Zur Duldung optisch nachteiliger Maßnahmen am Sondereigentum
Hintergrund: Eigentümer ersetzt Dachvorbau
In einer aus zehn Wohneinheiten bestehenden Wohnungseigentumsanlage, die 1964 gebaut wurde, befindet sich auf dem Dach ein Penthouse mit Dachgarten. Der Dachgarten ist der Penthouse-Wohnung als Sondereigentum zugeordnet. Der seinerzeitige Penthouse-Eigentümer hat den Dachgarten mit Platten ausgelegt, mit einem Zaun umgrenzt und einen Dachvorbau errichtet, der aus teilverglasten Seitenwänden aus Holz besteht.
Von Oktober 2012 bis April 2013 ließ die WEG das Dach sanieren. Dabei wurden die Platten, der Zaun und der Dachvorbau entfernt. Nach Abschluss der Sanierung ließ der Penthouse-Eigentümer ohne Zustimmung der anderen Eigentümer einen in Form und Farbe veränderten Ersatz für den Dachvorbau errichten.
Eine Eigentümerin meint, die Veränderung des Dachvorbaus sei wesentlich, und verlangt den Rückbau. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Da der neue Dachvorbau von der Straße aus erkennbar sei und sich deutlich vom früheren unterscheide, liege eine nachteilige Veränderung des optischen Gesamteindrucks vor. Deshalb hätte es der Zustimmung sämtlicher Eigentümer bedurft.
Entscheidung: Mehrheitliche Zustimmung kann ausreichen
Der BGH hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist den Rechtsstreit dorthin zurück.
Auch Änderungen im Sondereigentum können Nachteil begründen
Ein Wohnungseigentümer, dem durch eine bauliche Maßnahme über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst, kann Unterlassung oder Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Das gilt nicht nur gemäß § 22 Abs. 1 WEG für Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum, sondern gemäß § 14 Nr. 1 WEG auch für Veränderungen am Sondereigentum. Ein Wohnungseigentümer unterliegt beim Gebrauch seines Sondereigentums den gleichen Einschränkungen wie beim Gebrauch des Gemeinschaftseigentums. Für die Bestimmung des Nachteils gelten die gleichen Maßstäbe. Deshalb liegt ein Nachteil, den ein anderer Eigentümer nicht hinnehmen muss, nicht nur vor, wenn eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums zu einer erheblichen optischen Veränderung des gesamten Gebäudes führt, sondern auch dann, wenn eine solche Veränderung die Folge einer baulichen Veränderung des Sondereigentums ist.
Auf den Gesamteindruck kommt es an
Bei der Beurteilung, ob die optische Veränderung eines Bauteils einen Nachteil zur Folge hat, ist nicht allein das veränderte Bauteil zu betrachten. Ein Nachteil entsteht vielmehr erst dann, wenn die Veränderung des einzelnen Bauteils auch das gesamte Gebäude optisch erheblich verändert. Bezugspunkt der anzustellenden Wertung ist damit das Gebäude als Ganzes, nicht das einzelne Bauteil. Bei der Wertung sind insbesondere die Bedeutung des veränderten Bauteils für den Gesamteindruck des Gebäudes und die Auswirkungen der Veränderung für diesen Gesamteindruck zu berücksichtigen.
Bei der Feststellung des Gesamteindrucks des Gebäudes vor der zu beurteilenden baulichen Maßnahme sind auch bis dahin vorgenommene bauliche Veränderungen an dem Gebäude zu berücksichtigen. Dafür spielt es keine Rolle, ob sie auf Maßnahmen einzelner Wohnungseigentümer oder auf Maßnahmen der WEG zurückgehen. Die Berücksichtigung solcher Veränderungen hängt nicht davon ab, ob sie als solche mit der zu beurteilenden baulichen Maßnahme gleichzusetzen sind. Entscheidend ist vielmehr, ob sie den optischen Gesamteindruck des Gebäudes verändert haben; so kann es sich auch verhalten, wenn sie von der Straßenseite aus nicht zu sehen sind.
Zu berücksichtigen ist hier außerdem, dass die Entfernung des Dachvorbaus auf dem Dachgarten nicht auf dem Entschluss des Sondereigentümers beruht hat, sondern deshalb erfolgt ist, weil die WEG das Dach saniert und dabei nicht nur Form und Gestalt des Dachaufbaus, sondern mit diesem auch die konstruktiven Vorgaben für die Wiedererrichtung des Dachvorbaus verändert hat. Hierdurch bedingte Veränderungen sind nicht Folge einer vom Penthouse-Eigentümer veranlassten Maßnahme, sondern einer Veränderung des Gebäudes durch die WEG. Diese Veränderungen müssen alle Eigentümer hinnehmen.
Die Wohnungseigentümer müssen Veränderungen, die sich aus dem Vorher-nachher-Vergleich ergeben, nur dann nicht hinnehmen, wenn diese erheblich sind. Dabei kommt es darauf an, welche Bedeutung das veränderte Bauteil für den Gesamteindruck des Gebäudes hat, ob sich das Bauteil trotz der Änderungen in das Gesamtbild einfügt und welche Möglichkeiten es für die Erneuerung überhaupt gab. Beim Ersatz älterer Bauteile ist außerdem zu bedenken, dass sich solche Bauteile nicht immer mit vertretbarem Aufwand originalgetreu ersetzen lassen.
Modernisierung mit mehrheitlicher Zustimmung möglich
Sollte die gebotene Prüfung ergeben, dass der neue Dachvorbau eine erhebliche Änderung des Gebäudes zur Folge hat, bedeutet dies noch nicht, dass sämtliche Eigentümer hätten zustimmen müssen. Auf bauliche Maßnahmen am Sondereigentum, die nur wegen ihrer Ausstrahlung auf den optischen Gesamteindruck des Gebäudes für andere Wohnungseigentümer einen Nachteil darstellen, sind nämlich § 22 Abs. 2 und 3 WEG entsprechend anzuwenden. Handelt es sich bei der Maßnahme am Sondereigentum um eine Modernisierung, genügt deshalb die Zustimmung von mehr als drei Vierteln aller Wohnungseigentümer und mehr als der Hälfte der Miteigentumsanteile. Sollte es sich um eine modernisierende Instandsetzung handeln, reicht es, wenn die einfache Mehrheit der Eigentümer zustimmt.
Die Zustimmung kann der Sondereigentümer durch Befassung der Eigentümerversammlung erlangen. Führt er die Zustimmung durch einen Beschluss der Wohnungseigentümer mit der erforderlichen Mehrheit herbei, müssen die übrigen Eigentümer die durch die Maßnahme bewirkten erheblichen Veränderungen des optischen Gesamteindrucks des Gebäudes ebenso hinnehmen wie bei einer entsprechenden Maßnahme am Gemeinschaftseigentum.
(BGH, Urteil v. 18.11.2016, V ZR 49/16)
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