöglichen, so Forscher der Lund University Schweden und der Nottingham Trent University in Großbritannien. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift "Frontiers in Materials" veröffentlicht.

Die Bauweise der Tunnel in Termitenhügeln erzeugt Luftturbulenzen, die durch leichten Wind in die Öffnungen gedrückt werden. Möglich wird dies durch mehrere miteinander verbundene Röhren, die miteinander kommunizieren können. Dieses Prinzip ist auch dem Menschen seit langem bekannt, wird aber nicht in Lüftungssystemen eingesetzt. Lediglich bei der Dachlüftung wird der Unterschied der Drücke innerhalb und außerhalb der Gebäude genutzt, um einen Kamin-Effekt zu erzeugen, der etwa nachts die tagsüber gespei-cherte Wärme nach außen transportiert.

Der Vorteil der Bauweise der gefräßigen Groß-Ameisen: Das empfindliche Gleichgewicht von Temperatur und Luftfeuchtigkeit – Stichwort Taupunkt, bei dem es jedem Bautechniker einen kühlen Schauer über den Rücken jagt, da er für Kondenswasser an schwer zugänglichen Stellen sorgt, das mit ziemlicher Sicherheit in Schimmelbildung endet – könne erhalten bleiben, während verbrauchte Luft nach außen und frische Luft nach innen ströme. Die Turbulenzen in den Termitenhügeln haben auch eine Filterfunktion. Sie führen Pollen und Schwebstoffe aus der Luft wieder nach außen.

Zudem verhindert die turbulente Luftbildung die Bildung von Feuchtigkeitsfilmen an den Tunnelwänden, die zu Schimmelbildung führen könnte. Dieses Prinzip könnte in zukünftigen Gebäuden integriert werden, um eine energiesparende Klimatisierung zu ermöglichen – unterstützt von Sensoren und Aktoren, die die Lüftungsverhältnisse messen und steuern und die den bei Menschen nicht vorhandenen siebten Sinn der Ameisen ersetzen.

Beton ohne Zement? Warum nicht.

Dass Beton ohne Zement möglich ist, hat das Unternehmen C-Crete Technologies in einem Geschäftsgebäude in Seattle gezeigt. Die Firma aus dem kalifornischen San Leandro will die nächste Generation von Infrastrukturmaterialien mit extrem niedrigen oder negativen CO2-Emissionen entwickeln.

Eine Alternative zum häufig auf Baustellen verwendeten Portlandzement emittiert während der Herstellung nahezu kein Kohlendioxid und kann langfristig sogar CO2 aus der Luft binden. Nötig wäre das. Portlandzement trägt etwa zu sieben  Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei. Mit jeder Tonne C-Crete-Bindemittel, die anstelle von Portlandzement verwendet wird, könnte etwa eine Tonne CO2-Emissionen eingespart werden. Denn dieser Baustoff nutzt natürliche Mineralien und industrielle Nebenprodukte – also keinen noch zu brennenden Zement.

Beim Umbau eines historischen Gebäudes in Seattle (USA) kamen 60 Tonnen des zementfreien Betons zum Einsatz. Er zeigte eine hervorragende Fließfähigkeit und erzielte eine hohe Druckfestigkeit von mehr als 5.000 psi (Pound-force per square inch). Das ist mehr als die meisten Anwendungen im Bauwesen. Er erfüllt die wichtigsten Industrienormen und weist eine hervorragende Haltbarkeit auf, so gegen Frost-Tau-Zyklen, Alkali-Kieselsäure-Reaktionen, die zu Rissbildungen im Beton führen, sowie Chlorid- und Säureeinwirkung. Und er ist mit herkömmlichen Betonzusatzmitteln kompatibel.

Wandmodultoaster (WMT) Blick in die Kammerwände

Wände einfach toasten? Spart Zeit und Transport.

Die Nobis Living International aus Hannover errichtet in Hildesheim den Rohbau für 118 Studentenapartments. Dabei kommt der "Wandmodultoaster WMT" zum Einsatz.

Wände werden hier nicht auf traditionelle Weise Stein für Stein oder mit gegossenem Beton auf Stahlgerippen errichtet, sondern vor Ort in verschiedenen Längen und Stärken hergestellt, also in einem eigenen Verfahren unter Druck und Wärme getoastet. Nacharbeiten entfallen, der Toaster produziert beidseitig glatte Wände. Alle Aussparungen für Türen und Fenster sind bereits positioniert. Durch die integrierte Heizung lassen sich auch Wände bei Temperaturen bis minus fünf Grad Celcius gießen.

Die gesamte Abwicklung von der Wandproduktion bis zur Montage erfordert lediglich neun Mitarbeiter. Durch das Einsparen oder Kombinieren von Gewerken konnte die Anzahl der Schnittstellen am Bau von 26 auf elf reduziert werden. Die selbstproduzierten Wände minimieren CO2-Emissionen durch den Transport von der Fabrik zur Baustelle. Der WMT ist ein wichtiger Baustein des Nobis Living Concepts, dem integralen Bausystem zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, wie das Unternehmen mitteilt.

Häuser wickeln statt Stein auf Stein bauen? Sicher.

Das Texoversum der Hochschule Reutlingen, ein Zentrum für Bildung und Innovation in der Textilindustrie, hat die 2.000 Quadratmeter große Fassade des Gebäudes aus Carbonfasern gewickelt und mit dem Polyurethanharzsystem Desmocomp von Covestro verfestigt. Dieses Harz ist beständig gegen Witterungseinflüsse und UV-Strahlung. Das prädestiniert es für den Einsatz im Außenbereich. Zudem bietet es ausgezeichnete Chemikalien- und Flammbeständigkeit.

Die Technologie nutzt Carbonfasern, die von Robotern gewickelt werden, um leichte und dennoch belastbare Strukturen zu schaffen. Diese Faserstrukturen ähneln den Netzwerken in der Natur, wie Spinnennetzen oder Käferflügeln, und benötigen nur minimale Materialmengen für ihre Stabilität. Das reduziert den Ressourcenverbrauch sowie die Kosten für Transport und die Montage.

Im Texoversum erfüllt die gewickelte Fassade gleich mehrere Funktionen, darunter die Stabilisierung von Balkonen, die Beschattung von Glasfronten und die Schaffung einer einzigartigen ästhetischen Optik.


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Schlagworte zum Thema:  Wohnungsbau, Innovation